Kommentar

Sprachlust: Wo der Appetit vor dem Essen vergeht

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Auf Menus oder Verpackungen steht nicht mehr nur, was da zu kaufen ist, sondern auch, wie man sich zu fühlen hat: als Geniesser.

Die Erlebnisgastronomie ist auch eine sprachliche – um es einmal mit der ihr eigenen Eleganz zu sagen. Dass der Gurten mit der Formulierung «Als Single oder zu zweit lässt es sich gemütlich im Caquelon rühren» zum Plausch im Käsegeschirr lockt, war kürzlich im «Bund» zu lesen. Aber die zweifelhaften Vergnügungen fangen schon unten in der Stadt an, neuerdings gleich beim Verlassen des Bahnhofs. «Gang da lang», gebieten Schilder, um arglose Passanten um einige Ecken in die neue Gaststätte im Burgerspittel zu lotsen.
Fehlt da etwa ein Komma, und die Aufforderung richtet sich bloss an eine Gang? Oder erlaubt sich die Innerschweizer Restaurantkette, Bernerinnen und Berner zu duzen und in Mundart zum Gehen aufzufordern? Eben «da lang», damit auch deutsche Gäste wissen, wos langgeht? Vielleicht finden diese es gar putzig, mit solchem «Schwitzertütsch» angemacht zu werden. Einheimischen dürfte es eher in den falschen Hals geraten.
Gebunden und püriert
Wer (miss)mutig den Gang ins Lokal dennoch antritt, stösst auf eine geballte Ladung jener Eigentümlichkeiten, die sich heute auf Menukarten breitmachen. Meistens sind die Angebote, wie kürzlich an dieser Stelle bereits aufgespiesst, möglichst unverbindlich – es fehlen ihnen also die Bindestriche. Hier zum Beispiel beim «Dörrtomaten Risotto». Wenigstens eines der Strichlein ist wundersamerweise ins «Randen-Pastinakenpürree» geraten. Noch besser dürfte dieses Gericht munden, wenn das überzählige r wegfiele und vor dem Püree ein weiterer Bindestrich stünde. Denn die beiden Gemüse werden ja wohl miteinander püriert; es wird nicht ein Pastinakenpüree nachträglich noch mit Randen versetzt. Vielleicht hat aber auch noch ein Porree den Weg ins Püree oder wenigstens in den Namen gefunden – für die deutschen Kunden, und die kundigen Einheimischen erraten via Poireau den Lauch.
Die deftigeren Gerichte wollen aber zuerst verdient sein, voran steht das Apéro-Erlebnis auf der Karte: «Ein Hauch von Süden». Nicht dass die Getränke bloss von heisser Luft begleitet würden: Man kann mit den Häppchen gar seine eigene «Inszenierung» veranstalten, indem man sie am Buffet auf den Teller dressiert. So sieht wohl heute kulinarische Urbanität aus – «Älpler Magrone» inbegriffen.
100 Gramm Erlebnis
Wer dem urbanen Gastro-Erlebnis trotz imperativem Wegweiser widersteht, kann sich auch beim nahen Grossverteiler eindecken: «Feinherbes Genusserlebnis aus extradunkler Zartbitterschokolade» verheisst die Umhüllung. Da sie tafelförmig ist, darf man vermuten, es sei tatsächlich eine Tafel drin und nicht bloss etwas, das herauskommt, wenn man aus Schokolade ein Genusserlebnis macht. Schliesslich steht auf Französisch «Chocolat», und erst noch «irrésistible» im Geschmack.
Kommt etwas Essbares zum Vorschein, so lässt sich beim Knabbern unter den Lauben – Verpackung nicht wegwerfen! – ein weiteres Kapitel Berner Bindestrich-Geschichte studieren. «Robert Walser Zentrum» steht an jenem Hauseingang, wo sich offiziell das «Robert Walser-Zentrum» befindet. Die unverbundene Schreibweise hat wohl nichts damit zu tun, dass sich die «Sprachlust» einst über des Dichters Ehe mit einem Fräulein Zentrum lustig machte. Denn die Empfehlung lautete, «Robert-Walser-Zentrum» zu schreiben oder sich das Zentrum Paul Klee zum Vorbild zu nehmen. Das Robert Walser-Zentrum jedoch gab sich beratungsresistent – moderesistent hingegen scheint es nicht zu sein, und so kommt es zur Strasse hin bindestrichfrei daher. Eine solche Anreihung wäre auf Englisch brauchbar, aber sie verwandelt Deutsch in Gebrabbel. Armer Robert Walser! Und eine Wirtschaft, die ihm sprachlichen Trost gewährt, fände er auch nicht so leicht.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust», darin besonders:
Wo der Leerschlag ins Leere schlägt
Drum prüfe, wer zu wenig bindet
Die seltsame Ehe des Robert Walser


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

3 Meinungen

  • am 29.11.2014 um 00:49 Uhr
    Permalink

    So sehr ich diese Kolumne schätze und so sehr ich den «Deppen-Leerschlag» verabscheue – Sprache ist ständig im Fluss, und so wird sich der Bindestrich in absehbarer Zeit wohl aus der geschriebenen Sprache verabschieden. Wo kämen wir denn hin, wenn sich die Sprache nicht mehr verändern dürfte?

    Aber wo wir gerade bei den Älplermagronen sind: Diese Büdner Fleischwarenfabrik, die jüngst Schlagzeilen gemacht hat, führt auf ihrer Webseite doch tatsächlich ein Rezept für «Aelpler Makkaroni» …

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 29.11.2014 um 15:57 Uhr
    Permalink

    Ganz einverstanden, gerade die Veränderung macht Sprache noch interessanter. Und das Deutsche hat dafür eine besonders günstige Kernkompetenz, nämlich die, durch Zusammensetzung neue Wörter zu bilden. Darum geht’s, der Bindestrich ist nur ein Hilfsmittel für Leute, denen «Älplermagronen» zu lang ist.
    Ich vermute übrigens, wir verdanken dieses Wort der Sprachschöpfung durch Tal-Gastronomen (mit Bindestrich, sonst droht Verwechslung mit Talg-Astronomen, die Sternenstaub erforschen). Die Älpler selber machen doch einfach Magronen und verfeinern sie mit dem, was zur Hand ist, ohne gleich von Älplermagronen zu reden. Unverbundene «Älpler Magronen» dagegen wären solche von einem schwäbischen Älple oder einem Tiroler Älpl, wenn’s das gibt. Der Leerschlag bewirkt also hier auch einen Bedeutungsunterschied – ein weiterer Grund, ihn zu bekämpfen, wenn sich «Älpler» nicht auf den Herkunftsort bezieht.
    Mag sein, dass der Sprachwandel dennoch unverbundene Anreihungen à l’anglaise begünstigt. Aber dieser Wandel ist nicht einfach eine Naturgewalt, sondern wird vom Kollektiv der Sprachteilnehmer fabriziert. Unter diesen haben gewiss die «Menü Karten Schreiber» ein besonderes Gewicht, aber aus Nischen mitzumischen ist auch erlaubt, zum Beispiel mit einer Sprachkolumne.

  • am 2.12.2014 um 10:16 Uhr
    Permalink

    Ob man nun Menükartengestaltern so penibel auf die Finger gucken soll, mag dahingestellt sein, sind es doch Werber und die müssen Aufmerksamkeit erringen. Da mag man dann testen, ob es nun Magronen von einem schwäbischen Älple, einem Tiroler Älpl oder doch nur ganz normale Älplermagronen sind. Wenn allerdings am Hauseingang des „Robert Walser-Zentrums“ ein Schild „Robert Walser Zentrum” steht, kann man schon ins Grübeln kommen. „Naht das Ende der Schulnoten?“, so fragte Der Bund am Sa., dem 29.11.14 (S. 21). Und wenn es dann in ein paar Jahren soweit ist, wird er wohl feststellen: „Das Ende der Schul Noten ist erreicht“. Da wird sich dann der berühmte Ober Weserdampf Schifffahrts Gesellschaftskapitän an seine ebenso berühmte Mütze fassen, wie da sein schöner Name verhunzt worden ist.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...