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Entschlüsselung von Verschlüsselung ist der Champagnerjob von Geheimdiensten © tv

Medienfreiheit bei Chefredaktoren unter «Diverses»

Robert Ruoff /  Medienfreiheit in Gefahr (Teil 4): Die Konferenz der ChefredaktorInnen hakt Protest und Engagement routinemässig ab.

Die jüngsten Enthüllungen aus den Dokumenten von Edward Snowden zeigen nicht nur, dass die Überwachung global ist. Sie zeigen auch, dass die Geheimdienste im Verein mit grossen und kleinen Internetfirmen nicht nur Metadaten speichern, sondern tief in die Privatsphäre eindringen. Die Umfrage von Infosperber hat vor diesen letzten Enthüllungen stattgefunden. Vielleicht hätten die neuesten Informationen die Motivation der ChefredaktorInnen gestärkt, die wenigen, einfachen Fragen zu beantworten. – Vielleicht auch nicht.

Bei der Umfrage bei 15 Chefredaktoren der grösseren Schweizer Zeitungen hat sich nur einer spontan zur Lage in unserem Land geäussert. Beat Schmid, stellvertretender Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag», schreibt: «Insbesondere beleuchteten wir (die «Schweiz am Sonntag», R.) die Datensammelaktionen des schweizerischen Geheimdienstes, der dazu auch auf die Netze von Swisscom und anderen Telekomanbietern zurückgreifen kann.» Und in seinem Editorial schrieb er (bereits am 30. Juni 2013): « Die Telekomfirmen dürften und können sich nicht zu Komplizen der Geheimdienste machen – zu keinem, weder in der Schweiz noch sonst wo auf der Welt.»

Damit gehört Beat Schmid zusammen mit Philipp Landmark (St. Galler Tagblatt) , David Sieber (Schweiz am Sonntag und Südostschweiz) und Artur K. Vogel (Der Bund) zu den vier Chefredaktoren der Deutschschweiz, die sich persönlich in Kommentaren zur globalen und lokalen Gefährdung der Medienfreiheit, zum Schutz der Privatsphäre und zur penetranten Überwachung geäussert haben – zu einem durchschlagenden Problem, das nur in wenigen Medien konsequent bearbeitet wird. Im britischen «Guardian» selbstverständlich, in der investigativen amerikanischen Website «ProPublica, in der «New York Times» und in Deutschland beispielsweise von «spiegel online». Selbstverständlich gibt es in der Schweizer Presse und im Radio immer wieder breite Berichterstattung. Bemerkenswert unter anderem auf «20 Minuten online», die neben der Aktualität ein eigenes Dossier zum Thema anbietet. Die Liste ist nicht vollständig.

Die Fragen – die Antworten

15 Chefredaktoren* haben wir angefragt, sechs (6) haben zu dem Thema geantwortet, einer (1) hat die Teilnahme ausdrücklich abgelehnt. Zum Brief der vier nordischen Chefredaktoren – unserer ersten Frage (siehe Teil 1) – antwortet «Tages-Anzeiger»-Chef Res Strehle: «Solche Solidaritätsbekundungen über die nationalen Grenzen sind wichtig, auch wenn sie konkret in diesem Fall wohl wenig ändern – sie setzen ein Zeichen.» Er steht damit für die Position der Kollegen, die da und dort etwas mehr Skepsis äussern.

Markanter formuliert es hingegen der Chef der «NZZ am Sonntag» Felix E. Müller: «Es fällt auf, dass in letzter Zeit auch in westlichen Ländern vermehrt Versuche unternommen werden, kritischen Journalismus zu unterbinden. Die Regierung Obama hat den Trend ausgelöst, Cameron folgt nun. In der Schweiz sind ähnliche Bestrebungen festzustellen.»

Meinungsfreiheit unter «Diverses»

«Haben Sie selber eine entsprechende Initiative» in der Schweiz wie die vier nordischen Chefredaktoren ergriffen? – Das war die zweite Infosperber-Frage und die Antwort war durchwegs «Nein». –
Die Mitglieder des Vorstands der ChefredaktorInnen-Konferenz hatten es dabei etwas einfacher. Die Infosperber-Umfrage erreichte sie – und es war wirklich Zufall – am Tag vor der Vorstandssitzung. Das mag den Vorstandsmitgliedern, die sich mit dem Gedanken an eine öffentliche Stellungnahme bereits getragen hatten, aber die Aufgabe ein wenig erleichtert haben.

Denn das Thema «Medienfreiheit» oder der «Fall Rocchi» oder die «Antiterror»-Aktion gegen den «Guardian» waren in der ChefredaktorInnenkonferenz nicht einmal traktandiert. «Wir haben das unter ‚Diverses’ behandelt», erklärte ihr Präsident Martin Spieler. Und auf die Frage, ob der Vorstand die sorgenvolle Protesterklärung – «stellt mit Sorge fest, dass sich die Behinderungen von Medienschaffenden… gehäuft haben» – nicht nur an die Mitglieder und Agenturen geschickt habe, meinte Spieler, der Vorstand habe das »nicht diskutiert».

Und nein, auf ein gemeinsames Vorgehen mit den Verlegern «wollten wir nicht warten».

Also abgehakt. Kein gemeinsamer Protest. Back to Business.

Jeder für sich und (k)einer für alle

Die Erwartungen an die Verleger halten sich ohnehin in Grenzen, selbst bei den Chefredaktoren. «Hätten Sie von Schweizer Verlegern erwartet, dass sie öffentlich Stellung nehmen und gegen das Vorgehen in London protestieren?», war die Infosperber-Frage. «Es wäre ein weiteres starkes Zeichen für die Medienfreiheit», antwortet Strehle, der im Übrigen nicht weiss, ob die Verleger sich noch äussern werden – wie zu diesem Zeitpunkt die Verleger wohl auch nicht. Der St. Galler Landmark «hätte vor allem erwartet, dass sich die Verleger gegen die Vorgänge in der Schweiz (Rocchi) wehren», während Beat Schmid (Schweiz am Sonntag) die Frage lapidar mit einem Wort formuliert: «Nein.»

Bleibt zu dieser Frage noch die Stellungnahme des «NZZ am Sonntag»-Chefredaktors. Felix E. Müller schreibt: Die Verleger hätten sich « – wie die Branchenorganisationen – zum Beispiel gegen die Verurteilung unseres Redaktors stellen können. Doch da war und ist die Branchensolidarität inexistent.»

Die NZZ hat sich also allein auf den Weg nach Strassburg gemacht, zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil sie in der Schweiz die Pressefreiheit im Sinne der Menschenrechtskonvention gefährdet sieht. Unter anderem durch den Versuch aus den Eidgenössischen Räten, Informationen von öffentlichem Interesse zu unterdrücken.

Nachtrag:
Als letzte Antwort auf die Infosperber-Umfrage erreichte uns auf zusätzliche Anfrage hin noch die Antwort von Markus Somm, Chefredaktor der «Basler Zeitung»: «Lieber Herr Ruoff, besten Dank für Ihre Fragen. Ich habe kein Interesse, an Ihrer Umfrage teilzunehmen.»
Alles klar. Auch Infosperber dankt.

Geantwortet haben schnell oder auf Nachfrage nach einer Woche: Andreas Strehle, Tages-Anzeiger; David Sieber, Südostschweiz; Philipp Landmark, St. Galler Tagblatt; Felix E. Müller, NZZ am Sonntag; Martin Spieler (Chefredaktoren-Konferenz); Beat Schmid, Schweiz am Sonntag.
Die Teilnahme ausdrücklich abgelehnt hat: Markus Somm, Basler Zeitung.
Trotz Nachfrage nicht geantwortet haben: Christian Dorer, AZ Medien; Colette Gradwohl, Landbote; Michael Hug, Berner Zeitung; Thomas Ley, Blick; Markus Spillmann, Neue Zürcher Zeitung; Pierre Veya, Le Temps; Ariane Dayer, Le Matin Dimanche; Sandra Jean, Le Matin. – «Le Matin» ist durch den «Fall Rocchi» selber vom Übergriff eines Staatsanwalts betroffen und ist mit Protesterklärungen der Journalisten-Organisationen und der Chefredaktoren-Konferenz unterstützt worden.

Die Fragen von Infosperber an die 15 ChefredaktorInnnen

1) Wie beurteilen Sie den Vorstoss der vier nordischen Chefredaktoren?

2) Haben Sie selber eine entsprechende Initiative in der Schweiz unternommen?
>> Im Rahmen der Chefredaktorenkonferenz?
>> Im Rahmen Ihrer anderweitigen Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen?

3) Wollen Sie eine solche Initiative noch ergreifen bzw. würden Sie die Initiative unterstützen?
>> Wenn nicht, warum nicht?

4) Haben Sie selber in dieser Sache bereits journalistisch Stellung genommen (Kommentar? Anderes Format?)
>> Für einen Link bin ich Ihnen dankbar.

5) Die Medienfreiheit ist auch die publizistische Freiheit der Verleger. Hätten Sie von Schweizer Verlegern erwartet, dass sie öffentlich Stellung nehmen und gegen das Vorgehen in London protestieren?

Serie «Medienfreiheit in der Schweiz»
Teil 1: «Die Schweizer Mühsal mit der Pressefreiheit»
Teil 2: «Medienfreiheit in Gefahr: der lästige Widerstand»
Teil 3: «Überwachung: Wenig Grund zur Sorge?»
Teil 5: «Bedrohte Medienfreiheit: Verleger im Einzelkampf»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Medien unter Druck

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2 Meinungen

  • am 9.09.2013 um 12:36 Uhr
    Permalink

    Zu wenig Emotionen für die Auflage einer Zeitung. Man kann dieses Thema mit den grössten Buchstaben, die eine Druckmaschine produzieren kann, auf Papier bringen und es bleibt für Otto Normalverbraucher uninteressant. Er schreibt entweder Nichts, an Niemand und auf Nichts oder dann nur seinen Kommentar zu Fällen wie die unsägliche Geschichte um Carlos. Diesen dann aus tiefstem Bauch und mit viel Entrüstung. Das Thema Freiheit ist nur wenn es um etwas wie sein Auto geht emotionell genug um sich darüber aufzuhalten.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 9.09.2013 um 22:01 Uhr
    Permalink

    "Gedankenfreiheit genoss das Volk:
    Sie war für die grossen Massen.
    Beschränkung traf nur die geringe Zahl
    Derjenigen, die drucken lassen."

    Heinrich Heine: Deutschland, ein Wintermärchen

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