Am 13. Juli 2023 ist auf einem Feldweg in Fideris ein E-Bikefahrer gestürzt und dabei verletzt worden. Kantonspolizei Graubünden

Am 13. Juli 2023 ist auf einem Feldweg in Fideris ein E-Bikefahrer gestürzt und dabei verletzt worden. © Kantonspolizei Graubünden

E-Bike-Unfälle: Die Sonntagszeitung dramatisiert

Marco Diener /  Die Zahl der Unfälle mit Elektrovelos steigt zwar. Doch das ist nicht überraschend. Leider.

Da hat die Sonntagszeitung gestern wieder einmal eine spektakuläre Schlagzeile auf ihre Titelseite gesetzt: «E-Bikes: Senioren sollen zum Fahrtest.» Der Grund: «Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl der Unfälle mit E-Bikes fast verdoppelt.»

Die Schlagzeile ist irreführend. Denn der «Fahrtest» ist keineswegs beschlossene Sache. Es handelt es sich bisher nur um ein Gedankenspiel innerhalb des Astra. Das Bundesamt will nächstes Jahr einen Bericht zum Thema veröffentlichen. Und die Unfallzahlen sind auch nicht so dramatisch, wie sie die Sonntagszeitung darstellt.

Zunächst: Die Zahlen sind keineswegs neu. Das Astra hat sie schon Mitte März publiziert. In der Zwischenzeit hat es die Sonntagszeitung versäumt, die Zahlen zu hinterfragen. Was das Astra damals nicht schrieb, schrieb nämlich auch die Sonntagszeitung nicht.

Wichtig zu wissen ist indes, dass die Zahl der Elektrovelos, die auf unseren Strassen unterwegs sind, in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Allein zwischen 2018 und 2022 stieg der Bestand von 637’000 auf 1’210’000. Das zeigen die Zahlen der Schweizerischen Fachstelle für Velo und E-Bike (SFVE).

Hinzu kommen die Verleihvelos

Nicht berücksichtigt sind in diesen Zahlen die Veloverleihsysteme. Allein in der Stadt Bern haben Leute mit elektrischen Publibikes im laufenden Jahr bereits acht Millionen Kilometer zurückgelegt. Wenn sich nun der Bestand an Elektrovelos beinahe verdoppelt hat und auch die Leih-Elektrovelos boomen, dann ist es wenig überraschend, dass sich auch die Zahl der Verletzten und Getöteten beinahe verdoppelt hat. Leider.

Ein falsches Bild vermitteln auch die beiden Grafiken, welche die Sonntagszeitung gestern veröffentlicht hat. Darin ist die Unfallentwicklung von 2018 bis 2022 dargestellt:

  • Die Säulen in der linken Grafik zeigen das Total der leicht verletzten Elektrovelofahrer (blau), der schwer verletzten (rot) und der getöteten (schwarz).
  • Die Säulen in der rechten Grafik zeigen die entsprechenden Zahlen der über 65-Jährigen.

Die Grafik wirkt so, als würden die über 65-Jährigen etwa 90 Prozent der Verunfallten ausmachen. In Tat und Wahrheit machen sie «bloss» 26 Prozent aus. Das Problem: Die Sonntagszeitung hat für die beiden Grafiken unterschiedliche Skalen verwendet.

Grafik Unfälle E-Bikes
Es sieht aus, als ob 90 Prozent der Verunfallten über 65 Jahre alt wären. Aber es sind «nur» 26 Prozent. Die unterschiedlichen Skalen verzerren das Bild.

Zum Thema Sicherheit hat der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) eine Broschüre verfasst sowie Videos mit Tipps zur ersten Ausfahrt und für mehr Sicherheit produziert. Der VCS hat auch Links zu Fahrkursen von verschiedenen Anbietern zusammengestellt.

Vorsicht beim Absteigen!

Die meisten Elektrovelos werden von einem Mittelmotor angetrieben. Dieser ist unter dem Tretlager montiert. Damit genügend Bodenfreiheit bleibt, bauen die Hersteller die Elektrovelos so, dass das Tretlager deutlich höher liegt als bei einem herkömmlichen Velo. Die Differenz beträgt bis zu zehn Zentimeter. Weil das Tretlager höher liegt, sind auch die Pedale weiter vom Boden entfernt. Beim Absteigen wird das zum Problem. Vor allem für Ungeübte. Gerade Ungeübte steigen oft sehr hektisch ab. Sie versuchen, den Boden mit dem Fuss zu erreichen, bevor sie angehalten haben. Das ist sehr gefährlich.

Deshalb die wichtigsten Tipps fürs Absteigen:

  • Niemals absteigen, bevor das Velo steht.
  • Zuerst vom Sattel aufstehen und aufs untere Pedal stehen.
  • Dann erst anhalten.
  • Zur Seite kippen lassen – am besten immer auf die gleiche – und den Fuss aufsetzen.
  • Keine Jacke anziehen, die beim Absteigen am Sattel hängen bleiben könnte. Auch Umhängetaschen sind eine Gefahr.
  • Wer den Sattel sehr tief stellt, kann absteigen, ohne zuerst vom Sattel aufzustehen. Wie beispielsweise auf einem Mofa. Nur ist das Fahren dann sehr mühsam und anstrengend, weil die Beine arg zusammengefaltet sind.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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4 Meinungen

  • am 13.11.2023 um 16:43 Uhr
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    ich kenne kaum einen Pensionär der nicht auch ein E-Bike angeschafft hätte. Das ist der ganz grosse Hype unter den Boomern und über die Hälfte davon hat vorher kaum je Radtouren gemacht weil es zu anstrengend war. Jetzt wird die Freizeit mit Elektro-Vergnügen ausgefüllt und schon die schiere Anzahl ist ein Garant für steigende Unfallzahlen. Separate Versicherung und natürlich eine sich wiederholende Prüfung ist nach meiner Meinung ein Muss. Da hätten vermutlich die wenigsten ein wirkliches Problem damit, schliesslich hat so ein Gefährt ein Motor und dafür eine Prüfung zu verlangen, ist gar nicht abwegig.

    • am 14.11.2023 um 06:24 Uhr
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      Wer sein ganzes Leben lang Velo gefahren ist, hat meistens keine Mühe mit dem Umstieg auf ein E-Bike.
      Für Leute, welche erst im Alter sich ein Elektro-Velo angeschafft haben, sieht die Sache etwas anders aus. Für diese Menschen lohnt es sich, lange und auf einsamen Wegen zu üben, um das neue Fahrzeug kennen und handeln zu lernen.
      Ebenfalls würde ich nur ein Fahrrad wählen, welches nur bis zu 25 kmH unterstützt wird.
      Seitlich am Gepäckträger befestigte Fahrrad-Taschen helfen Stürze zu minimieren.
      Ich selber vermeide nach Möglichkeit stark befahrene Velowege und Strassen.
      So bleibe ich an den Wochenenden – wenn viele Ungeübte unterwegs sind – oftmals daheim.

  • am 13.11.2023 um 17:01 Uhr
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    Die Sonntagszeitung zeigt wieder einmal, wie man Grafiken NICHT zeigen sollte – nämlich mit verschiedenen Skalen, wie Marco Diener richtig schreibt. (Auch bei Skalen, die unten nicht bei Null beginnen, wäre übrigens Vorsicht angesagt, wenn das Absägen unten nicht klar dargestellt würde.) Wenn das schon Nicht-Journalisten klar ist, müsste sich um so mehr jeder Medienprofi strikt vor solchen Irreführungen hüten.

  • am 14.11.2023 um 15:25 Uhr
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    Ich habe mich schon mehrmals aufgeregt, wenn Zahlen über Unfälle mit e-Bikes (und normalen Velos) veröffentlicht wurden. Wie im Artikel beschrieben, stieg die Anzahl der verkauften Bikes rasant und haben sich innert vier Jahren schlicht verdoppelt. Also muss man die Anzahl Unfälle in Relation zur Anzahl Bikes stellen: Anzahl Unfälle pro 1’000 Bikes als Beispiel. Ist halt etwas Statistik, was nicht jedermanns Sache ist. Aber nur so erkennt man, ob es jetzt mehr Unfälle (pro 1’000) gibt oder nicht. Ich fahre seit Jugendzeit Velo und seit 10 Jahren mit einem e-Bike (bin jetzt 81). Was ich da so auf der Strasse erlebe – vor allem mit den schnellen (bis 45) e-Bikes – stellt mir die restlichen Nackenhaare jeweils auf. Vortritt? Scheint ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein. Rücksicht auf andere? Chasch dänke!

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