Heiner_Flassbeck

Heiner Flassbeck: «Grosse Koalition der Grundeinkommensbefürworter» © linksfraktion/flickr/cc

Grundeinkommen: «Irrweg» und Symptomtherapie

Jürg Müller-Muralt /  Unctad-Direktor Heiner Flassbeck warnt vor der «grossen Koalition der Grundeinkommensbefürworter»: Gefahr für die Wirtschaft.

Richtig spannend werden politische Projekte erst dann, wenn sie die altbekannte Fronten durcheinander bringen. Genau das trifft auf die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen zu – über jenes Konzept also, das jedem Menschen ein bestimmtes Einkommen garantiert, unabhängig davon, ob er arbeitet oder nicht, und unabhängig vom Vermögen. Der frühere UBS-Chefökonom Klaus W. Wellershoff beispielsweise kann dem Konzept einiges abgewinnen; für den Wirtschaftsdachverband economiesuisse wiederum ist ein Grundeinkommen für alle jenseits von Gut und Böse. Nicht nur unter traditionellen Wirtschaftsvertretern wird das Projekt kontrovers aufgenommen, auch innerhalb der Linken herrscht alles andere als Einigkeit. Der Präsident der Gewerkschaft Syna, Kurt Regotz, unterstützt die derzeit laufende Volksinitiative in der Schweiz; der frühere SP-Nationalrat und Sekretär der Gewerkschaft Unia, André Daguet, dagegen bekämpft sie vehement.

Symptomtherapie

Die Trennlinie der Meinungen verläuft also nicht nur zwischen den politischen Lagern, sondern auch mitten durch Parteien, gesellschaftliche und wirtschaftlichen Gruppen. Nun meldet sich mit dem Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck, Direktor bei der Unctad (Uno-Organisation für Welthandel und Entwicklung), eine gewichtige Stimme zu Wort, die eher dem linken Lager zuzuordnen ist. Flassbeck hat im November dieses Jahres zusammen mit drei weiteren Autoren das Buch «Irrweg Grundeinkommen» veröffentlicht (siehe unten). Der Titel sagt deutlich genug, was die vier Ökonomen davon halten. Für sie handelt es sich um einen klassischen Fall von Symptomtherapie. Die tieferen Ursachen, die den Ruf nach dem Grundeinkommen wieder lauter werden lassen, werden dabei umschifft. Und die wiederum liegen in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Mehrfachkrise.

Grosse Koalition

Flassbeck spricht von einer «grossen Koalition der Grundeinkommensbefürworter» zwischen Neoliberalen, progressiv denkenden Bürgerinnen und Bürgern und Leuten aus dem linken Spektrum. Sie alle werden getragen von der Hoffnung, mit scheinbar einfachen Vorschlägen eine Problemlösung aufzuzeigen. Für Teile des rechten politischen Spektrums wird die Illusion genährt, mit einem – natürlich möglichst tiefen – Grundeinkommen die grundlegende Debatte über Verteilungsfragen dauerhaft zu unterbinden. Die linke Seite wiederum hegt die Illusion, «die Armut erfolgreich zu bekämpfen und zugleich die ökologische Frage und die Frage nach den ‚wahren Werten‘ des Lebens sinnvoll zu beantworten.»

Verständnis für Grundstimmung

Dabei hat Heiner Flassbeck volles Verständnis für die Grundstimmung in weiten Teilen der Bevölkerung, die mit dem Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens aufgegriffen und kanalisiert werden. Die zunehmende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung und die massive Umverteilung von unten nach oben der letzten zwanzig Jahre habe zu einer gefährlichen Frustration geführt: «Sie war ein wirtschaftspolitischer Fehler, nicht nur ein sozialpolitisches Problem, weil die Zunahme der Produktivität immer von der Zunahme der Masseneinkommen begleitet sein muss, damit die Wirtschaft funktioniert», sagt Heiner Flassbeck in einem Interview mit dem deutschen Online-Magazin «Telepolis». Genau das tat es aber nicht.

Es gibt keinen dritten Weg

Mit dem Grundeinkommen werde nun suggeriert, es gebe eine Art dritter Weg, «es könne sozusagen unabhängig von der an den Märkten erzielten Einkommensverteilung eine positive materielle Ausgangsposition für alle Mitglieder der Gesellschaft geschaffen werden.» Das ist gemäss den Autoren des Buches eine Illusion, weil die Spielregeln, wie die Einkommen zustande kommen, nicht in Frage gestellt werden. Auch die Initianten der schweizerischen Volksinitiative zur Einführung eines Grundeinkommens halten in ihrem Begleitbuch mit dem Titel «Die Befreiung der Schweiz» (siehe unten) klipp und klar fest, dass über die Art des Wirtschaftens nicht nachgedacht wird: «Das Grundeinkommen ist eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft. Es sind nicht Staatspläne, welche die Produktion steuern, sondern der Markt kann seine Funktion für die Steuerung der Wirtschaft weiterhin übernehmen. Die Regeln der Marktwirtschaft bleiben bestehen, es ist kein Systemwechsel. Das Grundeinkommen funktioniert innerhalb des bestehenden Systems.»

Ökonomischer kategorischer Imperativ

Irrtum, findet Heiner Flassbeck. Sein Hauptkritikpunkt liegt in der Entkoppelung des Anspruchs auf Grundeinkommen von jeglichen Bezugsbedingungen. Jedes Umverteilungssystem funktioniert nur, wenn stabile materielle Grundlagen vorhanden sind. Das bedingungslose Grundeinkommen krankt aber daran, «dass es die von ihm vorausgesetzte ökonomische Basis systematisch zerstört». Und dann kommt die fundamentale Kritik: «Die wirtschaftliche Stabilität eines demokratischen Gesellschaftssystems beruht nicht zuletzt darauf, dass es für seine Mitglieder Rahmenbedingungen setzt, innerhalb derer jede legale Verhaltensmöglichkeit, auch wenn sie von allen gleichzeitig wahrgenommen wird, zum Erhalt des Systems und nicht zu seinem Untergang beiträgt.» Hier wird eine Art ökonomischer kategorischer Imperativ formuliert.

Streitfrage nicht zu entscheiden

Natürlich würden sich nie alle gleichzeitig auf den Lorbeeren ausruhen und nichts mehr arbeiten. Doch die Autoren um Heiner Flassbeck befürchten trotzdem, dass ein Anreiz geschaffen werde, die Arbeitsleistung in erheblichem Umfang zu reduzieren. Arbeitsteilung lohne sich weniger, entsprechend gehe die Produktivität der Wirtschaft in gefährlichem Masse zurück. Das sehen die Befürworter des Grundeinkommens naturgemäss anders. Sie weisen darauf hin, dass wohl nur wenige Erwerbstätige sich freiwillig mit dem Existenzminimum zufrieden geben würden. Der Anreiz zu arbeiten bliebe also erhalten. Zudem ist Geld nicht das einzige Motiv zu arbeiten: Auch Sinnfindung, Befriedigung, Freude an der Arbeit, Kontakt mit anderen Menschen, Anerkennung lässt Menschen tätig werden.

Die Streitfrage kann wohl nicht theoretisch entschieden werden. Zu stark spielen hier unterschiedliche Menschenbilder hinein: Optimistische, die vor allem das kreative Potenzial sehen, das durch eine existenzielle Absicherung für alle freigesetzt würde; und pessimistische, die die Menschen mehrheitlich als faul und minimalistisch einschätzen. Zudem hängen die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen sehr stark von der konkreten Ausgestaltung eines Grundeinkommens ab.

Mindestlohn statt Grundeinkommen

Für Flassbeck jedenfalls ist ein Grundeinkommen ein zu heikles Experiment. Er spricht sich jedoch dafür aus, die beherrschende Stellung der «Marktkräfte» in unserem Denken zu hinterfragen. Allzu oft werde vergessen, dass Marktergebnisse selbst zu erheblichen Teilen Ergebnisse politischer und nicht allein ökonomischer Entscheidungen seien, keinesfalls aber Folgen eines Naturgesetzes. Denn schliesslich setzt die Ordnungspolitik den Rahmen für die Märkte. Die Marktabläufe werden mit der Lohn-, Fiskal-, und Geldpolitik wesentlich beeinflusst. Deshalb plädieren die Autoren für den «eher mühseligen Weg», nämlich gerechte Entlöhnung, ein strikt nach Leistungsfähigkeit bemessenes Steuer- und Sozialsystem, Umverteilung von Einkommen und Vermögen von oben nach unten. Konkret verlangen sie die Einführung eines Mindestlohns. Das helfe nicht allein jenen, die am unteren Ende der Lohnskala arbeiten, sondern auch allen, die in den Arbeitsmarkt einsteigen. Der Mindestlohn verhindere die andauernde Abwärtsspirale.

Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper. «Irrweg Grundeinkommen. Die grosse Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden». Westend-Verlag, 224 Seiten, CHF 29.90

Christian Müller, Daniel Straub. «Die Befreiung der Schweiz. Über das bedingungslose Grundeinkommen». Limmat Verlag Zürich 2012, 119 Seiten, CHF 19.90


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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