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Solaranlage in Valdecaballeros in der Extremadura: Solaranlagen werden in Spanien wesentlich schneller bewilligt als in der Schweiz. © Endesa

Wind- und Solarexpress: Nächster Halt Spanien

Romano Paganini /  Im Schnellverfahren werden in Spanien tausende Solar- und Windparks durchgewinkt. Schweizer Energieversorger profitieren davon.

Die Gemeinden Val-de-Travers im Neuenburger Jura und Tabernas im Süden Spaniens haben eines gemeinsam: Sie sind Bahnhöfe des Solar- und Windexpresses, der derzeit durch Europa rauscht. Während im Kanton Neuenburg erst kürzlich das Bundesgericht grünes Licht für den Bau eines Windparks gegeben hat, ist der Solarpark in Südeuropa seit Jahren in Betrieb. Das ist sinnbildlich. In der Schweiz dauert die Umsetzung eines Grossprojekts gemäss Branchenkennern bis zu 25 Jahre, also fünfmal so lange wie in anderen Ländern Europas.

Die Europäische Union hat Ende 2022 auf Energieengpässe reagiert, indem sie mit einer Notverordnung die Genehmigungsverfahren beschleunigt und Umweltverträglichkeitsprüfungen neu eine untergeordnete Rolle zuspricht. Projekte zur Stromgewinnung aus erneuerbarer Energie werden seither bevorzugt behandelt.

Spanien ist zu einem Stromexporteur geworden. Schweizer Energieunternehmen wie Alpiq, Aventron, EKZ, Stadtwerk Winterthur und Axpo haben Anteile oder investieren in den Bau von Solar- und Windanlagen in Spanien. Am verschlossensten ist die Axpo.

Produktion von Solar- und Windenergie (2022)

ProduzentAusland insgesamtdavon SpanienSchweiz
Alpiq464 GWh1baut derzeit an
zwei Photovoltaik-Anlagen
52 Gwh1
Aventron782 GWh298 GWh48 GWh
BKW1106 GWh2109 GWh3
EKZ859 GWh50 GWh100 GWh3
Stadtwerk
Winterthur
Beteiligungen
über Aventron
Beteiligungen
über Aventron
48 GWh4
Axpokeine Antwortbaut derzeit an
einer Photovoltaik-Anlage
keine Antwort
EWB399 GWh73 GWh15 GWh4

1 Sonne, Wind und Kleinwasserkraft. 2 Ausschliesslich Wind. 3 Sonne, Wind und Biomasse. 4 Sonne und Biomasse.

Das Berner Stadtwerk EWB etwa hat seine Stromproduktion in Spanien seit 2018 auf jährlich 73 Gigawattstunden (GWh) fast verdoppelt; das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von knapp 15’000 Haushalten in der Schweiz. Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ) hatten bis vor fünf Jahren noch keine eigenen Anlagen in Spanien; heute produzieren sie bereits 50 GWh und haben zwei weitere Photovoltaikanlagen im Bau. Das Gleiche gilt für die beiden grossen Stromhändler Axpo und Alpiq, die in ihrem Portfolio zusammen über 10 GW Leistung ausweisen.

Die Axpo baut seit kurzem an einer Photovoltaikanlage, die Alpiq hat zwei Bau-Projekte laufen. Beide loben Spanien als «vorbildlich» in der Produktion von Solar- und Windenergie. «Der Ausbau der Solarenergie in Spanien», schreibt die Axpo, «ist auch für die Schweiz relevant, denn er trägt zur klimafreundlichen Stromproduktion in Europa bei und stärkt damit die Energieversorgungssicherheit in ihrer Gesamtheit.»

Spanien: Enteignungen wegen Energiewende

Das sorgt in Südeuropa zwar für volle Kassen (vorübergehend), aber auch für rote Köpfe (anhaltend): Volle Kassen, weil ausländische Investoren ihre Gelder in Windparks und Photovoltaikanlagen anlegen. Rote Köpfe, weil dies alles sehr schnell und unkontrolliert geschieht. So haben die Bauherren landesweit zehntausende Olivenbäume gerodet, um riesige Solar- oder Windparks zu installieren. Anlagen, die in der Schweiz auf Grund der Bevölkerungsdichte keine Chance hätten. Hinzu kommen Hunderte von Familien, die unter dem Druck der Regionalregierungen oder der Netzbetreiber ihre Häuser und Agrarflächen verkauft haben. Akzeptieren die Eigentümer nicht, werden sie kurzerhand enteignet.

Deshalb regt sich Widerstand. Man wolle zwar erneuerbare Energie, aber nicht um jeden Preis, sagen Umweltschutzorganisationen und Nachbarn von Wind- oder Solarparks. Denn wegen der grossflächigen Anlagen verlieren zahllose Tiere ihren Lebensraum, was die Biodiversität im Land gefährdet. Den Menschen drohen Einkommenseinbussen in der Landwirtschaft oder im Tourismus. Sie haben ihren Unmut schon auf die Strasse und in die Politik getragen. Vor einem Jahr forderten 70 Gemeinden in Andalusien ein Bau-Moratorium für Grossprojekte – vergeblich. Der Antrag wurde vom Regionalparlament umgehend abgelehnt.

Alberto Mataran, Städteplaner und Umweltaktivist, spricht von einem «kolonialen Selbstverständnis, in dem die reichen Länder und Firmen aus dem Norden über Mittelsmänner vor Ort» die lokalen Ressourcen abschöpften. «Der hier produzierte Strom fliesst am Ende nach Zentral- und Nordeuropa. Dort soll er die wachsenden Bedürfnisse decken, inklusive der Elektrifizierung der Infrastruktur.» Aufgrund des Klima-Notstandes brauche es die Energiewende, sagt Mataran, aber diese könne nur mit weniger Konsum einhergehen. «Und da sind die Länder des Nordens gefragt. Schliesslich sind sie die Hauptkonsumenten.»

Mataran und sein Team der Universität Granada haben die Zahlen für das im Frühling erschienene Buch «Colonialismo Energético» zusammengetragen. Darin wird klar: Spaniens Kapazitäten in Sachen Solar- und Windenergie liegen bereits heute über dem eigenen Jahresverbrauch – und dennoch sollen sie bis 2030 auf das Achtfache (Solar) beziehungsweise auf knapp das Dreifache (Wind) ausgebaut werden (1). Neu soll auch auf dem Mittelmeer gebaut werden, ähnlich wie in der Nordsee.

Umweltauflagen: Willkür in der Beurteilung

Besonders viel Geld fliesst derzeit in die Region Kastilien und León nahe Madrid, wo auch die europäische Investmentbank und Schweizer Pensionskassen investieren (2). Es geht um Milliardenbeträge. Ausserdem baut die Axpo an einer ihrer grössten Solaranlagen; sie entspricht einem Zehntel der Fläche der Stadt Uster ZH und soll dereinst den jährlichen Strombedarf von mehr als 76’000 spanischen Haushalten produzieren.

Kastilien und León galt lange als Kornkammer Europas, gehört heute allerdings zu den ärmsten Flecken des Landes. Wie andere Randregionen kämpft auch sie mit Abwanderung. «Da verpachtet ein pensioniertes Pärchen sein Land lieber an eine internationale Energiefirma, als an einen Bauern aus der Nachbarschaft», sagt der Reisefachmann und Umweltaktivist Oscar Navajo Ruiz. «Die bezahlen zwar immer noch wenig, aber in der Regel bis zu fünf Mal so viel.»

Oscar Navajo Ruiz ist Einwohner von Celada de la Torre, einem Weiler mit ein paar Dutzend EinwohnerInnen. Er wehrt sich mit anderen Nachbarn juristisch gegen eine der Windanlagen. Diese wird zwar nicht im Auftrag einer Schweizer Firma gebaut, aber der Kampf von Ruiz illustriert das Problem anschaulich.

Seit Anfang 2023 veröffentlicht die zuständige Behörde die geplanten Projekte nicht mehr – eine Praxis, die sich auch anderswo in Spanien durchgesetzt hat. Die BürgerInnen erfahren erst von einem Projekt, wenn die Planungsphase vorüber ist. Hinzu kommen fragwürdige Umweltverträglichkeitsprüfungen. Bei besagtem Windprojekt warnte die Behörde zwar «vor einem hohen Sterberisiko für die Vogelfauna und geschützte Fledermausarten», bewilligte die Anlage dann aber doch. «Sämtliche Projekte in unserer Region werden angenommen», sagt Oscar Navajo Ruiz und fragt: «Warum schützen wir unsere Landschaft nicht wie in Deutschland und bauen die Photovoltaikanlagen auf bestehende Infrastruktur?»

Eine der Schweizer Firmen, die in Spanien am meisten Energie mit Sonne und Wind generieren, ist die Basler Aventron, an der auch die Primeo Energie, das EWB und das Stadtwerk Winterthur beteiligt sind.

Von einem Bau-Moratorium und den Enteignungen wegen neuer Solar- und Windparks hat Aventron-CEO Eric Wagner nach eigenen Angaben nichts mitbekommen. Die drei Anlagen von Aventron in Spanien seien vor der Energiekrise gebaut worden. Im Moment habe man noch einzelne Projekte, wolle sich auf Grund der besseren Rahmenbedingungen nun aber vermehrt auf die Schweiz konzentrieren. «Der Bewilligungsprozess in Spanien ist an der einen oder anderen Stelle vielleicht etwas schneller, aber es ist alles schön reglementiert, inklusive Umweltverträglichkeitsprüfungen.»

Die Axpo betont, man habe Verständnis für die Argumente der Kommunalpolitiker hinsichtlich des schnellen Ausbaus von Solaranlagen. «Es ist jedoch wichtig, ein Gleichgewicht zwischen der Dringlichkeit des Übergangs zu erneuerbaren Energien und der Sicherstellung eines nachhaltigen, organisierten Ansatzes zu finden», schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Axpo Solar Iberia setze auf einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten, auch mit den lokalen Behörden. «Wir sind uns bewusst, wie wichtig ein massvoller und gut geplanter Ausbau der Solarinfrastruktur ist, der Umweltverträglichkeitsprüfungen, das Feedback der Gemeinden und langfristige Nachhaltigkeitsziele berücksichtigt.»

Versorgungssicherheit: Probleme liegen anderswo

Bleibt die Frage, inwiefern der Strom von der iberischen Halbinsel zur Versorgungssicherheit in der Schweiz beitrage. Die Antwort lautet: teilweise. Spanien speist zwar seinen Strom ins europäische Netz – genauso wie alle anderen Länder – trägt also zur Stabilität bei. Aber wenn es um die Schweiz geht, dann sind insbesondere die direkten Nachbarländer wichtig. Dazu heisst es seitens der eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom): «Spanien kann allenfalls indirekt zur Versorgungssicherheit in der Schweiz beitragen.»

Die Produktion auf dem europäischen Strommarkt ist das eine, der Transport und der Import das andere – und da sind der Schweiz teilweise die Hände gebunden. «Wenn wir nicht adäquat in die Mechanismen des europäischen Strommarkts integriert sind», so die ElCom, «drohen sich unsere Importkapazitäten signifikant zu reduzieren.» Es sei deshalb wichtig, einen entsprechenden Rahmenvertrag mit der EU abzuschliessen – und damit auch ein Stromabkommen. Weil sich die Schweiz momentan jedoch generell schwertut, ihr bilaterales Verhältnis mit der EU neu zu regeln, ist ein solcher Strom-Deal noch nicht wirklich absehbar.

Dieser Artikel ist in einer gekürzten Version zuerst im Beobachter erschienen.

Quellen

(1) Aus dem Buch «Colonialismo Energético»

(2) Diverse Schweizer Pensionskassen lassen ihr Geld über die Schweizer Anlagestiftung Avadis beziehungsweise die deutsche Investmentfirma Aquila Capital verwalten, die an zahlreichen Projekten erneuerbarer Energien in Spanien beteiligt sind.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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Eine Meinung zu

  • am 22.02.2024 um 14:05 Uhr
    Permalink

    Grüezi Herr Paganini
    Endlich ein Beitrag im Infosperper, der den Sauereien, die da ablaufen, auf die Spur kommt.
    Mit unserem Verein setzen wir im Landkreis Mainz-Bingen eine Enegiezelle um, mit dem Ziel einer regionalen, sichere, bezahlbaren, letzlich einer nachhaltigen Energieversorgung um zu setzen. Dabei pflegen wir enge Kontakte mit Experten in der Schweiz, denen diese Schweinereien bestens bekannt sind. Das tragische ist, dass es bei den Schweizer Stromkonzernen letzlich um Staatsunternehmen handelt, die mit Bürgergeld spekulieren und wenn es scheif geht, nicht davor zurückschrecken sich Bundesgrantien geben zu lassen.
    Ich habe mir erlaubt, ihren Beitrag an unsere Mitglieder und Sympatisanten zu versenden.

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