Farhana Yamin.Karl Mathiesen

Anwältin Farhana Yamin verklebte sich 2019 vor dem Shell-Hauptquartier in London an den Boden © Karl Mathiesen

Expertin an Klima-Konferenzen wurde zur Strassen-Aktivistin

Christa Dettwiler /  In Paris verhandelte sie und war in Glasgow dabei. Jetzt hat sie das Vertrauen in Diplomaten und Juristen endgültig verloren.

Die Anwältin Farhana Yamin ist seit 30 Jahren auf Umweltfragen spezialisiert. Sie beriet Entwicklungsländer und Inselstaaten, die von der Klimakrise am meisten bedroht sind. 2015 trug sie wesentlich zum Pariser Klima-Abkommen bei. Dank diskreter Diplomatie verhalf sie einem der zentralen Punkte zum Durchbruch: Netto-Null bis 2050.

Vier Jahre später mühte sich die Polizei 20 Minuten lang ab, Farhana Yamin vom Boden vor der Shell-Niederlassung in London abzulösen, wo sie sich als Aktivistin von Extinction Rebellion festgeklebt hatte. 

In einem Portrait der 57-jährigen gebürtigen Pakistani leuchtet die New York Times den ungewöhnlichen Werdegang von Farhana Yamin aus. Sie habe nach ihrem Abschluss in Oxford 1991 geglaubt, ihre Berufung gefunden zu haben, sagt sie heute und fügt an: «Ich war naiv. Mittlerweile habe ich gelernt, dass man sich nicht allein auf Anwälte und Diplomaten verlassen kann.»

Nach Jahrzehnten der engen Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, NGOs und Anwältinnen, nur Monate nach dem grössten Sieg ihrer Karriere, schwand ihr Optimismus. Sie sah zu, wie ab 2016 in westlichen Ländern der Nationalismus zunahm, genauso wie das Misstrauen internationalen Institutionen gegenüber. Grossbritannien entschied sich zum Brexit und Donald Trump drohte bei einem Wahlsieg aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen. 

«Ich hatte das Gefühl, als breche die ganze multilaterale Welt und der internationale Bezugsrahmen für Menschenrechte um mich herum zusammen», erklärt Farhana Yamin. Nach Trumps Wahlsieg hatte sie den Eindruck, ihre 30-jährige Karriere als Regierungsanwältin und Klimaspezialistin habe genau gar nichts gebracht. «Alles löste sich in Rauch auf. Ich konnte meinen Klienten nicht die Wahrheit sagen. Ich konnte den Menschen der Marshallinseln nicht vorlügen, dass wir es schon richten würden.»

Während einer einjährigen Auszeit vertiefte sie sich in soziale Bewegungen, die gewaltfreien Widerstand als Mittel zum Zweck einsetzten. Anstatt zur Klima-Diplomatie zurückzukehren, trat die Anwältin der damals noch jungen Bewegung Extinction Rebellion bei. Sie leitete das politische Team und brachte ihr ganzes Wissen und ihre langjährige Erfahrung ein, um die Bewegung strategischer auszurichten. Dabei setzte sie nicht nur ihren Kopf ein, sondern auch ihren Körper: Sie organisierte und protestierte zusammen mit andern Aktivistinnen. 

2020 schlug Farhana Yamin einen neuen Weg ein. Am COP26 Klimagipfel in Glasgow letztes Jahr arbeitete sie genau so intensiv wie vorher, aber nicht in den Verhandlungsräumen, weil sie den «toxischem Positivismus» nicht mehr aushielt. Sie konzentrierte sich auf den Aufbau einer weltweiten Bewegung und hörte vor allem denen zu, die am stärksten unter dem Klimawandel leiden, aber am wenigsten gehört werden. 

Sie sagt, sie habe Glasgow «mit gebrochenem Herzen» verlassen. Wegen der mageren Ergebnisse und wegen der Geschichten der Menschen am Rande des Geschehens. «Ich hätte weinen können. Wir verschieben ständig die Deadlines. Wann sagen wir endlich: genug.» 

Künftig will Farhana Yamin ihr Wissen und ihre Erfahrung für jene einsetzen, die für Menschen farbiger Hautfarbe kämpfen. Und sie will Kulturschaffende für den Klimaschutz motivieren. «Wir brauchen die Kulturschaffenden und Kreativen. Sie müssen uns helfen, uns aus der Krise herauszudenken.» Sie will auch philanthropische Organisationen für mehr Unterstützung des Klimaschutzes gewinnen. Alle Teile der Gesellschaft müssten die Klimakrise bekämpfen, sagt sie: «Jede und jeder sollten auf dem Lebenslauf ‹Aktivistin› stehen haben.»

Auf die Frage, wie sie sich fühlt, wenn sie auf ihre Karriere zurückschaut, sagt Farhana Yamin: «Ich bin stolz auf das Erreichte. Aber angesichts der Gleichgültigkeit kann ich nicht einfach weitermachen. Ich bin heute viel ehrlicher.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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3 Meinungen

  • am 10.04.2022 um 18:38 Uhr
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    als ehemaliger Kulturschaffender fühle ich mich hier angesprochen. Ich hatte vor etwa 10 Jahren ein komplettes Programm mit gesellschaftskritischen Liedern, unter anderem auch zum Thema Klimawandel https://www.youtube.com/watch?v=LMvu21izZqM . Ich habe über Jahre Klinken geputzt bei diversen Kulturlokalen hier in der Zentralschweiz – was soll ich sagen… keinerlei Resonanz. Es interessiert niemanden, weil man damit nichts verdienen kann.

  • am 11.04.2022 um 19:34 Uhr
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    Als ehemaliges Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation kann ich Farhana Yamin’s Entwicklung sehr gut nachvollziehen. Es ist bewundernswert, mit welcher Konsequenz sie ihren Weg geht. Gleichzeitig ist es deprimierend, dass als ihre einzige Hoffnung nun offenbar die Radikalisierung bleibt.
    Seit rund drei Jahrzehnten versucht die globale Umweltdiplomatie einen Weg aus der Klimakrise zu finden. Je konkreter die Beschlüsse werden, desto kreativer werden auf nationaler Ebene Politik und Wirtschaft im «Tun-als-ob». Statt Gestaltungsspielräume für klimaverträgliches Leben und Arbeiten zu schaffen, Resignation allenthalben ob der Abhängigkeiten, in die sich die auf Wachstum fixierten Staaten begeben haben.
    Früher war das bequeme Argument «Die Jungen werden es dereinst besser machen.» Heute geht man mit Prozessen gegen sie vor, wenn sie zivilen Widerstand leisten und eine lebenswerte Zukunft einfordern. Schöne neue Welt!

  • am 13.04.2022 um 08:57 Uhr
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    Die beeindruckende Biografie einer starken integren Frau. Die Werte unserer Gesellschaft sind scharf zu hinterfragen: so wie es jetzt läuft, kriegt man einfach keine kritische Masse zusammen, um den – für uns Menschen – notwendigen Systemwechsel herbeizuführen. Damit aber dies möglich wird, braucht es in der Bildung Zielanpassungen. Die ewige Frage von Huhn und von Ei: wo fängt man an. Ich bin 49 Jahre alt und ich schäme mich dafür, so lange zwar passiv und kritisch aber eben trotzdem «mitgemacht» zu haben. Meine Gedankengänge verlangen von mir eine drastische Radikalisierung (Ernährung, Lebenswandel, Haustechnik, etc, etc). Dabei komme ich rasch an meine anspruchsvollen Grenzen. Weder genug gebildet noch im richtigen Umfeld unterwegs. Ich bin nur traurig und versuche, nicht ganz deprimiert zu sein und im ganz kleinen persönlichne Wirkungskreis etwas zu ändern. Jeder Baum zählt zum Wald.

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