Piketty_in_Cambridge

Seine Ungleichheitsstudien sind Stoff für Steuerdebatten: Thomas Piketty 2014 in Cambridge, Massachusetts. © cc-by-sa-3 Sue Gardner

Klassenkampf von oben in den USA

Werner Vontobel /  Die 700 reichsten US-Bürger haben 8,5 Billionen Dollar Kapitalgewinne angehäuft. Diese sollen nun besteuert werden.

Nach aktuellen Schätzungen zahlen die Milliardäre in den USA bloss 4,8 Prozent Einkommenssteuern. Eigentlich müsste dieser Satz sehr nahe beim maximalen Steuersatz von 37 Prozent liegen. Dass dies nicht so ist, hat zwei Gründe. Zum einen haben die Milliardäre genug Geld, um sich Senatoren und Abgeordnete zu kaufen. Vor allem die Republikaner haben in den letzten Jahren viele Steuerschlupflöcher für die Superreichen geschaffen. Nicht zuletzt deshalb ist dadurch die Summe der nicht versteuerten Kapitalgewinne der rund 700 US-Milliardäre von 3200 auf 8500 Milliarden Dollar gestiegen.

Damit sind wir beim zweiten Grund: In dieser Vermögenskategorie fallen die meisten Einkommen nicht durch Löhne und auch nicht durch Zinsen und Dividenden an, sondern durch Kapitalgewinne. Und die sind auch in fast allen anderen Ländern steuerfrei. Auch in der Schweiz. 2001 wurde eine eidgenössische Volksinitiative abgelehnt, die einen Steuersatz von 20 Prozent auf alle realisierten Kapitalgewinne vorsieht.

In den USA haben demokratische Senatoren und Abgeordnete nun einen neuen Anlauf genommen: Der Gesetzesentwurf von Senator Ron Wyden sieht einen Steuersatz von 25 Prozent auf allen (also auch auf den nicht realisierten) Wertsteigerungen auf Wertschriften sowie auf den realisierten Immobiliengewinnen vor. Damit geht er wesentlich weiter als damals die eidgenössische Volksinitiative. Allerdings soll diese Steuer (auch wegen des administrativen Aufwands) auf Pflichtige ab 100 Millionen Vermögen beschränkt werden.

Doch halt, darf der Staat Steuern nur für Reiche erheben? Wird da nicht der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt? Und dürfen Gewinne überhaupt besteuert werden, bevor sie realisiert worden sind und Geld geflossen ist? Mit solchen Fragen hat die Chamber of Commerce – eine Organisation der Reichen – den U.S. Supreme Court beschäftigt. Sie hofft, dass dieser ein Verbot von allen Steuern auf nicht realisierten Gewinnen verfügt.

Doch die Reichen verteidigen ihre Pfründe nicht nur vor Gerichten, sondern auch an «ihren» Universitäten. So hat neulich diese Studie der neoliberalen University of Chicago für Schlagzeilen gesorgt. Danach  ist – wie es die NZZ formuliert  – «in den USA die Schere zwischen Arm und Reich über die Jahre kaum aufgegangen». Statt von 9 auf 19 Prozent, wie der Ökonom Thomas Piketty errechnet hatte, sei der Anteil des reichsten Prozent seit 1962 bloss «geringfügig» von 11 auf 14 Prozent gestiegen.

Inzwischen hat Piketty längst seine Gegenstudie aufgeschaltet. Der Knackpunkt sind ausgerechnet die unversteuerten Kapitalgewinne. Nach den «Chicago-Boys» fallen davon nur etwa 15 Prozent beim reichsten Prozent an. Das unter der Annahme, dass die Kapitalgewinne nicht viel anders verteilt sind als alle anderen Einkommen, wie namentlich die Löhne.  Gemäss Piketty und der «World Inequality Database» ist diese Annahme aber unrealistisch. Sie schätzen den Anteil der reichsten Prozent an den Kapitalgewinnen auf  rund 50 Prozent.

Diese «Entzauberung» (NZZ) von Piketty dürfte damit entzaubert sein. Aber es gib eine andere, überzeugendere Kritik an Piketty. Sie besagt allerdings vielmehr, dass er zu wenig weit geht. Demnach liegt der Hauptgrund für die ungleiche Einkommensverteilung nicht – wie von Piketty angenommen – in den steigenden Renditen, sondern in den explodierenden Grundstückspreisen.  Doch das macht die Ungleichheit nur noch schlimmer. Es bedeutet nämlich, dass das reichste Prozent nicht nur kaum Steuern bezahlt, sondern als wichtigster Grundbesitzer auch noch Bodenrente kassiert.

Und dabei geht es um wesentlich mehr als um die gut 100 Milliarden Dollar, welche die Reichensteuer auf den nicht realisierten Kapitalgewinnen einbrächte.

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Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Reich, arm, ungleich

Grösser werdende soziale Kluften gefährden demokratische Rechtsstaaten.

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7 Meinungen

  • am 15.01.2024 um 11:43 Uhr
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    Die krass ungleiche Vermögensverteilung birgt über kurz oder lang gesellschaftspolitische Sprengkraft in sich. Welche Optionen zur Korrektur gibt es?
    Nicht erwähnt ist im Artikel die in der Schweiz im Unterschied zu den USA, Deutschland etc. etablierte Vermögenssteuer. Diese lässt sich als pauschalisierte Kapitalgewinnsteuer interpretieren: Indem jährlich ca. 0,5% des Nettovermögens steuerlich abgeschöpft werden, entspricht das bei einer Rendite von 2% im langjährigen Durchschnitt aller Anlagen (Zinsen und Dividenden) einer Steuer von 25% auf diese Wertsteigerung. Das ist administrativ eine recht elegante Lösung, auch wenn sie erst an den Symptomen der allzu ungleichen Kapitalverteilung ansetzt.
    Direkt zur gleichmässigeren Kapitalverteilung könnte ergänzend beitragen, wenn aus den Erträgen der Vermögenssteuer ein (bescheidenes) Bürgerkapital für alle finanziert würde — verstanden als faire „Sozialerbschaft“ an dem von unseren Vorfahren gemeinsam erarbeiteten Kapitalstock.

    • am 15.01.2024 um 22:47 Uhr
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      Die Vermögenssteuer ist ein sehr guter Ansatz, denn sie kann nur schwer umgangen werden.
      Wahrscheinlich müsste man noch im Bereich von Stiftungen und ähnlichen Konstrukten einige Schlupflöcher schliessen.
      Mit einer geeigneten Progression liessen sich auch jene exorbitanten Vermögen, welche wegen der damit verbundenen Machtkonzentration bei wenigen Privatpersonen für die Demokratie eine Gefahr darstellen, gezielt adressieren.

      • am 16.01.2024 um 11:08 Uhr
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        Danke für die gute Ergänzung! Die Progression hört im Fall der CH-Vermögenssteuer in der Tat viel zu früh auf; sie müsste für die sehr hohen Vermögen deutlich weitergeführt werden.
        Ein weiterer Vorzug der Vermögenssteuer (für den in meinem ersten Kommentar kein Platz blieb) besteht darin, dass sie nicht nur Finanzanlagen, sondern auch alle Realvermögen erfasst: Immobilien, Edelmetalle, Luxusgüter…
        Notabene dient sie bei den Finanzanlagen wirklich nur als pauschalisierte Kapitalgewinnsteuer. Die Kapitalerträge (Zinsen und Dividenden) werden daneben von der ebenfalls progressiven Einkommenssteuer erfasst

  • am 15.01.2024 um 20:55 Uhr
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    Absolut richtig. Piketty hat denselben Fehler wie damals Marx gemacht und die Immobilien bzw. Bodenpreise ausser Acht gelassen. Herr Vontobel spielt wahrscheinlich auf die Arbeit von MIT-Student Matthew Rognlie an, der 2015 zeigte, dass fast der gesamte Piketty-Effekt netto nach Kapitalabschreibungen auf Real Estate zurückgeht, was Piketty selbst in seinem dicken Buch nirgends berücksichtigte: https://fortune.com/2015/04/06/inequality-piketty/

  • am 16.01.2024 um 11:01 Uhr
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    Jede Art von Steuer-Erhöhung für die Reichen wird die Schere zwischen arm und reich im besten Fall nur minimal verlangsamen. Warum?
    Die vermehrten Einnahmen werden nicht einmal für den Schuldendienst reichen, für eine Schuldentilgung sowieso nicht. Was übrig bleibt, wird über Public Private Partnerships (PPP) in riesigem Umfang über Konzerne zurück an die Reichen fliessen, was wahrscheinlich mehr ausmacht als die höheren Steuereinnahmen … sprich: Das System ist nicht reformierbar; es wird kollabieren, so wie jedes der > 170 FIAT-Geldsysteme in der Vergangenheit. Seit 1913 brachte es dieses System bereits auf eine Inflation von 3’000% ! (gemessen an Gold)

    Die einzige Möglichkeit für langfristig mehr Gerechtigkeit ist ein absolut neu aufgesetztes Geld- und Wirtschaftssystem, wie von Peter Haisenko in der humanen Marktwirtschaft beschrieben.
    Unbedingt lesenswert!
    Dann bräuchte es auch keine zusätzliche Reichensteuer mehr.

    • am 17.01.2024 um 14:37 Uhr
      Permalink

      Hallo Paul Steinmann,
      endlich mal ein Kommentar, der das Übel an der Wurzel anpacken möchte.
      Auch ich sehe nur einen Weg aus diesem kranken Wirtschaftssystem
      in der Neugestaltung eines gerechteren Finanzsystems. Denn wo das Geld ist, ist auch die Macht. Mit dieser Machtfülle können die Superreichen jedes Gesetz entweder verhindern oder umgehen. Menschen was weg zu nehmen, das sie «legal» erworben haben, ist psychologisch immer problematisch. Es darf erst gar nicht zu dieser exorbitanten Umverteilung von Unten nach Oben kommen, und dafür braucht es eben ein gerechteres Finanzsystem. Aber das wird noch dauern, dafür sitzen die Superreichen noch zu fest im Sattel und die breite Masse wird mit Brot und Spiele ruhig gestellt. Vielleicht wenn die Finanzblase platzt, aber ohne ein tiefergehendes Ursachenverständnis wird es auch nur «alten Wein in neuen Schläuchen» gebe.

  • am 17.01.2024 um 11:54 Uhr
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    Schade, seit ich klein bin, bin ich links im klassischen Sinn, allerdings hatte ich, in den 70ern, keine Vorstellung davon, wie weit sich die Welt heute von irgendeiner Gerechtigkeit und damit auch von irgendeiner Demokratie entfernt haben würde! Leider fällt mir überhaupt nichts ein, kein Wort und keine Tat, wie man diese Situation ändern könnte. Auf eine Revolution kann man ja leider aus vielen Gründen nicht hoffen.

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