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Erich Gysling bei einem Aufenthalt in Mashhad, wo Raissi der Hüter der religiösen Stiftung Astan-e Qods-e Razawi war. © zvg

Iran: Warum nur wurde der Hardliner gewählt?

Erich Gysling /  Der neue Staatspräsident Ebrahim Raissi ist für Tausende von Todesurteilen verantwortlich. Er wurde über Jahre hinweg aufgebaut.

Nun hat Iran einen Staatspräsidenten, der auf der Sanktionsliste der EU und jener der USA steht – und dies nicht aufgrund von sonst oft von politischer Willkür durchsetzten Kriterien des «Westens», sondern wegen der nachgewiesenen Verantwortung des Amtsträgers für tausende Todesurteile gegen politische Widersacher in früheren Phasen der Islamischen Republik.

Ebrahim Raissi, jetzt gewählter Nachfolger von Hassan Ruhani, war einer von vier «Blutrichtern», die um 1988 (damals war er 28-jährig) das Dekret Ayatollah Chomeinis ausführten – das beinhaltete, alle so genannt politischen Gefangenen müssten unverzüglich erhängt oder erschossen werden. Was tat Raissi später, in den Jahren der ideologischen Mässigung der Islamischen Republik? Er studierte Theologie, erreichte den Rang eines Hodjataleslam (das ist eine Qualifikation zwischen einem einfachen Mullah und einem höher gestellten Ayatollah), errang Ämter im Justizapparat, wurde Vorsitzender des Kontrollapparats des iranischen Rundfunks und im Jahr 2016 «Hüter» der religiösen Stiftung Astan-e Qods-e Razawi in Mashhad.

Grosser Einfluss über mächtige Stiftung

Für Aussenstehende wirkte, wirkt generell, diese letzt genannte Funktion wohl als Versetzung auf ein Abschiebegleis – doch weit gefehlt! Der «Hüter» dieser Stiftung herrscht über ein wahrhaftiges Imperium, einen Staat im Staate Iran. 25 Millionen Schiiten pilgern jährlich zu diesem Heiligtum, dem Grab des achten Imams. Die Stiftung erhält Tag für Tag Legate von Pilgerinnen und Pilgern, der Reichtum der Stiftung wächst von Jahr zu Jahr. Sie beherrscht die Wirtschaft der drei-Millionen-Stadt Mashhad, die Industrie der ganzen Region, die touristische Infrastruktur. Ihr Einfluss geht weit über die Region hinaus.

Drei Jahre lang war Raissi in dieser Funktion. Es gibt Gerüchte, dass er in einer kritischen Phase von seinem «Thron» aus das grüne Licht für Demonstrationen erteilte, die sich gegen die relativ gemässigte Linie Ruhanis respektive gegen ständig wachsende wirtschaftliche Probleme richteten – aber als die Kundgebungen ausser Kontrolle gerieten, liess Raissi die Organisatoren der Proteste fallen und liess es (wahrscheinlich) auch zu, dass sie von der Justiz erbarmungslos verfolgt wurden. Wieder: Todesurteile. 

Bereits einmal kandidiert

Ebrahim Raissi kandidierte 2017 für das Amt des Staatspräsidenten, gegen den damals amtierenden Ruhani. Und unterlag. Vor allem, weil Ruhani und dessen Aussenminister, Mohammed Djawad Zarif, noch immer aussichtsreich erschienen beim Versuch, einen konstruktiven Dialog mit westlichen Mächten zu führen, konkret: die USA beim mühsam ausgehandelten sog. Atomvertrag «bei der Stange» zu halten und damit die Verschärfung von Sanktionen abzuwehren. Ein Jahr später schlug US-Präsident Donald Trump zu, zerriss, bildlich gesprochen, das Vertragswerk, und verkündete eine Strategie des «maximalen Drucks» gegen Iran. Dass Iran sich bis zu diesem Zeitpunkt, auch einige Zeit darüber hinaus, liniengetreu an die Vorgaben des Vertrags gehalten hatte, war Trump egal – von nun an konnte Iran auf legalem Weg kein Erdöl mehr exportieren und wurde, erbarmungslos, in die wirtschaftliche Krise getrieben. Mit dem Resultat, dass schliesslich mindestens 50 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsgrenze schlitterten. 

Das war die Ausgangslage für den Beginn der Kampagne für die Suche eines Nachfolgers für den relativ gemässigten, aber auch ziemlich erfolglosen Staatspräsidenten Ruhani. Aber es waren nicht nur die Folgen der US-Sanktionen (die von Europa, wenn auch widerwillig, mitgetragen wurden), welche die wachsende Misere auslösten – es gab, parallel dazu, auch eine inner-iranische Bewegung zugunsten von so genannten Hardlinern. Sie geht in die Ära von Ahmadinejad als Staatspräsident (2005 bis 2013) zurück. In diesen Jahren erhielten die Revolutionswächter (Pasdaran) immer mehr Einfluss auf die Politik, vor allem aber auf die Wirtschaft. Sie wurden zu einem Staat im Staate, ähnlich wie die religiöse Stiftung in Mashhad, platzierten ihre Leute in immer mehr Banken des Landes (das Bankensystem ist auch für professionelle Kenner fast total unübersichtlich), übernahmen die Kontrolle auch in immer mehr Industrie-Unternehmen. Und schliesslich schlossen sie sich mit den religiös argumentierenden Kräften zusammen, mit dem Ziel, das traditionelle duale System der Machtausübung in Iran, religiös einerseits, laizistisch anderseits, zu «beerdigen». Sie bauten Ebrahim Raissi so konsequent als Kandidaten für die Ruhani-Nachfolge auf, dass den Mitgliedern des Wächterrats (der ist zuständig für die Zulassung oder Ablehnung eines Kandidaten) praktisch keine Wahl mehr blieb. 

Sanktionen halfen mit

Die Frage bleibt, ob all das nicht so hätte kommen müssen, hätte Donald Trump sich nicht entschieden, den vom Vorgänger Obama mit-ausgehandelten Atomdeal zu torpedieren. Hätte Trump das nicht getan, wäre Iran nicht in die jetzigen, gewaltigen Probleme geraten. Dann hätte die Verschwörungs-Allianz zwischen den Kräften um die Pasdaran und um die sich religiös rechtfertigenden Hardliner keine oder fast keine Chance gehabt, moderate Kandidaten für die Nachfolge Ruhanis auszuschliessen. Hätte, hätten…

Was ist für die nähere Zukunft zu erwarten? Ebrahim Raissi (abhängig von Ayatollah Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat) erklärte, er werde den sogenannten Atomdeal respektieren, sofern alle Sanktionen gegen Iran aufgehoben würden. Nun verhandelt man in Wien schon mehr als zwei Monate lang, ein positiver Ausgang ist bisher nicht erkennbar. Es ist schwer vorstellbar, dass US-Präsident Biden sich verpflichten könnte, alle Sanktionen zu beenden (in seiner Funktion kann er das übrigens nicht vollumfänglich – Sanktionen, welche vom Senat beschlossen wurden, müssten auch wieder vom Senat aufgehoben werden). Und von iranischer Seite aus gibt es offenkundig keine Bereitschaft, auf irgendwelche Kompromisse einzugehen. Vor dem Ende der Amtszeit Ruhanis gab es da und dort noch die Illusion, Iran könnte sich flexibel zeigen – mit dem Amtsbeginn Raissis schwinden solche Hoffnungen. 

Oder: es geschähe doch noch ein Wunder… 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Sanktionspolitik der USA

US-Wirtschaftsboykotte gegen Iran, Venezuela oder Russland müssen auch die Europäer weitgehend befolgen.

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6 Meinungen

  • am 20.06.2021 um 13:28 Uhr
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    Sanktionen sind immer falsch und meist kontraproduktiv.
    Produktiv sind sie aber für den militärisch-industriellen Komplex.
    Alle diese Probleme in Persien gründen auf dem Putsch von 1953 gegen die demokratisch gewählte Regierung zwecks Öl-Klau durch GB- & US-Potentaten.
    Ohne diese fortgesetzten Demütigungen der Perser hätten Hardliner kaum eine Chance.

  • am 20.06.2021 um 16:25 Uhr
    Permalink

    «Schlitterten» in Iran infolge unserer kriegsverbrecherischen Sanktionen mindestens 50% der Bevölkerung unter die Armutsgrenze, so sind es in Syrien gar weit über 80%. Das bedeutet Hunger, Leid, mangelnde Gesundheitsversorgung, Elend und Tod hunderttausender Menschen. Anstelle von Solidarität und Loyalität mit der Mehrheitsbevölkerung, den Schwächeren, nehmen wir sie, in Loyalität und Gehorsamkeit zu unseren Regierungen, den Mächtigen, in barbarische Sippenhaftung.

    Madeleine Albright spricht es für uns stellvertretend aus: «Der Preis ist es wert». Hunderttausende Menschenleben, auch wenn es Kinder sind, ihr Leben ist uns gleichgültig.
    ‘1/2 Million tote Kinder durch Irak-Sanktionen – M. Albright: «Wir denken, der Preis ist es wert»’
    https://www.youtube.com/watch?v=xYXK7uh93Uo

  • am 21.06.2021 um 15:59 Uhr
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    Wollte man dem Iran eine grundsätzlich friedliche Außenpolitik unterstellen, so wäre Herrn Gyslings Analyse zutreffend.
    Doch dem ist leider nicht so. Der wichtigste Exportschlager des Mullahregimes ist erklärtermaßen die schiitische Revolution.
    Wer möchte unter diesen Umständen die Atombombe in ihren Händen wissen?
    Gewiss, Kim hat sie auch. Aber Kim möchte leben, die Mullahs hingegen wollen ins Paradies. Das macht es so gefährlich.

  • am 21.06.2021 um 21:00 Uhr
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    Nur Hardliner, autoritäre Regime von Theisten und oder Nationalisten, können die Souveränität ihres Landes vor der autoritären «America First» Demokratie » bewahren.
    Nur wer sich ‹freiwillig› der einzig verbliebenen Super-Macht in Treue andient und diese wie befohlen unterstützt ist weniger vor der Aggression der Cowboy-Demokratie bedroht.

    Die USA im Niedergang brauchen dringend die Hilfe der möglichst vereinzelten europ. Nationen, um «America First» zu realisieren. Die Schwäche im Inneren durch die autoritäre Zwangs-Harmonisierung schlägt in einer ehemals freiheitlichen Demokratie in eine Fragmentierung von Interessen um.
    Seit dem Korea-Krieg wurden nur noch «failing states» von den Hardlinern der USA geschaffen.

  • am 22.06.2021 um 10:18 Uhr
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    Genauso kann man die Frage stellen warum werden in Westeuropa rechtsextreme Parteien gewählt.

  • am 23.06.2021 um 10:49 Uhr
    Permalink

    Was die Wahl sicher zeigt, ist dass Druck aus dem Westen ungeeignet ist die Situation im Iran im Sinne des Westens zu beeinflussen. Daran werden aufgeregte Kommentare in der New York Times und der NZZ nichts ändern können.

    Der Westen und Israel werden sich daran gewöhnen müssen, dass Iran eine unabhängige Politik betreiben kann und weiterhin wird. Die Zeit arbeitet dabei für die Perser, die Optionen seiner Gegner sind beschränkt. «Regime Change» durch Subversion erscheint ebenso chancenlos wie militärische Aktionen zum selben Zweck, sei es direkt oder durch Proxies. Ein «Containment» wird löchrig bleiben solange Russland und China nicht mitmachen, wozu der Westen beiden Mächten keinen Anlass gibt.

    Was bleibt ist stille Akzeptanz, so wie es auch mit Nord Korea geschehen ist.

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