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Kleines Tier, grosse Wirkung: Genmais und Florfliege machten Angelika Hilbeck zur Zielscheibe © CC

Genveränderter Mais: Kein Verlass auf Agroscope

Daniela Gschweng /  Die Schweizer Forschungsanstalt spezialisiert sich darauf, kritische Forschungsresultate zu kontern. Auf Kosten des Steuerzahlers.

Red. Dies ist die zweite Folge über Recherchen der «New York Times». Die erste veröffentlichten wir am 16. Januar 2017 unter dem Titel «Bienensterben: So hat Syngenta Forscher eingeseift».

«Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte», sagt der Volksmund. Die Agrarökologin Angelika Hilbeck kann darüber vermutlich nur bitter lachen. Hilbeck beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Gentechpflanzen auf Ökosysteme – ein Fachbereich, in dem Anfeindungen und Kritik nicht eben selten sind.

Doch wenn Hilbeck im Labor steht, haben anscheinend sogar die Wände Ohren. Seit mehr als 15 Jahren werden ihre Arbeiten jedes Mal kritisiert oder «widerlegt», berichtet die «New York Times» (NYT). Auf sie abgesehen hat es Hilbecks ehemaliger Arbeitgeber Agroscope.

Unbequeme Forschungsergebnisse

Agroscope, das «Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung», macht Untersuchungen und veröffentlicht wissenschaftliche Studien in den Bereichen Landwirtschaft, Nutztierhaltung, Lebensmittel und Nachhaltigkeit. Es unterhält vier Institute, wird vom Bundesamt für Landwirtschaft unterstützt und nimmt gegen Bezahlung auch Fremdaufträge entgegen.

In den 1990er-Jahren fand Hilbeck als Angestellte von Agroscope heraus, dass genmanipulierter Mais, der für die Larven eines Schädlings tödlich sein sollte, auch einigen Nützlingen den Garaus macht. Konkret sei der genveränderte Mais auch giftig für die Florfliege, die Schädlinge frisst. Dieser Befund hätte einen Einfluss darauf, wie weit das genmanipulierte Saatgut bewilligt wird.

Eine dickköpfige Wissenschaftlerin

Ciba-Geigy, der Vorgänger von Syngenta, bestand jedoch darauf, dass Hilbecks Arbeit geheim bleiben sollte. Berufen hätte sich der Konzern auf eine Geheimhaltungsvereinbarung mit Agroscope, sagte Hilbeck. Solche Geheimhaltungserklärungen seien bei Agroscope nicht ungewöhnlich, schreibt die NYT, der ein solcher Vertrag vorliegt. Sobald Forscher auf Informationen oder Materialien aus der Industrie zurückgreifen, müssen sie einen Geheimhaltungsvertrag unterzeichnen.

Die Wissenschaftlerin ignorierte das Verbot und publizierte trotzdem. Darauf wurde Hilbecks Arbeitsvertrag bei Agroscope nicht verlängert. Gegenüber der NYT wollte Agroscope ihre «Entlassung» nicht kommentieren – mit dem Argument, die Sache sei zu lange her. Seit 2000 forscht Hilbeck an der ETH Zürich und beschäftigt sich seither weiterhin mit der Umweltverträglichkeit von genveränderten Organismen (GMO). Damit hätte die Geschichte ein Ende finden können.

Eine Geschichte mit Fortsetzung

Doch woran auch immer Hilbeck forschte – ihr Nachfolger tat es auch. Jörg Romeis, der von Bayer zu Agroscope wechselte, ist seither Hilbecks wissenschaftlicher Zwilling. Als Co-Autor einer Studie über die Florfliege stellte er zunächst fest, dass genmanipulierte Pflanzen der Fliege nicht schaden. Als Hilbeck als Co-Autorin in einer anderen Studie ein Modell vorschlug, um Risiken der GMO-Verwendung zu erfassen, schlug Romeis ein alternatives Modell vor. Diesen Vorschlag machte Romeis zusammen mit einem Co-Autoren, der beim Saatgut-Konzern Syngenta arbeitet.

2009 veröffentlichte Hilbeck eine Arbeit über Gefahren von transgenen Pflanzen für Marienkäfer, in dem sie zum Schluss kam, dass ein von den Pflanzen produziertes Toxin eine erhöhte Sterblichkeit der Larven zur Folge hat. Romeis folgte ihr auf dem Fusse: Als Co-Autor verfasste er eine Studie, die «keine nachteiligen Effekte» auf die Marienkäferlarven feststellen konnte. In weiteren Publikationen kanzelte er Hilbecks Arbeit als «schlechte Wissenschaft» und «Mythos» ab.
Wenn nicht Milliardenumsätze auf dem Spiel stünden, könnte man das streitlustige Paar amüsant finden.

Er hat, sie hat

Emails zwischen Agroscope und dem US-Landwirtschaftsministerium USDA, die der NYT vorliegen, zeigen, dass sich Romeis wegen seiner offensichtlichen Fixierung auf Hilbecks Arbeit Witze gefallen lassen musste. «Jörg, es ist grosszügig von Dir, dafür zu sorgen, dass Hilbeck von Zeit zu Zeit etwas veröffentlicht :)», schrieb Steve E. Naranjo, Leiter eines landwirtschaftlichen Forschungszentrums der Abteilung für Agarforschung (ARS) im Jahr 2014.

Auch die ARS habe zweifelhafte Gewohnheiten, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse zu unterdrücken, die sich kritisch mit den Produkten der Agrochemie auseinandersetzen, berichtet die NYT. Das musste der US-Wissenschaftler Jonathan Lundgren erfahren, der Repressalien öffentlich machte (Infosperber: «US-Forscher klagt gegen Zensur der US-Agrarbehörde»). Für regelmässige Leser des «Infosperber» ist es kein Geheimnis, dass die Ansichten von Agroscope auffällig oft denen der Konzerne entsprechen (mehr lesen: Infosperber über Agroscope).

Missionen und Monopole

Romeis, der seit 2012 die Agroscope-Gruppe «Biosafety» leitet, sagte in einem Interview, Hilbecks Arbeit beeinflusse die «Mission» der Gruppe auf keinerlei Weise. Sie habe kein Monopol auf die Untersuchung von GMO-Auswirkungen. Hilbeck ihrerseits bezeichnete die Agroscope-Gruppe als «meine kleinen Stalker» und den Bereich der GMO-Forschung als «völlig korrumpiert».

«Diese Rolle [der Häretikerin] ist mir verordnet worden, weil man versucht hat, zu verhindern, dass Leute unbequeme Fragen stellen und unbequeme Forschung machen», sagte Hilbeck 2015 in einem Interview mit der WOZ.
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Grosse Medien in der Schweiz ausser dem Tages-Anzeiger/Bund haben über diese Recherchen der «New York Times» bisher nicht berichtet.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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