Cloudserverfarm.Buchachon.Depositenphotos

«Cloud»-Serverfarm © buchachon/Depositphotos

Streaming: Das verdrängte Tabu bei Strom und Ressourcen

Pascal Derungs /  Wie das stromfressende Daten-Streaming boomt, zeigt eine Arte-Dokuserie. Nun wollen die Behörden die heisse Kartoffel anfassen.

Internet und Social Media funktionieren zunehmend über Datenstreaming. Filme, TV, Videos, Audios, Videochats und immer neue Anwendungen fluten auf uns ein: am Heimcomputer über Breitband-Internet und am Smartphone über 4G und zunehmend 5G. Der Datenfluss schwillt ungebremst an. Parallel dazu steigt der Strom- und Ressourcenverbrauch für immer leistungsfähigere Netzwerke, Cloud-Server und Endgeräte. Doch trotz drohender Strommangellage will die Politik diesen Verbrauch nicht drosseln. Der Bundesrat möchte uns mit seinem Notfallplan bei Beleuchtung, Duschen und Heizen einschränken. Gut versteckt ist im Anhang des entsprechenden Verordnungsentwurfs eine Beschränkung der Auflösung und ein Verbot von Streamingdiensten zu Unterhaltungszwecken vorgesehen. Zudem steht auch ein Verbot von Kryptowährungsmining und Hochfrequenzhandel im Raum.

Der Streamingboom heizt die globale Erwärmung an

Wie das gigantische Streaminguniversum entstanden ist und welche bedrohlichen Dimensionen sein Energie- und Ressourcenhunger bereits erreicht hat, demonstriert eindrücklich die neue ARTE-Dok-Serie «Frankenstream, das digitale Monster». Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Informationen und Aussagen zusammen. 

Die angeführten Vergleichsgrössen sind enorm: Streaming spuckt 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus, so viel wie die ganze Tschechische Republik. Allein die weltweit gestreamten Videos setzen 2022 80 Millionen Tonnen CO2 frei, so viel wie im gleichen Jahr das ganze Land Belgien. 2025 wird Streaming fast 6 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen, mehr als die Luftfahrt und fast so viel wie der Autoverkehr. Die Streaming-Technologie mit ihrem hohen Stromverbrauch und den verursachten Treibhausgas-Emissionen verspottet die globalen Klimaziele geradezu.

Die sogenannte Cloud ist in Wahrheit eine Dreckschleuder

Alle Streaminginhalte stammen aus sogenannten «Clouds». Das Bild der Wolke schafft die Illusion von Leichtigkeit und Sauberkeit. Doch das Gegenteil ist wahr. Das belegen mehrere Expertinnen und Branchenkenner in der ARTE-Dokumentation. Das Herz der Streamingindustrie sind weltweit verteilte Serverzentren, riesige Computerfarmen im 24-Stunden-Betrieb, welche die Daten fürs Streaming aufbereiten, verschicken und weiterleiten. Nicht nur ihr Bau und Betrieb verbrauchen Strom, sondern auch ihre Kühlung. Bau, Betrieb und Kühlung sind allein für 25 Prozent der Treibhausgasemissionen des digitalen Sektors verantwortlich. Weitere 28 Prozent gehen auf das Konto der Netzwerk-Infrastruktur, der Kabel und Sendemasten. Die restlichen 47 Prozent der Treibhausgas-Emissionen schliesslich verursachen Produktion und Betrieb der Endgeräte .

«Als gäbe es den Klimawandel gar nicht»

Kein anderer Bereich unseres Lebens weist eine solche CO2-Bilanz auf, so die Bilanz der ARTE-Dokumentation. Wohnraum, Kleidung, Ernährung, Transport: Überall streben wir nach Umwelt-Effizienz, doch das Streaming, die digitale Welt entzieht sich immer noch dieser Norm. Wir verschwenden diese Technologie und ihre Produkte noch schlimmer als unsere Lebensmittel. In einer Zeit, in der jedes Grad zählt und die Menschen ihre CO2-Bilanz verbessern müssen, geht die Digitalbranche so vor, als gäbe es den Klimawandel gar nicht. 

Die Streamingdienste geben – von ihrem Wachstum geblendet – weiter Gas, ohne sich darum zu kümmern, welche Folgen all das hat. Die Videostreaming-Plattform «Youtube», 2005 gegründet, stösst mittlerweile 11 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus. Das entspricht der Menge einer ganzen Stadt wie Frankfurt in der gleichen Zeit. Fast 6 Milliarden Videos werden inzwischen täglich konsumiert, 4 Millionen pro Minute. Die Musikstreaming-Plattform «Spotify», 2008 gegründet, hat aktuell über 400 Millionen User. Im Jahr 2020 hat Spotify 169 Tausend Tonnen CO2 ausgestossen, mehr als die US-Musikindustrie im Jahr 2000, dem Goldenen Zeitalter der CD, obwohl bei dieser sehr viel Plastik im Spiel war. 

Das Immaterielle verschmutzt mehr als das Materielle, das Digitale mehr als das Physische. Das Streaming enthüllt sein wahres Gesicht, so das Fazit der ARTE-Macher. Der letzte Schrei ist das «Metaverse», eine immersive virtuelle Parallelwelt, in der sich alle hinter Avataren oder Hologrammen bewegen, um zu spielen, zu arbeiten, zu diskutieren und zu lernen. Es wird das Streamingvolumen geradezu explodieren lassen.

Digitalisierung ist ein endliches Wirtschaftsfeld

Die ARTE-Dokumentation macht klar: Wir nutzen die Digitalisierung völlig masslos, wie im Rausch. Was dabei vergessen geht: Wir verbauen zukünftigen Generationen die Möglichkeit, die Digitalisierung ebenfalls zu nutzen. Denn die dazu nötigen Ressourcen sind nur in endlichen Mengen vorhanden und können nicht erneuert werden. Konsequentes Recycling ist gefordert, doch die Recyclingrate bei den Endgeräten liegt aktuell bei etwa 20 Prozent, diejenigen der besonders umweltbelasteten seltenen Erden, die darin verbaut sind, bei gerade einmal 1 Prozent. Für neue Geräte werden die vorhandenen Lagerstätten bis zur Erschöpfung geplündert. Studien besagen, dass es in 30 bis 50 Jahren nicht mehr genug Mineralien für die Herstellung von Computergeräten geben wird.

Wir, die User, belügen uns selbst

Streaming ist die moderne, digitale Form des Schlaraffenlandes: Alles ist jederzeit und sofort verfügbar, «on demand» und ohne Aufwand. Es ist billig und hinterlässt keinen Abfall, keinen Dreck – könnte man meinen. Doch wir bezahlen nur einen kleinen Bruchteil der wahren Kosten, die sich dabei anhäufen: Ressourcenverschleiss, Raubbau, Umweltverschmutzung, globale Erwärmung.

_____________
KORREKTUR:
psi. In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, die Behörden wollten trotz der drohenden Strommangellage nicht gegen Streaming vorgehen. Dies stimmte nicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

Gift_Symbol

Gifte und Schadstoffe in der Umwelt

Sie machen wenig Schlagzeilen, weil keine «akute» Gefahr droht. Doch die schleichende Belastung rächt sich.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

12 Meinungen

  • am 4.12.2022 um 11:47 Uhr
    Permalink

    Wie waers, als Umweltverschmutzer zuerst alle Militaers dieser Erde und ihre Zulieferer und China ins Blickfeld der Leserschaft zu ruecken – wenn ihr schon ‹gegen› irgendwas sein wollt was den Planeten und die Mensch gemachten Ressourcen ‹umbringt› ?

    • am 5.12.2022 um 00:13 Uhr
      Permalink

      Beim Militär gelten alle Regeln nicht, welche im zivilen Bereich dringlichst eingehalten werden sollen.
      Da wird Uranmunition verschossen, chemische und biologische Kampfstoffe erprobt, Landminen verstreut. Einfach verrückt. Der Mensch hat sich so im Mikrokosmos eingelebt dass er die groben Gefahren nicht mehr sieht.

  • am 4.12.2022 um 12:12 Uhr
    Permalink

    Guter Artikel, der tatsächlich ein Riesen Problem aufdeckt, aber wieso machen sie gleichzeitig einen Link zu einem Streamingprodukt?? Da geht für mich einmal mehr etwas nicht auf. Eine kritische Reaktion sollte auch bei sich selber kritisch sein, sonst macht sie sich unglaubwürdig.

    • am 5.12.2022 um 09:17 Uhr
      Permalink

      Ja schon, handkehrum: «Ein Wegweiser läuft auch nicht in die Richtung in die er weist», hat glaubs Max Weber gesagt. Und falls der Artefilm es schafft, dass ein paar Leute deshalb ab sofort nicht mehr oder nur noch halb so viel streamen, war es doch gut, ihn zu streamen.

  • am 4.12.2022 um 14:05 Uhr
    Permalink

    Danke, endlich fasst jemand dieses heisse Eisen an. Ein Glück kam Arte mit seiner Doku, sonst würden einige wieder mal auf dem Infosperber herum treten. BitCoin Serverfarmen, Streaming über Wireless und G4 und G5 Netze, eine Energiefresserbombe ohnegleichen. Streamen könnte man über Glasfaser, Wireless wäre günstiger über Licht statt Mikrowellen. Das was ein Mikrowellen Herd braucht, brauchen die Mikrowellen Transponder rund um die Uhr um ein vielfaches. Sobald eine mächtige Industrie dahinter steht, wird eine Energiefresser-Technologie welche man umrüsten könnte zur heiligen Kuh. Wer braucht auf dem Handy einen 4K Stream über 5G? Gesendet mit Mikrowellen umstrittener Natur? Warum kann der Anwender das begehrte Datenpacket nicht an einer Glasfaserstation in 1 Minute runterladen bevor er in den Zug steigt? Auch in diesem Bereich liegen Patente brach in Schubladen, welche Elektrosmog (Verlust der daneben geht) reduzieren könnten. Eine Umrüstung würde auch Arbeitsplätze schaffen.

    • am 5.12.2022 um 00:18 Uhr
      Permalink

      «Das sogenannte Mining – der Prozess zur Schaffung neuer Bitcoins durch ein Netz von Hochleistungscomputern – benötigt jährlich 140 Terrawattstunden Strom . Das ist mehr als der doppelte jährliche Stromverbrauch der Schweiz.»
      https://www.srf.ch/news/schweiz/stromfresser-bitcoin-steuern-in-kryptowaehrung-begleichen-zug-haelt-an-bitcoin-fest#:~:text=Aber%20einer%20mit%20Folgen%3A%20Franzini,doppelte%20jährliche%20Stromverbrauch%20der%20Schweiz.

      • am 5.12.2022 um 12:22 Uhr
        Permalink

        Danke Herr Ermotti für Ihre Informationen, sie haben gut recherchiert. Ein weiteres Beispiel sind Geschirrspüler und Waschmaschinen. Leider konnte ich bisher keine offiziellen Daten finden. Eine Grosse Waschmaschine im betreuten Waschhaus wo man die Wäsche abgeben kann, ersetzt 50 kleine, braucht aber nur 5x soviel Energie wie eine einzige kleine Maschine wie man sie in den Waschküchen der Mietshäuser findet. (Quelle: Ablesen der Leistungszahlen an der Maschine) Ich habe eine Solarzelle innerhalb der Terasse, unter 600 Watt, somit nicht meldepflichtig. Für meinen Behindertenroller den ich damit Lade. Warum machen nicht mehr sowas?

  • am 4.12.2022 um 14:26 Uhr
    Permalink

    Sehr treffend beschrieben!
    Ich messe seit 15 Jahren in meinem EFH alle Energieverbraucher einzeln, weil ich Energie sparen will.
    Mein Energieverbrauch wurde jedes Jahr tiefer., aber die Verteilung hat sich gewaltig verändert.
    Licht (wegen ELD) spielt heute keine Rolle mehr, weil minus 90%.
    Was zählt heute? Grösster Verbraucher sind unsere PCs (PC, Bildschirme, Modem, einfach alles, was am Internet hängt inklusive Geschirrspühler usw.
    Die grössten Stromverbraucher sind weitgehend Komfortgeräte von der WC-Dusche bis zum TV- oder PC-Streamingerät.
    Bei uns benötigen die PC mehr Energie als die Kochgeräte, der Warmwasserboiler (mit WP) 🙁

  • am 4.12.2022 um 17:32 Uhr
    Permalink

    Sie erneuerbare Energie WASSER ist weitestgehend ausgeschöpft.

    Die erneuerbaren Energien SONNE (für Strom und Wärme) » sind immer noch kaum ausgeschöpft,
    weil mit den FOSSILEN und ATOMREN viel mehr Maxchtmittel und MACHT anzuhäufen ist.

    Bei den Erneuerbaren ist die Abhängigkeit von den Kosten und der sicheren Versorgung viel geringer.

  • am 5.12.2022 um 05:44 Uhr
    Permalink

    Es scheint mir allgemein so zu sein, dass Politikern und Medien die Fähigkeit strukturiert und logisch zu denken in den letzen zwanzig Jahren zunehmend abhanden gekommen ist. Anders ist es nicht zu erklären, dass man sowohl die Gesellschaft ‹digitalisiert› und den Verkehr ‹elektrisiert›, dann aber vergisst, dafür auch die Grundlage, nämlich ein zuverlässiges, ausfallsicheres und leistungsfähiges Netz und genügend Kraftwerke zur Verfügung zu stellen. Stattdessen kommt man mit ‹Grünen› Fantasien, die nie umgesetzt werden (können), aber auf dem Papier schön aussehen bezüglich CO2 Reduktion. Und noch einmal sei gesagt, das Problem der Menschheit ist nicht der Stromverbrauch, sondern die Herstellung des Stroms aus Quellen mit CO2. Man muss also nicht zurück in die Steinzeit um die Menschheit zu retten, sondern lediglich Kraftwerke mit ohne/sehr wenig CO2 Ausstoß bauen. Dann kann man auch weiterhin streamen.

  • am 5.12.2022 um 15:29 Uhr
    Permalink

    Harte Medien waren und sind hier die Lösung; DVD-Editionen, die jede noch so spezielle Serie oder Liebhabereien abdecken, gibt es mittlerweile zum Spottpreis, weil alle auf Streaming bzw. vorher auf Blu-Ray umgestiegen sind. Das gleiche gilt für CDs. Secondhand ist vieles in sehr gutem Erhaltungszustand zu bekommen. Gute Stadtbibliotheken haben meist auch neue Serien und Filme im Angebot. Ansonsten gibt es da noch die guten alten Bücher, die mit geringen Energieaufwand hergestellt werden und Jahrzehnte immer wieder Freude bereiten. Filme lassen sich vorher stapelweise herunterladen und dann lokal vom Laptop abspielen. Schwieriger wird es bei Recherchen; bislang kann nichts Youtube ersetzen, wenn man z.Bsp. auf der Suche nach speziellen Soundtracks oder unbekannten Interpreten ist. Auf Youtube wird man (leider) fast immer fündig, auch wenn man sich die Musik dann später eh auf Datenträgern besorgt.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...