Mammographie_Screening-1

Screening zur Früherkennung: Hohes Risiko unnötiger Behandlungen © zvg

Neue Studie bestätigt Risiken der Mamma-Screenings

Barbara Marti /  Wegen der Früherkennung von Brustkrebs werden mehr Frauen unnötig operiert und behandelt als vor dem Brustkrebstod gerettet.

Das Problem: Beim Screening gesunder Frauen werden häufig Tumore entdeckt, von denen die Frauen bis ans Ende des Lebens nie etwas merken würden.
Eine neue umfangreiche Studie bestätigt den Befund mehrerer früherer Studien. Die Mammographie-Screenings zur Früherkennung von Brustkrebs entdecken häufig Krebszellen, die sich im Körper nicht verbreitet hätten oder sogar wieder verschwunden wären.
Bereits in der Vergangenheit hatten verschiedene Studien versucht, das Risiko unnötiger Brustoperationen genauer abzuschätzen.

Auf einen vermiedenen Todesfall 1 bis 9 unnötige Operationen

Die dänischen Wissenschaftler Peter Gøtschze und Margrethe Nielsen des unabhängigen «Cochrane Institute» hatten Untersuchungen ausgewertet, an denen mehr als eine halbe Million Frauen in Nordamerika und Europa teilgenommen haben. Ihr Fazit: Auf eine Frau, die am Ende weniger an Brustkrebs stirbt, erhalten zehn Frauen eine überflüssige Brustkrebsbehandlung. Andere Wissenschaftler wie Laura Esserman oder Per-Henrik Zahl, Steven Woloshin, Lisa Schwartz und Sophia Zackrisson kamen unabhängig voneinander auf eine bis neun Überbehandlungen pro gerettete Frau. «Von einem Verhältnis eins zu drei kann heute ausgegangen werden, wenn man den Frauen den möglichen Nutzen und Schaden der Mammographie-Früherkennung darstellt», erklärte Professor Zwahlen vom Institut für Präventivmedizin der Universität Bern.

Wahrscheinliches Nutzen-Schaden-Verhältnis von 1 zu 6

Jetzt hat ein internationales Forschungsteam um Mette Kalager von der Harvard School of Public Health in der Fachzeitschrift «Annals of Internal Medicine» den Schaden im Verhältnis zum Nutzen noch grösser eingeschätzt: Um einen Todesfall wegen Brustkrebs zu vermeiden, würden sechs bis zehn Frauen ohne Nutzen operiert.

Die ohne Nutzen operierten Frauen glauben fälschlicherweise, dass die Früherkennung von Brustkrebs und die wenig invasive Operation sie vor Schlimmerem bewahrt haben.

Ärzte können Entwicklung von Krebszellen nicht einschätzen

Das Problem der Ärzte besteht darin, dass die Mammographien keinen Hinweis darauf gibt, ob die entdeckten Krebszellen gefährlich sind oder nicht. Daher werden alle Krebszellen entsprechend behandelt. Mette Kalager kommt deshalb zum Schluss: «Die Mammographie ist vermutlich für das Screening nicht geeignet, so lange man nicht zwischen aggressiven und harmlosen Tumoren unterscheiden kann.»

Daten von fast 40’000 Frauen in Norwegen

Für die Studie werteten Mette Kalager von der Harvard School of Public Health in Boston und ihre Kollegen Daten von fast 40’000 norwegischen Frauen mit Brustkrebs aus. In Norwegen wurde ab 1996 in einigen Landesteilen allen Frauen über 50 Jahren eine kostenlose Mammographie-Untersuchung alle zwei Jahre angeboten. Erst seit 2005 gibt es dieses Angebot landesweit. Dank der gestaffelten Einführung konnten die Forschenden die Krebsdiagnosen in den jeweiligen Landesteilen vor und nach Beginn des Screenings vergleichen. Zusätzlich analysierten sie die Veränderungen zwischen Landesteilen mit Screening und ohne. Dieser doppelte Vergleich verhindert, dass beispielsweise Fortschritte in der Therapie im Verlauf der Zeit die Ergebnisse verfälschten.
In den zehn Jahren nach Beginn des zweijährlichen Mammographie-Screenings hatten etwa 7700 Frauen die Diagnose Brustkrebs erhalten. In den Landesteilen mit Screenings waren weitaus mehr Frauen betroffen als in Landesteilen ohne Screenings. Diese Frauen seien offensichtlich überbehandelt worden, schreibt das Forschungsteam.
Andere Faktoren hätten die Unterschiede zwischen den Landesteilen nicht erklären können. Betroffen waren zwischen 1169 und 1948 Frauen – das sind 15 bis 25 Prozent der 7700 Frauen mit der Diagnose invasivem Brustkrebs. Diese wurden behandelt, obwohl sie nie etwas vom Krebs bemerkt hätten.

Grosse Belastung

Vor allem für die betroffenen Frauen, aber auch für das Gesundheitssystem seien solche Überdiagnosen und Überbehandlungen eine grosse Belastung, sagt Mette Kalager. Sie verlangt, Frauen besser über das hohe Risiko von Behandlungen ohne Nutzen aufzuklären.
Kaum einen Einfluss hat das Mammographie-Screening auf die Sterblichkeit an Brustkrebs. Zu diesem Schluss ist letztes Jahr eine Studie vom «International Prevention Institute» in Lyon gekommen. In den Industrieländern sterben zwar immer weniger Frauen an Brustkrebs – unabhängig von Screenings. Dieser Rückgang sei nicht auf das Screening, sondern auf neue Medikamente und bessere Bestrahlungsmethoden zurückzuführen.

TAUSEND GESUNDE 50-JÄHRIGE FRAUEN: BILANZ NACH FÜNF SCREENINGS BIS ZUM 60. ALTERSJAHR

Ohne Screening-Teilnahme:
20 der 1000 Frauen erkranken an Brustkrebs.
5 Frauen der 1000 Frauen sterben an Brustkrebs.
15 Frauen sterben trotz Brustkrebsdiagnose nicht an Brustkrebs.
32 Frauen sterben an einer andern Todesursache.

Mit Screening-Teilnahme:
• 16 der 1000 Frauen erhalten bei einem Screening die Diagnose Brustkrebs.
• 9 Frauen erkranken an Brustkrebs zwischen den Screenings. Der Krebs wird also nicht mit Mammographie entdeckt. Zusammen mit den 16 andern werden 25 Frauen mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert.
• 1 Frau der 1000 Frauen stirbt dank der Früherkennung weniger an Brustkrebs (4 statt 5 Brustkrebs-Todesfälle).
• 4 der 1000 Frauen sterben trotz Screening an Brustkrebs.
• 21 Frauen sterben trotz Brustkrebsdiagnose nicht an Brustkrebs.
• 32 Frauen sterben an einer andern Todesursache.
• 3 Frauen werden unnötig an der Brust operiert (je nach Studie 1-10 Frauen).
Diese Frauen mit Diagnose Brustkrebs werden ohne Nutzen behandelt. Die «Früherkennung» hat Krebszellen entdeckt, die sich später gar nie gefährlich verbreitet hätten. Die Frauen würden im Laufe ihres Lebens von diesen Krebszellen nie etwas bemerken.
• 200 Frauen erhalten einen Krebsverdacht, der sich erst nach zusätzlichen Untersuchungen als falsch erweist und zu unnötiger Verängstigung führt.

Quellen: Durchschnittswerte mehrerer methodisch guter Studien. Diese Tabelle wurde kontrolliert von Professor Marcel Zwahlen vom Institut für Präventivmedizin der Universität Bern, Professor Heiner C. Bucher vom Institut für klinische Epidemiologie des Universitätsspitals Basel, Professorin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg und Christian Weymayr, Sachverständiger im Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Deutschland. (Diese Aufstellung wurde zum ersten Mal im Tages-Anzeiger vom 2.12.2009 veröffentlicht).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktorin und Herausgeberin der Zeitschrift «FrauenSicht»

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