Kommentar

Sprachlust: Lob des Versteher-Versteher-Verstehers

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Man kann das ja verstehen: Es ist leicht, Leute zu etikettieren. «Versteher» waren zuerst Frauen hold, jetzt Kindern, Putin, ja VW.

Einsam und allein war er etwa bis zur Jahrtausendwende: der Frauenversteher. Natürlich nicht der (hoffentlich) von Damen umschwärmte einzelne Vertreter dieses Männertypus, sondern der F. als Wort. Dann bekam er allmählich Gesellschaft, wie ein Blick in Textarchive zeigt; zuerst kam vielleicht der Männerversteher bzw. die -versteherin; es folgten Versteher (beliebigen Geschlechts) für Länder, deren Verhalten zu Rätselraten und/oder Abneigung Anlass gab, voran das Amerika George W. Bushs. Persönliche Bush-Versteher aber blieben, zumindest als Ausdruck, eine Rarität.
Nun jedoch hat Wladimir Putin, in dessen Seele Bush beim ersten Treffen Einblick gewonnen haben wollte, ganze Horden von Verstehern hinter sich geschart – jedenfalls wenn man dem Blätterwald glauben will sowie dessen Pendant im Internet, besonders den Leserkommentaren. Freilich bezeichnen sich kaum jene selber, die in der Ukraine-Krise Verständnis für Moskaus Politik zeigen, als Putin- oder Russland-Versteher. Das tun vielmehr andere, die eben für derlei Versteher wenig Verständnis haben.
Sind sie auch Verzeiher?
Das Schicksal, vor allem ironisch erwähnt zu werden, teilen die neueren XY-Versteher mit ihrem Vorbild, dem Frauenversteher eben. Den hat der Duden, nach etwa einem Jahrzehnt der Prüfung, 2009 ins Wörterbuch der Rechtschreibung aufgenommen, als «Mann, der sich Frauen gegenüber sehr einfühlsam und verständnisvoll gibt». Ob er es auch ist, bleibt bei dieser Definition offen: Aufs Auftreten kommt es an. Oft schwingt, wenn von Verstehern die Rede ist, Kritik an ihrer angeblichen Nachsicht für Schwächen oder Verfehlungen der Verstandenen mit. «Alles verstehen heisst alles verzeihen», soll schon die geistreiche Madame de Staël gesagt haben.
Dementsprechend gehörten die Allesversteher zu den ersten Nachahmern der Frauenversteher. Sie sind zwar rar geblieben, aber nimmt man all die spezialisierten Versteher zusammen, so findet sich mittlerweile doch für fast alles und jedes jemand, der es versteht. Innert Monatsfrist sind in der Schweizer Presse neben Frauen, Putin und Russland auch noch zu ihren Verstehern gekommen: Kinder, Grüne, Spass (bzw. «Nicht-Spass»), die SVP, Science-Fiction, Volkswagen). Seit Jahresanfang hat die Verwendung des Worts in schon beinahe beliebiger Zusammensetzung rasant zugenommen.
Sack und Esel gemeint
Nicht immer werden die Versteher mit (bierernster oder ironischer) Kritik bedacht: Kindern oder sogar VWs gegenüber wird man ja wohl noch besonders einfühlsam sein dürfen. Frauen gegenüber natürlich auch; ihre Versteher aber könnten Neid erwecken, der sich dann in der abschätzigen oder zumindest zweifelnden Verwendung des Worts niederschlägt. Meistens indessen braucht man die Bezeichnung, wenn man findet, da bringe jemand mehr Verständnis auf, als der (oder die oder das) Verstandene verdient habe: Man schlägt den Sack und meint beide, den verstehenden Sack und den verstandenen Esel.
In dieser ironisch-kritisch-distanzierenden Verwendung könnte «Versteher» gelegentlich auch Eingang in Wörterbücher finden, mit dem Vermerk «in Zusammensetzungen». Wie schnell, dürfte davon abhängen, ob die Mode sich noch eine Weile hält und wie viel danach von ihr übrigbleibt. Originell ist es bereits nicht mehr, allem Möglichen und Unmöglichen einen Versteher anzudichten. Aber praktisch bleibt es dennoch, und noch praktischer wäre es, alle verstünden dasselbe darunter. Dann wäre gleich klar, ob mit V. nun ein Kundiger oder ein Naivling, ein Deuter oder ein Speichellecker gemeint ist. Aber genau das will zuweilen offenlassen, wer einen Versteher aufs Korn oder auf den Arm nimmt: Man hat ihn kritisiert, kann das aber bei Bedarf auch relativieren, also den Versteher-Versteher mimen. Und wer dafür Verständnis hat, ist ein Versteher-Versteher-Versteher.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 23.08.2014 um 12:47 Uhr
    Permalink

    Daniel Goldstein hat klar erfasst, dass «Versteher» keineswegs ein positiv konnotiertes Wort ist, eigentlich nicht weit entfernt von «Gutmensch", das sich bereits zum ziemlich gemeinen Unwort gemausert hat. Ich staune, dass Daniel Goldstein mit dem Begriff «Geri-Müller-Versteher» noch nicht auf dem allerneuesten Stand angekommen ist. In der Region Baden ist man in der veröffentlichten Meinung mit dieser Haltung derzeit klar in der Minderheit, aber doch nicht unterhalb der kritischen Grenze, also zwischen 20 und 30%, was sich je nach Entwicklung der Informationslage nach oben oder nach unten noch verändern kann. Klar ist, dass die «Versteher» von etwas mit diesem Ausdruck klar zu Vertretern einer Minderheitsmeinung gestempelt werden. Niemand spricht in Deutschland derzeit von Merkel-"Verstehern". Sie politisiert, bei massvoller Umstrittenheit, so, dass nicht bei allem, was sie sagt und tut, nach «Verstehern» gelechzt werden muss. Rationaler Auftritt, sowohl mutmasslich privat wie auch im Politischen, so dass zum Verständnis dessen, was sie sagt oder tut, keine Psychologen oder Politologen als «Versteher"-Experten aufgeboten werden müssen. Gilt auch für Eveline Widmer-Schlumpf. Im Gegensatz zu Merkel ist ihre Politik vermutlich weniger mehrheitsfähig. Aber «Versteher» müssen, dank innerer Logik von fast jedem Auftritt und jeder Aussage, von EWS nicht extra herbeizitiert werden. Hingegen ist Geri Müller wie kein zweiter Politiker der Schweiz derzeit auf «Versteher» angewiesen.

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