Kommentar

Giftgas in Syrien: Schuldfrage bleibt ungeklärt

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Russland verhindert mit seinem Veto im UNO-Sicherheitsrat eine Weiterführung der Untersuchungen. Viele Fragen bleiben offen.

Wer ist dafür verantwortlich, dass am 4. April dieses Jahres über 90 EinwohnerInnen der syrischen Stadt Chan Scheichun durch giftige Gase getötet wurden? Nach der Abstimmung vom 24. Oktober im UNO-Sicherheitsrat wird diese wichtige Frage auf lange Sicht unbeantwortet bleiben. Wenn nicht sogar für immer. Zugleich liefern das Ergebnis und der Zeitpunkt dieser Abstimmung Anlass und Nahrung für neue Fragen und Spekulationen.

Mit einem Veto brachte Russland einen Antrag der USA zu Fall, das Mitte November auslaufende Mandat zur Untersuchung der Schuldfrage durch ein gemeinsames Expertenteam der UNO und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) um ein weiteres Jahr zu verlängern. Und dies zwei Tage bevor das UNO/OPCW-Team am 26. Oktober das Ergebnis seiner Aufklärungsbemühungen der letzten zwölf Monate vorlegen wird.

Offensichtlich hat die Regierung Putin Anlass zu der Befürchtung, dass bereits dieser Bericht zumindest Indizien für die von Moskau bislang vehement bestrittene Behauptung der Trump-Administration und anderer westlicher Regierungen enthält, wonach die syrische Luftwaffe am 4. April Giftgasbomben auf Chan Scheichun abgeworfen hat.

Die OPCW hatte schon im Juni festgestellt, dass der Tod der über 90 Menschen tatsächlich durch den verbotenen Kampfstoff Sarin herbeigeführt wurde. Bereits dieses Untersuchungsergebnis steht in Widerspruch zu der Version Moskaus. Nach dieser Version zerstörte am 4. April eine konventionelle Bombe unbeabsichtigt ein Depot mit hochkonzentriertem Chlor, das nach seiner Freisetzung vom Wind über der Stadt verbreitet wurde. Chlor ist zwar kein verbotener chemischer Kampfstoff, kann aber in hochkonzentrierter Form ebenfalls den Tod von Menschen herbeiführen. Die syrischen Streitkräfte haben in den letzten Jahren Chlor in mehreren Fällen eingesetzt, wie die Experten von UNO und OPCW festgestellt haben.

Chinas Stimmenthaltung und das Vorpreschen der USA

Bemerkenswert bei der Abstimmung im Sicherheitsrat war, dass sich China – anders als bei früheren Entscheidungen zum Thema Syrien – diesmal dem Veto Russlands nicht anschloss. Durch ihre Enthaltung signalisierte die Regierung in Peking, dass sie von der russischen Version der Ereignisse nicht überzeugt ist und keine Einwände gegen eine Fortsetzung der Untersuchung hätte.

Warum die USA darauf bestanden haben, die Abstimmung im Sicherheitsrat bereits vor der Veröffentlichung des neuen UN/OPCW-Berichtes und seiner Diskussion im Sicherheitsrat durchzuführen, hat die Trump-Administration bislang nicht beantwortet. Ging es den Amerikanern tatsächlich darum, Russland «blosszustellen und zu entehren», wie Moskaus UNO-Botschafter argwöhnte? Wollte Trump sich durch die von seiner UNO-Botschafterin mit äusserst aggressiver Rhetorik garnierte Konfrontation mit Russland Entlastung verschaffen angesichts der für seine Administration sehr unangenehmen Untersuchungen der Frage, ob er seinen Wahlsieg der Unterstützung durch Moskau zu verdanken hat?

Auch die pauschalen, bislang nicht im Detail belegten Vorwürfe Moskaus, das Expertenteam von UN/OPCW sei bei seinen bisherigen Untersuchungen «lachhaft» und unprofessionell vorgegangen, werden nach der Entscheidung des Sicherheitsrats weiterhin ungeklärt im Raum stehen bleiben.
Ohne eine beweiskräftige, für die Weltöffentlichkeit überzeugende Klärung der vielen offenen Fragen bleiben die Giftgastoten von Chan Scheichun Material für Propagandaschlachten und Verschwörungstheorien.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

BasharalAssad

Der Krieg in Syrien

Das Ausland mischt kräftig mit: Russland, Iran, USA, Türkei, Saudi-Arabien. Waffen liefern noch weitere.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

7 Meinungen

  • am 26.10.2017 um 11:12 Uhr
    Permalink

    Die US-Botschaft in Damaskus ist der Ansicht, dass es die islamistischen Rebellen sind, die chemische Waffen einsetzen. So steht es in einer Reisewarnung:

    https://sy.usembassy.gov/security-message-u-s-citizens-travel-warning-syria/

    «Tactics of ISIS, Hayat Tahrir al-Sham, and other violent extremist groups include the use of suicide bombers, kidnapping, small and heavy arms, improvised explosive devices, and chemical weapons.»

    Übersetzt in etwa:

    «Taktiken des “Islamischen Staates”, von Haiʾat Tahrir asch-Scham [der aktuelle Name der dominierenden Al-Qaida-Gruppierung in Idlib] sowie weiterer gewalttätiger Extremistengruppen beinhalten den Einsatz von Selbstmordattentätern, Entführungen, schweren Waffen und Kleinwaffen, Sprengfallen sowie chemischen Waffen.»

  • am 26.10.2017 um 11:17 Uhr
    Permalink

    Verschiedene Teilorganisationen der UNO sind letzter Zeit durch NATO-Kriegspropaganda aufgefallen. So macht die UNO beispielsweise Propaganda mit dem für PR missbrauchten Kind Bana Alabed, siehe Screenshot hier:

    https://blog.fdik.org/2017-10/s1507455940

    Bana Alabed wird von der britischen PR-Agentur The Blair Partnership zu diesem Zweck vermarktet:

    http://www.theblairpartnership.com/clients/

    Die Unterstellung von “Verschwörungstheorien” ist angesichts solcher Fakten haltlos – und ganz schön dreist.

  • am 26.10.2017 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Da ich selbst vom CTED berufen wurde, bei einem einschlägigen UNO-Beratungsgremium mitzumachen, ist mir auch die Situation in der UNO nicht ganz fremd. Sehr auffällig war die – um es vorsichtig zu formulieren – Zurückhaltung, sich mit dem Thema Saudi-Arabien und Terror-Finanzierung zu befassen. Ich hatte kein Blatt vor den Mund genommen, und im Ergebnis kamen mehrere Kollegen zu mir, und haben sich für die offenen Worte bedankt. Es sieht ganz so aus, als traute sich niemand, das Thema sonst direkt anzusprechen.

    Es geht also sehr wohl um Propaganda-Schlachten. Und dieselben ziehen sich bis in die UNO hinein.

  • am 27.10.2017 um 00:02 Uhr
    Permalink

    Im Interesse einer ausgewogenen Berichterstattung wäre es angebracht gewesen auszuführen, warum Russland im UNSC wiedermal mal einen Vorschlag abgeschmettert hat. Die Position Russlands, über die Art und Weise wie die OPWC in Syrien bisher recherchiert hat, ist bekannt. Und in einem Artikel jenseits des Mainstream möchte ich diese auch lesen.

    Hier eine relativ aktuelle Äusserung zum Thema, erschienen am 13.10.2017:
    Briefing «SYRIAN CHEMICAL DOSSIER: THE RUSSIAN VIEW“, von Mikhail Ulyanov, am Rande der UN Vollversammlung => http://russiaun.ru/en/news/br_scd.
    Lesenswert.

    Wären Herrn Zumach die Details zu den Untersuchungen der OPWC bekannt, die auch in den Berichten der OPWC nachzulesen sind – vgl. u.a. https://goo.gl/KzPtwJ – dann könnte er aufs Kaffeesatz lesen verzichten. Die Abschnitte …
    – «Offensichtlich hat die Regierung Putin Anlass zu der Befürchtung, dass …"
    und
    – «Bemerkenswert … war, dass sich China …"
    … sind sehr spekulativ.

  • am 28.10.2017 um 13:45 Uhr
    Permalink

    Die OPCW wird grösstenteils von den USA finanziert, gefolgt von Japan und Deutschland. Diese Tatsache erschwert die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit dieser Organisation, die also die UNO mit „Informationen“ beliefert hat, enorm. Schaugenau!

  • am 31.10.2017 um 20:26 Uhr
    Permalink

    Richtig Herr Mächler
    "Finanzierung
    Finanziert wird die Organisation durch Mitgliedsbeiträge, die an den üblichen Verteilungsschlüssel der Vereinten Nationen angelehnt sind. Damit sind die USA mit 22 % der größte Geldgeber. Es folgen Japan mit etwa 19,5 % und Deutschland mit rund 10 %. «

    Quelle Wikipedia

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...