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Auch Opfer von «fake news» und ausländischer Manipulation des Volkswillens: Salvador Allende © Victor Villoria/flickr/cc

Wie Du mir so ich Dir so ich mir so Du Dir

Red. /  Russische Einmischung in den US-Wahlkampf? Andersherum gab es auch. Autor Ariel Dorfman erinnert an Chile in den 1970er Jahren.

Die US-Geheimdienste sagen, es sei erwiesen, dass russische Regierungsdienste den amerikanischen Wahlkampf zugunsten des Kandidaten Trump beeinflusst haben, indem sie in Computer der Demokratischen Partei eindrangen und die entwendeten Daten zum politisch günstigen Zeitpunkt in die Öffentlichkeit streuten. Der Befund richtet die ideologischen Schützengräben aus wie ein Magnet ein Häuflein Eisenspäne. Hillary Clinton, die Demokratische Partei, ihre Anhänger und die Putin-Gegner weltweit klagen an – Donald Trump, die Republikanische Partei, ihre Anhänger und die Putin-Versteher weltweit dementieren.
Der Schriftsteller Ariel Dorfman ist als ehemaliger Mitarbeiter des gestürzten chilenischen Präsidenten Allende und als heutiger US-Bürger doppelt betroffen. Er beteiligt sich nicht am Werweissen, ob Putin-Russland sich wirklich in die amerikanische Wahl eingemischt habe, oder es sich hier lediglich um eine Schutzbehauptung der Verlierer handle, sondern nimmt den Befund für bare Münze. «Amerika, jetzt weisst Du, was die Chilenen fühlten», schrieb er mitte Dezember in der «New York Times».
Gemeint ist die verdeckte US-Einmischung in den Kampf gegen den Sozialisten Salvador Allende, der 1970 in einer fairen, klaren Wahl (mit Volksmehr) die Präsidentschaft in Chile gewonnen hatte, dann von der durch die USA unterstützten Rechten drei Jahre mit allen Mitteln bekämpft und schliesslich am 11. September 1973 (auch «nine-eleven») weggeputscht und ermordet wurde. (Nur in Klammern: Die Flucht aus Chile erreichte damals auch Europa, und die spröde Aufnahmepolitik der damaligen Regierung löste eine erste Schweizer Asyldebatte aus).
Dorfman war Partei, und die parteiliche Optik bestimmte die erste Reaktion auf das Attentat des verfassungstreuen Armeechefs René Schneider, der am 22. Oktober 1970 in Santiago tödlich verletzt wurde: «Es war die CIA». Allendes Wahl war von erbittertem Widerstand der chilenischen Rechten begleitet, unterstützt von «psychologischer Kriegsführung» und bezahlten Desinformationskampanen («heute würden wir es ‹fake news› nennen») der US-Regierung. «Wir hatten zu jenem Zeitpunkt keinen Beweis», schreibt Dorfman, «aber wir hatten keinen Zweifel, dass dies ein Versuch mehr war, den Willen des chilenischen Volks zu unterwandern». Schneiders Eid auf die Verfassung «stand den Destabilisierungsplänen stur im Wege», weshalb er umgebracht wurde. Der Putsch gelang drei Jahre später.
«Man könnte annehmen, etwas Schadenfreude meinerseits sei gerechtfertigt», schreibt Dorfman zur Empörung vieler Amerikaner über russische Einmischung in den Wahlkampf. «Sicher ist es ironisch, dass die CIA – dieselbe Institution, die sich um die Unabhängigkeit anderer Länder einen Dreck scherte – nun ‹foul› schreit, weil ein mächtiger internationaler Rivale ihre Taktiken nachahmt. Ich geniesse die Ironie, aber ich fühle keine Häme. Nicht nur, weil ich selber, jetzt als amerikanischer Bürger, erneut Opfer dieser üblen Machenschaften bin. Meine Enttäuschung reicht tiefer als das Gefühl persönlicher Verwundbarkeit. Wir haben es mit einem kollektiven Desaster zu tun. Diejenigen, die in den USA wählen, sollten nicht erleiden, was diejenigen durchmachen mussten, die in Chile gewählt hatten. Nichts rechtfertigt irgendwo, dass Bürger sich ihre Bestimmung durch Kräfte ausserhalb ihrer Landesgrenzen manipulieren lassen müssen.» Es gehe ums Prinzip – das Prinzip von «friedlicher Koexistenz und Respekt», auf welchem Freiheit und Selbstbestimmung beruhe.
Deswegen dürfe die Bedeutung des Vorfalls «nicht leichtfertig unterschätzt oder weggewischt werden», meint Dorfman: «Wenn Herr Trump und seine Akolyten die Klage der Geheimdienste abstreiten, die Wahl sei durch eine ausländische Macht zu seinen Gunsten gezinkt worden, wiederholt er in bizarrer Art die Antworten, welche die Chilenen in den frühen siebziger Jahren erhielten, wenn wir die CIA illegaler Eingriffe in unsere inneren Angelegenheiten beschuldigten. Er benutzt dieselben Worte der Verachtung, die wir damals hörten: Die Anschuldigungen seien ‹lächerlich› und blosse ‹Verschwörungstheorie›, weil es ‹unmöglich ist zu wissen›, wer dahinter stehe».
Im Fall Chile war dank dem US-Parlament – dem Parlament der Täterregierung – sehr wohl festzustellen, wer dahinter stand. Ein Sonderausschuss (Church-Committee) des Senats legte einen von beiden Parteien getragenen Bericht vor, der die verbrecherischen Machenschaften der CIA und ihre Interventionen in demokratische Entscheide beschrieb, immer mit der Rechtfertigung begangen, es gehe darum, die Welt vor dem Kommunismus zu schützen.
Was tun, wenn die Häme zu wenig weit reicht? Ariel Dorfman fordert eine «unabhängige, transparente und gründliche öffentliche Untersuchung», ähnlich wie jene des US-Senats im Jahr 1976 – nicht im verdächtigten Täterland Russland, wie man es sich auch vorstellen könnte, aber immerhin in den USA: «Der president-elect sollte eine solche Untersuchung verlangen, anstatt sich über ihre Berechtigung lustig zu machen. Die Legitimität seiner Herrschaft, durch die Niederlage bei der Gesamtstimmenzahl bereits beschädigt, hängt davon ab.»
Nicht genug. Dorfman ruft seine US-Landsleute zu einer noch höher gesteckten Aufgabe auf. Sie sollen die Einmischungsvorwürfe zum Anlass einer «unerbittlichen Meditation über unser gemeinsames Land, seine Werte, seine Glaubenssätze, seine Geschichte» nehmen. «Die Vereinigten Staaten können nicht in guten Treuen beklagen, was ihren anständigen Bürgern angetan worden ist, bevor sie sich dem stellen, was sie selbst den ebenso anständigen Bürgern anderer Staaten angetan haben. Und sie müssen den festen Entschluss fassen, solche herrschsüchtigen Aktivitäten nie mehr zu unternehmen. Wenn es je Zeit gewesen ist, dass Amerika sich selber in den Spiegel schaut, dann jetzt.»

Ariel Dorfman ist ein emeritierter Literaturprofessor und Autor von Prosa und Theaterstücken. Er wuchs in Chile auf, war Mitarbeiter des linksgerichteten Präsidenten Salvador Allende und floh nach dem Putsch von 1973 in die USA.


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Eine Meinung zu

  • am 30.12.2016 um 19:03 Uhr
    Permalink

    Ich sehe keinen Vergleichspunkt, weil es in den USA keinen Putsch gab, sondern demokratische Wahlen nach von beiden Parteien freiwillig akzeptierten Regeln. Die «Einmischung» der Russen beschränkte sich, falls überhaupt, darauf, einige geheime e-Mails offenzulegen (die u.a. aufzeigten wie Sanders durch die Clintonistas ausgehebelt wurde).
    Wenn Dorfman dieses US-Wahlergebnis behandelt wie einen Quasi-Putsch – bloß weil seine Kandidatin verloren hat -, dann muss man sagen: Dieser Allende-Anhänger ist auch heute noch nicht in der Demokratie angekommen.

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