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Inuit-Dorf Nain: Zwiespältige Kombination von öffentlichem Landrecht und privaten Verträgen © R.L./flickr

Kabeljau überfischt, Wasserkraft verhökert, Minenstadt bedroht

Richard Aschinger /  Ressourcen wecken Hoffnung auf Wohlstand und erweisen sich oft als Fluch: Auf Spurensuche im kanadischen Neufundland Labrador.

Red. Im ersten Teil seines Ressourcen-Reports beschrieb Richard Aschinger, wie globale Rohstoffkonzerne die kanadische Provinz Neufundland Labrador ausbeuten. Im zweiten Teil vertieft er diesen Befund mit einer Spurensuche. Sein Weg führt durch die Insel von Neufundland bis hinauf in den Norden aufs Festland nach Labrador – vorbei an vier Orten, wo sich zeigt, wie die Bevölkerung Rohstoffvorräte ihres Landes als Chance und als Fluch erfährt.

Spurensuche 1: Kabeljauparadies totgefischt

Symbol für den Niedergang der Fischerei. Bild: Aschinger

An der Nordspitze von Neufundland liegt ein aufgelandetes Fischerschiff namens «Jennifer Tyler». Spätestens jetzt auf der Reise drängt sich die Frage auf: Wo sind eigentlich Neufundlands legendäre Fischer? Jahrhunderte lang galt die Insel als Fischparadies: Ein früher Seefahrer berichtete von so viel Kabeljau, dass man übers Meer hätte laufen können.

Noch 1990 gab es entlang der 1700 km langen Küsten der Insel in zahllosen Buchten Stege, Boote, Trocknungsgerüste, regionale Fischfabriken und Schiffswerften. Kabeljau war neben Holz der wichtigste Rohstoff der Insel. Für einen grossen Teil der Bevölkerung bis in weitentfernte Gebiete hinaus brachten Fischfang, die Herstellung von Fischereigeräten sowie der Bau von Fischerbooten Verdienst und Nahrung. Die amerikanisch-kanadische Schriftstellerin Annie Proulx hat in ihrem Pulitzerpreis-Roman «Shipping News» (Deutsch: Schiffsnachrichten) die damalige Zeit eindrücklich beschrieben: Ein Leben mit kargem Alltag, lauten Festen und Tragödien und guten Gründen, auf «die Insel» stolz zu sein.

Der Lebenslauf der «Jennifer Tyler» gewährt Einblick in die Katastrophe, die das alles zerstörte: 1972 ging das Schiff in der Werft von Henry T. Vokey in Trinity, einem kleinen Fischer- und Schiffbaudorf vom Stapel. Ab 1963 hatte Vokey über hunderte grössere Schiffe gebaut. Er war ein erfolgreicher Unternehmer in einem blühenden Dorf. Für herausragende Verdienste um die Provinz erhielt er später einen Ehrenorden und 2013 einen Ehrendoktor der Memorial University in St. John’s.

1992 war das plötzlich Geschichte. Die Bundesregierung hatte ein totales Kabeljau-Fangverbot erlassen. Gedacht als temporäre Massnahme für ein paar Jahre, in denen sich die überfischten Bestände erholen sollten. Noch im gleichen Jahr ging die Werft in Trinity Konkurs und die Fischerei brach zusammen. Die «Jennifer Tyler» blieb, wie hunderte andere Schiffe rund um die Insel, irgendwo nutzlos liegen.

Lokale Fischer hatten schon viel früher gewarnt, ausländische Grossunternehmer, Spanier, Portugiesen, Sowjet-Russen, Japaner, US-Amerikaner fischten mit industriellen Schleppnetzschiffen ihre Küsten und Buchten leer. Wissenschaftler erkannten Zeichen einer ernsten Überfischung. Aber Regierungsberichte sprachen von zyklischen Schwankungen, die Lobby der Grossfischer kämpfte gegen Beschränkungen. Die Regierungen von Bund und Provinz handelten jahrzehntelang nicht. Lässt die Geschichte etwa an die heutige Auseinandersetzung um die Klimaerwärmung denken?

1986 wurden die kanadischen Territorialgewässer auf der Basis eines neuen Uno-Abkommens auf 200 Meilen ausgedehnt. Ausländer sollten so ausgesperrt werden. Aber das half nicht. Es war zu spät für halbherzige Massnahmen, die in Kanada niemandem wehtun sollten. Kanadische Trawler-Besitzer rüsteten auf und ersetzten die verbannte Ausland-Konkurrenz, womit sich die Überfischung fortsetzte. Erst 1992, als sich der Kollaps des Ökosystems überhaupt nicht mehr verheimlichen liess, griff die Bundesregierung durch und verordnete – immer noch gegen Proteste der Fischerei- und Schiffbauinvestoren – ein Verbot der gesamten Fischerei.

Dieses Fangverbot löste die grösste Massenentlassung in der Geschichte des Landes aus: 20’000 Männer auf Booten und in Werften verloren ihren Job und über 20’000 ArbeiterInnen, die neben Familienarbeit in ihren Regionen in Fischfabriken Arbeit gefunden hatten, verloren auch ihre Unabhängigkeit. Die Kabeljaukatastrophe hat Neufundland sozial umgepflügt. Zehn Prozent der Bevölkerung mussten die Insel auf der Suche nach Arbeit im Westen Kanadas verlassen.

Über eigenes Verschulden will man auch heute nur ungern reden: Auf der Homepage des alten Fischerdorfes Twillingate heisst es lapidar: «Wegen dem Kabeljau-Moratorium von 1992 wird Fischfang nicht mehr praktiziert.»

Mit dem Fang von Krebsen und Hummer und mit Tourismus hat Neufundland neue Verdienstmöglichkeiten aufgebaut. Ende der 1990er-Jahre öffnete die Öl- und Gasförderung in der Hauptstadtregion neue Perspektiven. Jetzt gibt es Anzeichen, dass sich die Kabeljaubestände langsam erholen könnten. Aber auch Signale, dass die Krebsbestände schwächer werden. Ironie des Schicksals ist, dass die Krebsindustrie heute klagt, die wieder wachsenden Kabeljaubestände räuberten ihre Krebse.

Spurensuche 2: Um Strom-Milliarden geprellt

Symbol für Ausverkauf der Wasserkraft. Bild: Aschinger

Auf dem Flug von Goose Bay nach Labrador City stoppt der kleine Flieger fünf Minuten vor einem einsamen Terminal in Churchill Falls. Zu sehen ist wenig: Die Zentrale des Wasserkraftwerks, das Mitte der 1970er-Jahre unweit der Grenze zur Provinz Québec in Betrieb genommen wurde, ist 300 Meter tief im Feld versenkt. Hier läuft auf dem Gebiet der Provinz Neufundland das damals grösste Wasserkraftwerk Nordamerikas. Der durch Umleitung des Flusses ohne Damm oder Mauer auf eine Nutzhöhe von 316 Meter gestaute See hat eine Fläche von 6527 Quadratkilometern; das entspricht einem Sechstel der Schweiz.

Bekannt ist Churchill Falls aber nicht für technische Leistungen, sondern für einen unvorstellbar einseitigen Vertrag über Stromlieferungen, mit dem die vergleichsweise wohlhabende Provinz Québec die bedürftige Nachbarprovinz Neufundland Labrador bis heute um 26 Milliarden Kanada-Dollar geprellt hat.

Das kam so: Das Werk gehört zu 66 Prozent dem kleinen neufundländischen Energieunternehmen Nalcor und zu 34 Prozent der grossen staatlichen Québec Hydro. Den Betrieb führt Nalcor. Doch Neufundland hatte kein Geld und fand keine potentiellen Stromkunden in den USA, die bereit waren, sich im Projekt zu engagieren. Um den Strom in die Ballungszentren im Süden zu transportieren, brauchte Neufundland Hochspannungsleitungen durch die Nachbarprovinz Québec. Der für seinen Aktivitätsdrang legendäre damalige Premier der kleinen Provinz Neufundland, Joey Smallwood, wollte das Prestigeprojekt unbedingt bauen.

In Sachen Churchill Falls ging sein Abenteuermut aber schief: Er schloss 1969 einen Vertrag mit Hydro Québec ab, für den Neufundland heute immer noch teuer bezahlt. Québec zahlte die Baukosten inklusive Stromleitungen und versprach auch allfällige Mehrkosten zu übernehmen. Als Gegenleistung verkaufte die Nalcor fast die gesamte Stromproduktion bis 2036, also für über 65 Jahre, an die Québec Hydro; dies zu einem aus heutiger Sicht wahnwitzig tiefen Preis von 0,25 Cent pro Kilowattstunde (kWh).

In der Zwischenzeit hatten sich die gängigen Strompreise massiv verteuert. Hydro Québec hat den Strom seither zu einem 10 bis 40 Mal höheren Preis weiterverkauft und dabei 28 Milliarden Kanada-Dollar verdient. Neufundland löste lediglich 2 Milliarden.

Angesicht der massiven Preisentwicklung versuchte Neufundland in einem acht Jahre dauernden Prozess eine Anpassung des Vertrags zu erreichen mit dem Argument, die Preisentwicklung sei in keiner Weise voraussehbar gewesen. Deshalb widerspreche es Treu und Glauben, unter heutigen Umständen auf dem vereinbarten tiefen Strompreis zu beharren. Vor Gerichten in Québec hatte Neufundland voraussehbar keine Chance. Dann erklärte sich aber das höchste Bundesgericht bereit, den Fall als wichtige Rechtsfrage zu beurteilen. Neufundland hoffte auf eine Vertragsanpassung auch im Sinn von föderaler Gerechtigkeit, die der kleinen Provinz eine bedeutende finanzielle Erleichterung hätte bringen können, und steckte viel Geld in Top-Anwälte.

Am 2. November 2018 kam das Urteil: Es gebe keinen Grund, den Vertrag zu ändern. Die Möglichkeit einer Vertragsanpassung als Folge radikal neuer Umstände sei im Vertrag von 1969 in keinem Wort angetönt oder erwähnt. Ein Vertrag sei ein Vertrag. Québec Hydro hatte vor bald 50 Jahren die besseren Anwälte und Neufundland muss sich jetzt damit abfinden, nochmals 28 Jahre zuzuschauen, wie Québec aus seinem Kraftwerk Milliarden abzweigt.

Der Ressourcen-Fluch am Churchill River könnte für Neufundland aber noch schlimmer kommen: Mit einem zweiten Kraftwerk am Unterlauf des Flusses, in Muskrat Falls in der Nähe von Goose Bay, wollte man alles besser machen: Der Staudamm ist gebaut, ebenso die Fernleitungen zweimal unter dem Meer von Labrador zur Insel und dann wieder unter dem Meer nach Nova Scotia. Québec wird umfahren. Beim Stromverkauf in die USA wollte man diesmal selber Kasse machen. Nun laufen aber die Kosten aus dem Ruder. Nalcor muss damit rechnen, dass zur Finanzierung des Werks von Muskrat Falls der Strompreis in der eigenen Provinz verdoppelt werden muss.

Spurensuche 3: Neoliberaler Deal mit Indigenen

Inuit-Dorf Nain: Keine Strasse zur nahen Mine. Bild: R.L.

Die Zink-, Kupfer- und Kobalt-Mine des Vale–Konzerns in Voisey’s Bay an der Atlantikküste in Labrador, 500 km nördlich von Goose Bay, die 2005 den Betrieb aufnahm, gilt gewissermassen als Prototyp einer neuen Minengeneration: Gearbeitet wird im Fly-in Fly-out-System. Alle 450 MitarbeiterInnen werden für jeweils 14 Arbeitstage mit 12 Stundenschichten von ihren Wohnorten eingeflogen und leben in einem Camp.

Eine Landverbindung zur Mine gibt es nicht, auch nicht zum Inuit-Dorf Nain mit seinen 1200 EinwohnerInnen, in 35 km Entfernung. Selbst wer in Nain wohnt, wird eingeflogen. Momentan noch im Tagbau und ab 2021 auch unterirdisch geförderte Erze werden in eisgängigen Spezialschiffen seit 2015 in eine neu erstellte Verarbeitungsfabrik in Long Harbour an der Ostküste von Neufundland transportiert.

Wirklich neu ist die Regelung der Beziehungen zwischen dem Minenkonzern, der Regierung von Kanada und Neufundland sowie der Regierung, der seit 2005 autonomen Region der Inuit, Nunatsiavut. Sie beruht auf der Basis der vom kanadischen Bundesgericht 1972 anerkannten Landrechte der indigenen Bevölkerung.

Bis 1972 waren diese Rechte der indigenen Völker in ihren traditionellen Lebensräumen kaum geregelt. Es war üblich, dass Grossprojekte ohne Konsultation, ohne Rechtsansprüche auf Arbeit und ohne Entschädigung der betroffenen Bevölkerung für den Verlust von Jagd- und Fischereirechten gebaut wurden. Für die Erz-Minen in Labrador City und für das Kraftwerk Churchill Falls wurden die indigenen Völker weitgehend ohne Konsultation umgesiedelt. Die neue Bundesgerichtspraxis verlangt nun Bewegungs- und Nutzungsrechte und Entschädigung beim Entzug von Rechten. Was das konkret heisst, ist heute noch umstritten. Klar ist, dass Regierungen Riesengebiete im Norden nicht mehr einfach über die Köpfe der Indigenen hinweg an Rohstoff- und Kraftwerkkonzerne verhökern können.

Die Voisey’s Bay Mine zeigt, wie Kanada heute Interessen von Investoren und Rechte der Indigenen mit einer Kombination von Selbstverwaltung, Landrechtsabkommen (LCA) und privaten Kosten-Nutzverträgen (IBA) unter einen Hut zu bringen versucht. Ein LCA gewährt den 2500 EinwohnerInnen der Region Nunatsiavut mit ihrer Verwaltung in Nain beschränkte Selbstverwaltung; dies insbesondere für das Bauwesen, Infrastruktur, Kultur und Schulen. Es garantiert den Indigenen auf 57’000 Quadratkilometern exklusive Jagd- und Fischereirechte und auf 15’600 Quadratkilometern eigentumsähnliche Nutzungsrechte. Für industrielle Projekte auf diesem Gebiet haben die Inuit Anspruch auf Mitsprache und Entschädigung, die in IBA-Verträgen festzulegen sind. Aus diesen Einnahmen muss die autonome Regierung ihre Kosten decken.

Inuit-Führer sehen ihr neues Recht, mit globalen Konzernen Verträge zu schliessen, als Symbol für die Befreiung aus kolonialem Staatspaternalismus. Aber Fachleute kritisieren, da werde obrigkeitliche Abhängigkeit vom Kolonialstaat lediglich ersetzt durch neoliberal in privaten Verträgen verfügte Abhängigkeit von Konzernen. So erhalten IBA-Verträge eine Geheimhaltungspflicht. Das verbiete einer Inuit-Regierung, in Streitfällen öffentliche Unterstützung zu suchen. Es bestehe keine Transparenz, was Konzerne unter welchen Bedingungen und an wen zahlten.

Staatliche Rahmenbedingungen für die IBA-Verträge hat Kanada bewusst nicht erlassen. Es wird kritisiert, dass Investoren diese Freiheit missbrauchten um mit «Kurzzeit-Geschenken» schnelle Zustimmung für Projekte mit potentiell negativen Langzeitwirkungen zu erwirken. In einer Studie wird eine australische Forscherin mit der Feststellung zitiert, das neo-liberale System mache indigene Regierungen «verantwortlich für ihre eigene Unterdrückung».

Vale geschäftet in der Voisey’s Bay-Mine seit 14 Jahren mit Milliardenprofiten. Für die Bevölkerung sehe man positive Effekte, sagt die Generalsekretärin der Inuit-Regierung, Isabella Pain: «Die Inuit erwarten Arbeitsplätze und bessere Lebensqualität.» Aber ihre Haltung sei auch geprägt von Angst, am Schluss mit einer zerstörten Umwelt allein gelassen zu werden.

Zahlen zeigen ernüchternde Resultate: Rund 50 EinwohnerInnen von Nain beziehen als Angestellte der Mine vergleichsweise hohe Löhne. Die damit geschaffenen neuen sozialen Unterschiede erweisen sich als ernstes Problem. Weitere gutbezahlte Jobs bietet vor allem die Regierung. Mit bis 30 Prozent gibt es in Nain aber immer noch fünfmal mehr Arbeitslose als im nationalen Durchschnitt und es herrscht teilweise harte Armut. So gibt es in Nain Familien, die es sich nicht leisten können ihre schlecht isolierten Häuser zu heizen. Was das alles konkret bedeutet, zeigte ein Bericht im kanadischen Radio CBC über «Nahrungsmittelmangel in immer mehr Familien in den Inuit-Dörfern.»

Spurensuche 4: Fly-in Fly-out ersetzt Minenstadt

Rio Tinto will Gewerkschaften ausschalten. Bild: Aschinger

Im Mai 2018 ging in Labrador City ein neunwöchiger Streik von fast 2000 Minenarbeitern der zum Rio Tinto Konzern gehörenden Iron Ore Company of Canada (IOC) zu Ende. Der Konzern wollte in einem neuen Fünfjahresvertrag Arbeitsplätze auslagern, für neue MitarbeiterInnen Pensionsansprüche abbauen und bei Wiedereinstellung entlassener Arbeiter statt Seniorität eigene Kriterien anwenden. IOC weigerte sich wochenlang, mit der Gewerkschaft United Steelworkers (USW) zu verhandeln.

Die Gewerkschaft erklärte, es gehe weniger um reale Arbeitsbedingungen, als um eine grundsätzliche Schwächung der Gewerkschaft. Akzeptiere die Gewerkschaft schlechtere Bedingungen für neu eintretende ArbeiterInnen und für temporäre Arbeitskräfte mit gleichen Leistungen, so stehe sie unweigerlich als Vertreterin der privilegierten Alten da. Während des Streiks hat der Konzern versucht einen Keil zwischen ArbeiterInnen und Gewerkschaft zu treiben, indem er einzelne Vorschläge per Mail an Streikende schickte. Der lokale USW-Präsident, Ron Thomas, bezeichnete das als «Frontalangriff auf das traditionelle Verhandlungsrecht der Gewerkschaft».

Hinter diesem Kleinkrieg ging es im Arbeitskampf um Schritte in Richtung eines von Rohstoffkonzernen weltweit angestrebten Systemwechsels: Weg von Minenstädten, in denen ArbeiterInnen mit Familien leben und arbeiten, hin zum Fly-in Fly-out (Fifo)-Schichtbetrieb, in dem sie für 14 Zwölfstunden-Schichten in Camps untergebracht und dann für 14 Tage in bis 1500 km entfernte Wohnorte ausgeflogen werden.

Laut Studien ist Fifo bei jungen Männern beliebt: «Einerzimmer, Fitness-Center, Kulturräume und erfreuliche Mahlzeiten», sagt am Telefon ein Arbeiter in der Zink-Mine von Voisey’s Bay. «Das ist mehr als man nach zwölf Stunden Arbeit nutzen kann.» Die Zeitung «Le Soleil» in Québec City schreibt, Fifo-Arbeit sei «gut für Singles, schlecht für Familien und für den Gemeinschaftssinn».

In der Minenstadt Labrador City-Wabush leben rund 9000 Personen, mehrheitlich Familien, alleinstehende Männer, auch Frauen. Die einen für ein paar Jahre. Andere ein halbes Leben lang. Eine Minderheit arbeitet zu sehr guten Löhnen für IOC. Angestellte von Zulieferern, Unterakkordanten ohne Gewerkschaft erhalten wesentlich weniger. Die meisten stammen von der Insel Neufundland oder aus den Atlantikprovinzen Nova Scotia und New Brunswick. In der Gastronomie arbeiten FremdarbeiterInnen aus den Philippinen. Mit temporären Arbeitsbewilligungen wohnen sie in prekären Unterkünften, um ihren Familien auf der anderen Seite der Welt Geld schicken zu können.

Mit Kirchen, Schulen, Bibliotheken, Sportanlagen, Hotels, Clubs, einem Spital und Flughafen erscheint Labrador City wie eine moderne Kleinstadt im kanadischen Süden.
Die Bevölkerung schätze das spezielle Leben im Norden, sagte die inzwischen zurückgetretene Stadtpräsidentin Karen Oldford. Gegen einen Wechsel zu Fifo-Schichten habe sich die Stadt seit Jahren gewehrt: Mit Demonstrationen und der Weigerung, für Camps Baubewilligungen zu erteilen. Aber IOC betreibe Salamitaktik: Immer mehr Arbeit werde an Unterakkordanten ausgelagert, die Fifo-Schichten arbeiten lassen. Oldford sagte, dem Konzern fehle es an sozialer Verantwortung. USW-Präsident Thomas spitzte zu: Bei IOC heisse es: «To hell with the town.»

Konzernen, die jahrzehntelang einen Grossteil der Stadt-Infrastruktur finanziert haben, verspricht die Fifo-Arbeit Einsparungen. Langfristig wichtiger ist aber die Schwächung der Mobilisierungskraft der Gewerkschaft: Fifo-ArbeiterInnen, die die Hälfte der Zeit weitverstreut im riesigen Land mit ihren Familien leben und die andere Hälfte im Camp todmüde essen und schlafen, sind schwer zu motivieren.

Der Kampf um Labrador City erinnert an das Ende der Minenstadt Schefferville, die 1954 von IOC 250 km weiter im Norden in Betrieb genommen, 1982 stillgelegt und mit allen Wohnhäusern, Schule und Spital abgerissen wurde. Ein Naskapi-Indianer, der beim Bau der Mine umgesiedelt wurde und bis zu deren Schliessung dort gearbeitet hat, beschreibt seine Erfahrung in einer Oral-History-Studie von Jean Sébastien Boutet («The Revival of Québecs Iron Ore Industry») wie folgt: «Das Unternehmen packte die Koffer und verschwand. Offene Gräben, Verwüstung überall, unsere Tiere vertrieben. Wir haben die Company reich gemacht. Wo ist mein Anteil? Wo ist ein Dankeschön?»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • billo
    am 5.08.2019 um 12:18 Uhr
    Permalink

    Die Kabeljau-Bestände an Kanadas Atlantikküste «erholen» sich schon seit Jahren immer mal wieder; aber auf eine wirkliche Erholung, die eine Befischung möglich und wirtschaftlich sinnvoll machen würde, wartet man seit 27 Jahren vergeblich.
    Der Grund dafür, dass die Folge der massiven Überfischung bis jetzt trotz totalem Fangstopp bis jetzt irreversibel geblieben sind, liegt im Kippen der Nahrungspyramide in der betroffenen Meeresregion. Einst ernährte sich der am Grund lebende Kabeljau u.a. von jungen Krebsen. Als der Kabeljau-Bestand total zusammengebrochen war und die von ihm besetzte ökologische Nische frei wurde, stand die Nahrungspyramide Kopf: Jetzt begannen sich erwachsene Krebse von jungen Kabeljaus zu ernähren. Der Kabeljau ist ja lokal nicht ausgestorben, er wächst einfach nicht mehr zu fangbarer Grösse heran, weil der Hummer ihn schon vorher frisst.
    Dass jetzt die Hummerfischer, die seit dem Niedergang der Kabeljaufischerei gute Geschäfte machen, darüber klagen, dass die paar Kabeljaus tun, was sie jahrtausendelang taten: junge Hummer fressen, ist das bisher hoffnungsfrohste Zeichen, dass der Kabeljau vielleicht doch wieder ein wenig hochkommt.
    Besser wär’s allerdings , er würde es nicht schaffen – denn so bliebe das bisher deutlichste Mahnmahl stehen: Wer auf der Jagd nach einer bestimmten Art rücksichtslos in die marine Nahrungskette eingreift, wird Wüste ernten.

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