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Schon im September 2014 erregten Nazi-Symbole auf Helmen ukrainischer Soldaten Aufmerksamkeit. © ZDF

Nazi-Symbole an der Front: heikle Wunden der Vergangenheit

Josef Estermann /  Nazi-Abzeichen ukrainischer Soldaten heizen die russische Propaganda an und führen zu Bildern, die der Westen nicht sehen will.

je. In einem Beitrag vom 6. Juni 2023 in der «New York Times» nimmt der Ukraine-Korrespondent Thomas Gibbons-Neff ein Thema auf, das wegen der Propaganda der Putin-Regierung sehr heikel ist. Es wird deshalb von westlichen Politikerinnen und Politikern, aber auch von Medienschaffenden tunlichst gemieden oder als Inszenierung der Gegenseite abgetan.


Nazi-Symbole an ukrainischen Uniformen

Unter dem Titel Nazi Symbols on Ukraine’s Front Lines Highlight Thorny Issues of History (Nazi-Symbole an der ukrainischen Front fokussieren heikle geschichtliche Sachverhalte) greift Gibbons-Neff das Thema trotzdem auf. Er ist sich bewusst, dass dies die internationale Unterstützung für die Ukraine gegen die Aggression Russlands schwächen und «der russischen Propaganda in die Karten spielen» könnte. Aber «nichts dazu zu sagen, macht die Nachricht noch schlimmer».  

Es geht um die Verwendung von Nazi-Symbolen an den Uniformen ukrainischer Soldaten und auf verschiedenen Fotos und Abzeichen in den Social Media durch ukrainische Autoritäten, die eine Verbindung mit rechtsextremem Gedankengut offenbart. Bekanntlich gilt die «Entnazifizierung» der Ukraine noch immer als eine der Begründungen von Russlands Präsident Vladimir Putin, das Nachbarland mit einem brutalen Krieg zu überziehen.

Die ambivalente Haltung von Behörden und Bevölkerung

Gibbons-Neff zeigt aufgrund verschiedener Beispiele aus der letzten Zeit, wie ambivalent die Haltung der Ukraine zur Nazi-Zeit insgesamt, zu den entsprechenden Symbolen und zu rechtsextremen Ansichten ist, die mit Fug und Recht als «Neonazismus» bezeichnet werden können. Dabei bemüht sich die Regierung von Präsident Wolodymyr Selensky – der selber jüdische Wurzeln hat – immer wieder darum, diese «braunen Flecken» in Vergangenheit und Gegenwart kleinzureden oder als «russische Propaganda» zu bezeichnen.

Es seien auch russische Soldaten mit Nazi-Abzeichen in der Ukraine gesehen worden, was die Sache angesichts der Geschichte von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion zur Zeit des Zweiten Weltkrieges unglaublich komplex erscheinen lässt. Bekanntlich hat die Sowjetunion 1939 mit Hitler einen Nicht-Angriffspakt geschlossen, der aber bereits zwei Jahre später durch die Invasion der Ukraine durch die Nazis brutal gebrochen wurde.

Die bleibende Erinnerung an die sowjetische und deutsche Besatzung

Da die Ukraine unter dem Sowjet-Regime gelitten und aufgrund von Hungersnöten Millionen Tote zu beklagen hatte, sahen viele Ukrainerinnen und Ukrainer die Nazis zunächst als Befreier. Nationalistische ukrainische Organisationen kämpften an der Seite der Nazis gegen die Sowjets und begingen grässliche Kriegsverbrechen gegen die jüdische und polnische Zivilbevölkerung. Anführer wie Stepan Bandera werden von vielen Menschen in der Ukraine bis heute als Nationalhelden verehrt.

Später wandten sich verschiedene dieser Gruppen auch gegen die Nazis und kämpften an der Seite der Roten Armee. Allerdings resultiert das ambivalente Verhältnis zu Nazi-Symbolen und «faschistischen» Ansichten von einigen Gruppierungen in der Ukraine vor allem aus jener Zeit, als sie sich der Waffen-SS Galizien anschlossen, um gegen die Sowjets zu kämpfen. Das Symbol dieser Einheit war ein himmelblaues Abzeichen mit einem Löwen und drei Kronen. Erst im vergangenen Dezember befand das oberste Gericht in Kiew nach einem jahrelangen gerichtlichen Tauziehen, dass das Emblem nicht als «Nazi-Symbol» zu bezeichnen sei.

Der heutige Krieg als Weiterführung des nationalen Widerstands im Zweiten Weltkrieg

«Heute sehen viele ukrainische Soldaten ihren Kampf gegen die russische Besatzung als Fortsetzung ihres Kampfes um Unabhängigkeit während und unmittelbar nach dem Zeiten Weltkrieg», meint Gibbons-Neff. Symbole wie die Flagge der ukrainischen Aufstandsarmee oder eben das erwähnte Galizien-Abzeichen wurden damit zu «Symbolen des anti-russischen Widerstandes und des nationalen Stolzes».

Diese schwierige Gemengelage macht es äusserst schwierig, aufgrund von Symbolen und Abzeichen jene Ukrainerinnen und Ukrainer, die wegen der russischen Invasion zurecht aufgebracht sind, von jenen zu unterscheiden, die rechtsextreme Gruppierungen unterstützen und auch vor Hass und Nazi-Parolen nicht zurückschrecken. So befinden sich zum Beispiel das berüchtigte Azov-Regiment – das in Mariupol einen heroischen Kampf gegen die Besatzer geführt hat – oder die «Da-Vinci-Wölfe» im Zwielicht von Nationalstolz und Rechtsextremismus.

Beispiele von Nazi-Symbolen auf Uniformen und im Netz

Gibbons-Neff führt im erwähnten Artikel in der «New York Times» einige Beispiele auf, die auch im Westen aufhorchen lassen, ohne aber Russland als Aggressor irgendwie aus der Verantwortung zu nehmen. Es geht um Bilder in Social Media von ukrainischen Soldaten an der Front, welche Abzeichen an ihren Uniformen tragen, die mit Nazi-Symbolen in Verbindung gebracht werden können und heute zum Inventar von rechtsextremen Hass-Gruppen gehören. Meistens wurden die Einträge schnell wieder gelöscht.

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums gehörte der Soldat auf einem Foto zu einer Freiwilligeneinheit namens Da-Vinci-Wölfe, die als Teil des paramilitärischen Flügels des Rechten Sektors der Ukraine gegründet wurde. Das ist eine Koalition rechtsgerichteter Organisationen und politischer Parteien, die nach der illegalen Annexion der Krim durch Russland militarisiert wurde.

Mindestens fünf weitere Fotos auf den Instagram- und Facebook-Seiten der Wölfe würden ihre Soldaten mit Abzeichen im Nazi-Stil zeigen. Bilder zeigen den «Totenkopf» oder die «schwarze Sonne», wie sie Kriegsverbrecher der Nazi und Wächter von Konzentrationslagern auf ihren Uniformen getragen hatten. Im April postete sogar der ukrainische Verteidigungsminister auf Twitter das Bild eines ukrainischen Soldaten mit «Totenkopf» auf seiner Uniform. Doch Jake Hyman, Sprecher der britischen Neo-Folk-Band «Death in June», sagte darauf, der «Totenkopf» über der ukrainischen Flagge mit einer winzigen «Sechs» sei ein Hasssymbol der Band und habe nichts mit Faschismus zu tun. Als die «New York Times» den Verteidigungsminister auf seinen Tweet ansprach, wurde dieser nach wenigen Stunden gelöscht.

Die «New York Times» wundert sich, warum jüdische Organisationen sowie «Anti-hate Organizations», die solche Symbole sonst heftig kritisieren, weitgehend still bleiben.

«Solche Bilder schwächen die internationale Unterstützung»

Die Episode veranschaulicht, wie schwierig der Umgang ukrainischer Gruppierungen mit Nazi-Symbolen ist. Zwar distanzierte sich der erwähnte Verteidigungsminister umgehend von entsprechenden Verbindungen und betonte, dass «die Ukraine jegliche Erscheinungsform des Nazitums kategorisch verurteile». Doch bleiben solche Verlautbarungen, zusammen mit den Tweets und anderen Fotos, immer noch ausreichend ambivalent, um einen sorglosen Umgang der ukrainischen Autoritäten mit Nazi-Symbolen vermuten zu können.

Michael Colborne, ein Forscher der Bellingcat-Gruppe, die sich mit der internationalen extremen Rechten befasst, meint denn auch: «Mir bereitet es Sorge, dass Leute in Führungspositionen in der Ukraine entweder nicht zur Kenntnis nähmen oder es nicht wollen, wie solche Symbole ausserhalb der Ukraine gesehen werden. […] Ich denke, die Ukrainerinnen und Ukrainer sollten sich allmählich bewusst werden, dass solche Bilder die internationale Unterstützung schwächen.»

Kritik am «New York-Times»-Korrespondenten

upg. Der Ukraine-Korrespondent der «New York Times», Tom Gibbons-Neff, verharmlose die Neonazis in der Ukraine und stütze sich auf einseitige Quellen. Das meint Patrick Lawrence, langjähriger Auslandkorrespondent der früheren «International Herald Tribune» und heute Kolumnist bei «The Nation». Sein jüngstes Buch heisst «Time No Longer: America After the American Century».

Gibbons-Neff wolle uns davon überzeugen, kritisiert Lawrence, dass diejenigen ukrainischen Soldaten, «die Nazi-Insignien tragen, judenmordende, russophobe Kollaborateure des Dritten Reiches vergöttern, sich in nazistisch inspirierten Ritualen versammeln und in clanartigen Fackelparaden durch Kiew marschieren», nur wie Neonazis aussehen würden, jedoch keine seien. Sie trügen die Wolfsangel, die Schwarze Sonne, den Totenkopf – alles Nazi-Symbole –, weil sie stolz auf sich seien, und weil es sich um Dinge handle, die stolze Menschen trügen. 

Dem New York Times-Korrespondenten gehe es vor allem um das schlechte Image im Ausland, das diese Nazi-Symbole verursachen, schreibt Lawrence in «The Nation». Als verharmlosende Quellen zitiere Gibbons-Neff den ukrainischen Verteidigungsminister und ausgerechnet das Recherche-Netzwerk Bellingcat, das via NED vom US-Aussenministerium finanziert und vom «Atlantic Council» unterstützt werde.

Gibbons-Neff habe wohlweislich keine ukrainischen Soldaten interviewt, die Nazi-Symbole tragen. Er müsste sonst einen, der solche Insignien trägt, zitieren, der sagt, dass er selbstverständlich ein Neonazi sei. 

Schwierige Informationsbeschaffung

Thomas Gibbons-Neff beschrieb seine Arbeitsbedingungen in der Ukraine in der «New York Times» wie folgt: 

«Die grösste Herausforderung ist das Ringen um Zugang und die Erlaubnis, bestimmte Orte besuchen zu dürfen, um Dinge zu sehen, für die man den Presseoffizier oder die Erlaubnis der Militäreinheit braucht […] Die Ukrainer wissen ziemlich gut, wie man mit der Presse umgeht. Es war also schon immer schwierig, diese Parameter einzuhalten und niemanden vor den Kopf zu stossen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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7 Meinungen

  • am 26.06.2023 um 11:34 Uhr
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    Sehr instruktiv, wie die westliche Psyche sich hier offenbart und ihre mittlerweile ihre offensichtliche Unterstütztung für die Nazi-Ideologie zu rechtfertigen versucht. Demnach ist ein Symbol der ‹Waffen SS Galitschina› plötzlich ‹kein Nazi› Symbol mehr, weil ‹ein Urteil eines Gerichtes des Regimes, welches seit 2014 offen Nazis rehabilitiert, Nazi-Ideologie vertritt und auf die Unterstützung von Nazis aus allen Ländern zurückgreift› so sagt. Nach dieser Logik liegt das Problem lediglich bei der offen zur Schau getragenen Symbolen [welche keine Nazi-Symbole sind, notabene] und nicht bei der dahinterstehenden Ideologie, die dadurch zum Ausdruck gebracht wird. Es ist also okay, ein Nazi zu sein, solange man das nicht allzu deutlich zur Schau stellt. Damit braucht man auch die Ideologie des Kyiv Regimes nicht zu diskutieren und kann weiterhin so tun, als gäbe es keine Nazis in der Ukraine und man unterstütze lediglich ‹Freiheit und Souveränität› des Landes.

  • am 26.06.2023 um 11:45 Uhr
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    1) Wer Nazisymbole trägt, bekennt sich zu diesem Gedankengut. In Deutschland und Österreich wird man dafür verurteilt.
    2) Die NATO hat eine lange Tradition im Unterstützen rechter Bewegungen als «stay behind» Guerillatruppen gegen eine kommunistische Invasion; auch nach dem 2. WK wurden nach anfänglicher Entnazifizierung Nazis in Ruhe gelassen.
    3) Die durch extreme Industrialisierung und «Entkulakisierung» verursachten Hungersnöte waren keine ethnischen Säuberungen oder rassistisch sondern ein Verbrechen am gesamten sowjetischen Volk – es starben nicht nur Ukrainer sondern sämtliche Ethnien waren betroffen.
    4) Die Kultivierung rechter und nationalistischer Umtriebe ist ein manipulatives Mittel in der Außenpolitik, diesmal von westlicher Seite. Bereits beim Auseinanderbrechen Jugoslawiens wurde von westlicher Seite in diese Richtung eifrig und erfolgreich gewühlt.
    5) Die Ukraine ist ein Vielvölkerstaat – das kommt im westlichen Narrativ derzeit überhaupt nicht vor.

  • am 26.06.2023 um 12:12 Uhr
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    Viele «Nazis» der heutigen Generation sind vor allem Kriegs- und allgemein Gewaltverherrlicher. Das gilt für die Soldaten der Ukraine genauso wie für diejenigen Russlands. Historische Details gehen denen gelinde gesagt am A… vorbei, Hauptsache dreinschlagen und totschiessen. Wahrscheinlich wären sie in einer direkten Begegnung ohne Waffen erstaunt, wie ähnlich sie sich sind. Aber der Konflikt wird ja von höherer Warte, vom Militärisch-Industriellen Komplex gezielt gefördert, worauf auch der InfoSperber gerade wieder hingewiesen hat.

  • am 26.06.2023 um 13:28 Uhr
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    Wie war das nochmals, als sich der neue Stern des Westens, der Komiker und heutige Präsident der Ukraine mit einer Live-Schaltung ins griechische Parlament darstellte? Hat er da nicht einen dieser «Helden vom Asow.Batallion» zu Wort kommen lassen an seiner Seite? Darauf kam es doch im griechischen Parlament zu Protesten und Abgeordnete verliessen den Saal? Und was war denn noch vor dem Jahre 2022 auf westlicher Seite in den Medien? Da gab es doch noch zuhauf Berichte und Bilder , die dies Neonazis in der Ukraine dokumentierten. Dies scheint heute unter generellem Gedächnisverlust verschwunden zu sein ! >>>https://taz.de/Griechenland-und-der-Ukrainekrieg/!5848303/

  • am 26.06.2023 um 16:07 Uhr
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    Sinngemäss: «die Nazis bekämpften Stalin und die kommunistische Diktatur der Sowjetunion, weswegen die Nazis die Guten sind.»

  • am 26.06.2023 um 19:51 Uhr
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    Diese Symbole wurden auch im Norden Deutschlands bei der Ausbildung von Ukrainischen Soldaten an deren Uniformen gesehen. Der Kasernenkommandant hat darauf hin ein Verbot erlassen gehabt und die Sache wurde tot geschwiegen.
    Als deutscher verantwortlich gemacht zu werden dass sich die Geschichte nicht wiederholt und im Land besonders empfindlich auf alles was sich darauf bezieht reagiert wird, macht den Umgang damit wirklich nicht einfacher….

  • am 27.06.2023 um 12:31 Uhr
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    Wer die Vorgänge in der Ukraine verstehen will, sollte den Artikel «Die ukrainische Tragödie» von Ulrike Simon lesen, der zuerst in «makroskop» erschien https://dreimallinks.de/wp-content/uploads/2023/04/The-tragedy-of-Ukraine-Artikel-4.pdf. Der Artikel beruht auf dem gleichnamigen Buch von Nikolai N. Petro. Laut Petro basiere seit dem Maidan „die Kulturpolitik der ukrainischen Regierung […] auf der Annahme, dass die kulturelle Einheit nur durch die Auslöschung der russischen Kultur, Sprache und Identität innerhalb der Ukraine erreicht werden kann. Diese Annahme steht im Mittelpunkt der staatlichen Politik in den Bereichen Sprache, Religion und historische Bildung …“

    Die tiefe Spaltung zwischen den galizischen und ost-ukrainischen Bevölkerungsgruppen ist eine wesentliche Ursche für den Ukrainekonflikt. Bei den letzten Freiburger Diskursen war Nikolai N. Petro zu Gast. Das Gespräch kann hier nachgehört werden: https://www.youtube.com/watch?v=FQBaLUWTDUk

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