Kommentar

Bei wem sich der Staat verschulden soll

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Schuldenbremsen sind viel zu plumpe Instrumente – vor allem, wenn sie als reine Ausgabenbremsen angelegt sind.

Juristisch ist die Sache klar: Die deutsche Regierung hat die Schuldenbremse missachtet. Doch das ist nur ein Nebenschauplatz. Viel wichtiger ist die Frage, ob eine Schuldenbremse überhaupt Sinn macht. Für die Schuldenbremse werden im Wesentlichen folgende Argumente vorgebracht:

Erstens: Künftige Politiker sollen daran gehindert werden, teure populistische Wahlgeschenke zu machen. Zweitens: Wie die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau soll auch eine Regierung nicht mehr Geld ausgeben, als sie hat. Drittens: Zu viele Schulden belasten die kommenden Generationen.

Zum ersten Einwand ist zu sagen, dass auch eine Schuldenbremse ein populistischer Akt ist. Man kann damit bei seinen sparwilligen Wählern Punkte sammeln, ohne andere Wählerinnen mit einem konkreten Sparentscheid zu verärgern, diese werden vorerst aufgeschoben. Spare morgen, nur nicht heute, sagen alle populistischen Leute.

Auch das Argument mit der schwäbischen Hausfrau entlarvt sich von selbst: Es zeigt, dass diejenigen, die es vorbringen, leider immer noch nicht zwischen Volks-und Betriebswirtschaft unterscheiden können.

Für jeden Privathaushalt und für alle Unternehmen ist Geld der limitierende Faktor. Für den Staat hingegen nicht. Er stellt bekanntlich das Geld selber her – indem er sich (bei seiner Zentralbank) verschuldet. Das ist das kleine Einmaleins der Geldschöpfung. Grundstufe! Was sich ein ganzer Staat leisten kann oder nicht, hängt nicht vom Geld, sondern allein von den physischen Produktionskapazitäten der Volkswirtschaft insgesamt ab.

Dafür wiederum sind die Staatsausgaben in zweifacher Hinsicht wichtig. Erstens tragen Investitionen in die Infrastruktur, die Bildung und in die Gesundheit zum Erhalt und zur Stärkung des Produktionsapparats bei. Zweitens soll der Staat mit seinen Ausgaben auch dafür sorgen, dass dieses Potential ausgelastet und damit Arbeitslosigkeit vermieden wird.

Sparzwang im falschen Moment kann in die Abwärtsspirale führen

Dass Deutschland seit Jahrzehnten Exportüberschüsse erzielt, zeigt, dass die Produktionskapazitäten durch die einheimische Nachfrage bei weitem nicht ausreichend beansprucht werden. Tritt der Staat bei dieser Ausgangslage auf die Sparbremse, droht entweder Arbeitslosigkeit, oder die deutsche Wirtschaft muss versuchen, die mangelnde Nachfrage durch noch höhere Exportüberschüsse zu kompensieren. Das läuft unter dem Strich auf den Export von Arbeitslosigkeit zu den defizitären Handelspartnern hinaus.

Doch damit nicht genug: Das neoliberale «Königsrezept» für mehr Exporte heisst Lohnzurückhaltung und tiefere Unternehmenssteuern – womit neben der staatlichen auch die private Nachfrage geschwächt wird. Das heisst: Ein von der Schuldenbremse erzwungener Sparzwang zur falschen Zeit kann eine gefährliche Abwärtsspirale auslösen. Die Schuldenbremser schiessen sich selbst ins Bein.

Nun zum dritten Argument, wonach Staatsschulden den kommenden Generationen schaden. Das ist auch dann nicht ganz falsch, wenn sich ein Staat – wie im Falle des «Exportweltmeisters» Deutschland – per Saldo nicht im Ausland verschuldet, sondern – angesichts der Exportüberschüsse – ausschliesslich bei den eigenen Bürgerinnen und Bürgern. In diesem Falle sind alle Staatsschulden zugleich Guthaben der Staatsbürger. Höhere Staatsschulden bedeuten somit nicht, dass sich die kommende Generation als Ganzes gesehen verschulden muss.

Doch die Zeiten, in denen man Deutschland – oder irgendein Land – als Ganzes sehen konnte, sind vorbei. Dazu sind die Vermögensunterschiede zu gross. Die grosse Mehrheit der Deutschen verschuldet sich bei denen da oben. Und mit ihren Steuern zahlen sie denen da oben die Zinsen.

Nur eine Minderheit kann dem Staat Geld leihen

Faktisch haben nämlich nur maximal etwa 10 Prozent der Deutschen genügend Reserven, um ihrem Staat in nennenswertem Umfang Geld zu leihen. So gesehen, verschuldet sich Deutschland – wie jedes Land – heute nicht mehr bei «seinen» Bürgern, sondern bei einer dünnen Oberschicht und deren Konzernen und Unternehmen. Und die – und erst recht deren Erben – denkt, handelt und investiert global. Die Unterschiede zwischen Ausland- und Binnenschulden sind fliessend geworden. Ob Deutschlands Staatsschulden von superreichen Deutschen oder Scheichs oder US-Investmentfirmen gehalten werden, ist zweitrangig.

Insofern spielt es durchaus eine Rolle, ob ein Staat seine Ausgaben finanziert, indem er Steuern eintreibt, oder indem er sich verschuldet. Mit jeder Milliarde Schulden statt Steuern steigt die Abhängigkeit gegenüber der reichen Oberschicht.

Doch statt sich das Geld sich bei der Oberschicht zu borgen, können sich die Staaten auch bei der eigenen Zentralbank verschulden – und zwar zinslos. Im Klartext: Sie können das Geld auch einfach drucken. Dass dies nicht zwingend zu mehr Inflation führt, zeigt das Beispiel von Japan, das sich während der Corona-Krise mehr verschuldet hat als jedes andere Land und dennoch eine der tiefsten Inflationsraten aufweist (siehe hier).

Dennoch ist es langfristig gesehen viel besser, wenn der Staat «altes» Geld bei den Reichen eintreibt, anstatt neues zu schaffen – und so die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung korrigiert. Erstens bewirkt er damit, dass weniger Kaviar und Yachten und dafür mehr Güter und Dienstleistungen für den Grundbedarf produziert, bzw. finanziert werden können. Das fördert das Gemeinwohl.

Zweitens führen die anhaltenden Gewinne und Sparüberschüsse der Reichen dazu, dass die Kapitalmärkte noch mehr aufgebläht und immer mehr volkswirtschaftliche Ressourcen für die Verwaltung und für die Spekulationen mit diesen Guthaben verschwendet werden (siehe auch hier). Wir haben bald mehr Bankfilialen als Bäckereien, mehr Immobilienmakler als Bauarbeiter, mehr Day-Trader als Bauerrn.

Kommt dazu, dass die Guthaben in wenigen Händen konzentriert sind und somit einen Machtfaktor darstellen. Die Wirtschaftspolitik wird heute mehr vom Zufallsgenerator der Finanzmärkte als von der Politik gesteuert. Und nicht zuletzt wird dieser Machtfaktor auch dazu benutzt, Geld von Mietern zu den Grundbesitzern umzuverteilen (mehr dazu hier) und so die Ungleichgewichte weiter zu verschärfen.

Das kleinere Übel

Noch besser und nachhaltiger als Steuererhöhungen wäre es, wenn der Staat die primäre Einkommensverteilung direkt korrigiert, etwa mit Mindestlöhnen, von denen man leben kann. Oder indem er mit einer verschärften Kartellpolitik für tiefere Preise sorgt und damit unanständige Unternehmensgewinne verhindert. 

Das dauert allerdings, und dafür fehlt die Zeit. Auch höhere Steuern für die Reichen lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen, zumal es dafür auch ein Mindestmass an grenzüberschreitender Koordination braucht. Bis dahin bleibt das Drucken von Geld vermutlich das kleinere Übel – auch wenn man zu diesem Zweck die Schuldenbremse lockern muss.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • am 26.12.2023 um 11:44 Uhr
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    Kleines Problem für Deutschland: Dank der Einführung des Euro hat der Staat keine eigene Währung mehr.

  • am 26.12.2023 um 13:02 Uhr
    Permalink

    Ich habe aber doch sehr viel Mühe damit, wenn ein Roger Nordmann zum Beispiel den Umbau der Energiewirtschaft durch Schulden finanzieren will. Das ist politisch feige und weder liberal noch sozial. Wieso soll die kommende Generation für etwas bezahlen, dass unsere Generation verursacht hat. Die verursachende Generation muss das mit Konsumverzicht finanzieren, durch höhere Steuern oder durch Sparmassnahmen. Wer bezahlt dann irgendwann die Zeche für die hohen Schulden? Wie würde ein Schuldencut, wenn Weginflationieren nicht reicht, dann aussehen? Würde sich die Oberschicht enteignen lassen?

  • am 26.12.2023 um 15:54 Uhr
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    «bleibt das Drucken von Geld vermutlich das kleinere Übel?» Langfristig sicher nicht. Die Staaten bzw. ihre Herrscher kennen ein mehr als tausendjähriges sicheres Rezept gegen die Folgen einer zu grossen Staatsverschuldung: Inflation, je mehr desto besser. Kommt nur drauf an, für wen.

  • am 26.12.2023 um 23:09 Uhr
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    Die arbeitende Bevölkerung sollte immer mehr Lasten schultern – und die ächzt schon lange und mag bald nicht mehr arbeiten – während die Vermögen der Reichen dank Börsenspekulation und Immobilien ganz von selber immer unverschämter werden. So kann das nicht ewig weitergehen: Es muss ein neues Gesellschaftsmodell her.
    Nebst den Thatcherianischen Geldquellen des Staates (Steuern und Kredit) und nebst der Geldschöpfung durch Nationalbanken, sollte man anfangen über eine 4. Geldquelle nachdenken: die Erbschaft. Dass das eine heilige Kuh ist, weiss auch ich.
    Würde das Erbe aber an den Staat gehen, wäre der Staat ausfinanziert – inklusive AHV, IV und Grundeinkommen. Es wäre auch Schluss mit den Dynastien Reicher, die Welt würde gerechter. Letztendlich wäre dieses Modell eine Marktwirtschaft zeit Lebens, und ein Kommunismus nach dem Tod. Vielleicht funktioniert das besser als die soziale Marktwirtschaft.
    Findet sich ein Ökonom, der das mal über die nächsten 500 Jahre hinweg durchspielt?

  • am 27.12.2023 um 10:01 Uhr
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    Mit einer Finanztransaktionssteuer liesse sich das Problem ebenfalls lösen. Wie Marc Chesney nachgewiesen hat, würde eine minimale Steuer auf jede Finanztransaktion dazu führen, dass insbesondere grosse Summen auch mehr Steuern generieren. Der Einkauf von lebensnotwendigen Gütern würde statt mit 19% Mehrwertsteuer nur noch mit 0,1 % Transaktionssteuer belastet. Kapital würde wieder in Produktionskapazitäten investiert werden, die Spekulation mit reinen Finanztiteln wäre weniger rentierlich. Und diese Steuer würde sowohl inländisches als auch ausländisches Kaptal bei der Besteuerung berücksichtigen.

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