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"Mama sagte immer, das Leben sei wie eine Schachtel Schokolade, du weisst nie, was du bekommst" © cc

Die Einheits-Schoggi in den Schweizer Medien

Hanspeter Guggenbühl /  Beim Schoggi-Deal von Lindt&Sprüngli guckten alle Medienschaffenden in die gleiche Praliné-Schachtel.

Am Montag dieser Woche informierte die Schweizer Firma Lindt und Sprüngli, sie habe den US-Konzern Russel Stover gekauft. Schweizer Medienschaffende berichteten ausführlich darüber. Bemerkenswert ist, WIE sie es taten:

  • ZÜRICH: Unter dem Titel «Denn sie wissen, was sie bekommen» kommentierte Sergio Aiolfi in der NZZ vom Dienstag: «Im Film ‹Forrest Gump› sitzt der von Tom Hanks gespielte Protagonist auf einer Parkbank (…) und sinniert darüber, dass das Leben wie eine Schachtel Pralinés sei; man wisse nie, was man bekomme. Der Schokoladekonzern Lindt & Sprüngli wird wohl wissen, was er mit dem Zukauf von Russel Stover Candies Inc. bekommt.»
  • ST. GALLEN: Im St. Galler Tagblatt schreibt Thomas J. Spang unter der Schlagzeie «Lindt & Sprüngli greift zu» am gleichen Tag: «Tom Hanks verhalf dem ausserhalb der USA wenig bekannten Privatunternehmen Russell Stover in dem Oscar-gekrönten Film Forrest Gump zu Weltruhm. In einer Szene sitzt Forrest Gump auf einer Parkbank und schiebt sich eine Praline nach der andern in den Mund: ‹Meine Mutter hat immer gesagt›, sinniert er, ‹das Leben ist wie eine Praliné-Schachtel. Man weiss nie, was man bekommt›. Das kann der Schokoladekonzern Lindt & Sprüngli mit Blick auf die Akquisition in Nordamerika nicht sagen.»
  • CHUR: Der gleiche Bericht von Thomas J. Spang erscheint am Dienstag auch in der Südostschweiz, hier unter dem Titel «Lindt & Sprüngli holt sich die Pralinés von Forrest Gump».
  • BASEL: Unter dem Titel «Lindt weiss genau, was drin ist», schreiben Daniel Zulauf und Seraina Gross am Dienstag in der Basler Zeitung: «’My mama always said, life was like a box of chocolates. You never know, what you’re gonna get›, sagt Forrest Gump, gespielt von Tom Hanks, im gleichnamigen Film aus den Neunzigerjahren. Er sitzt dabei auf einer Parkbank und hält eine Schachtel mit Pralinen von Russell Stover in den Händen, die er langsam leert (…) Im Gegensatz zu Forrest Gump weiss Lindt & Sprüngli genau, was sie vom Kauf der amerikanischen Edelschokoladenmarke Russel Stover erwarten kann.»
  • LUZERN: In der Neuen Luzerner Zeitung berichtet Vasilije Mustur ebenfalls am Dienstag: »’Meine Mutter hat immer gesagt: Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiss nie, was man bekommt.› Der Satz aus dem Kinofilm ‹Forrest Gump› brachte Holliwoood Star Tom Hanks einen Oscar und machte gleichzeitig die US-Schokoladefirma Russel Stover weltbekannt.»
  • ZÜRICH: Im Tages-Anzeiger vom Dienstag schreibt Andreas Möckli: «Im Kinohit ‹Forrest Gump› sitzt Hauptdarsteller Tom Hanks auf einer Parkbank, bietet einer Frau Pralinen an und sagt: ‹Meine Mama hat immer gesagt, das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiss nie, was man kriegt.› Die Pralinéschachtel stammt von der US-Traditionsfirma Russel Stover Candies.»
  • BERN: Der gleiche Artikel von Andreas Möckli erschien auch in der Berner Zeitung «Bund».
  • ZÜRICH: In der Online-Zeitung Newsnet vom Montag schreibt eine Person ohne Namen: «Das amerikanische Traditionsunternehmen Russel stellt hochwertige Pralinés und Schokoladen her. (…) Im oscarprämierten Film «Forrest Gump» isst Tom Hanks auf einer Parkbank sitzend Pralinés. Sein Satz ‹Meine Mutter hat immer gesagt (…)» etc.

Die gleiche Geschichte schrieben andere Autoren am Montag und Dienstag in mindestens zehn weiteren Schweizer Medien. Auf die Frage, wie diese Einheitscrème mit Zuckerguss entstanden ist, gibt es mehrere mögliche Antworten:

  1. In den Schweizer Medien existiert das Phänomen der Gedankenübertragung.
  2. Schweizer Medienschaffende sitzen alle im selben Film und können sich noch viele Jahre später an jede Einzelheit erinnern. Die Vielfalt manifestiert sich darin, dass die einen Pralinés, andere Pralinen buchstabieren.
  3. Schweizer Medienschaffende beherrschen das System Copy-Paste ebenso gut wie die von ihnen ertappten und gerügten Doktoranden.
  4. Karl-Theodor zu Guttenberg führte Regie.

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Keine.

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5 Meinungen

  • am 18.07.2014 um 12:09 Uhr
    Permalink

    Die abgebildete Pralinenschachtel rechts weckt meinen Spieltrieb: statt der üblichen, braunen Möckli könnten wir in jede mehr oder weniger rechteckig ausgestanzte Vertiefung ein Journalistenbild setzen, als ordentlich präsentierte Auswahl für Verleger und Co. Nur der Hanspeter Guggenbühl und seine Infosperberkollegenliesse sich einfach in keine vorgestanzten Form einpassen – Spielverderber.

  • am 27.07.2014 um 17:19 Uhr
    Permalink

    Das sind schon längst auch schweizerische Zustände. Das ist schon lange unser Journalism as usual. – Die richtige Antwort ist also 3:

    Alltägliches und phantasieloses copy-pasten – von Agenturmeldungen. Tom Hanks als erste ins Spiel gebracht hat wahrscheinlich die New York Times (http://on.ft.com/1rV4p4D – kostenpflichtig!), am 12. Juli um 20 Uhr, bei uns online also am 13. Juli, irgendwann nach Mitternacht. Die Agentur Reuters übernimmt dieses «Bild» (http://reut.rs/1xkeDw2 / 14. Juli, ca. 4 Uhr morgens – nur US-Edition ist zugänglich). Ich gehe davon aus, dass die meisten hiesigen JournalistInnen die NY nicht gelesen haben, sondern dass die Agentur SDA dieses «Bild« aus Forrest Gump übernommen hat – und, ja dann haben wir sofort diesen eintönigen Brei. – Auffallen tut es uns diesmal nur, weil das «Bild» derart bekannt ist.

    Hätten auch Normalsterbliche einen Zugang zum SDA-Ticker und zur SMD (Schweizerische Mediendatenbank), könnten sie dieses Phänomen selber nachvollziehen. Könnten auch nachvollziehen, warum wir die Medien immer mehr als Einheitsbrei wahrnehmen. Die Agenturen sind die Pacemaker des so genannten Mainstreams. Die Journis können offensichtlich nur noch versuchen, Schritt zu halten. Zeit für eine eigene Recherchen? Zeit für ein Telefon? Zeit für einen eigenen, guten Text? Nein, nur Zeit für Click and Paste – Journalism as usual.

    Schweizer JournalistInnen sitzen tatsächlich im gleichen Film: «Kein Geld, zu wenig Leute, zu wenig Zeit"! Nett ausgedrückt!

  • am 27.07.2014 um 17:30 Uhr
    Permalink

    …nur noch das Layout zeichnet einzelne Blätter aus. Teilweise nicht mal mehr das. Lediglich Logo und Farben wechseln von Tochter- zu Tochter-Blatt in News-Holdings. Und der Konsument meint dann mit einer bunten Medienlandschaft konfrontiert zu sein. Layoute machen Blätter…

  • am 1.08.2014 um 11:22 Uhr
    Permalink

    "…Schweizer JournalistInnen sitzen tatsächlich im gleichen Film: «Kein Geld, zu wenig Leute, zu wenig Zeit"! Nett ausgedrückt! .."
    Das muss man aber auch ergänzen. Wie weit dürfen Journalisten
    über Themen entscheiden. Ich erhielt mal die Antwort: «dafür bekomme ich keinen Platz in der Zeitung» Betraf damals «MEZIS CH» (google fragen).
    Was ist Pressefreiheit oder wie das heisst?

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