Jeffrey Sachs an Friedensdemo am 25.2.23 in Berlin

Friedensdemonstration vom 25. Februar in Berlin © zvg

«Wir sollten die roten Linien beider Seiten beachten»

Red. /  «Die Wahrheit zur Ukraine: Beide Seiten haben gelogen, betrogen und Gewalt ausgeübt», sagte Jeffrey Sachs per Video in Berlin.

upg. Grosse Medien informieren vorwiegend über Argumente, die dafür sprechen, der Ukraine zu helfen, sämtliche von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern. Infosperber geht davon aus, dass die Leserinnen und Leser diese Argumente kennen. Deshalb dokumentieren wir ergänzend Stimmen, welche die Fortsetzung des Krieges für riskant halten. Heute den US-Ökonomen und Russland-Kenner Jeffrey Sachs. Übersetzung und zuerst veröffentlicht von Multipolar.  


Janukowitsch wollte Neutralität und keine Nato-Erweiterung

Jeffrey Sachs
Jeffrey Sachs

Ich war Berater der Regierungen Russlands, der Ukraine und der Vereinten Nationen und ich möchte mit Ihnen über die Wahrheit zu diesem Krieg sprechen. Wir befinden uns nicht am ersten Jahrestag des Krieges, sondern am neunten Jahrestag.

Der Krieg begann mit dem gewaltsamen Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch – einem Putsch, der von der Regierung der USA unterstützt wurde. Seit 2008 trieben die USA die Nato-Erweiterung bis zur Ukraine und nach Georgien voran.

Janukowitsch wollte Neutralität. Er stand zwischen den USA und ihrem Ziel der Nato-Erweiterung. Als Ende 2013 Proteste gegen Janukowitsch ausbrachen, ergriffen die USA die Gelegenheit, um die Proteste eskalieren zu lassen und zum Putsch gegen Janukowitsch im Februar 2014 beizutragen. Das war der Anfang des Krieges vor neun Jahren. 

Seitdem hat Russland die Krim erobert und der Krieg im Donbass brach aus. Die Nato pumpte Milliarden von Dollar an Waffen in die Ukraine. Der Krieg eskalierte immer weiter. Die Friedensabkommen Minsk I und II, für die Deutschland mit garantieren sollte, funktionierten nicht, weil die Ukraine sich weigerte sie umzusetzen und weil Deutschland und Frankreich nicht auf die Umsetzung drängten.

Ende 2021 machte Präsident Putin Russlands rote Linien deutlich: Eine Nato-Erweiterung bis zur Ukraine sei nicht akzeptabel, die russische Kontrolle der Krim müsse erhalten und der Donbass befriedet werden, indem die Minsk-Vereinbarungen umgesetzt würden. Doch die Biden-Administration lehnte es ab, über die Nato-Erweiterung zu verhandeln. 

Im Februar 2022 kam es tragischerweise und fälschlicherweise zur russischen Invasion, acht Jahre nach dem Putsch gegen Janukowitsch. Die USA haben seitdem massiv Waffen in das Land geschleust. Tod und Zerstörung sind fürchterlich. Im März 2022 erklärte die Ukraine, dass man auf der Basis von Neutralität verhandeln würde. Wir wissen jetzt, dass die USA diese Verhandlungen blockiert haben und einer Eskalation des Krieges den Vorzug gaben. Im September 2022 wurden die Nord-Stream-Pipelines gesprengt. Den überwältigenden Beweisen nach sind die USA dafür verantwortlich.

Wir befinden uns, meine Damen und Herren, auf einem Weg der extremen Eskalation und der Lügen oder des Schweigens der Medien: Bereits die Erzählung, wonach dies der erste Jahrestag des Krieges sei, ist falsch. Dieser Krieg begann wegen der Nato-Erweiterung, der US-Beteiligung an einem Putsch und der massiven Aufrüstung der Ukraine – dann folgte die schreckliche Invasion Russlands und die weitere Eskalation.

Dieser Krieg muss aufhören, bevor er uns alle in ein nukleares Armageddon führt.

Wir müssen die Wahrheit sagen. Beide Seiten haben gelogen, betrogen und Gewalt ausgeübt. Beide Seiten müssen zurückweichen. Die Nato muss aufhören, zu versuchen, sich bis in die Ukraine und nach Georgien hinein zu erweitern. Wir müssen die roten Linien beider Seiten beachten, damit die Welt überlebt.

Jeffrey Sachs

Zur Zeit des Mauerfalls beriet der Ökonom die Regierungen Polens und später der Sowjetunion bei der Einführung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Er empfahl damals die sogenannte „Schock-Therapie“. Während des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2020 unterstützte und beriet er den Kandidaten Bernie Sanders. Aktuell ist Sachs Direktor des Center for Sustainable Development an der Columbia University in New York sowie Präsident des Sustainable Development Solutions Network der UNO. 

Die Originalrede von Jeffrey Sachs auf Englisch:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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7 Meinungen

  • am 1.03.2023 um 11:54 Uhr
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    Das ist genau auf den Punkt gebracht!
    Aber was nutzen Verhandlungen wenn mündliche Absprachen generell keine Gültigkeit besitzen und Verträge nur noch dazu da sind gebrochen zu werden?
    Ich befürchte, selbst wenn Russland würde verhandeln wollen, gäbe es keinen vertrauenswürdigen und glaubhaften Verhandlungspartner.
    Im Prinzip stehen deshalb schon Existenzen auf dem Spiel. Einerseits Putin, der, wenn er überleben will an der Macht bleiben muss, andererseits der Westen der mit seiner Art und Weise seine Glaubwürdigkeit in Demokratie, Recht und Freiheit verspielt hat und das politische System bewiesen hat gegen die Macht des Geldes nicht gegen an zu können.

  • am 1.03.2023 um 12:23 Uhr
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    Eine Ergänzung zu den Vorgängen von 2014: Janukowitsch war demokratisch gewählt worden – einigen passte das Resultat nicht, es wurde von Wahlfälschungen geredet, aber nie konkret belegt (kommt uns bekannt vor, oder? Hallo 6. Januar), es begannen Ende 2013 Demonstrationen, teilweise sehr gewaltsame und natürlich der Maidan. Grund dafür? Das EU-Assoziationsabkommen, dass die EU unbedingt unterschrieben haben wollte – koste es, was es wolle, wofür Janukowitsch aber mehr Zeit wollte. Vergessen wird gerne folgendes: Janukowitsch hatte am 21. Februar 2014 bereits Verfassungsänderungen, Neuwahlen und einer gemeinsamen Übergangsregierung zugestimmt. Unterschrieben und bezeugt auch von Frankreich, Deutschland und Polen unterschrieben. Das Dokument hatte keinen Wert, kurz darauf fand der vom Westen initiierte Putsch statt und eine von Rechtsextremen geprägte Regierung übernahm die Macht. Unter Verletzung der Verfassung der Ukraine, ergo hat das ‹Kiewer Regime› keine Legitimität.

  • am 2.03.2023 um 09:42 Uhr
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    Danke für dieses differenzierte Bild der Situation.
    Es ist ein wichtiges Mosaiksteinchen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

  • am 2.03.2023 um 15:19 Uhr
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    Auch wenn diese Ausführungen stimmen mögen. Nichts, aber auch gar nichts legitimieren einen Einmarsch der Russen in der Ukraine. Nichts legitimiert das Morden auf ukrainischem Boden!

    • am 3.03.2023 um 07:00 Uhr
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      das selbe gilt hoffentlich auch für russischen, afganischen, syrischen, lybischen, palästinänsischen, vietnamesischen, kubanischen… die Liste ist enddlos ..Boden. Krieg ist ein profitables drecksgeschäft, und ich verstehe nicht, dass man glaubt, Krieg kann mit Waffen beendet werden. Wir schicken Gehbehinderten auch keine Rollstühle, damit sie das laufen wieder erlangen.

    • am 3.03.2023 um 08:58 Uhr
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      Also sind Sie jemanden der sich in eine Ecke stellen lässt, die Hosen ausziehen lässt, missbrauchen und schlagen lassen und still halten bis man Sie umgebracht hat?
      Hoffentlich begnen Sie niemals jemanden der es nichtgut mit Ihnen meint.
      Nachdem keine Absprachen und keine Verträge gegenüber Russland einehalten wurden und seitens des Westens durch Boris Jonson in den Türkeiverhandlungen ganz klar der Krieg mit Russland gefordert wurde, hat sich Russland selbstverständlich völlig uneigennützig den amerikanischen Wirtschaftsinteressen her zu geben und plündern lassen?
      Klar, leben Sie weiter in dieser Traumwelt.

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