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Der Anteil der Massnahmen im Inland widerspricht der Klimabuchhaltung © Oberle/Bafu

Mit Tricks die Schweizer Klimabilanz geschönt

Hanspeter Guggenbühl /  Die Schweiz reduzierte ihre Klimagase im Inland lediglich um 0,9 Prozent. Nur dank Ablasshandel im Ausland erreichte sie ihr Ziel.

«Emissionsentwicklung vom Wachstum entkoppelt», titelte die NZZ. «Schweiz meistert Kyoto-Vorgabe», jubelten die «Neue Luzerner Zeitung» (NLZ) und das «St.Galler Tagblatt». «Schweiz hat Kyoto-Ziel erreicht», meldeten andere Medien. Anlass dazu lieferte eine Medienkonferenz des Bundesamtes für Umwelt (Bafu), an der Bafu-Chef Bruno Oberle die Schweizer Klimapolitik schön redete und die massgebenden Fakten gut versteckte. Viele Medienleute fielen darauf rein.

Die Klimaziele von Kyoto für die Schweiz

Das Ziel des Klimaprotokolls von Kyoto, das 1998 abgeschlossen wurde, ist glasklar: Die Schweiz musste den Ausstoss ihrer klimawirksamen Gase in der Periode 2008 bis 2012 um durchschnittlich acht Prozent unter das Niveau im Jahr 1990 senken. Als «ergänzende Massnahmen» erlaubte der Kyoto-Vertrag zwar die Anrechnung von ausländischen Emissionszertifikaten. Er schrieb aber allen Staaten vor, dass der «substanzielle Teil der Reduktion» im «eigenen Land» erfolgen soll.

Diese Bestimmung interpretierte der Bundesrat im Jahr 2004, als das nationale Parlament das Kyoto-Protokoll genehmigte, wie folgt: «Mindestens die Hälfte der Reduktion» soll im Inland erfolgen. Neben der Reduktion im Inland und den «ergänzenden Massnahmen» im Ausland berücksichtigt der Klimavertrag die sogenannte Senkenleistung, also Massnahmen wie etwa die Förderung von Wäldern, die dazu dienen, Kohlendioxid abzubauen.

Für das Acht-Prozent-Ziel des Kyoto-Protokolls sind damit folgende absoluten Zahlen relevant: Im Jahr 1990 pufften Haushalte, Verkehr und Wirtschaft in der Schweiz klimawirksame Gase (Treibhausgase) im Umfang von 52,8 Millionen Tonnen CO2-Equivalent in die Atmosphäre (davon entfiel der Grossteil auf CO2 selber, das bei der Verbrennung von fossiler Energie entsteht). Um das Kyoto-Ziel (minus acht Prozent von 52,8 Mio. t) zu erreichen, mussten diese Emissionen also in der Periode 2008 bis 2012 um durchschnittlich 4,2 Millionen Tonnen pro Jahr vermindert werden.

Die Resultate der Klimabuchhaltung

Nachstehend nun die relevanten Resultate der nationalen Klima-Buchhaltung, die am Donnerstag dieser Woche veröffentlicht wurden:

  • Im Durchschnitt der Periode 2008 bis 2012 summierten sich die im Inland emittierten Treibhausgase auf 52,3 Millionen Tonnen pro Jahr. Dieser Wert liegt um 0,5 Millionen Tonnen oder um 0,9 Prozent tiefer als 1990. Damit hat die Schweiz ihr Ziel, wonach «mindestens die Hälfte der Reduktion» im Inland erfolgen soll, deutlich verfehlt.
  • Die theoretische «Senkenleistung» des Schweizer Waldes vergrösserte sich von 1990 bis zur Periode 2008 bis 2012 um 1,6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr; dies vor allem deshalb, weil der Wald immer mehr Alpwiesen überwuchert, und weil darum die Waldfläche gegenüber 1990 gewachsen ist. Diese erweiterte Senkenleistung leistete einen Beitrag von 3,0 Prozent ans 8-prozentige Kyotoziel.
  • In der Periode 2008 bis 20012 kaufte die Schweiz billige CO2-Emissionszertifikate im Umfang von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr; finanziert vor allem durch den «Klimarappen» auf Treibstoffen. Mit diesem Ablasshandel im Ausland konnte die Schweiz weitere 4,7 Prozent der Schweizer Treibhausgase wegrechnen. Die «ergänzenden» Leistungen im Ausland machten also mehr als die Hälfte der gesamten Reduktionsverpflichtung aus.
  • Die Summe aus Reduktion im Inland, Senkenleistung und Ablasshandel ergibt eine Reduktion von 4,6 Millionen Tonnen oder 8,6 Prozent der Emissionen im Jahr 1990. Darum konnte das Bundesamt für Umwelt am Donnerstag «0,4 Millionen Tonnen (oder 0,6 Prozent) Übererfüllung des Kyoto-Protokolls» melden.

Die Tricks des Umweltamts-Chefs Oberle

Bemerkenswert ist nun, mit welchen Tricks der Chef des Bundesamtes für Umwelt, Bruno Oberle, die oben dargestellte «Kyoto-Bilanz» in seiner Powerpoint-Präsentation schön färbte und schön redete:

  • Trick 1: Bruno Oberle präsentierte, wie stark Bevölkerung und Wirtschaft in der Schweiz seit 1990 gewachsen sind. Er rechnete daraus aus, wie stark der Ausstoss von Klimagasen pro Kopf und pro BIP-Einheit gesunken ist. Diese Rechnung ist zwar richtig, aber nicht relevant. Denn die Kyoto-Ziele gelten nicht pro Kopf oder pro BIP-Einheit, sondern absolut. Das heisst: Wenn ein Kyoto-Vertragsstaat wie die Schweiz sein Wirtschafts- und Bevölkerungs-Wachstum mit Standortdumping fördert, so soll er dieses Wachstum mit verstärkter Klimapolitik ausgleichen.
  • Trick 2: Aus dem Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung leitete der Bafu-Direktor ein Trendwachstum der Treibhausgase ab. Dieser willkürlichen Wachstumskurve stellte er die angeblichen Wirkungen der einzelnen Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgase gegenüber (siehe Grafik) und sagte dazu: Die Schweiz habe ihr Kyoto-Ziel «mehrheitlich durch Reduktionsmassnahmen im Inland» erfüllt. Diese Behauptung, die der oben dargestellten Klimabuchhaltung klar widerspricht, steht auch halbfett in der Bafu-Medienmitteilung – und wurde am Freitag von den meisten Medien übernommen.
  • Trick 3: Dieser Trick besteht darin, Fakten durch Ideologie zu ersetzen. So zog Oberle aus seinen schiefen Vergleichen folgende Folgerung: «Die Schweiz beweist, dass Wachstum und Klimaschutz miteinander vereinbar sind.» Das stimmt nicht. Denn zum Klimaschutz braucht es weit mehr, als die inländischen Treibhausgase innert zwanzig Jahren um mickrige 0,9 Prozent zu reduzieren, wie das die Schweiz im Inland tat. Zur Reduktion der Treibhausgase braucht es neben Effizienzsteigerung im Inland (und neben dem Export von grauen Treibhausgasen durch Auslagerung von energieintensiven Industriebetrieben) eben auch eine Begrenzung des Wachstums. Denn dieses Wachstum hat die Effizienzsteigerungen im In- und Ausland bisher weitgehend kompensiert oder überkompensiert.

Medien als Sprachrohre von Public Relations

Dass Firmen und Staat ihre Leistungen schönfärben, ist nicht neu. Positive PR gehört zum Geschäft. Das Bundesamt für Umwelt hat seine Klimabilanz schon in früheren Jahren besser dargestellt, als sie ist (siehe Links unten).

Wenn ich diesen Einzelfall hier mit pingeliger Genauigkeit darstelle, obwohl der Einfluss der Schweiz auf das Weltklima gering ist, so deshalb, weil er eine allgemeine Entwicklung illustriert: PR-Abteilungen gewinnen zunehmend die Hoheit über die öffentliche Information. Überforderte oder willfährige Medienschaffende in ausgedünnten Redaktionen übernehmen diese PR-Botschaften. Beispiel: «Die Schweiz hat die vom Kyoto-Protokoll verlangte Reduzierung des Schadstoffausstosses nicht nur erfüllt, sondern sogar leicht übertroffen», rapportierte das St. Galler Tagblatt im ersten Satz des gemeinsam mit der NLZ abgedruckten Artikels vom 11. April und fügt in einem Zwischentitel an: «Wachstum und Klimaschutz vereint».

Der Berichterstatter der NZZ titelte zu seinem Bericht im schnellen NZZ-Online-Dienst noch zutreffend: «Emissionszertifikaten und Waldwachstum sei dank». In der gedruckten Ausgabe vom 11. April aber hat die NZZ mit dem eingangs zitierten Titel (»Emissionsentwicklung vom Wachstum entkoppelt») die Botschaft des wachstumsgläubigen Bruno Oberle ebenfalls nachgeliefert. Nur dank einer schnellen Stellungnahme der Umweltorganisation WWF und Auskünften des WWF-Klimaexperten Patrick Hofstetter haben einige Medien (zum Beispiel der «Tages-Anzeiger» am 11. April) die schöngefärbte Klimabilanz des Bundesamtes für Umwelt etwas relativiert.


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3 Meinungen

  • am 12.04.2014 um 14:02 Uhr
    Permalink

    Die Analyse von Hanspeter Guggenbühl zeugt wie gewohnt von Fachkompetenz. Trotzdem eine kleine Lanze für die Klimapolitik der Schweiz:
    1. Mit ihrer Art der Bilanzierung hält sich die Schweiz an die Spielregeln (und Interpretationsspielräume) des Kyoto-Protokolls. Tatsache ist, dass die Zielvorgabe von -8% gegenüber 1990 mit den Mitteln, die das Protokoll zur Verfügung stellt, erfüllt wurde. Allerdings hätte Bruno Oberle auch darauf hinweisen können, dass die von der Politik favorisierte Strategie der Freiwilligkeit (sprich: Unverbindlichkeit) zwangsläufig dazu geführt hat, dass im Bereich der Treibstoffe der Rückgriff auf Auslandzertifikate unumgänglich wurde.
    2. Die Schweizer Klimapolitik hat aus „Kyoto“ gelernt. Im revidierten CO2-Gesetz werden die freiwilligen Massnahmen, die sich z.T. als reine Hinhaltetaktik oder als Deckmäntelchen für das Weiterführen des business-as-usual erwiesen haben, auf die hinteren Ränge verwiesen. Die Klimapolitik ist erwachsen geworden.
    3. Was die „Medienschelte“ von Guggenbühl betrifft: Man kann dem BAFU unschwer Vorwürfe dafür machen, wenn die Medien nicht zu kritischer Lektüre von Communiqués oder eigenständigen Recherchen fähig sind. Warum soll sich der Bund gegenüber der Öffentlichkeit Asche aufs Haupt streuen, wenn alle anderen Player (z.B. jene, die gerne die fossilen Energieträger ins beste Licht rücken) die Facts nach Lust und Laune zurechtbiegen?

  • am 12.04.2014 um 14:26 Uhr
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    Ein dickes Lob an Hanspeter Guggenbühl! Bafu-Chef Bruno Oberle hat einiges nicht begriffen. Er lässt sich folgendermassen zitieren: «Die Schweiz beweist, dass Wachstum und Klimaschutz miteinander vereinbar sind.» Wenn das ein Erdöllobbyist sagen würde, okay, der macht halt nur seinen Job. Aber der Chef des Bundesamtes für Umwelt? Ich bin entsetzt! Die Schweiz ist meilenweit davon entfernt, Klimaschutz zu betreiben. Dank einem mehr als fragwürdigen Ablasshandel mit so genannten Emissionszertifikaten, nahm der CO2-Ausstoss in unserem Land in den letzten Jahren minim ab. Jede Tonne aus fossilen Brennstoffen freigesetztes CO2 heizt aber das Klima auf. Tja, und die Schweiz verpufft nicht nur eine Tonne, sondern rund 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Unter diesen Umständen von Klimaschutz zu sprechen, ist ein Hohn. Dazu ein Vergleich: Das Birkhuhn ist ein seltener Vogel, aber er wird trotzdem gejagt. Wenn wir statt 520 Birkhühner nur deren 500 jagen, dürfen wir dann sagen, wir betreiben Birkhuhnschutz?
    Hans-Martin Bürki-Spycher, Bern

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 13.04.2014 um 13:17 Uhr
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    Die Sache mit dem Ablasshandel trifft zu, auch geistesgeschichtlich; es bleibt ein Ablass, mit dem Unterschied, dass mit den Ablassgeldern aus der Zeit der Reformation in Rom Kulturwerke von grandiosem Wert geschaffen wurden. Immerhin haben, gemäss meinen Forschungen über Johanniter und Deutschritter, Ablassgelder sogar zur Errichtung von Spitälern geführt. Wäre auch für BR Berset gut. Damals wie heute ging es um Gewissensberuhigung. Statt um den Himmel oder der Hölle von Dante geht es aber nun um den ökologischen Himmel bzw. die ökologische Hölle.

    Nach meiner Meinung waren aber die Ablassgelder für Spitäler und für die zum Teil eindrücklichsten Kulturwerte der Christenheit langfristig effizienter als die Gelder, die heute für den Klimaschutz bezahlt werden, weil Klimaschutz im Vergleich zu Spitalbauten und Kulturförderung auf höchstem Niveau leider eher das Niveau der Hexenprozesse hat, deren Errungenschaft in der Geschichte der Justiz darin liegt, dass der Mensch auf die Meteorologie Einfluss nehmen könne und für diesen Einfluss zur Verantwortung gezogen werden muss. In allen Hexenprozessen des Kantons Uri, die ich aufgearbeitet habe, spielen Wettermacherphänomene eine Rolle. Zur Feststellung des Tatbestandes brauchte es bis heute Experten. Vor den Hexenprozessen konnten die Richter meist noch ohne Beratung durch Akademiker richten, nun brauchte es geistliche Spezialisten. Hexenprozesse haben zur Professionalisierung und damit zum Fortschritt der Justiz beigetragen.

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