Yves Bertossa.Public Eye

Staatsanwalt Yves Bertossa im Interview mit «Public Eye» © Public Eye

«Busse von maximal fünf Millionen schreckt keine Bank ab»

Flurina Sirenio /  Korruptionsbekämpfer Yves Bertossa möchte schärfere Sanktionen gegen Finanzinstitute, die ihre Sorgfaltspflicht verletzen.

«Es ist nicht normal, dass viele Korruptionsaffären durch Medienberichte oder ausländische Rechtshilfegesuche aufgedeckt werden statt durch Meldungen von Finanzintermediären», sagt der Genfer Staatsanwalt Yves Bertossa im Interview mit dem Magazin von «Public Eye». Mit Finanzintermediären meint er vor allem Anwälte und Treuhänder, die in der Schweiz dem Geldwäschereigesetz nicht unterstellt sind.

Der 47-jährige Bertossa, der seit 14 Jahren Staatsanwalt in Genf ist, hat sich der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verschrieben. Im Interview stellt er fest, dass die Staatsanwaltschaft bei der Bekämpfung der Korruption proaktiv handeln und neugierig sein müsse. Denn Hilfe von Personen wie Bankangestellten, die gesetzlich verpflichtet wären, dabei Unterstützung zu leisten, erhalte er zu wenig: «In der Schweiz haben wir Mühe, Korruptions- und Geldwäschereifälle festzustellen.» Das System der Selbstregulierung funktioniere schlecht. Oft sähen Finanzintermediäre über gross angelegte Geschäfte mit Sitzgesellschaften hinweg, weil solche Geschäfte ihnen viel einbringen würden. 

Das Siegelungsverfahren als Sand im Getriebe

Das grösste Problem in der Korruptionsbekämpfung stellt gemäss Bertossa das gesetzliche Instrument der Versiegelung von Dokumenten dar. So kann sich etwa eine Anwalts- oder Treuhandfirma bei einer Durchsuchung auf das Geschäftsgeheimnis (oder ein anderes Geheimnis) berufen und die Versiegelung der Dokumente auf dem beschlagnahmten Computer oder Smartphone verlangen. Die Staatsanwaltschaft müsse sich dann an das Zwangsmassnahmengericht wenden, das sämtliche Dateien und E-Mails sortieren müsse. «Wir mussten teilweise drei Jahre lang warten, um Zugang zu den Unterlagen zu erhalten, dadurch werden die Verfahren blockiert.» 

Das Ziel der verdächtigen Firma: die Verzögerung des Verfahrens. Denn in den meisten Fällen entscheidet der Richter sich nicht für die Versiegelung, sondern hebt sie auf. Wobei gegen den Entscheid noch beim Bundesgericht Beschwerde eingelegt werden kann. Eine Vereinfachung dieses Prozesses ist nicht vorgesehen, im Gegenteil. Wie Bertossa gegenüber «Public Eye» sagt, steht eine Gesetzesänderung an, durch die auch auf kantonaler Ebene Beschwerde eingelegt werden kann. «Meines Wissens gibt es ein solches System nirgendwo sonst in Europa», sagt er. Der Schweizer Gesetzgeber habe hier Instrumente hinzugefügt, die allzu oft den Verlauf komplexer Fälle zusätzlich verzögern.

Yves Bertossa

Als Genfer Staatsanwalt trat Anwalt Bertossa 2007 im Alter von 33 Jahren in die Dienste der Genfer Justiz ein. Schon bald kümmerte er sich um komplexe Fälle im Zusammenhang mit Geldwäsche und Korruption und bewegte sich damit in den Fussstapfen seines Vaters, des früheren Korruptionsbekämpfers Bertrand Bertossa.
Gegen die Credit Suisse eröffnete Bertossa eine Strafuntersuchung wegen Organisationsmängeln bei der Bekämpfung von Geldwäscherei. Er versuchte, an den Finma-Enforcement-Bericht zu kommen, der Mängel bei der Credit Suisse untersuchte. Die Credit Suisse wehrte sich gegen eine Offenlegung bis vor das Bundesgericht, was zu einer langen Verzögerung führte.
Erst kürzlich veröffentlichte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma ein abgeschlossenes Enforcement-Verfahren und ging hart ins Gericht mit der Credit Suisse: Die Grossbank verfüge in einigen Bereichen über keine angemessene Organisation im Sinne des Schweizer Bankengesetzes. Sie hat zeitweise auch keine Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit geboten.

«Das Schweizer Rechtshilfeverfahren als eines der langsamsten in Europa»

Eine Versiegelung kann auch beantragt werden, wenn die Staatsanwaltschaft auf ein Gesuch auf Rechtshilfe aus dem Ausland hin tätig wird. Die betroffene Person kann sich ausserdem gegen die Übermittlung ihrer Daten ins Ausland wehren. Das Verfahren könne so bis zu sechs Monate verlängert werden, so Bertossa, der die Schweiz in Sachen Korruptionsrechtshilfe als «eines der langsamsten Länder Europas» bezeichnet. Zum Vergleich: Würde die Genfer Staatsanwaltschaft einen europäischen Kollegen um Information bitten, käme diese innert wenigen Tagen. Bertossa, etwas frustriert: «Das Geld wird mit ein paar Klicks von einem Land ins nächste befördert, während für die Rechtshilfe manchmal mehrere Jahre benötigt werden.»

Kritik am Korruptionsstrafrecht

Bertossa kritisiert auch die Bestimmungen im 2016 in Kraft getretenen Schweizer Korruptionsstrafrecht. So sei die Maximalbusse für Unternehmen, die im Zusammenhang mit Bestechung oder Geldwäscherei verurteilt werden, lächerlich. «Eine Busse von maximal 5 Millionen Franken schreckt einen Grosskonzern oder ein multinationales Unternehmen nicht ab.»

Lächerlich sei auch die maximale Busse für die Verletzung der Meldepflicht. Sie beträgt  gemäss Geldwäschereigesetz maximal 500’000 Franken. «Wenn Sie beispielsweise eine Milliarde ‹unklarer› Herkunft erhalten und neun Jahre lang verwalten, verdienen Sie viel mehr an Provisionen und Bankgebühren als die 500’000 Franken, die Sie möglicherweise zahlen müssen, wenn man Ihnen vorwirft, Sie hätten das Vermögen wegen Verdacht auf Geldwäscherei oder Korruption nicht rechtzeitig gemeldet.»

Und Kritik an der Anwaltslobby

Auch auf die Ablehnung der Bundesversammlung, Anwälte und Treuhänder, die Trusts und Briefkastenfirmen gründen, dem Geldwäschereigesetz zu unterstellen, reagiert der Staatsanwalt mit Unverständnis. Im März lehnte eine bürgerliche Mehrheit eine entsprechende Verschärfung des Geldwäschereigesetzes trotz internationaler Empfehlung ab. Dies sei nur geschehen, «damit einige weiterhin ohne jegliche Sorgfaltspflicht Offshore-Konstrukte errichten können und so das Image der Schweiz in Sachen Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität gefährden».

Der Gesetzgeber gibt gemäss Bertossa der Justiz nicht genügend Instrumente in die Hand, um genau in diesen Bereichen effizient vorzugehen. Viele Treuhänder solcher Offshore-Firmen würden «völlig willkürlich, ohne jede Kontrolle» handeln.

Der Genfer Staatsanwalt hält sich mit Kritik an Juristenkollegen nicht zurück. So würde nur eine kleine Minderheit der Schweizer Anwälte Domizilgesellschaften (Briefkastenfirmen) gründen oder führen. Trotzdem hätten sich mehrere Anwaltsverbände gegen die Änderung im Geldwäschereigesetz ausgesprochen. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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