Migros Einkaufswagen Wägeli

Migros und Coop tragen Mehrkosten für Rohstoffe, Energie und Verpackung angeblich selber. Aber mit wessen Geld? © SRF

Migros und Coop blenden mit Wirtschaftsjargon

Marco Diener /  Coop und Migros verkaufen ihre Kunden für dumm – mit Begriffen aus der Wirtschaftswelt.

Die Migros schrieb in ihrem neusten Geschäftsbericht zu den Preisanstiegen bei Rohstoffen, Verpackung und Energie: «Allein in der Migros-Industrie betrugen die Mehrkosten rund 250 Millionen Franken. Die Migros trug diese Kostensteigerungen zu einem grossen Teil selbst.»

Coop formulierte es in einer Stellungnahme an die Fernsehsendung «Kassensturz» ganz ähnlich: «2022 hat Coop Mehrkosten im Umfang von 250 Millionen Franken selber getragen.»

Ein Patron?

Das klingt auf den ersten Blick recht uneigennützig. Gerade so, als ob es bei den beiden Detailhändlern einen Patron gäbe, der 500 Millionen Franken spendiert hat, um Preisaufschläge zu verhindern.

Infosperber findet, die Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen müssten sich eigentlich für diese Grosszügigkeit bedanken. Bloss: Bei wem? Deshalb die Fragen an Migros und Coop:

1. Wer genau trägt diese Kostensteigerungen beziehungsweise Mehrkosten?

2. Und mit wessen Geld?

Coop antwortete zunächst nicht, sondern schrieb: «Wir bitten Sie, uns den Kontext des geplanten Artikels mitzuteilen.» Als ob Coop das wissen müsste, um die beiden einfachen Fragen zu beantworten.

Coop wiederholt sich

Schliesslich gab Coop keine Antwort, sondern wiederholte – ein bisschen ausgeschmückt – die Stellungnahme im «Kassensturz»: «2022 hat Coop Mehrkosten im Umfang von 250 Millionen Franken selber getragen, beispielsweise höhere Kosten für Energie, Transport oder Verpackungsmaterial, und nicht als Preisanpassungen an die Kunden und Kundinnen weitergegeben.» Mit wessen Geld? Das schrieb Coop nicht.

Die Migros teilte mit: «Die Migros als Unternehmen trug einen Grossteil der gestiegenen Kosten. Das zeigt sich auch im stark reduzierten Unternehmensgewinn im Vergleich zum Vorjahr.»

Infosperber erklärt

Weil Coop und Migros die beiden Fragen nicht wirklich beantwortet haben, erklärt Infosperber. Zuerst stellen sich zwei Fragen: Was ist die Migros überhaupt? Und was ist Coop?

Beide Konzerne sind Genossenschaften. Sie gehören also den Genossenschaftern und Genossenschafterinnen. Nicht umsonst hat die Migros von 2017 bis 2019 eine grosse Werbekampagne gefahren – und zwar unter dem Motto: «Die Migros gehört den Leuten.»

Und das Geld? Auch das Geld, mit dem Coop und Migros angeblich Preisaufschläge verhindern, gehört den Genossenschaftern und Genossenschafterinnen. Angehäuft haben es die beiden Detailhändler, indem sie auf die Produkte, die sie verkauften, hohe Margen geschlagen haben.

Oder anders gesagt: Die insgesamt 500 Millionen, mit denen sie Preiserhöhungen bei Rohstoffen, Verpackung und Energie aufgefangen haben, haben sie zuvor bei den Kunden einkassiert. Das also bedeutet für Migros und Coop: «selber tragen».

Und wenn sich die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten — wie eingangs erwähnt — bei jemandem bedanken müssten, dann bei sich selber.

Seltsame «Investitionen»

Doch auch sonst behaupten die beiden Detailhändler im jüngsten Geschäftsbericht wunderliche Dinge – und zwar fast wörtlich gleich. Coop schreibt: «Coop investiert in günstige Preise.» Und die Migros: «Die Migros investierte weiterhin in faire Preise.»

Kann man überhaupt in Preise investieren? Grundsätzlich können Firmen in Sachen wie Maschinen, Liegenschaften oder Fahrzeuge investieren, in immaterielle Güter wie Software oder Patente, auch in Finanzanlagen wie Aktien oder Obligationen. Jedenfalls in Objekte, deren Wert über einen gewissen Zeitraum einigermassen Bestand haben sollte. Aber in Preise?

Investitionen tauchen für gewöhnlich auch in der Bilanz auf. Auf der Aktivseite als Vermögen, auf der Passivseite als Eigen- oder Fremdkapital. Aber Preise? Wo sind sie in der Bilanz zu finden?

Noch eine Frage

Deshalb stellte Infosperber den beiden Detailhändlern noch eine Frage:

3. Wie kann man – betriebswirtschaftlich gesehen – in faire oder günstige Preise investieren?

Coop wiederholte sich abermals. Die Migros schrieb: «Wenn die Kosten sinken, senken wir die Preise für unsere Kundinnen und Kunden.»

Was das mit einer Investition zu tun hat? Infosperber hat keine Ahnung. Coop und Migros wahrscheinlich auch nicht. Aber es klingt gut.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Tasche_Hintergrund

Konsumentenschutz

Einseitige Vertragsklauseln. Täuschungen. Umweltschädlich. Hungerlöhne. Erschwerte Klagemöglichkeiten.

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4 Meinungen

  • am 8.07.2023 um 11:15 Uhr
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    danke für den erhellenden (und sogar bis zu einem gewissen grad amüsanten) artikel. es wäre ja eigentlich zum lachen, wie wir konsument*innen über den tisch gezogen werden resp. im alltäglichen konsumentenleben immer wieder mit faulen tricks und erfinderischen zaubereinen konfrontiert werden. so viel kreativität und fantasie um uns für blöd zu verkaufen. diese wünscht man sich eigentlich an anderen orten…

  • am 8.07.2023 um 15:52 Uhr
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    Duttweiler war legendär, weil er die Rabattmärkli vom Markt verschwinden liess und damit Kosten sparte. Für Migros Cumulus dürften 30-50 Angestellte arbeiten. Die Migroskunden bezahlen diesen Leerlauf mit verteurten Produkten. Dabei wird die Beschäftigung mit den Einkäufen immer extensiver. Will (oder muss) ein Kunde sparen und die Cumulus-Punkte zurückerhalten muss er sich immer komplizierter auf der Homepage der Migros herumtreiben. Ist es überhaupt rechtens, dass, wer die Rabatte der überteuerten Waren zurück erhalten will, sich ein Handy oder einen PC halten (und bedienen) können muss?

  • am 10.07.2023 um 18:16 Uhr
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    Das ist mir schon mehrmals passiert, dass ich auf konkrete Anfragen (z. b. über ein Produkt) über das Kontaktformular einen Marketingsprech als Antwort bekommen habe. Dies mit dem Ausdruck der Hoffnung, meine Fragen hiermit beantwortet zu haben. Wenn ich dann nachfrage, mit welchem Teil seiner Formulierung das Gegenüber meint, mir meine Fragen beantwortet zu haben (die ich dann wiederhole), kommt meist eine konkrete Antwort, wie das unter freundlichen Menschen üblich ist. Bei Hardlinern, die im Kurs «Um den Brei herumreden» gut aufgepasst haben, ist dann aber Hopfen und Malz verloren und damit auch ein potenzieller Kunde.

  • am 10.07.2023 um 20:27 Uhr
    Permalink

    Momol – wahre Menschenfreunde sind hier am Werk 🙂

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