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Die Halbinsel Krim (rot) am Schwarzen Meer © svg

Ein genauer Blick auf die Annexion der Krim 

Jacques Baud /  Die Bevölkerung der Krim sprach sich mehrmals für eine starke Autonomie aus und bei Ablehnung für einen Anschluss an Russland.

upg. Autor Jacques Baud arbeitete als Analyst für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war beteiligt an den NATO-Missionen in der Ukraine. Der russisch sprechende und von amerikanischen und britischen Nachrichtendiensten ausgebildete Baud analysierte auch die militärische Stärke des Warschauer Paktes und war Experte für russische Kriegsführung in Afghanistan. Infosperber veröffentlicht Auszüge aus seinem Buch «Putin – Herr des Geschehens?»*.
Grosse Medien und Politiker disqualifizieren Baud als «Putin-Verteidiger» und gehen auf Fakten und Argumente seines Buches kaum ein. Baud legt dort dar, dass der Krieg vermeidbar gewesen wäre und warum Russland sich bedroht fühlte.
Doch selbst wenn der Krieg vermeidbar gewesen wäre: Der Angriffskrieg Russlands und die Kriegsverbrechen sind ein krasser Verstoss gegen das Völkerrecht. Sie sind mit nichts zu rechtfertigen. 

Mit der UN-Resolution 68/262 hat die UN-Generalversammlung die Annexion der Krim als gesetzeswidrig[i] und unrechtmässig[ii] erklärt. Sie stützte sich auf folgende Tatbestände:

  • Das Budapester Memorandum von 1994 hat die territoriale Integrität (Unverletzlichkeit) der Ukraine garantiert; 
  • Russland hat militärisch eingegriffen, um sich der Institutionen der Krim zu bemächtigen; 
  • Das Referendum im Jahr 2014, das die Behörden der Krim organisiert hatten, war unrechtmässig. 

Im Westen stellt man die Abspaltung der Krim als einen Staatsstreich dar, der von Russland organisiert wurde. Für Wikipedia war es sogar eine (militärische) Besetzung. Auch Zeitungen wie die NZZ schreiben immer mal wieder von einer «russischen Besetzung» der Krim (zuletzt Auslandredaktor Ulrich von Schwerin am 26. August). Auch laut dem ZDF-Magazin «Frontal»vom 29. August «hat Russland die Krim besetzt».

Eine Untersuchung der jüngsten Geschichte zwingt zu einer nuancierten und weniger einseitigen Sicht als diejenige, welche westliche Medien und Politiker darstellen.

Das Grundproblem besteht darin, dass vor 2014 weder die Sowjets noch die Ukrainer das Selbstbestimmungsrecht der Krim respektierten. Wiederholt und mehrheitlich haben die Einwohner der Krim ihren Willen bekundet, von Kiew eine Autonomie zu erhalten oder sogar unabhängig zu werden.[iii]

Ein Hin und Her mit verschiedenen Abstimmungen

Im Jahr 1954 hatte die Sowjetunion die Krim an die Ukraine übertragen. Diese Abtretung war innerstaatlich nicht gesetzmässig. Die Abtretung hatte zwar am 19. Februar 1954 die Zustimmung des Präsidiums des Obersten Sowjets erhalten,[iv] aber sie wurde weder vom Obersten Sowjet [Parlament] noch vom Sowjet der Russischen Sozialistischen Republik noch von demjenigen der Ukrainischen Sozialistischen Republik bewilligt. 

Offiziell präsentierte Parteichef Chruschtschow diese Gebietsübertragung als ein Geschenk an die Ukraine zum dreihundertsten Jahrestag ihrer Verbindung mit Russland. In Wahrheit scheint sie durch ein persönliches Interesse Chruschtschows begründet zu sein: Er wollte die Unterstützung der Ukraine im Politbüro erhalten. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Mark Kramer vom Wilson Center.[v]

Die Bevölkerung der Krim hat diese Gebietsabtretung an die Ukraine nie als rechtmässig anerkannt. Die Krim war vorher noch nie unter der Herrschaft der Ukraine. 

Im Jahr 1989 lebten auf der Krim 1,63 Millionen Russen (67 Prozent aller Einwohner), 0,63 Millionen Ukrainer (26 Prozent aller Einwohner). Es folgten Weissrussen mit 0,05 Millionen und ein paar Dutzend kleinere Minoritäten. Bei der Hälfte der Ukrainer, die auf der Krim leben, ist die Muttersprache russisch.

Im Folgenden sind die Ereignisse chronologisch dargestellt:

20. Januar 1991:

Es ist die Zeit des Zerfalls der Sowjetunion. Die Ukraine ist nicht unabhängig und gehört noch zur Sowjetunion.

Die Behörden der Krim organisieren ein Referendum: Die Krimbewohner können zwischen zwei Möglichkeiten wählen: bei der Ukraine zu bleiben oder zur Situation von vor 1954 zurückzukehren und sich der Verwaltung von Moskau anzuschliessen. Die Frage auf den Abstimmungsscheinen lautet: 

«Sind Sie für die Wiederherstellung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Krim als Subjekt der UdSSR und als Mitglied des Unionsvertrags?» 

Es war das erste Autonomie-Referendum innerhalb der UdSSR, die sich in Auflösung befindet. Die Krimbewohner entscheiden sich mit 93,6 Prozent der abgegebenen Stimmen für einen Anschluss an Moskau.[vi] Das sind 75 Prozent sämtlicher Abstimmungsberechtigten.

12. Februar 1991:

Der Oberste Sowjet der UdSSR stellt die «Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Krim» wieder her[vii], die im Jahr 1945 abgeschafft wurde.[viii] Das heisst, zu einer Zeit, als die Krim noch nicht zur Ukraine gehörte. Ab 12. Februar 1991 ist sie als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Russischen Föderation zugeordnet.

Die Krim wird damit von der Ukraine unabhängig. Die Ukraine erklärt sich erst fast sieben Monate nach der Krim als unabhängig von der Russischen Föderation.

17. März 1991:

Moskau organisiert ein Referendum über den Weiterbestand der UdSSR als «Föderation gleichberechtigter und souveräner Staaten». In der Ukraine stimmen 84 Prozent der Abstimmenden zu. Zu jenem Zeitpunkt ist die Krim nicht mehr der Ukraine, sondern als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Moskau zugeordnet. 

24. August 1991: 

Das Parlament in Kiew erklärt die Unabhängigkeit der Ukraine von der Russischen Föderation, über welche das Volk entscheiden soll.

4. September 1991:

Aus Sicht von Kiew gehört die Krim noch zur Ukraine. Die nun unabhängige Ukraine gewährt der Autonomen Republik Krim den Status «Autonome Republik Krim» mit dem Recht, «einen legalen demokratischen Staat innerhalb der Ukraine zu schaffen». 

1. Dezember 1991:

Es findet der vorgesehene Volksentscheid in der Ukraine statt: Die Unabhängigkeit von der Sowjetunion wird von 90 Prozent der Abstimmenden gutgeheissen. Die Stimmbeteiligung beträgt 84 Prozent. Die Ukraine rechtfertigt ihre Sezession von der Sowjetunion zumindest implizit mit dem internationalen Recht auf Selbstbestimmung.[ix]

Auf der Krim beteiligen sich vor allem diejenigen Bewohner, die bei der Ukraine bleiben wollten. 54 Prozent von ihnen stimmen für die Unabhängigkeit der Ukraine. Das sind jedoch nur ein Drittel aller stimmberechtigten Krimbewohner. Fast die Hälfte der Stimmberechtigten bleiben der Abstimmung fern, weil sie sich bereits als unabhängig betrachten und sich nicht mehr betroffen fühlen. 

Damit wird die Ukraine sechs Monate nach der Krim von der russischen Föderation unabhängig. Die Krim hatte bereits am 20. Januar ihre Unabhängigkeit erklärt.

26. Februar 1992: 

Der Oberste Sowjet der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Krim beschliesst die Umbenennung in «Republik Krim». Die ukrainische Regierung, welche die Unabhängigkeit der Krim nicht anerkennt, gewährt ihr den Status einer selbstverwalteten Republik. 

5. Mai 1992:

Die Krim beschliesst ein «Gesetz über die Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit der Republik Krim», verabschiedet einen Verfassungsvorschlag für die Republik Krim, welche eine Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine auf einer konföderativen Grundlage vorsieht, und ordnet ein Referendum an.[x]

13./21. Mai 1992:

Das Parlament in Kiew erklärt das Gesetz auf der Krim als verfassungswidrig. Die Ukraine bietet Verhandlungen über einen Sonderstatus der Krim an, so dass das Parlament der Krim seine frühere Unabhängigkeitserklärung zurückzieht[xi] und die Durchführung des geplanten Referendums aussetzt. 

In einer Volksabstimmung befürworteten 80 Prozent der Abstimmenden[xii]

  • die Beziehungen zwischen der Ukraine und der Krim auf der Basis von Verträgen und Abkommen zu regeln; 
  • die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen;
  • den Präsidenten der Krim zu ermächtigen, vorübergehend Verordnungen ohne Gesetzesgrundlage zu erlassen. 

21. Mai 1992:

Der Oberste Sowjet Russlands in Moskau erklärt den Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR von 1954, mit dem die Krim der Ukraine zugeordnet wurde, für verfassungswidrig und ‹null und nichtig ab initio›. Die Krim-Frage soll «auf der Basis zwischenstaatlicher Verhandlungen zwischen Russland und Ukraine unter Beteiligung der Krim und auf der Grundlage einer Willensäusserung ihrer Bevölkerung geregelt werden».[xiii]

20. Mai 1994:

Das Parlament auf der Krim verabschiedet eine Resolution «über die Wiederherstellung der verfassungsmässigen Grundlagen der Staatlichkeit der Republik Krim» und setzt die Verfassung der Krim in der Fassung vom 6. Mai 1992 wieder in Kraft. Sie erlaubt es der Krim, «selbständig Beziehungen zu anderen Staaten und Organisationen» einzugehen. 

Sommer 1994:

Das Parlament in Kiew fordert die Unterordnung der Gesetzgebung auf der Krim unter ukrainisches Recht und droht der Krim, ihr den Autonomiestatus zu entziehen.

Herbst 1994:

Der ukrainische Präsident Leonid Kučma erzielt auf der Krim seinen grössten Wahlerfolg, weil er Verbindungen zu Russland, die russische Sprache und die Rolle der Regionen zu seinem Anliegen machte. Allerdings hält er seine Versprechen später nicht ein. 

5. Dezember 1994:

Im Rahmen einer KSZE-Konferenz wird das Budapester Memorandum unterzeichnet. Die Ukraine gibt der UdSSR die Atomwaffen zurück, die auf ihrem Staatsgebiet verblieben waren. Gleichzeitig garantieren die UdSSR, die USA und Grossbritannien der Ukraine «ihre Sicherheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität».[xiv]
Der WDR informiert wie folgt darüber: 

«Verzicht auf Atomwaffen im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien: Das ist Inhalt des ‹Budapester Memorandums› 1994. Auch Russland sagte damals der Ukraine eine Achtung seiner Souveränität zu. Gleichzeitig sperrte sich Russland gegen die NATO-Osterweiterung […] Russlands Präsident Boris Jelzin ist dagegen. Er befürchtet, so erklärt er am 5. Dezember 1994 in Budapest, dass die NATO-Osterweiterung die Demokratie in Russland gefährde.»

Zu diesem Zeitpunkt geht die Krim davon aus, dass sie – de jure – seit Mai 1994 nicht mehr Teil der Ukraine ist und sie daher dieser Vertrag nicht betrifft. 

17. März 1995

Durch das Memorandum fühlt sich die Ukraine gestärkt. Das Parlament in Kiew erklärt die 1994 eingeführte Verfassung der Krim für null und nichtig und schafft die Verfassung der Krim ab.[xv] Die Ukraine schickt Spezialeinheiten und setzt das lokale Parlament auf der Krim unter Druck, das darauf den Präsidenten der Krim, Jurij Meschkow, absetzt. Dieser wehrt sich vergeblich: «Ich bin vom Volk der Krim gewählt, und daran kann kein Beschluss des ukrainischen Parlaments etwas ändern.» 

De facto annektiert die Ukraine die Republik Krim.[xvi] Kiew unterstellt die Region seiner direkten Kontrolle, schafft das Amt des Krim-Präsidenten ab und setzt ein Ultimatum für eine neue Regionalverfassung.

Damit löst sie Demonstrationen des Volkes für eine Angliederung der Krim an Russland aus. 

Westliche Medien haben darüber kaum berichtet. 

Oktober 1995:

Weil die Krim jetzt auf autoritäre Weise durch Präsidenten-Erlasse aus Kiew regiert wird, verfasst das Parlament der Krim im Oktober 1995 eine neue Verfassung, welche die Autonome Republik Krim innerhalb der Ukraine wiederherstellt. 

Laut neuer Verfassung hat die Krim keinen eigenen Präsidenten mehr und die legislativen Vollmachten des Regionalparlaments sind eingeschränkt. Krim-Spezialistin Gwendolyn Sasse, wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für Osteuropa-Studien in Berlin, beschreibt es so

«Die neue ukrainische Verfassung sieht vor, dass die ‹Autonome Republik der Krim› ein regionales Parlament, eine eigene Regierung und Verfassung haben wird. Ein indirekter Kiewer Kontrollmechanismus ist die Besetzung regionaler Positionen, insbesondere der Sicherheitsbehörden und Medienanstalten, mit Personal aus Kiew oder anderen Regionen der Ukraine.» 

20. Januar 1996

Die Frage «Was verstehen Sie unter Heimat?» ergibt in einer Umfrage des Krim-Zentrum für humanitäre Forschung folgende Antworten: UdSSR 32 Prozent, Krim 28 Prozent, Russland 16 Prozent, Ukraine 11 Prozent, die ganze Welt 8 Prozent, keine Antwort 5 Prozent.

31. Mai 1997:

Die Auseinandersetzungen zwischen Kiew und der Krim sowie die Sorgen der russischsprachigen Bevölkerung führen zur Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrags zwischen der Ukraine und Russland (Boris Jelzin). Weil die Ukraine damals eine Abspaltung der Krim befürchtete, wird die Unverletzlichkeit der Grenzen (einschliesslich der Krim) im Vertrag festgehalten, allerdings unter der Bedingung – und das ist relevant –, dass «der Schutz der ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Eigenart der nationalen Minderheiten auf ihrem Staatsgebiet» garantiert wird.[xvii] Die russische Aussenpolitik stellte die offene Unterstützung der Krim-Autonomisten zunächst ein.

21. April 2010:

Die Präsidenten Russlands, Dmitri Medwedew, und der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, unterzeichnen die Charkiwer Vereinbarungen. Sie verlängern den Pachtvertrag von Stützpunkten der Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation auf der Krim bis zum Jahr 2042. 

Der nationalistische Ton war unüberhörbar

23. Februar 2014:

Die neue Regierung in Kiew wird nicht gewählt, sondern entspringt einem Staatsstreich, der verfassungswidrig ist. [Nach dem Wording der NATO ist die Regierung aufgrund einer «Revolution» «einfach zusammengefallen».] Die neuen Machthaber halten sich nicht mehr an den Vertrag von 1997. Das Parlament in Kiew beschliesst als eine seiner ersten Handlungen, die russische Sprache als Amtssprache abzuschaffen. Die Krimbewohner gehen auf die Strasse und fordern die Rückkehr zu Russland, die sie dreissig Jahre zuvor erreicht hatten. Zwar verhindert der Übergangspräsident, dass das neue Sprachengesetz in Kraft tritt, aber das Signal an die russischsprachige Bevölkerung war verheerend.

4. März 2014:

An einer Pressekonferenz von Wladimir Putin fragte ihn ein Journalist: «Wie stellen Sie sich die Zukunft der Krim vor? Wird die Möglichkeit ihres Anschlusses an Russland erwogen?» Darauf antwortet er:[xviii]

«Nein, das wird nicht erwogen. Und ich denke ganz allgemein, dass nur Bürger, die auf einem bestimmten Gebiet leben, in freier Meinungsäusserung und unter sicheren Bedingungen ihre Zukunft bestimmen können und sollen. Und wenn, sagen wir, den Kosovaren, den Kosovo-Albanern zugestanden wurde, wenn es überhaupt in vielen Weltgegenden zugestanden wurde, so ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch in Dokumenten der UNO festgehalten und wurde von niemandem abgeschafft. Aber wir werden unter keinen Umständen jemanden zu solchen Lösungen provozieren und unter keinen Umständen solche Stimmungen fördern.»

6. März 2014:

Das Parlament der Krim entscheidet, ein Referendum durchzuführen, damit die Bevölkerung der Krim über einen Verbleib in der Ukraine oder einem Anschluss an Moskau entscheiden kann. 

14. März 2014:

Das ukrainische Verfassungsgericht erklärt das geplante Referendum für unzulässig.
Die Ukraine versucht, das Referendum zu verhindern. Die Autonomisten auf der Krim erhalten Unterstützung russischer Kräfte, um das Referendum durchführen zu können.

16. März 2014:

Eine überwältigende Mehrheit stimmt dafür, dass die Krim beantragt, der Russischen Föderation beizutreten. Der russische Menschenrechtsrat schätzt zwar später, dass bei einer geringen Beteiligung nur 50 bis 60 Prozent der Abstimmenden für den Anschluss an Russland gewesen seien, was westliche Medien und Wikipedia unkritisch übernahmen. Tatsächlich standen die Zahlen des «Menschenrechtsrats» auf wackligen Füssen: Zwei Mitglieder und Putin-Kritiker waren auf die Krim gefahren und redeten dort nach eigenen Angaben mit zwanzig Leuten, die gegenüber Russland überwiegend kritisch eingestellt waren. 
Der Russland-Kenner Professor Reinhard Merkel bezeichnet es als «eine gesicherte Tatsache», dass trotz der Unsauberkeit der Abstimmung von 2014 «eine grosse Mehrheit der Krimbewohner den Anschluss an Russland wollte». Die Bevölkerung der Krim fühlt sich von der Regierung in Kiew verraten und ergreift die Gelegenheit, ihre Rechte geltend zu machen. 

Eigentlich hatte Russland keinen Grund, die ganze Krim zu beanspruchen. Denn das Abkommen von 2010 erlaubt Russland, seine Truppen auf der Krim und in Sewastopol bis zum Jahr 2042 zu stationieren. 

Der Ausgang des Referendums veranlasste die Behörden der Krim, Moskau zu beantragen, sich der Russischen Föderation anzuschliessen, was bereits drei Tage später geschah, wohl um eine Intervention der Ukraine zu verhindern.

Die Krim hat damit den Status erlangt, den sie im Jahr 1991 ausrief, kurz bevor die Ukraine ihrerseits ihre Unabhängigkeit erklärte.

Zum heutigen Anschluss der Krim an die Russische Föderation hat eine Reihe von Verletzungen des Rechts und der Interessen der Krim-Bevölkerung seit der Sowjetzeit geführt. 

Der Westen macht eine Verletzung des Budapester Memorandums geltend, das die integrale Souveränität der Ukraine garantiert. Das Memorandum verpflichtet aber die Ukraine auch, der Krim Minderheitsrechte zu gewähren. 

Aus Sicht Russlands und der betroffenen Krimbewohner sieht es so aus: 

  1. Die Krim war im Zeitpunkt des Budapester Memorandums ein de jure unabhängiges Gebilde und deshalb vom Abkommen nicht betroffen; 
  2. Das ukrainische Parlament hat mit der versuchten Abschaffung des Russischen als Amtssprache den Freundschaftsvertrag von 1997 gebrochen, der ihr den Schutz der Minderheiten auferlegte; 
  3. Die Entscheide ab 2014 sind von einer nicht gewählten Regierung getroffen worden, die den normalen Gesetzesweg nicht einhielt. 

19. Februar 2022:

Die deutsche Botschafterin in Kiew, Anka Feldhusen, sorgt für grosse Aufregung. Sie erklärt auf dem Fernsehkanal «Ukraine 24», dass das Budapester Memorandum rechtlich nicht bindend sei.[xix] Das ist auch die amerikanische Position, wie die US-Botschaft in Minsk im Jahr 2013 auf der Internetseite der US-Botschaft erklärte.

1. April 2019:

Es ist kurz vor dem zweiten Wahlgang vom 21. April, der Wolodymyr Selensky an die Macht bringen wird. Der noch amtierende Präsident Petro Poroschenko kündigt einseitig den 1997 mit Russland unterzeichneten Freundschaftsvertrag. Dieser war das einzige Rechtsdokument zwischen den beiden Ländern, in dem Russland die territoriale Integrität der Ukraine anerkannte

Die gesamte westliche Sichtweise einer «Annexion» der Krim basiert auf einem Umschreiben der Geschichte und einem Verschweigen des Krim-Referendums von 1991, das es sehr wohl gegeben hat und das rechtmässig war.

____
Der Autor hat diese Zusammenfassung autorisiert.


*Jacques Baud: «Putin – Herr des Geschehens?»

Putin Cover

Westend-Verlag, 2023

E-Book 19.90 CHF / 19.90 Euro
Paperback: 35.90 CHF / 26.00 EURO

Aus dem Verlagstext: «Das Sterben in der Ukraine schreitet voran. Obwohl dieser Krieg täglich in den Medien präsent ist, bleibt vieles unterbelichtet, denn seine Vorgeschichte wird lediglich unvollständig dargestellt oder sogar ignoriert. Für Jacques Baud ist es höchste Zeit, zurück zu den Fakten und zum Dialog zu kommen.»

FUSSNOTEN

[i] «Résolution adoptée par l’Assemblée générale le 27 mars 2014», Assemblée générale des Nations unies, 1.4.2014 (A/RES/68/262) 

[ii] John B. Bellinger III (interviewé par Jonathan Masters), «Why the Crimean Referendum Is Illegitimate», Council on Foreign relations, 16.3.2014 

[iii] Anm. d. Verf.: Eine Chronologie des Verhältnisses von Krim und Ukraine findet der interessierte Leser beim Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen: «Chronology for Crimean Russians in Ukraine», Minorities at Risk Project/Refworld.org, 2004 

[iv] https://digitalarchive.wilsoncenter.org/document/meeting-presidium-supreme-soviet-union-soviet-socialist-republics

[v] Mark Kramer, «Why Did Russia Give Away Crimea Sixty Years Ago?», Cold War International History Project e-Dossier Nr. 47, Wilson Center, 2014 

[vi] Anm. d. Verf.: mit einer Beteiligung der Bevölkerung von 81,3 Prozent. 

[vii] Gesetz über die Wiederherstellung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Krim, Gesetz Nr. 712-XII, in: Vidomosti Verhovnoi Radi URSR, 1991, Nr. 9, S. 84.

[viii] Artikel «1991 Crimean sovereignty referendum», Wikipedia (eingesehen am 27.04.2023) 

[ix] Die ukrainische Souveränitätserklärung vom 16. Juli 1990, Punkt I, begann mit: «Selbstbestimmung der ukrainischen Nation.» Peters, Gebietsreferendum [Fn. 4], S. 186 mwN.

[x] Am 6.Mai wird präzisiert, dass die Krim Teil des ukrainischen Staatsgebiets ist. 

[xi] Vedomosti Verchovnogo Soveta Krima 1991–1992, Nr. 6, S. 262.

[xii] Ukaz Prezidenta Respubliki Krym «O provedenii oprosa graždan Respubliki Krym», <http://zakon.nau.ua/doc/?uid=1015.22770.0>. – Andrew Wilson: The Election in Crimea, in: RFE/RL Research Report, 25/1994.

[xiii] Vedomosti S”ezda Narodnych Deputatov i Verchovnogo Soveta RF 1992, Nr. 22, S. 1178.

[xiv] Artikel «Mémorandum de Budapest», Wikipedia (eingesehen am 27.11.2021) 

[xv] Das Gesetz der Republik Krim vom 20.5.1994 und die Verfassung der Krim vom 6.5.1992 wurden vom Parlament in Kiew fast ein Jahr später, am 17. März 1995, durch das Gesetz Nr. 92/95 aufgehoben; Gesetz der Ukraine vom 17.3.95 Nr. 92/95, in: Vedomosti Verchovnoj Rady Ukraïny, 11/1995, S. 67.

[xvi] James Rupert, «Striking at Separatists, Ukraine Abolishes Crimea’s Charter, Presidency», The Washington Post, 18.3.1995 ; Research Directorate, Immigration and Refugee Board, Canada «Chronologie des événements mars 1994 – août 1995», refworld.org, 1.3.1996 

[xvii] https://apps.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a341002.pdf

[xviii] «Vladimir Putin answered journalists’ questions on the situation in Ukraine», kremlin.ru, 4.3.2014 (http://en.kremlin.ru/events/president/news/20366) 

[xix] «German Ambassador on the Budapest Memorandum: no legal obligations», perild.com, 19.2.2022 (https://www.youtube.com/watch?v=xoWczhVimYE

_________________
Infosperber wird einen weiteren Auszüge aus dem Buch veröffentlichen.

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Zu den bisherigen Teilen von Jacques Baud: 

12. August 2023: Das Versprechen, dass sich die NATO nicht nach Osten ausdehnt
17. August 2023: Russland ist und war immer ein zuverlässiger Energielieferant
23. August 2023: Der Maidan war ein illegaler Putsch, vom Westen unterstützt

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Weiterführende Informationen

Die Kommentarspalte ist reserviert für die Diskussion zu Fakten und Argumenten in diesem Artikel.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

KrimSchwalbennest

KRIM Annexion oder Selbstbestimmung

Der Volkswille auf der Krim zählt nicht, weil die Ukraine an die Volksabstimmung nicht gebunden ist.

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19 Meinungen

  • am 3.09.2023 um 15:36 Uhr
    Permalink

    Dann wäre eine autonome UND entmilitarisierte Krim eine Lösung? Russland müsste dann Sewastopol aufgeben, wozu es kaum bereit wäre.

  • am 3.09.2023 um 16:34 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank, dass sie weiterhin solche Betrachtungen veröffentlichen.

    Der kollektive Wahnsinn zeigt sich m.M.n darin, dass am Ende der militärischen Auseinandersetzung, die von Russland besetzten Gebiete entweder autonom oder bei Russland verbeleiben werden .. der Rest der Ukraine aber u.a. aufgrund der enormen Schulden gegenüber dem Westen, der Flucht von Millionen von gut augebildeten Ukrainern*innen und dem Tod hunderttausender junger Männer aufhört als unabhängiger Staat zu existieren .. und zu einer Art modernem Kolonialstaat wird.

    Kontrolliert von einigen Oligarchen und westlichen Geldgebern, Vermögensverwaltern (Bodenschätze, Landreserven, Lebensmittelanbau).

    Damit wäre das Ziel «die Arbeit, der Schaden dem Volk, die Profite den globalen Eliten» wiedereinmal realisiert..

    Ob bei uns weiterhin eine Mehrheit die Erzählung von der «Verteidigung westlicher Werte» glauben mag?

    Anm. Bei diesem Vorhaben starben bereits mehrere 100’000 junge Ukrainer (und Russen).

    • am 4.09.2023 um 12:08 Uhr
      Permalink

      Wer wirklich „umstritten“ ist, ist die Plattform Wikipedia.
      Das Adjektiv „umstritten“ wird heutzutage inflationär jenen übergestülpt, die nicht dem Mainstream entsprechen, also Menschen sind, die noch selbst denken und nachdenken, also hinterfragen.
      Wer noch immer glaubt, Wikipedia sei ein Lexikon, das Fakten wahrheitsgetreu wiedergibt, kann sich über das tatsächliche Gebaren dieser Plattform gut informieren.
      Dort wird nachgewiesen, (https://wikihausen.de/)wie alles auf transatlantische Sichtweise gebogen wird, entfernt und zensiert wird.
      Jaques Baud ist genau deswegen „umstritten“, weil hier ein wirklicher Experte anhand von eindeutigen Quellen informiert. Dass diese Informationen nicht die Transatlantiker/ USA/NATO in bestes Licht setzen, ist nicht die Schuld des Informanten!

    • am 4.09.2023 um 12:29 Uhr
      Permalink

      Aha, statt sich mit den vorgebrachten Fakten und Quelen auseinanderzusetzen, wird auf den Boten geschossen. Es spielt keine Rolle, wer einen Fakt vorträgt. Es spielt eine Rolle, ob der Fakt zutrifft oder nicht.

      • am 5.09.2023 um 08:18 Uhr
        Permalink

        Im Frühjahr 2022 stellte Baud fest, dass auch die OSZE keine Präsenz russischen Militärs im Donbass feststellen konnte. Klickt man das Dokument an, versichert A. Hug (stv. Leiter der Beobachtermission), dass sie vielfache Beweise für eine solche Präsenz haben. Im letzten Artikel «informiert» Baud den Leser, dass 80% der zivilen Opfer durch die Ukraine verschuldet seien, davor erwähnt er 14000 Opfer. Die verlinkte Statistik zeigt: 14000 getötete Zivilisten und Militärs 2014-2021, darunter 3400 getötete Zivilisten, davon nur 4-5% im Zeitraum 2018-2021, in dem 80% der Getöteten und Verletzten der ukrainischen Armee angelastet werden können.

    • am 4.09.2023 um 13:12 Uhr
      Permalink

      Frau Bodmer,
      Was sagen Sie den zu den erwähnten Abstimmungen auf der Krim ?
      Historisch hatte die Krim nie etwas mit der Ukraine zu tun.
      Wenn ich an all das Leid denke,das über die Menschen in diesem Raum hereingebrochen ist,
      finde ich es ziemlich armselig, den Autor mies zu machen.

    • am 4.09.2023 um 14:05 Uhr
      Permalink

      Richtig: Auch Wikipedia ist inzwischen eine umstrittene Institution.

    • am 4.09.2023 um 15:58 Uhr
      Permalink

      Zu Ines Bodmer: Leider ist wikipedia nicht mehr so unabhängig und objektiv wie es einmal angedacht war. Das Problem von wikipedia ist die Anonymität – da schreiben PR-Agenturen, staatliche und private Propagandaagenturen wacker – und eben anonym – mit. Oft sind es ganze Büros, die jemanden diffamieren. Das ist mittlerweile allgemein bekannt. Ich arbeite selbst bei wikimedia commons mit und habe die Anonymität mehrmals kritisiert.

  • am 4.09.2023 um 07:50 Uhr
    Permalink

    Es ist hilfreich, sich vertieft mit der Geschichte Russlands ab 1900 und der Sowjetunion ab 1922 befassen. Insbesondere die administrative Unterteilung beider staatlichen Gebilde und deren Schaffung in dieser Zeit. Ein Studium der Verfassungen der UdSSR seit 1922 ist auch sehr erkenntnisreich.
    Die Motivation der Bolschewiken für ihre neue, willkürlich und künstlich geschaffenen «Republiken»: Zerstörung des ‹Russischen Imperiums› und des ‹grossrussischen Chauvinismus›. Die Sowjetunion war also von Beginn weg ein ‹anti-russisches› Projekt. Diese willkürliche Grenzziehung, mit dem Zweck Russland zu verkleinern und künstliche andere administrative Einheiten zu schaffen, die eine nicht bestehende Eigenständigkeit simulierten, während in Wirklichkeit alle Entscheidungen in Moskau in der KPdSU fielen, ist die Grundlage der heutigen Gebietskonflikte und erklärt die Konflikte Georgien/Abchasien/Süd-Ossetien oder Armenien/Aserbaidschan sehr deutlich.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 4.09.2023 um 08:06 Uhr
    Permalink

    Das «Referendum» vom 20.1.1991 auf der Krim war «eine Befragung ohne jegliche formale Rechtsgrundlage». So steht es bei Anne Peters: Das Völkerrecht der Gebietsreferenden. Das Beispiel der Ukraine (https://zeitschrift-osteuropa.de/site/assets/files/3408/oe140506.pdf).

    Zum Referendum vom 1.9.1991 über die Unabhängigkeit der Ukraine steht oben:
    «Auf der Krim beteiligen sich vor allem diejenigen Bewohner, die bei der Ukraine bleiben wollten. 54 Prozent von ihnen stimmen für die Unabhängigkeit der Ukraine. Das sind jedoch nur ein Drittel aller stimmberechtigten Krimbewohner. Fast die Hälfte der Stimmberechtigten bleiben der Abstimmung fern, weil sie sich bereits als unabhängig betrachten und sich nicht mehr betroffen fühlen.»
    Woher kennt der Buchautor die Motive der Abstimmenden bzw. Fernbleibenden? Dass nur eine relative und nicht eine absolute Mehrheit der Stimmberechtigten zustimmte, entkräftet das Referendum nicht – es verhält sich auch bei den meisten Abstimmungen in der Schweiz so.

  • am 4.09.2023 um 10:26 Uhr
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    Die Krim wurde im 2. WK heldenhaft und unter großen Opfern von den Soldaten der UdSSR verteidigt und zurückerobert; alle Ethnien der Sowjetunion waren vertreten. Die Übergabe der Krim an die ukr. SSR 1954 war eine Bauchpinselei für die Ukrainer; staatsrechtlich war es wurscht, weil die Macht in der UdSSR von den KPs und nicht von den Teilrepubliken ausging. Verschiedene ukr. Politiker haben kürzlich für den Fall der Rückeroberung der Krim bereits Vertreibungen, Schauprozesse und Enteignungen von russlandfreundlichen Bewohnern angekündigt. Das Land soll an loyale Unterstützer verteilt werden. Damit wird eine Rückgabe der Krim unmöglich, weil schwere Menschenrechtsverstöße bis hin zum Völkermord durch die Ukraine zu befürchten sind. Die Bewohner der Krim wissen das und haben keine Lust auf ein ukrainisches Joch. Nach dazu ist die Ukraine wirtschaftlich erledigt während Russland auf der Krim viel investiert.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 4.09.2023 um 18:38 Uhr
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    In der Chronik steht unter 1.12.1991 am Schluss: «Die Krim hatte bereits am 20. Januar ihre Unabhängigkeit erklärt.» Zum 20.1. ist aber nur das sog. «Referendum» (zum rechtlichen Status siehe meinen früheren Kommentar mit Quellenangabe) erwähnt, in dem weder von Unabhängigkeit noch von einer Erklärung die Rede war. Dennoch glaubt der Autor (des Buchs oder der autorisierten Zusammenfassung) über das Stimmverhalten auf der Krim beim offiziellen Referendum über die Unabhängigkeit der ganzen Ukraine zu wissen: «Fast die Hälfte der Stimmberechtigten bleiben der Abstimmung fern, weil sie sich bereits als unabhängig betrachten und sich nicht mehr betroffen fühlen.»

    • Favorit Daumen X
      am 5.09.2023 um 08:58 Uhr
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      Am 20. Januar 1991 – als die Ukraine noch zur UdSSR gehörte – stimmte die Krim, wie im Artikel erwähnt, über die Frage ab: «Sind Sie für die Wiederherstellung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Krim als Subjekt der UdSSR und als Mitglied des Unionsvertrags?» Diese Autonomie im Rahmen der UdSSR haben 75 Prozent aller Abstimmungsberechtigten gutgeheissen. Der Oberste Sowjet akzeptierte die Krim als Sowjetrepublik, wie sie es bis 1954 war.
      Es ist unwahrscheinlich, dass noch im gleichen Jahr eine Mehrheit der Stimmberechtigten auf der Krim für einen Anschluss an die Ukraine war. Aber wissen können wir es nicht, da – laut Baud – die Hälfte der Stimmberechtigten nicht stimmen gingen, weil sie sich als Teil der UdSSR betrachtete.
      Zur Rechtsgrundlage: Auch die Ukraine und andere Sowjetrepubliken organisierten «Unabhängigkeitsreferenden», die völkerrechtlich keine Grundlage hatten und sich ebenfalls nicht die formalen Vorgaben der Gesetze der UdSSR erfüllten.

      • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
        am 5.09.2023 um 09:38 Uhr
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        aus der Verfassung der UdSSR von 1977:
        «Artikel 72. Jeder Unionsrepublik bleibt das Recht auf freien Austritt aus der UdSSR gewahrt.»
        Eine Autonome Sowjetrepublik bestand nur innerhalb einer Unionsrepublik, hatte also dieses Recht nicht.

      • am 5.09.2023 um 16:11 Uhr
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        Wenn über die Verfassung der UdSSR von 1977 gesprochen wird, geht meistens das Austrittsgesetz von 1990 vergessen, das autonomen Teilen und Minderheiten sehr weitgehende Austrittsrechte erteilt, wie z.B. hier für Arzach (auch Bergkarabach genannt): «Dem Autonomen Gebiet Berg-Karabach stand nach dem Wortlaut der UdSSR-Verfassung von 1977/ 88 kein Recht auf Austritt aus der Unionsrepublik Aserbaidschan zu. Seine dahingehenden einseitigen Beschlüsse von 1988/89 widersprachen daher dem Verfassungsrecht, insbesondere Art. 78. Die Rechtslage änderte sich jedoch wesentlich mit dem Gesetz der UdSSR vom 3. April 1990 „über das Verfahren der Entscheidung der Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik aus der UdSSR verbunden sind“, kurz: mit dem Austrittsgesetz, denn im Ergebnis räumte es Berg-Karabach ein Austrittsrecht aus Aserbaidschan ein.» (emeritierter Rechtsprofessor Otto Luchterhandt in http://diskurs.am/2016/05/812/). Analoges müsste eigentlich auch für die Krim gelten.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 4.09.2023 um 20:11 Uhr
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    @ Olivier Fehr: «Zerstörung des ‹Russischen Imperiums› und des ‹grossrussischen Chauvinismus›» – gute Idee, was soll daran antirussisch sein?

    • am 6.09.2023 um 09:42 Uhr
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      Die meisten Leute kennen die Geschichte der Region ‹Ost-Europa› entweder gar nicht, oder nur bruchstückhaft aus westlicher Sicht dargestellt. Betrachtet man die Geschichte, vor allem von 1914 bis 1922, dem Gründungsjahr der Sowjetunion, etwas detaillierter, fallen einem gewisse (internationale) Muster auf und die von Ihnen gestellte Frage beantwortet sich von selbst.

  • am 5.09.2023 um 07:49 Uhr
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    Baud verschweigt in der Chronik der Ereignisse die Ankunft russischer Sondereinheiten, getarnt als staatenlose «Grüne Männchen», als wesentliches Element zum Verständnis. Unter ihrer bewaffneten Aufsicht fanden die entscheidenden Parlamentsbeschlüsse und das Referendum statt. Die Umschreibung «erhielten Unterstützung russischer Kräfte» täuscht den Leser. Und man ist nicht kompetent in ukrainischen Angelegenheiten, wenn man dem Leser eine statistische Unterscheidbarkeit von ethnischen Russen und Ukrainern vorgaukelt. Er müsste die Kriterien der Unterscheidung transparent darlegen können.

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