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Blick in ein Camp für Uiguren in China © dw.com

Spätes Geständnis: China steckt Muslime in Umerziehungslager

Tobias Tscherrig /  Lange bestritt China, Muslime in Lager zu internieren. Nun hat Peking zugegeben, dass Tausende Uiguren festgehalten werden.

Während Monaten bestritt die chinesische Regierung vehement die Existenz von Umerziehungslagern für Muslime im chinesisch-uigurischen autonomen Gebiet Xinjiang. Nun hat die Regierung endlich zugegeben, dass es die Lager gibt – und dass darin Tausende Uiguren festgehalten werden. Das Eingeständnis von Peking wird begleitet von Nebelpetarden: Die chinesische Regierung hat ihre Propagandamaschinerie angeworfen und behauptet in einer Kampagne, die Lager seien «vorbildliche Institutionen im internationalen Kampf gegen den Terrorismus». Trotzdem sperrt sich China gegen den Kontrollbesuch von internationalen Beobachtern.

Propaganda als Antwort auf Kritik

Manche der inhaftierten Muslime befinden sich seit rund eineinhalb Jahren hinter den Mauern der Lager – ohne richterlichen Beschluss. Trotzdem hat der Regierungschef und stellvertretende Parteichef von Xinjiang, Shokrat Zakir, das «Programm» erst kürzlich gelobt. Damit ist er der erste Regierungschef, der sich offiziell und detailliert zu den Lagern geäussert hat. Allerdings greift er dabei auf Satzbausteine der chinesischen Propagandaindustrie zurück und bezeichnet die Umerziehungslager als «kostenloses Berufsbildungsprogramm», wie die Ostasien-Korrespondentin der «FAZ» berichtet.

Damit reagiert China auf die Vorwürfe der Vereinten Nationen und von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen. Diese vermuten seit Langem, dass in Xinjiang bis zu einer Million Muslime interniert wurden, um sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen und so ihrer religiösen beziehungsweise ethnischen Identität zu berauben. In der Begründung, die Zakir der Welt präsentierte, tönt das anders: «Viele der Auszubildenden waren beeinträchtigt durch religiöses extremistisches Gedankengut und unterstellten ihr Handeln einer Religionsdisziplin, die von Extremisten deformiert war.» Dank der Lager hätten viele «Auszubildende» erkannt, dass sie zuallererst Bürger der Nation seien, wird Zakir in der «FAZ» zitiert.

So sind die Muslime, die ohne rechtliche Grundlage verfolgt und interniert wurden, zu Schülerinnen und Schülern geworden. Die Umerziehungslager sind die Schule, der chinesische Staat ist der grosszügige Lehrmeister, der definiert, was richtig und falsch ist, und der seine Weisheit gönnerhaft mit der fehlgeleiteten muslimischen Minderheit teilt.

Terrorismus und Bildung als Vorwand

Wie Zakir sagte, seien die «Auszubildenden» dank ihrem Aufenthalt in den Lagern nun in der Lage, ihre «Fehler» zu erkennen. Weiter behauptet er, die Gefangenen hätten sich «geringfügiger Straftaten im Rahmen von Terror- oder Extremismusaktivitäten» schuldig gemacht. Gemäss Berichten von «Human Rights Watch» und «Amnesty International» reichen aber bereits Kontakte ins Ausland oder regelmässiges Beten aus, um verfolgt und auf unbestimmte Zeit interniert zu werden. Zakir geht aber noch weiter und bezeichnet die Lager als Massnahme «zum Schutz der Menschenrechte» – weil die Menschheit durch Terrorismus in Gefahr sei.

Das aufgezwungene «Bildungsprogramm» in den schwer bewachten Lagern dient angeblich aber nicht nur der Terrorismusbekämpfung, sondern auch der Bildung der Insassen. Diese würden durch mangelnde Sprachkenntnisse und Qualifikationen für den Arbeitsmarkt auffallen. Deshalb würden verschiedene Sprachkurse sowie Kurse in Textil- und Nahrungsmittelproduktion, Elektrotechnik, Friseur-Handwerk und im Online-Handel «angeboten».

Frühere Insassen widersprechen

Die inhaftierten Uiguren, die von der chinesischen Propagandaindustrie als «Nutzniesser eines kostenlosen Berufsbildungsprogramms» dargestellt werden, kämen ausserdem in den Genuss eines «komfortablen Aufenthaltes» in den Lagern. So gebe es kostenlose Mahlzeiten, Sportangebote, Tanz- und Gesangswettbewerbe. Ausserdem seien die Schlafsäle mit Radio, Fernsehen, Klimaanlagen und Duschen ausgestattet. Ausserdem stehe die «mentale Gesundheit der Auszubildenden» im Vordergrund.

Dass es sich hierbei um Propaganda handelt, belegen die Aussagen von früheren Insassen der Umerziehungslager, die von «Human Rights Watch» und «Amnesty International» dokumentiert wurden. Die ehemaligen Gefangenen sprechen darin unter anderem von Überfüllung, Schikane und Psychoterror.

China gerät unter Druck

Die grossangelegte Internierungswelle der muslimischen Uiguren startete im April 2017. Trotz der verstrichenen Zeit und der Millionen Menschen, die interniert sind, ist über die chinesischen Umerziehungslager nur sehr wenig bekannt. Auch von entlassenen Lagerinsassen ist bisher erst in Einzelfällen berichtet worden. Dass China anstelle von Schweigen oder Leugnen nun ein – wenn auch von Propaganda durchzogenes – Geständnis geliefert hat, kann als Schadensbegrenzung angesehen werden.

Denn China gerät international zunehmend unter Druck. Erst vor einigen Wochen waren im amerikanischen Kongress Rufe nach Sanktionen gegen die Verantwortlichen der Masseninternierung in Xinjiang laut geworden. Gefordert wurde unter anderem die Beschlagnahmung der amerikanischen Besitztümer von fehlbaren Personen – darunter zum Beispiel Chen Quanguo, der Parteichef von Xinjiang. Unter seiner Führung hatte sich die Region Xinjiang seit 2016 in einen umfassenden Überwachungsstaat verwandelt. Geht es nach den Amerikanern, sollen auch Sanktionen gegen Hu Lianhe ausgesprochen werden. Dieser gilt als führender Ideologe einer neuen Minderheitenpolitik, die gemäss der «FAZ» die Schaffung von Stabilität durch eine «Standarisierung menschlichen Verhaltens» propagiert.

Auch in mehreren islamischen Ländern, darunter wichtige Handelspartner von China, wächst die Kritik am Vorgehen in Xinjiang. Peking versuchte die Debatte aber stets zu unterdrücken. Mit einigem Erfolg: So musste etwa der pakistanische Religionsminister, der sich kritisch über die Umerziehungslager geäussert hatte, ein öffentliches Dementi abgeben. Kurz davor war der pakistanische Armeechef nach Peking gereist und drückte sein Bedauern über die Äusserungen aus.

Taktik wird nicht aufgehen

Ob Chinas neue Taktik, also die vorgeschobene Begründung der Terrorbekämpfung und der Bildung, erfolgreich sein wird, darf bezweifelt werden. Zu durchschaubar ist die Propaganda, welche die Verfolgung und Internierung einer unliebsamen Minderheit schönreden will. Als krasser Kontrast zur Erklärung stehen nicht nur die Aussagen von ehemaligen Inhaftierten, sondern auch die bewaffneten Wachposten, die Lagerkleidung der Inhaftieren und der Umstand, dass die «Auszubildenden» während ihres «Bildungsaufenthalts» die Lager nicht verlassen dürfen. Sie sind Gefangene, die ohne rechtliche Grundlage verfolgt und inhaftiert wurden, weil sie einer Minderheit angehören.

Anfang November wird sich der UN-Menschenrechtsrat in Genf zum wiederholten Mal mit der Situation in Xinjiang befassen.
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Eine Meinung zu

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 25.10.2018 um 11:23 Uhr
    Permalink

    Ist kostenlose Bildung – sorry «waterboarding» – in Guantanamo besser ? Wenn sich auch der Autor bemüht, relativ objektiv zu orientieren, hat er doch offensichtlich die US-Optik «internalisiert». Schade. So neu sind die Berichte über den chinesischen Gulag allerdings auch nicht, wie der Autor zu denken scheint.

    Würde er aber auch Sanktionen gegen Bush und Nachfolger verlangen, welche ohne jeden Zweifel Kriegsverbrechen epischen Ausmasses zu verantworten haben ?

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