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Werbung für den Grimseltunnel: Einen Sommer lang standen solche Eisenbahnwagen in Innertkirchen BE, Guttannen BE und Oberwald VS am Strassenrand. © Oberwallis Verkehr & Tourismus

Parlament buttert schon mal 30 Millionen in den Grimseltunnel

Marco Diener /  Touristiker träumen weiter von einem Grimsel-Bahntunnel. Alles spricht dagegen. Doch das Parlament hat eben 30 Millionen bewilligt.

mdb. Im Januar 2024 hatte Infospeber aufgezeigt, warum der Bau eines Grimsel-Bahntunnels zwischen Innertkirchen BE und Oberwald VS nicht sinnvoll ist. Letzte Woche haben aber National- und Ständerat im Rahmen der «Ausbauprogramme der Bahninfrastruktur und der neuen Langfriststrategie ‹Perspektive Bahn 2050›» die Projektierung des Tunnels für 30 Millionen Franken beschlossen. Infosperber veröffentlicht hier den Artikel vom Januar nochmals.

«Ziel ist es, die Grimselbahn 2025 in Betrieb zu nehmen.» Das schrieben die Kantone Bern und Wallis, die nationale Stromnetz-Gesellschaft Swissgrid und die Grimselbahn-Aktiengesellschaft in einer gemeinsamen Medienmitteilung im Februar 2016.

Ein Witz!

Die Medienmitteilung war völlig weltfremd. Dass ein 22 Kilometer langer Tunnel in der Schweiz innerhalb von neun Jahren projektiert, bewilligt, finanziert und realisiert werden kann, ist völlig ausgeschlossen. Auch wenn die Idee für den Grimseltunnel an und für sich bestechend ist.

Strom und Bahn

Die Stromleitung über den Grimselpass BE/VS ist 60 Jahre alt. Swissgrid will sie ersetzen und gleichzeitig in den Boden verlegen. Dafür plant die Stromnetz-Gesellschaft einen Stollen zwischen Oberwald VS und Innertkirchen BE.

Und wenn schon gebohrt wird – dann richtig. Deshalb setzen sich die IG Grimseltunnel und die Grimselbahn-AG für einen «Multifunktionalen Grimselbahntunnel» ein. Das heisst: Einen Tunnel für die Stromleitung und gleichzeitig für eine Schmalspurbahn.

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Die geplante Linienführung: Von Meiringen BE nach Innertkirchen BE im Freien, danach im Tunnel nach Oberwald VS. Ebenfalls vorgesehen: Haltestellen in Guttannen BE und in der Handeck BE.
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Das ist geplant: Kabelstollen und Bahnstollen sowie regelmässige Querverbindungen.

Unverschämte Forderung

Die Promotoren machen mächtig Druck. Ende September 2022 reichte der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder eine Motion ein. Die Forderung an den Bundesrat: «Spätestens im Jahr 2023 im Parlament einen Beschluss zur Finanzierung des multifunktionalen Grimseltunnels vorzulegen.» Das heisst: Der Bundesrat hätte gar keine Zeit gehabt, das Projekt seriös prüfen zu lassen.

Ständerat und Nationalrat waren ein bisschen besonnener als Rieder. Sie beauftragten den Bundesrat, das Projekt prüfen zu lassen, um die Machbarkeit und die Kostenfolgen abschätzen zu können – aber ohne Zeitdruck.

Eine seriöse Prüfung ist durchaus angebracht. 2018 ergab nämlich eine Analyse des Bundes «ein ungenügendes Nutzen-Kosten-Verhältnis», wie der Bundesrat schreibt. «Bei einer damaligen Kostenschätzung von 250 Millionen Franken» allein für den Bahnteil. Heute liegen die Schätzungen bereits bei 450 Millionen Franken.

In schlechter Erinnerung: «Das Furkaloch»

In Oberwald käme nicht nur das Portal zum Grimseltunnel zu stehen – in Oberwald steht auch das Portal zum Furka-Basistunnel. Der Bau begann 1973, die Eröffnung fand 1982 statt. Das Budget betrug 74 Millionen Franken. Tatsächlich gekostet hat der Tunnel 318,5 Millionen Franken – also mehr als das Vierfache.

Der Walliser Bundesrat Roger Bonvin (CVP) musste sich wegen der Kostenüberschreitungen und wegen Vetternwirtschaft heftige Kritik gefallen lassen.

Für Kritik sorgte auch die Streckenführung mit dem Schwenk nach Süden sowie das so genannte Bedrettofenster nach Ronco TI. Der Stollen wurde vorsorglich ausgebrochen, diente aber nie als Bahntunnel. Heute forscht die ETH Zürich darin zur Geothermie. Tessiner Touristiker liebäugeln im Rahmen der Grimseltunnel-Diskussion mit einem Ausbau des Stollens und der Inbetriebnahme einer Bahnlinie.

Warum überhaupt?

Die Promotoren des Grimseltunnels argumentieren sentimental. Sie sagen: «durch den Anschluss der neuen Grimselbahn an bestehende Bahnen entsteht ein hochattraktives Schmalspurnetz von gesamthaft 850 Kilometern Länge.»

Dazu muss man wissen: Das Schweizer Schmalspurnetz ist ein Stückwerk. Eigentlich sind es drei Schmalspurnetze und eine Schmalspurstrecke:

  • Ein grosses Netz in den Alpen zwischen Zermatt VS und Tirano (Italien).
  • Ein kleineres auf der Alpennordseite zwischen Luzern und Lauterbrunnen BE.
  • Und eines im Westen zwischen Montreux VD und Zweisimmen BE.
  • Sowie im Süden die Strecke zwischen Locarno TI und Domodossola (Italien).
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Die Schweizer Schmalspurstrecken mit je einem Netz in den Alpen, auf der Alpennordseite und im Westen. Die beiden Letzteren sind nur behelfsmässig miteinander verbunden. Auf einer Umspuranlage in Zweisimmen BE werden die Achsen auf Schmalspur eingestellt.

Verbunden würden mit der Grimselbahn die Netze in den Alpen und auf der Alpennordseite. Das Netz im Westen ist nur über eine pannenanfällige Umspuranlage in Zweisimmen angeschlossen. Und die Strecke im Tessin ist ohnehin isoliert. Von einem zusammenhängenden Schmalspurnetz könnte also auch mit dem Grimseltunnel keine Rede sein. Und häufiges Umsteigen wäre weiterhin nötig.

Die Befürworter des Grimseltunnels sprechen von einem Potenzial von 400’000 Fahrgästen pro Jahr. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) kommt bloss auf die Hälfte. Die Zahl des BAV ist insofern plausibler, als der landschaftlich wesentlich attraktivere Glacier-Express auf der Strecke zwischen Zermatt und St. Moritz GR jährlich nicht viel mehr als 200’000 Fahrgäste anzieht.

Kein Zeitgewinn

Unbeirrt schreiben die Promotoren: «Der Grimseltunnel verbindet Top-Ferienorte der Schweiz. Neue, attraktive Bahnverbindungen zwischen Luzern und Zermatt, Interlaken und Davos, Grindelwald und St. Moritz oder zwischen Montreux und Andermatt werden möglich – nicht über Umwege durchs Mittelland, sondern nahtlos durch prächtige Berglandschaften.» Diese Verbindungen wären allerdings nicht so attraktiv, wie sie die Promotoren darstellen.

Infosperber hat die Reisezeiten berechnet. Das Ergebnis:

  • Luzern – Zermatt: Heute beträgt die Reisezeit gegen vier Stunden. Durch den Grimseltunnel wäre sie eine gute Stunde länger.
  • Interlaken BE – Davos GR: Heute viereinhalb Stunden. Durch den neuen Tunnel anderthalb Stunden mehr.
  • Grindelwald BE – St. Moritz: Heute fast sechs Stunden. Durch den Tunnel ebenfalls anderthalb Stunden mehr.
  • Montreux – Andermatt UR: Drei Stunden. Durch den Tunnel sogar über zwei Stunden mehr.

Unter diesen Umständen fragt sich erst recht, ob tatsächlich 400’000 Fahrgäste jährlich via Grimseltunnel reisen würden.

Sicherer?

Die Grimselbahn-AG wirbt auch damit, dass die neue Verbindung «frei von Naturgefahren» wäre. Für den Abschnitt Meiringen – Oberwald mag das stimmen. Doch die grössten Probleme würden weiterhin bestehen bleiben.

  • Die Bahnlinie durchs Goms VS ist lawinengefährdet. Ebenso die Bahnlinie zwischen Realp UR und Hospental UR. Im Winter bleiben sie hin und wieder geschlossen. Die Fahrgäste würden also in Oberwald stranden.
  • Die Zubringerstrecke entlang des Brienzersees BE ist erdrutschgefährdet. Auch sie muss ab und zu gesperrt werden.

Die IG Grimseltunnel beantwortete die Fragen von Infosperber nicht. Die Grimselbahn-AG brauchte dafür dreieinhalb Wochen. Sie behauptet, dass sich die Reisezeit zwischen Bern und Andermatt mit dem Grimseltunnel von gut drei Stunden auf zwei Stunden verkürzen würde. Doch die Zahlen sind falsch. Heute betragen die Fahrzeiten von Bern nach Meiringen sowie von Oberwald nach Andermatt insgesamt mehr als zwei Stunden. Noch nicht eingerechnet sind dabei die Reisezeit im geplanten Tunnel sowie die Umsteigezeiten. Realistisch ist daher eher eine Reisezeit von gut drei Stunden. Zeitersparnis gegenüber heute: null.

«Touristische Nichtschwimmer»

Der ehemalige SP-Präsident Peter Bodenmann lässt kein gutes Haar am Projekt. In der Weltwoche schrieb er: «Alle, die etwas von Bahnen verstehen, sind gegen einen Grimsel-Eisenbahntunnel.» Er findet: «Es ist zehn Mal faszinierender, mit dem Zug von Andermatt über den Oberalp nach Disentis zu fahren, als im stockfinsteren Tunnel von Innertkirchen nach Oberwald zu rattern.» Die Ständeräte Beat Rieder (VS/Mitte) und Hans Wicki (NW/FDP), die sich stark für den Tunnel ins Zeug legen, bezeichnet er als «touristische Nichtschwimmer».

Die Fakten zum Tunnel

Der Grimseltunnel soll 21,8 Kilometer lang werden:

  • Das Nordportal ist in Innertkirchen (650 Meter über Meer) geplant.
  • Das Nordportal in Oberwald (1368 Meter über Meer).
  • Haltestellen sind in Guttannen BE und in der Handeck BE vorgesehen.
  • Der Scheitelpunkt soll auf 1400 Metern über Meer liegen.
  • Die Fahrzeit ist mit 35 Minuten veranschlagt.
  • Damit läge die Durchschnittsgeschwindigkeit bei bloss 37 Kilometern pro Stunde.
  • Betreiber: Wahrscheinlich Zentralbahn oder Matterhorn-Gotthard-Bahn.
  • Trotz der grossen Steigungen ist die Grimselbahn als Adhäsionsbahn geplant. Eine Zahnradbahn kommt nicht in Frage, weil das Schmalspurnetz in den Alpen und dasjenige auf der Alpennordseite mit unterschiedlichen Zahnstangen ausgerüstet sind.
  • Tunnelkosten nach neustem Stand: 660 Millionen Franken, davon 450 Millionen Franken für den Bahnteil.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 19.03.2024 um 09:30 Uhr
    Permalink

    Nochmals ein Milliarden-Loch? Ein solcher Tunnel ist weder für den Güterverkehr, noch für den Personenverkehr, noch für den Tourismus nützlich. Ein solcher Verkehrsweg wird kaum voll ausgenützt werden, dafür erstickt das Mittelland im Verkehr.

  • am 19.03.2024 um 09:31 Uhr
    Permalink

    Als Tourist würde ich diesen Tunnel meiden! Gibt es täglich beruflich bedingt tausende Pendler? Wohl kaum. Der Tunnel würde ein » Rohrkrepierer». Umfragen sind hier vorab sicher sinnvoll.

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