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Gespenstisch und bedrohlich: Dicker Smog verdunkelt Peking © ARD

Peking erstickt im Smog

Peter G. Achten /  Der Unmut der smoggeplagten Bevölkerung hat Pekings Behörden aufgerüttelt: Erstmals haben sie die höchste Alarmstufe ausgerufen.

Luftverschmutzung in China ist ein Dauerthema. Auch in dieser Kolumne. Und jetzt erst recht während des Pariser Klimagipfels. Kommentatoren und Auslandkorrespondenten zogen einmal mehr über Pekings dreckige Luft her, dass es seine Art hatte. Ja, es war schlimm, dass aber neun andere Städte im Reich der Mitte noch schmutzigere Luft hatten, blieb in westlichen Medien unerwähnt. Immerhin wurde in Agentur-Meldungen nebenbei vermerkt, dass die Einwohner von Indiens Hauptstadt Delhi ebenso stark von Smog betroffen sind wie die Menschen in Peking. Der kleine feine Unterschied: Die indischen Behörden unternehmen überhaupt nichts gegen die Luftverschmutzung, während die chinesischen Stadt- und Landesväter seit einigen Jahren mit Vorschriften und viel Geld dagegen ankämpfen.
Klimasünder China am Pranger
Die Nachricht von der Smogdecke über Peking und Nordchina kam zum Auftakt des Pariser Klimagipfels gelegen. Einmal mehr konnten die reichen Industriestaaten den bösen Umweltsünder China an den Pranger stellen. Gleichzeitig räumten westliche Experten und Medien jedoch ein, dass China «nicht mehr so stur» sei wie vor sieben Jahren als der Klimagipfel in Kopenhagen tagte. So gab der altgediente Verhandlungs-Chef der Volksrepublik Xie Zhenhua am Pariser Gipfel zu Protokoll, dass «China auf eine verbindliche Einigung» hoffe. Doch das war nicht, wie neunmalkluge westliche Klimaexperten triumphierend feststellten, «eine Umkehr in der chinesischen Politik». Eine kurze Recherche hätte genügt, um zu erkennen, dass China eine bewährte Politik fortsetzt.
Von Tag zu Tag schlimmer
Was sich allerdings in Peking zu Beginn der Pariser Klimaverhandlungen zutrug, war buchstäblich dunkel und bedrohlich. Während vier Tagen nahm die Luftverschmutzung täglich, ja stündlich zu. Am ersten Smog-Tag war für uns Pekinger alles mehr oder weniger normal, Winterluft eben mit nicht einmal 200 Mikrogramm Feinstaub (PM 2,5) pro Kubikmeter. In Bern, so ist zu vermuten, wäre der Notstand ausgerufen worden, denn der von der UN-Weltgesundheitsorganisation WHO definierte Maximalwert liegt bei 25 Mikrogramm.
Doch es kam noch schlimmer. Am vierten Smog-Tag stellten die Behörden die Zahl 500 ins Netz – den höchsten Wert auf der amtlichen Feinstaubskala. Die amerikanische Botschaft mass 689 Mikrogramm. In einem Pekinger Vorort sollen gar 986 Mikrogramm festgestellt worden sein, und auf einem von der Volkszeitung veröffentlichten Bild war eine Zahl über 1000 vermerkt. In der Wohnung Ihres Korrespondenten wurden am schlimmsten Tag trotz Reinigungsfiltern immer noch 250 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter gemessen. Wie hoch der tatsächliche Wert auch gewesen sein mag: Das Atmen viel schwer und schwerer. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) brachte es in einem Titel auf den Punkt: «Atemlos. Sprachlos».

Empörung im Netz

In den sozialen Medien entfachte sich ein Shitstorm chinesischer Prägung, das heisst: nicht ganz so rüde wie im Westen aber auch nicht weniger deutlich. Ein Blogger kreierte das treffliche Wortspiel «Airpocalypse Now». Dass die Pekinger Stadtregierung nicht die Alarmstufe «Rot» – die höchste des vierstufigen Alarmsystems – ausrief, war für viele unverständlich. Dies sei ganz bewusst geschehen, folgerten chinesische Blogger und Auslandjournalisten unisono, denn sonst hätte man Schulen, Universitäten, Fabriken schliessen und den Strassenverkehr halbieren müssen. Das wollten die Stadtväter aus wirtschaftlichen Gründen nicht zulassen. Die Stadtregierung hielt daran fest, dass die Alarmstufe Rot erst nach drei aufeinanderfolgenden Smog-Tagen mit Werten von 500 Mikrogramm oder höher verhängt werden könne. So blieb es bei der zweithöchsten Alarmstufe «Orange», gefährlich also für Kleinkinder und Alte.
In einem war man sich in den sozialen Medien einig: Die chinesische Führung im Regierungs- und Parteizentrum Zhongnanhai, der neuen verbotenen Stadt, könne dank kostspieligen Luftreinigungsgeräten glasklare Luft höchster Qualität atmen. Dieses Faktum wurde mit ironischen bis zynischen Kommentaren gegen «die da oben» auf sämtlichen sozialen Medien bedacht.
Der vierte Tag war der schlimmste. Weit über 500 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter verdüsterte die Stadt. Nie wurde es heller als in der späten Abenddämmerung. Die Sichtweite betrug gerade noch 150 Meter. Die Kliniken waren mit Atemlosen, vor allem Kleinkindern und Alten, überfüllt, Autobahnabschnitte wurden gesperrt, Flugzeuge konnten teilweise nicht starten und landen. Obwohl kaum jemand eine Atemmaske übers Gesicht streifte, waren PM 2,5-Masken ein Verkaufsschlager in den Geschäften. Kurz, der vierte Pekinger Smog-Tag war gespenstisch, unwirklich, bedrohlich. «Airpocalypse Now» eben.

Duft von Kohl und Kohle

Die Luft roch ganz spezifisch nach Pekinger Winter mit einer leichten Duftnote von Kohle. Das olfaktorische Gedächtnis Ihres Korrespondenten erinnert sich an klimarelevante Gerüche der Vergangenheit. Ende der 1940er-Jahre stank die Basler Chemie flächendeckend über Kleinbasel zum Himmel, und der Rhein war eine farbig glitzernde Kloake aus blutroten Abwässern aus dem Schlachthaus und mehrfarbigen Abwässern der Chemie. Ende der 1950er-Jahre, während des Studiums in London, war der berühmt-berüchtigte Smog etwa so schlimm wie heute in Peking. Wir sollten uns bei dieser Gelegenheit einmal fragen, wie lange Europäer und Amerikaner gebraucht haben, um den Dreck in der Luft, im Wasser und in der Erde nur einigermassen reduzieren. Jahrzehnte. Eben.
Mitte der 1980er-Jahre roch es in Peking zum Wintereinbruch nach Kohl, der in Tausenden von Lastwagen in die Stadt gekarrt und dort subventioniert an die Bewohner verkauft wurde. Der China-Kohl Bai Cai war damals den ganzen Winter über das einzige Gemüse. Der Kohl roch gut. Weniger angenehm stieg der Geruch von Kohle in die Nase. Hunderttausende feuerten mit Briketts ihre kleinen Heizöfen in den Courtyards. Schwarze Schleier durchzogen die Stadt.
Chinas immenser Kohleverbrauch
Mit Kohle wird noch heute gefeuert, allerdings zentral in Stadtheizungen. Zudem werden zwei Drittel des Stroms mit Kohlekraftwerken generiert. China verbraucht so viel Kohle wie die ganze Welt zusammen. So verwundert es nicht, dass das Reich der Mitte weltweit zum grössten CO2-Emittenten geworden ist. Trotz grossen Bemühungen um andere Energieformen (Wind, Sonne, Atom) und massiven Investitionen – ein Mehrfaches der USA – wird Kohle auch in den nächsten Jahrzehnten der wichtigste Energieträger in China bleiben.
Und dann die Autos. Obwohl China ebenso strenge Abgasvorschriften kennt wie Europa, macht es hier die Masse aus. Beispiel Peking: Vor 15 Jahren fuhren auf den Strassen der Hauptstadt noch nicht einmal eine halbe Million Autos. Heute sind es rund sechs Millionen. In ganz China verkehrten 1988 insgesamt 400’000 staatliche Autos. Im Jahre 2003 waren es schon zehn Millionen, die Mehrzahl Privatfahrzeuge. 2014 schliesslich schwoll die Blechlawine auf 154 Millionen Autos an. Tendenz rapide steigend. So hat China mittlerweile Amerika als grösste Dreckschleuder der Welt abgelöst. Doch anders als Amerika investiert China sehr viel mehr, um Luft, Wasser und Böden zu reinigen.
Westliche Lektionen unerwünscht
Chinas Chef-Unterhändler in Paris, Xie Zhenhua, weiss wovon er spricht. Der heute 66-jährige Spitzenmandarin war von 1993 bis 2005 Vorsitzender der chinesischen Umweltbehörde und setzte sich schon damals für eine Wirtschaft mit «grünerem» Wachstum ein. Auch als Mitglieder der mächtigen Reform- und Entwicklungs-Kommission war Xie stets ein «Grüner» unter Roten. Schon Staats- und Parteichef Jiang Zemin (1989-2002) hatte erkannt, dass es kein wirtschaftliches Wachstum und keinen sozialen Fortschritt ohne Umweltschutz und pfleglichen Umgang mit natürlichen Ressourcen geben kann. Seit über drei Jahren ist nun unter Parteichef Xi Jinping der Übergang zu einem «nachhaltigen» Wirtschaftswachstum im Gang.
China verpflichtet sich, bis spätestens 2030 den CO2-Ausstoss zu reduzieren, will jedoch – wie andere Staaten auch – keine verbindlichen Emissionsgrenzen für Entwicklungs- und Schwellenländer. Das Argument der Entwicklungs- und Schwellenländer: Die heute reichen Industriestaaten haben seit Beginn der Industriellen Revolution vor über 200 Jahren die Welt hemmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste verdreckt und ausgebeutet, und heute wollen ebendiese Länder Vorschriften machen. Wie das Beispiel Chinas zeigt, sind sich die neuen Länder in der Weltwirtschaft durchaus ihrer Verantwortung bewusst. Und Peking handelt stärker und effektiver als die USA. Die Schwellen- und Entwicklungsländer brauchen keine moralischen Klima-Lektionen aus dem Westen.

Nach klaren Tagen droht die nächste Smog-Wolke

Die bange Frage blieb: Kann es nach dem vierten Smog-Tag in Peking noch schlimmer kommen? Die Meteorologen beruhigten und schürten Hoffnung. Ein eisiger Wind aus Zentralasien und der Wüste Gobi sei im Anzug und könnte über Nacht den dunkeln, grau-braunen Smog wegpusten. Und so war es. Der Tag bricht an. Die Sonne am glasklaren, blauen Himmel. Sicht bis in die westlich gelegenen Duftenden Berge, Kaiserwetter sozusagen. Gerade noch 14 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter. Ein Wert, der selbst in der sauberen Schweiz und vornehmlich im Luftkurort Zürich wohl noch Entzücken auslösen würde.
Die vier glasklaren Pekinger Tage sind wohl auch ein Fingerzeig an den Pariser Klimagipfel. Alles ist möglich. Oder um es etwas zynisch und auf gut Schweizerdeutsch zu formulieren: «Nach em Räge schiint d’Sunne…». Doch mit diesem Happy-End hört für die Pekinger die Geschichte leider nicht auf. Denn nach vier schlimmen und nach vier herrlichen Tagen folgte der neunte Tag, der Sonntag. Die Sonne war, wenn auch schleierhaft, noch immer deutlich zu sehen. Der Feinstaubindex jedoch signalisierte unbestechlich wieder 169 Mikrogramm pro Kubikmeter. Alles nicht so schlimm, denn obwohl der WHO-Maximalwert 25 Mikrogramm pro Kubikmeter beträgt, belegt die Stadtregierung den 169-Zustand mit dem Euphemismus «leicht verschmutzt».

Ergänzung der Redaktion: Erstmals haben gestern die Behörden in Peking die höchste Alarmstufe «Rot» ausgerufen. Kindergärten und Schulen bleiben geschlossen, nur jedes zweite Auto darf fahren, Fabriken müssen ihre Produktion drosseln. Die Umweltbehörde hat die Bewohner von Peking dazu aufgerufen in geschlossen Räumen zu bleiben. Diese Massnahmen sollen voraussichtlich bis Donnerstagmittag gelten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

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Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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