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In einem der erfolgreichsten Schweizer Werbespots des vergangenen Jahres geht ein Baby einkaufen. © Denner

Populärer Denner-Spot mit Baby: Mutter will Verbreitung stoppen

Pascal Sigg /  Die Mutter der Buben aus dem Werbespot erhebt schwere Vorwürfe. Die Drehs hätten viel zu lange gedauert. Denner widerspricht.

Der Werbe-Spot von Denner, in welchem ein Baby einkaufen geht, war bisher ein voller Erfolg (Infosperber berichtete). Er lief zur Hauptsendezeit im TV und in Kinos. Und Denners Marketing-Leiter sagte im Blick, die Eltern der Zwillinge würden sich über die vielen positiven Reaktionen freuen und seien «natürlich stolz auf ihre Jungs». Doch nun widerspricht die Mutter der beiden Darsteller: «Ich bin gar nicht stolz auf den Film und möchte, dass er nicht mehr gezeigt wird.» Beim Dreh sei die gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit deutlich überschritten worden.

Die Frau sagt, sie hege keinen Groll gegenüber Denner. «Ich möchte einfach nicht mehr, dass meine Kinder unter diesen Voraussetzungen in der Öffentlichkeit gezeigt werden.» Der Spot mit echten Zwillingsbuben wurde gefeiert für seine Authentizität. Er gewann einen Filmpreis und erzielte bisher fast zwei Millionen Views auf YouTube – im 3. Quartal 2021 sogar schweizweit am meisten.

Die Frau aus Deutschland war über Instagram von einer Casterin kontaktiert worden, wo sie ein Foto ihrer beiden Buben als Bild für ihr nicht öffentliches Profil verwendete. Sie wurde angefragt, ob sie bei einem Werbedreh für Milch in einer Denner-Filiale in der Schweiz mitmachen wollte.

Schliesslich unterzeichnete sie einen Vertrag, der beide Zwillinge einschloss. Darin verpflichtete sie sich, mit beiden Kindern für zwei Drehtage in die Schweiz zu reisen – 700 Kilometer pro Weg – und trat die Nutzungsrechte der Bilder ihrer Kinder an die Produktionsfirma Stories AG ab. Vor der Abreise sei ihr gesagt worden, das Wohl der Kinder habe oberste Priorität. Als Arbeitszeit seien maximal drei Stunden pro Tag und Kind mit ihr abgesprochen gewesen. Die Kinder würden sich mit einem zweiten Zwillingspaar abwechseln.

Beschwerden ignoriert

Doch diese Abmachung sei beim Dreh nicht eingehalten worden. Bereits am ersten Drehtag sei die vorgesehene Arbeitszeit deutlich überschritten worden. «Ich beschwerte mich sofort und sagte, dass das viel zu lange war und so nicht geht und dass ich es nicht mehr möchte.» Der nächste Tag sollte weniger streng werden, beschied ihr ihre Ansprechperson der Produktionsfirma.

Vor Beginn der Dreharbeiten am nächsten Morgen sei sie kurz zur Toilette gegangen. Doch als sie zurückkam, sei ihr Sohn weg gewesen. Die Produktion hatte ihn bereits vor die Kamera gestellt. «Er hat noch nie gefremdelt», so die Mutter. Als sie zu ihm wollte, sei sie nicht durchgelassen worden. Erst als sie ihn wickeln musste, habe sie bemerkt, dass er unterkühlt war, weil er vor der Kühlanlage gestanden hatte.

«Da wurde ich sauer. Ich sagte, sie sollen es sofort unterlassen, mein Kind an die Kühlanlage im Supermarkt zu bringen. Doch sie ignorierten es einfach. Ich wusste nicht, was ich machen sollte.» Ab diesem Zeitpunkt wollte sie die Dreharbeiten abbrechen. «Aber im Ausland hatte ich kein Handy, um dort wegzukommen. Ich kannte mich nicht aus und mir wurde gesagt, dass ein Abbruch hohe Kosten verursachen würde, die ich zu tragen hätte.» Auch an diesem Tag sei die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit deutlich überschritten worden.

Direkt nach dem Dreh, am Tag der Abreise habe sie ihrem Kontakt bei der Produktionsfirma via WhatsApp geschrieben, dass sie vom Vertrag zurücktrete und ihre Einwilligung widerrufe. Als die Bilder ihrer Kinder Monate später im Denner-Spot erstmals gezeigt wurden, liess sie sich von einem Anwalt beraten und meldete sich schriftlich bei Denner. Das Unternehmen hat ihrer Bitte bisher nicht stattgegeben. Nachdem sie verschiedene Schweizer Medien angeschrieben hatte, forderte ein Anwalt die Frau auch auf, nicht weiter an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie würde sich möglicherweise massiven Schadenersatzforderungen und anderen Rechtsfolgen aussetzen.

Gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit von Kindern beträgt in jedem Fall 3 Stunden pro Tag

Mit Denner hat die Frau jedoch keine vertragliche Vereinbarung, sondern lediglich mit der Produktionsfirma Stories AG. Im Vertrag für die zwei Drehtage, der Infosperber vorliegt, heisst es: «Da es sich um eine relativ kurze Einsatzzeit von Seiten des Darstellers handelt, gilt die normale Arbeitsdauer von 12 Std. pro Drehtag und die Ruhestunden werden auf normale 9 Std. definiert. In Absprache mit dem Darsteller können diese normalen Arbeits- und Ruhezeiten auch über- resp. unterschritten werden.»

Im Schweizer Arbeitsgesetz steht: «Die Höchstarbeitszeit für Jugendliche unter 13 Jahren beträgt drei Stunden pro Tag und neun Stunden pro Woche.» Das sei eine zwingende Schutzbestimmung, von welcher auch nicht in einem Vertrag abgewichen werden könne, sagt Roger Rudolph, Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich. «Die entsprechende Vertragsklausel ist wenig klar und interpretationsbedürftig.»

Insbesondere sei unklar, ob die 9 «Ruhestunden» innerhalb der 12-stündigen «Arbeitsdauer» Freizeit darstellten und als solche genutzt werden können. In diesem Fall wäre die 3 Stunden-Limite eingehalten. Klar sei jedenfalls, dass die drei Stunden auch nicht durch Absprache überschritten werden dürften. «Mindestens insofern wäre die fragliche Klausel unzulässig.» Zudem weist Rudolph darauf hin, dass sich das Arbeitsgesetz immer auf einen einzelnen Arbeitnehmer beziehe. «Es wäre also nicht zulässig, z. B. ein Kind an einem Tag fünf Stunden arbeiten zu lassen, wenn das andere nur eine Stunde arbeitet.»

Wer Kinder für einen Werbedreh beschäftigen will, muss dies vorgängig dem zuständigen Arbeitsamt melden. Im Kanton Zürich, wo einer der beiden Drehs stattfand, ist das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit für die Entgegennahme der entsprechenden Meldung zuständig. Auf Anfrage von Infosperber lässt es verlauten: «Bei der Bestätigung der Meldung erfolgt jeweils ein Hinweis zur maximalen Arbeitszeit pro Tag (3h) und Woche (9h) gemäss Art. 10 ArGV5. Zum konkreten Fall machen wir aus Datenschutzgründen keine Angaben. Eine Kontrolle, ob die entsprechenden Zeiten eingehalten werden, erfolgt sporadisch.»

Gegenüber Infosperber meinte Denner im November 2021: «Bei den Dreharbeiten wurde mit grösster Sorgfalt vorgegangen. Das Wohl der Zwillinge hatte oberste Priorität.» Damals erklärte Denner auch: «Der Spot liefert den werberisch überspitzt dargestellten Beweis, dass Denner mit über 850 Filialen immer nah und damit ‹kinderleicht› erreichbar ist. Dies mit echten Darstellern zu filmen ist aufwändiger und der Ausgang der Dreharbeiten unvorhersehbarer, aber für uns stimmiger als eine am Computer generierte Animation.»

Die Produktionsfirma nimmt zu den konkreten Vorwürfen nicht Stellung

Infosperber fragte bei Denner und Stories AG nach. Von der Produktionsfirma wollten wir wissen:

  1. Die Mutter der beiden Zwillinge aus dem Denner-Spot sagt, dass die vorgeschriebene maximale Arbeitszeit von drei Stunden an beiden Drehtagen deutlich überschritten wurde. Stimmt das? Wenn ja: Weshalb?
  2. Weshalb sieht der Darstellervertrag 12 Stunden Arbeitszeit pro Tag vor, obschon es sich bei den Darstellern um kleine Kinder handelt?
  3. Wurde die Beschäftigung der Kinder den kantonalen Arbeitsämtern gemeldet?
  4. Die Mutter sagt, dass ihr Kind zu Beginn des zweiten Drehtags gegen ihren Willen vor die Kamera gestellt worden sei. Zudem sagt sie, dass sie danach nicht jederzeit zu ihrem Kind durfte. Stimmt das? Und wenn ja: Weshalb?
  5. Weshalb wurde das Kühlregal in der Denner-Filiale nicht ausgeschaltet, obschon das Kind längere Zeit bloss in Windeln und einem T-Shirt davorstand?
  6. Die Mutter sagt, sie habe Stories noch am zweiten Drehtag schriftlich mitgeteilt, dass sie ihre Einwilligung widerruft und vom Vertrag zurücktritt. Weshalb hat Stories dies ignoriert und die Aufnahmen trotzdem an Denner weitergegeben?

Stories AG wollte diese Fragen nicht konkret beantworten. Das Unternehmen teilte aber mit: «Wir weisen diese Vorwürfe entschieden zurück.» Die vertraglichen Vereinbarungen und gesetzlichen Grundlagen seien jederzeit eingehalten worden.

Auch Denner nimmt zu den konkreten Vorwürfen nicht Stellung

Von Denner wollte Infosperber wissen:

  1. Die Mutter der Zwillinge hat bloss einen Vertrag mit der Produktionsfirma Stories AG. Wie ist Denner an die Nutzungsrechte der Bilder der Kinder gelangt? Welche vertraglichen Beziehungen hat Denner im Rahmen dieses Werbespots?
  2. Wusste Denner vor Ausstrahlung des Werbespots, dass die Mutter noch am zweiten Drehtag schriftlich vom Vertrag mit Stories zurückgetreten war und ihre Einwilligung zur Abtretung der Bildrechte zurückgezogen hatte?
  3. Weshalb sagte der Leiter Marketing-Kommunikation von Denner, die Eltern der Kinder seien stolz auf ihre Jungs? Die Mutter sagt, sie habe dies nie gesagt.
  4. Die Mutter sagt, die Drehs hätten deutlich zu lange gedauert. Weshalb hat vonseiten Denner beim Dreh niemand interveniert, obschon die Kinder zu lange beschäftigt waren?

Diese konkreten Fragen wollte Denner nicht zitierbar beantworten und schrieb lediglich: «Denner hat die Vorwürfe geprüft, sie haben sich nicht bewahrheitet. Denner suchte mehrfach ein persönliches Gespräch, um die Unstimmigkeiten aus der Welt zu schaffen. Bislang blieb dieses Angebot ungenutzt. Wir bieten weiterhin Hand zum Gespräch, führen ein solches aber nicht öffentlich in den Medien.»

Die Mutter lässt sich wegen der gemachten Erfahrungen durch eine Anwältin vertreten.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

4 Meinungen

  • am 2.02.2022 um 18:54 Uhr
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    Danke, dass irgendwo diese Information erscheinen darf. Erschrecken hätte man allerdings damals schon müssen, als Millionen begeisterter Zuschauer «Jöh!» riefen und ein Preis generiert wurde, denn der Missbrauch von Kindern, die gar keine Zustimmung zu ihrer Nutzung als Konsumantreiber geben konnten, war doch offensichtlich. Es ist mir unfassbar, dass diese Verletzung der Menschenwürde, nur weil sie niedlich daherkommt, keinen deutlichen Widerspruch in der Öffentlichkeit fand. Die Enthüllungen bestätigen jetzt das, was damals schon offen vor Augen lag: Hemmungslosigkeit im Verfolgen kommerzieller Ziele mit Instrumentalisierung von Kindern als blosse Objekte, über die man verfügt..

    • am 4.02.2022 um 14:49 Uhr
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      Als ich diese Reklame sah, war ich absolut schockiert !
      Wie kann man nur sowas sooo kleinen Kindern zumuten, und jetzt kommt noch raus, unter welchen Umständen. Das ist Kindsmissbrauch und sollte verboten werden.
      Hoffentlich bekommt die Mutter Recht vor Gericht.

    • am 4.02.2022 um 23:23 Uhr
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      Danke Herr Lüthi! Sie schreiben mir aus dem Herzen. Allerdings hätte man schon beim Anschauen dieses Werbespots erschrecken müssen u. auch schon bei den vielen Spots, bei denen das Vertrauen, die Spielfreude und Naivität von Kindern schamlos ausgenutzt wird u. begeistert «Jöh!» gerufen wird, wenn ein kleines Kind Sätze sagen muss, auf die es selber nie gekommen wäre, wie z. B.: «Eine schönere u. billigere Brille wollen Sie? Also da müssen Sie schon zu F……n gehen!» Da werden Menschen zu Papageien herabgewürdigt!
      Wer organisiert gegen diese Art von Kindsmissbrauch einen «Marche blanche»?

  • am 3.02.2022 um 01:44 Uhr
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    Ich hatte mich sofort gefragt, wie sie wohl diese Aufnahmen gemacht hätten. Ich tröstete mich mit der Vorstellung, dass wohl in Hollywoodmanier alles digital und mit künstlicher Intelligenz animiert wurde, und das Baby höchstens 10 Minuten Modell stehen musste.
    Falls das nicht so ist, muss man allen Beteiligten (und ich auch mir) ziemlich grosse Naivität vorwerfen.

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