biodiversität

Die Biodiversitäts-Initiative, über die im Sommer abgestimmt wird, fordert mehr Flächen und mehr finanzielle Mittel zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt © biodiversitaetsinitiative.ch

Biodiversität? – Lebensvielfalt!

Hans Steiger /   «Biodiversität» ist ein kaltes Wort. Und auch die Fachleute spüren: Es braucht Emotionen, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen.

Mein – zugegeben ziemlich altes – Korrekturprogramm markiert «Biodiversität» nach wie vor mit roter Unterstreichung: «falsch» oder unbekanntes Fremdwort. Letzteres trifft leider noch allzu oft zu, muss und wird sich aber ändern, wenn wir im Laufe dieses Jahres über die Volksinitiative abstimmen, in der es um deren Schutz geht. Dann sollten möglichst alle bei diesem Begriff an die Lebensvielfalt und den Erhalt von Leben denken.

Kompromisslos gegen Grünes

Das eidgenössische Volksbegehren zum Schutz der Biodiversität wurde vor gut drei Jahren eingereicht. Es fordert mehr Flächen sowie mehr finanzielle Mittel zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt. In diesem Jahr dürfte die Abstimmung erneut harte Auseinandersetzungen mit der agroindustriell ausgerichteten Landwirtschaft bringen. Was dieser Tage in Deutschland mit Traktoren und wütenden Parolen gegen zum Feindbild stilisierte Grüne abgeht, ist eine Vorwarnung. Gezielt geschürte Emotionen eskalieren und für Kompromisse bleibt kaum noch Raum.

«Ständerat bei Biodiversitäts-Initiative auf Linie des Bauernverbands», triumphierte schon im letzten Sommer die «BauernZeitung». Die kleine Kammer wolle dem Begehren von Pro Natura und anderen Umweltverbänden keinen Gegenvorschlag entgegenstellen und der neu für das Geschäft zuständige Bundesrat habe klargestellt, «die Lebensmittelproduktion stehe für ihn an erster Stelle». Trotzdem vertrat Rösti offiziell die bundesrätliche Haltung, wollte die vom Nationalrat aufgenommene Alternative weiter beraten. Immerhin zeige der Trägerverein sich ja bereit, die Initiative allenfalls zurückzuziehen, «um ein rasches und gezieltes Handeln zu ermöglichen». Doch nachdem die bürgerlich-bäuerliche Geld- und Gülle-Fraktion gestärkt aus den Wahlen hervorging, wischte sie die Vorschläge in der Wintersession endgültig vom Tisch.

Dabei wäre es höchste Zeit zum Handeln! «Für ein Fünftel der bekannten einheimischen Arten in der Schweiz liegt eine Einschätzung des Aussterberisikos vor», steht im Vorwort des vom Bundesamt für Umwelt im vergangenen Frühjahr publizierten Synthese-Berichts zur sogenannten Roten Liste. «Je kleiner und fragmentierter das besiedelte Gebiet ist und je rascher der Bestand zurückgeht, desto höher ist die Gefährdungsstufe.» Das hat zum Teil mit agrarpolitischem Versagen zu tun und erweist sich nicht zuletzt für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit als relevant. Das ist an einer nachhaltigen Landwirtschaft ernsthaft Interessierten längst bekannt. In einem Sonderheft von «Hotspot», einer 2000 vom Forum Biodiversität Schweiz gestarteten Zeitschrift, wurde zwar vor zwei Jahren das bei uns vorbildlich ausgebaute «Biodiversitätsmonitoring» gewürdigt, das «in einzelnen Fällen» politische Prozesse beeinflussen und so zum Schutz beitragen konnte. Doch diese Anstrengungen müssten verstärkt, die Visionen rasch umgesetzt werden.

Fakten, Visionen, Emotionen

Für mich ist Biodiversität vorab dank «Hotspot» zum Begriff und lebendig geworden. Nebst von Fachleuten zuverlässig vermittelten Fakten bot es gut geschriebene Reportagen und umfangreiche Dossiers zu Schwerpunktthemen. Mit seiner zehnten Ausgabe – zur «Vielfalt der Pilze» – war definitiv auch mein Herz erobert. Die schönen Seiten waren aber immer auch mit der Warnung verknüpft, dass uns der Verlust von dem droht, was als bunte, so wunderbar vernetzte Welt vorgeführt wurde. Zumindest zwischen den Zeilen waren sogar Spuren von Verzweiflung spürbar. Das vorletzte Heft wich diesem Problem nicht mehr aus; es beleuchtete «Biodiversität und Emotionen». Zwar sei das Forum «eine akademische Institution», hielt dessen Leiterin im Editorial fest, und darum werde entsprechend nüchtern über negative Trends sowie «über die Ursachen und Konsequenzen dieser Entwicklung» informiert. Dazu würden Handlungsoptionen, auf aktuelle wissenschaftliche Grundlagen abgestützte Strategien aufgezeigt. «Doch reicht dies, um die Biodiversität in der Schweiz zu erhalten und zu fördern? Offenbar nicht.» Dann wird der Text plötzlich ungewöhnlich persönlich: Glücksmomente bei Bergwanderungen, eigene Verlustängste. «Genau diese Emotionen» seien es doch, die zum Handeln motivieren.

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Liebe, Angst und Ekel finden sich im Titel des Leitartikels. «Statt Katastrophenmeldungen zu verbreiten, zeige ich lieber die Schönheit der Natur», betont ein Kadermann von Info Flora. Viele farbige Bilder weisen quer durch das Heft in diese Richtung, und ein Essay wird zum Appell: «Bitte nicht resignieren!» Trotz aller Sorge um ihren Zustand, sollten wir uns die Lust bewahren, Natur zu erleben und zu geniessen. Eine aus dem Kulturbereich einbezogene Autorin erklärt mit Rekurs auf eine dazu vorgelegte Dissertation, dass und «warum Emotionalität in der Wissenschaft wichtig ist». Alles in allem wird ein rundum eindrückliches Gegenstück zur distanzierten Kälte geliefert, die «Biodiversität» als Fremdwort ausstrahlt.

Die oben als Leiterin des Forums zitierte Daniela Pauli gab gegen Ende ihres Editorials ihr Ausscheiden bekannt – nach nun 24 Jahren. Sie übernehme bei BirdLife Schweiz «eine neue Aufgabe. Dem Thema Biodiversität bleibe ich selbstverständlich treu verbunden.» Wer die Webseite von BirdLife konsultiert, wird dort prompt mit einem aktuellen Banner empfangen: «Der Ständerat setzt unsere Lebensgrundlagen aufs Spiel – bestellen Sie eine Fahne!» Die grosse Kampagne für den Volksentscheid im kommenden Sommer laufe nun an. «Wir geben nicht auf.» Wie eine von der Organisation mitfinanzierte neue Studie zeigt, ist der Aufklärungsbedarf gewaltig. Nur gerade drei Prozent der Bevölkerung sehen laut einer Umfrage den Artenverlust als in der Tat durchaus mit dem rasanten Klimawandel vergleichbare Gefährdungsursache für unseren Planeten. Mehrheitlich wird die Biodiversität in der Schweiz gar als gut bis sehr gut beurteilt.

Erst zarte Spuren von Natur

In der jüngsten Ausgabe, mit «Biodiversität und Raumnutzung» wieder nüchtern betitelt, wird die mit ihren Emotionen inzwischen andernorts kämpfende Kollegin «als verlässliche Partnerin» für alle im Forum aktiv Beteiligten «aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und der Zivilgesellschaft» gewürdigt – auch ihr Bemühen, «der Biodiversität eine Stimme zu geben». Es werde im «Hotspot» mit teils erneuertem Team «in der gewohnten Qualität» fortgesetzt. 2024 steht nach der schicksalhaften Abstimmung die 50. Ausgabe an.

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Auf dem Titelblatt von «Hotspot» 48 dominiert zwar Grau, aber mit einer zarten Spur von Natur: «Inmitten des bebauten Langstrassenquartiers in Zürich befindet sich auf einem schmalen Arealstreifen entlang der Bahngleise das Zollhaus. Die begrünten Dachterrassen dienen den Bewohnerinnen und Bewohnern, den Kindergartenkindern und den Gewerbetreibenden als Aufenthaltsort und Treffpunkt.» Die vom Bundesamt für Umwelt in einer Gastrubrik propagierten «biodiversen Gebäude», von denen eins auf dem Heftrücken abgebildet ist, werden primär vielerlei Tieren nützen. Doch «zudem schützt das Grün vor Lärm, sorgt für ein angenehmes Raumklima, wirkt der Bildung von Hitzeinseln entgegen, reinigt die Luft von Feinstaub und ist schön anzusehen».

Eine zusätzliche Dimension und neue Chancen der ökologischen Vernetzung bringt der sorgsame Aufbau einer «blau-grünen Infrastruktur», zu der Flüsse und Wälder, Stadtpärke und Bäche, speziell Übergangsbereiche wie Ufer und Feuchtgebiete sowie eine Vielzahl landwirtschaftlicher Flächen zählen. Bei letzteren räumt eine Fachfrau vom Bundesamt für Landwirtschaft ein, dass dort die gesetzten Umweltziele «momentan nicht erreicht» würden. Doch durch «Förderung einer standortangepassten Produktion im Rahmen der zukünftigen Agrarpolitik» sollte sich dies ändern. Sollte! Das neugewählte Parlament betätigte nach Redaktionsschluss erneut die Bremse.

Kantonal oder lokal vorangehen

Vorbildlich unterwegs zu sein scheint dagegen das Amt für Landwirtschaft und Natur im Kanton Genf. Bertrand von Arx verbindet im Interview das praktisch Erreichte mit neuen Hoffnungen. «Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit der Natur im Kanton. Am Anfang waren wir zu zweit und der Begriff Biodiversität war nicht bekannt.» Heute ist er Direktor einer Fachstelle Biodiversität, verfügt dort über ein – wie kantonale Umfragen belegen – auch beim Einbezug der Bevölkerung erfolgreiches Team. «Mein Traum ist, dass die Achtung der Biodiversität dereinst zu den grundlegenden Werten zählt.»

Wer auf lokaler Ebene tätig ist, sollte den Bericht über die Beratungseinsätze von Regula Waldner lesen. Sie arbeitet als Projektleiterin im Bereich Landwirtschaft und Naturschutz, Siedlung und Landschaft sowie Umweltbildung. Zurzeit bietet sie im Rahmen eines vom Bund geförderten Programms kostenlos zu buchende «Landschaftsberatungen» an. Dafür könnte etwa ein konkretes Vorhaben der Auslöser sein oder einfach der Wunsch einer Standortbestimmung. «Vielleicht hat ein Gemeinderat auch ein landschaftliches Problem erkannt und möchte sich fachlich durch eine externe Person absichern. Oder eine Planungskommission hat seit Längerem ein Unbehagen, weil die Erholungslandschaft zwischen Autobahn und Dorfrand immer hässlicher wird.» Dann kann sie sich damit immerhin drei Tage lang mit daran Interessierten befassen. Das aber – Achtung! – nur bis Ende 2024. Dann läuft die Subventionierung aus Bern nämlich aus. Vielleicht wäre bei derartigen Basisvorstössen folgendes Zitat zu verwenden, um Zögernde zu überzeugen: «Lebenswerte und identitätsstiftende Landschaften werden künftig in der Schweiz ein enormes Kapital darstellen.» Richtig ist aber auch das: «Wer dieses Kapital heute schon sorgsam behandelt, vielleicht auch Fehler der Vergangenheit behebt, wird den kommenden Generationen einen grossen Dienst erweisen.»

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HOTSPOT. Die Zeitschrift des Forums Biodiversität Schweiz. Heft 47 und 48 / 2023, je 36 Seiten. Kostenlos via biodiversitaet.scnat.ch. Auch frühere Ausgaben und ein Sonderheft «20 Jahre Biodiversitätsmonitoring» sind da zu finden.

Dieser Text erschien auch als Zeitschriftenschau im P.S. – dort mit weiteren praktischen Ermunterungen für ein grüneres 2024.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Wald

Schutz der Natur und der Landschaft

Nur so weit es die Nutzung von Ressourcen, wirtschaftliche Interessen oder Freizeitsport zulassen?

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3 Meinungen

  • am 15.01.2024 um 16:59 Uhr
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    Warum neudeutsch «Biodiversität» und nicht die simple althergebrachte «Artenvielfalt»?

  • am 16.01.2024 um 13:10 Uhr
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    Der sperrige, ja kalte Begriff «Biodiversität» bedeutet weit mehr als die Artenvielfalt – wobei ja «Arten» eine menschengemachte Kategorie sind. Eine Weißtanne aus Kalabrien und eine aus dem sächsischen Erzgebirge mögen genetisch und im Hinblick auf Ihre Lebensraumansprüche sehr unterschiedliche Wesen sein.
    Soweit mir bekannt ist bezeichnet Biodiversität die Vielfalt der Lebensräume mit ihren Lebensgemeinschaften (Ökosysteme), die Vielfalt der Arten und auch die genetische Vielfalt innerhalb einer «Art». Es ist also tatsächlich die Vielfalt allen Lebens auf der Erde, die so beschrieben wird. Vielleicht sollten zukünftig noch mehr Kriterien, zB. nicht genetisch bedingte sondern erworbene individuelle Unterschiede mit einbezogen werden. Sie können ja für die weitere Entwicklung durchaus auch bedeutend sein.
    Wir Menschen wissen bisher ausgesprochen wenig über diese oft überlebenswichtigen Beziehungen zwischen den einzelnen «Arten» und auch zwischen Lebensräumen, greifen aber überall ein.

  • am 16.01.2024 um 13:46 Uhr
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    Unbedingt sollten Emotionen und Gefühle mit einbezogen werden – in diesem Kontext (und in vielen anderen auch) vor allem die Liebe – hier die Liebe zu allem Lebendigen!
    Gefühle und Emotionen sind ein ganz wesentlicher Teil unseres Wesens, machen uns ebenso aus wie etwa unser Körper mit seinen Sinnesorganen, unser Gehirn und unser Bewusstsein.

    Nach Meinung etlicher Autoren – auch für mich klingt das gut nachvollziehbar -, diene der Ausschluss von Emotionen vor allem der Beherrschung und ggf. auch Ausbeutung vorgeblich «minderwertigen» Lebens. Begonnen hat dies sicherlich spätestens bei Descartes und dessen absoluter Trennung zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Leben.

    Sicherlich ist der meistens zerlegende, auf möglichst objektivierbare Details reduzierende Blick in den Wissenschaften auch deren bislang begrenzten Möglichkeiten geschuldet. Wirkliches Verstehen des Lebens und seiner Vielfalt wird erst beginnen mit einer ganzheitlichen, «holistischen» Perspektive auf das Leben.

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