Kommentar

Klimawandel: Anpassung allein genügt nicht!

Heinz Wanner © zvg

Heinz Wanner /  Erreichen wir die Uno-Klimaziele? Die Skepsis steigt. Sollen wir uns anpassen? Die Städte begrünen? Ja, aber es wird nicht reichen.

Red. Heinz Wanner ist Klimatologe (siehe Angaben zur Person am Ende des Artikels). Er war am vierten und fünften Sachstandsbericht des UN-Klimarats IPCC beteiligt.

Die Sachstandsberichte des Uno-Klimarates IPCC werden immer in drei Teilen abgehandelt und anschliessend zu einer Synthese vereinigt:

  • Teil 1 enthält jeweils die Grundlagen zur Entwicklung des Klimas.
  • Teil 2 beschreibt die Verletzlichkeit der Umwelt und empfiehlt geeignete Anpassungen an die Einflüsse des Klimawandels (Adaptation).
  • Teil 3 fasst die Vorgaben zur Verhinderung (Mitigation) der Belastung durch menschgemachte Treibhausgase zusammen.

Im Vordergrund steht die Dekarbonisierung der gesamten Umweltkreisläufe. Die Teilnehmer der Weltklimakonferenzen (COP) feilschen vor allem über Teil 3. Sie schätzen insbesondere ab, welche Mengen an Treibhausgasen die einzelnen Staaten noch emittieren dürfen, damit die weltweite Mitteltemperatur nur um ein bestimmtes Mass (1,5 oder 2 Grad) steigt. Dies führt teilweise zu fragwürdigen Berechnungen oder zu einer gewissen Genügsamkeit.

Nach der Konferenz von Paris im Jahr 2015 machte sich Optimismus breit, und allgemein galt die Hoffnung, dass die oben genannten Temperaturziele noch zu erreichen sind. Nicht zuletzt aufgrund der Energiemangellage seit Beginn des Ukrainekrieges ist dieser Optimismus der zunehmenden Einsicht gewichen, dass die Erdmitteltemperatur eher auf 2,5 bis 3 Grad ansteigen wird – dies mit zum Teil massiven Ausschlägen bei den Extremwerten.

Deshalb sind immer mehr Menschen pessimistisch oder sogar verzweifelt. Das äussert sich im Extremfall dadurch, dass sie demonstrativ Verkehrsachsen blockieren oder Finanzinstitute angreifen. Dabei stellt sich die Frage, ob solche Aktionen nicht kontraproduktiv sind.

Die Presse verurteilt dieses Vorgehen zum grossen Teil. Wirtschaftsorientierte Organe wie die NZZ veröffentlichen vermehrt Beiträge, in denen sie dafür plädieren, dass der Schwerpunkt in Zukunft bei den Massnahmen zur Anpassung an die höheren Temperaturen liegen sollte. Dies vor allem deshalb, weil die Erfolge bei den Anstrengungen zur Verhinderung des Temperaturanstiegs ausgeblieben sind. Dieses Vorgehen empfehlen sie vor allem für inländische Massnahmen – verbunden mit dem Hinweis, dass der Beitrag der Schweiz an den globalen Treibhausgas-Ausstoss ohnehin gering sei.

Anpassungsmassnahmen wie die Begrünung von Städten, die Sicherung unserer Alpentransversalen gegen das Auftauen des Permafrosts oder die Renaturierung der Flusssysteme im Hinblick auf Starkniederschläge und Überschwemmungen sind zweifellos zu begrüssen. Sie genügen jedoch keinesfalls, und sie entsprechen einem Abschottungsdenken, da es dabei nur um die Verhältnisse im Inland geht.

Erstens genügen sie nicht, weil die Schweiz im Rahmen der Finanzierung der globalen Verkehrs- und Energiesysteme auch global eine sehr bedeutende Rolle spielt. Sie ist demzufolge dazu aufgerufen, sich an den Verhinderungsmassnahmen entscheidend zu beteiligen.

Zweitens müsste sich die Schweiz fragen, ob sie bei der Verhinderung von Emissionen und bei der Bekämpfung des Klimawandels die massiv betroffenen, meist armen Länder der Subtropen und des Mittelmeerraumes nicht deutlich stärker mit dem Einsatz von Technik und mit Geld unterstützen müsste. Denn diese Länder sind es, die unter der Dürre und der Erhöhung des Meeresspiegels leiden.

Greifen die Schweiz und andere reiche Staaten diesen Ländern nicht direkt und massiv unter die Arme, wird das Klima in Zukunft zu einer starken Zunahme der Migrationsströme beitragen. Wer sich gegen klimaschonende Massnahmen wie das neue Klimaschutzgesetz wendet, trägt folglich indirekt zur Steigerung der bereits jetzt sehr grossen Migrationsströme bei.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Professor am Geographischen Institut der Universität Bern und ist Seniorwissenschaftler am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Berner Universität. Er leitete von 2001 bis 2007 den Nationalen Forschungsschwerpunkt Klima der Schweiz, war Co-Vorsitzender des internationalen Past Global Changes Programms PAGES und bis 2015 Mitglied des UNO-Klimarates IPCC.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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10 Meinungen

  • am 8.05.2023 um 10:19 Uhr
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    Da ist noch einiges zu erklären: wieso hält man an einer Durchschnittstemperatur für die gesamte Erde fest und präsentiert diese als Klimaziel? Die Erderwärmung stellt sich in den verschiedenen Klimazonen unterschiedlich dar. Der zukünftige Verlauf und die Folgen der Erderwärmung sind Modellrechnungen bzw. Simulationen – also lediglich Prognosen, die zudem je nach Modell unterschiedlich mild oder drastisch ausfallen. Auch das wäre einmal anzumerken! Die großen Flüchtlingsströme wurden durch Kriege, Massenmorde, ethnische und religiöse Säuberungen ausgelöst; welchen Anteil die Erderwärmung hier hat, ist wohl erklärungsbedürftig. Abholzung, Monokulturen und deren exzessive Entnahme von Grund- und Oberflächenwasser führen zur Errosion und damit zur Verödung und Verlust von Nutzfläche – nicht die Erderwärmung. Hier hilft keine «Dekarbonisierung» sondern Boden- und Vegetationsaufbau und Wasserwirtschaft.

  • am 8.05.2023 um 11:52 Uhr
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    Das Bevölkerungswachstum ist das Problem: In Afrika lebten vor 70 Jahren rund 240 Millionen Menschen und heute rund 1,3 Milliarden = Faktor 5! Und die UN geht davon aus, dass sich diese Zahl bis Ende Jahrhundert auf 4,5 Milliarden erhöht.

    Wenn wir für Afrika etwas tun wollen, dann brauchen wir kein unterschwelliges Bürgerlichen-Bashing oder ein «Technik und Geld»-Mantra, sondern Kontrolle der Bevölkerungszahl! Gegen die «Steigerung der bereits jetzt sehr grossen Migrationsströme» helfen sicher nicht «klimaschonende Massnahmen wie das neue Klimaschutzgesetz» in der kleinen Schweiz, so lange wir die grössten CO2-Emittenten China, Indien, Russland & Co vom selbstbeweihräucherten «Wertewesten» abspalten. Wenn wir etwas erreichen wollen bezüglich «Klimaschutz» (so man daran glaubt), dann müssten wir mit voller Kraft und praktisch bedingungslos diese Staaten wieder in die globale Klima-Gemeinschaft einbinden. Aber wenn halt Moral und Waffenlieferungen wichtiger sind…

  • am 8.05.2023 um 12:14 Uhr
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    Welche Anpassung genügt? Ganz einfach: runter mit der Weltbevölkerung auf die Hälfte von 8 Milliarden in den nächsten 50 Jahren. Heisst für die Schweiz zurück auf 4 Millionen, so viel wie zur Zeit, als ich zur Schule ging. Aber eben: wir wollen ja die Probleme mit Wachstum lösen, nicht mit Schrumpfung. Die Natur wird es richten.

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 9.05.2023 um 12:11 Uhr
      Permalink

      Die Schweizer Bevölkerung schrumpft, wenigstens der Anteil der «Inländer». Hatte der Geburtenjahrgang 1964 im Jahre 2022 noch über 100’000 «Mitglieder» liegt diese Zahl für die folgende Generation bereits unter 80’000 und bewegt sich seit dem Geburtenjahrgang 2000 sogar unter der Limite von 65’000 Leuten. Der CH-Nachwuchs schmilzt wie die Gletscher oder das Packeis…

      Hätten wir nicht grosse «Gastarbeiter»-Kontingente mit bis zu 50’000 Leuten pro Jahrgang und einem Modalalter von 35 Jahren, hätte die Wirtschaft wohl schon vor einiger Zeit massiv abbauen müssen.

      Die Option besteht weiter… aber auch die Renten müssen irgendwie finanziert werden.

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 10.05.2023 um 11:16 Uhr
      Permalink

      Josef Hunkeler, Fribourg
      am 9.05.2023 um 12:11 Uhr

      Die Schweizer Bevölkerung schrumpft, wenigstens der Anteil der «Inländer». Hatte der Geburtenjahrgang 1964 im Jahre 2022 noch über 100’000 «Mitglieder» liegt diese Zahl für die folgende Generation bereits unter 80’000 und bewegt sich seit dem Geburtenjahrgang 2000 sogar unter der Limite von 65’000 Leuten. Der CH-Nachwuchs schmilzt wie die Gletscher oder das Packeis…

      Hätten wir nicht grosse «Gastarbeiter»-Kontingente mit bis zu 50’000 Leuten pro Jahrgang und einem Modalalter von 35 Jahren, hätte die Wirtschaft wohl schon vor einiger Zeit massiv abbauen müssen.

      Die Option besteht weiter… aber auch die Renten müssen irgendwie finanziert werden.

  • am 8.05.2023 um 14:40 Uhr
    Permalink

    Hinsichtlich dieser Doktrin habe ich erhebliche Bedenken, man muss nur nach Deutschland schauen, was die Grünen machen – das Gegenteil von Umweltschutz.
    Die ‹Rechenfehler› beim IPCC sind immer zu deren Gunsten, somit einseitig.

  • am 8.05.2023 um 14:52 Uhr
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    35 % der Leser beurteilen diesen Artikel als nützlich (Stand 8. Mai 14.30 Uhr).
    Leider typisch schweizerisch. Man will nicht zur Kenntnis nehmen, dass wir eine erhebliche Verantwortung tragen für die missliche Lage in der sich die Erde heute befindet. Der Erde ist das allerdings egal. Sie wird auch ohne Menschen in den tropischen Ländern existieren. Diese Menschen aber müssen weg, am besten nach Europa und das bedeutet, dass es eng wird. Wie lang und mit welchen Mitteln wollt ihr die Festung Europa verteidigen ?

    • am 10.05.2023 um 14:57 Uhr
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      Gut, dass Sie die Migrationsflüsse mit dem Klimawandel verbinden. Migrationen werden sich aber nicht auf Afrika und anderen Drittweltländern beschränken, wenn sich der Meeresspiegel nach dem Schmelzen des Westantarktisgletschers um sechs Meter erhöht hat. Dann sind New-York, London und Hamburg sowie zahlreiche weitere Städte der Küstenregionen unter Wasser. Ihre Bewohner werden sich auf die höherliegenden Regionen und Länder stürzen, also auch in die Schweiz. Die Wissenschaft kann noch nicht sagen, wann es soweit wird. Aber das Schmelzen dieser gigantischen Eismengen verläuft bisher deutlich schneller als erwartet.
      Später wird auch der viel grössere Ostantarktisgletscher schmelzen. Dann erhöht sich der Meeresspiegel um 60 Meter. Die Katastrophe nimmt also eine andere Dimension, aber die erste Stufe von 6 Metern ist bereits alles andere als harmlos.
      Diese wissenschaftlichen Fakten habe ich im «Magazin» Nr. 43 vom 29.10.2022 gelesen. Sie sollten vermehrt veröffentlicht werden.

  • am 9.05.2023 um 10:18 Uhr
    Permalink

    Das Lebensklima-Zauberwort heisst:
    Wasser-Retention und Wiederherstellung natürlicher Wasserkreisläufe!

    Im globalen Stil könnte es die Erde deutlich abkühlen und zusammen mit Permakultur verbessert es unsere wichtigste Ressource: Fruchtbare Erde!
    Dadurch würden auch gigantische CO2-Mengen NATÜRLICH gespeichert und Erde und Atmosphäre kämen wieder ins Gleichgewicht.
    https://www.manova.news/artikel/die-entscheidung-6

    Dr. Rajendra Singh (Waterman of India) machte eine Region in Rajasthan mit 1 Mio. Einwohnern zu einem blühenden Garten. Und noch viel mehr wäre global möglich und nötig im Zusammenhang mit der Umstellung der industriellen auf regenerative Landwirtschaft / Permakultur!
    https://www.youtube.com/watch?v=2PMsiXkAmFk

    Link zum Pionier Sepp Holzer:
    https://www.seppholzer.at/willkommen

    Link zu TAMERA – Wasserretentionslandschaften: https://www.tamera.org/de/wasserretentionslandschaft/

  • am 10.05.2023 um 20:38 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrte Leser

    Ich empfehle Allen , die sich kritisch zum «Klimawandel» äussern und sich darüber Gedanken machen , sich zunächst über den natürlichen Klimawandel zum informieren. Hierzu gibt es ein hervorragendes Buch mit dem Titel » Der natürliche Klimawandel» ( Fakten aus geologischer ,archäologischer und astrophysikalischer Sicht )von Dr.Stefan Uhlig, inklusive wissenschaftlich fundierter Arbeiten als Quellenangaben. Diese Buch sollten alle Lesen und v.a. Politiker , bevor Sie Entscheidungen treffen ,welche weitreichende und v.a. negative Konsequenzen für die Bürger ,Volkswirtschaft und die Demokratien haben. Dieses Buch erweitert bei den meisten den Horizont zu diesem Thema. Es lohnt sich diese Buch zu lesen, eigentlich ist es ein Muss , diese Buch zu lesen, denn das Thema «Klimawandel» ist ja das Folgekapitel in der Agenda der Plutokraten dieser Welt nach der » Corona-Pandemie».

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