Modi SingaporeVideo

Indiens Premierminister Narendra Modi im Londoner Wachsfigurenkabinett © SingaporeVideo / Depositphotos

Ein Drittel aller Stimmen genügen für Modis Wiederwahl

Urs P. Gasche /  Der Premierminister will zwei Drittel der Parlamentssitze für seine Partei, um die Verfassung in Richtung Hindu-Staat zu ändern.

Mindestens 400 der 543 Sitze im Unterhaus will Modis Partei Bharatiya Janata Party BJP nach eigenen Angaben für sich gewinnen. Ihr Slogan lautet «Hindu (Religion) – Hindi (Sprache) – Hindustan (Territorium)». Alle drei sollen den Staat bilden. Ein verstärkter Trend in Richtung autoritärer Staat, Diskriminierung von Minderheiten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit wäre vorgezeichnet.

Insbesonders die Minderheit der 200 Millionen Muslimen oder 15 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner bangt um ihre Zukunft. Für Verfassungsänderungen brauchte es allerdings auch die Zustimmung des Oberhauses, in dem die BJP (noch) nicht über die nötige Mehrheit verfügt.

Nach der Unabhängigkeit Indiens hat sich ein Grossteil der muslimischen Elite nach Pakistan abgesetzt. Nur fünf der hundert reichsten Inder sind Muslime. Noch heute sind Muslime in Armee, Gerichten und Regierungsbürokratie stark untervertreten. Ihre Familien sind viel kinderreicher, was in den entwickelteren Südstaaten Ängste schürt. Die Südstaaten könnten bei den nächsten Wahlen im Parlament weniger Sitze zugeteilt bekommen.

Über diese Verhältnisse und die laufenden Wahlen in Indien haben zwei ausgewiesene Indien-Kenner am 6. Mai im Berner Käfigturm informiert: die Rekha Oleschak, die einen «Overseas Citizen of India»-Ausweis besitzt, vom Institut für Föderalismus an der Universität Freiburg und der frühere NZZ-Korrespondent und Buchautor Bernard Imhasly, der seit über dreissig Jahren in Indien lebt. Im Folgenden fassen wir ihre Ausführungen in Eckdaten zusammen.

Tücken des Mehrheitswahlrechts

Indien kennt das Mehrheitswahlrecht. Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, ist gewählt. Je mehr und zersplitterter die KandidatInnen sind, desto weniger Prozent der Stimmen reichen zum Sieg. Es können 20 Prozent der Wahlstimmen für den Sieg genügen.
Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren genügten der BJP landesweit 37 Prozent der Stimmen, um im Unterhaus (Lok Sabha) mit 303 der 543 Sitze die absolute Mehrheit klar zu gewinnen.

Bei den gegenwärtigen Wahlen bezahlt die BJP «unabhängige» Kandidaten, die der Opposition nahestehen, um Stimmen der Opposition aufzuteilen. In etlichen Fällen hat der Staat Korruptionsklagen gegen Mitglieder der Kongresspartei sowie anderer Parteien fallengelassen, wenn sie jetzt kandidieren und eine Koalition mit der BJP eingehen. Das Ziel ist die Zersplitterung der Opposition.

Es kandidieren nur wenige Frauen mit Erfolgschancen, denn auf Bundesebene sind keine Sitze für Frauen garantiert. Auf lokaler Ebene ist dies anders: Dort sind ein Drittel aller Sitze gesetzlich für Frauen reserviert.

Die Wahl wird etappenweise von Region zu Region durchgeführt. Mehrere tausend Sicherheitskräfte und Wahlhelfer deplatzieren sich im Laufe der Wochen an die jeweiligen Wahlorte. Es gibt auf diesem Kontinent mit vielen Sprachen über 2600 politische Parteien, fast alle sind nur regional tätig. Landesweit gibt es die BJP-Allianz mit Modi an der Spitze sowie die Kongresspartei, die mit regionalen Parteien die India-Alliance bildet. Wahlberechtigt sind 970 Millionen Frauen und Männer.

Die Macht der Wahlkommission

Um zu verhindern, dass die amtierende Regierung zu viel Einfluss auf die Wahlen nimmt, sieht die indische Verfassung vor, dass eine Wahlkommission während der Wahlperiode in einem «nationalen Ausnahmezustand» wichtige Kompetenzen übernimmt.

Beispielsweise tauscht sie alle Leiter der 600 Wahlbezirke aus, wenn diese bereits vor drei Jahren im Amt waren. Diese Leiter sind Staatsangestellte. Filz und Korruption sollen so vermindert werden. Allerdings hat Ministerpräsident Modi dafür gesorgt, dass seine Regierung zwei der drei Mitglieder dieser Wahlkommission ernennen kann. Wenige Wochen vor den Wahlen hat Modi die Kommission neu besetzt.

Während der Wahlperiode gilt auch ein «Code of conduct», der es Kandidierenden verbietet, Hasstiraden gegen Religionen oder Kasten zu verbreiten. Tun sie es trotzdem, kann ihnen die Wahlkommission weitere Wahlauftritte verbieten. Eine kürzliche Hassrede Modis hat die Kommission laut Zeitungsberichten allerdings nur gerügt und nicht geahndet.

Freie und faire Wahlen? Einschätzung von Indien-Kenner Bernard Imhasly (rechts)
Freie und faire Wahlen? Einschätzung von Indien-Kenner Bernard Imhasly (rechts)

Medienfreiheit bereits weitgehend eingeschränkt

Die Regierung Modi hat Journalistinnen und Journalisten dem Gesetz gegen Terrorismus (Unlawful Activities Prevention Act) unterstellt. Seither können Medienleute ohne Richter in Polizeihaft genommen und ruhiggestellt werden, bis ein Gericht in einigen Jahren über die Rechtmässigkeit entscheidet. Eine Freilassung auf Kaution ist die Ausnahme.

Die Regierung Modi hat praktisch alle staatlichen Fernseh- und Radiosender mit Gewährsleuten der Hindutva–Bewegung besetzt.

Alle privaten, meist regionalen TV-Kanäle wurden von Oligarchen gekauft, deren Unternehmen von Aufträgen der Regierung abhängig sind und Modi unterstützen.

Einen eingeschränkten Freiraum gibt es noch auf Youtube. Obwohl bereits einige Konten gelöscht wurden, findet man dort Informationen, die ein anderes Bild der Realität wiedergeben. Allerdings sind diese Informationen meist auf Englisch. Wenige wie Ravish Kumar, Dhruv Rathee und Akash Banerjee sprechen auf Hindi und erreichen Millionen von Menschen.

Die Leitung von vielen akademischen Institutionen, Universitäten, Filminstitute oder Museen wurden in den letzten zehn Jahren mit regierungsnahen beziehungsweise Hindutva-freundlichen Menschen besetzt. Universitäten, welche von den Bundesstaaten geführt werden, sind weniger betroffen als die von der Zentralregierung geführten. 

In der Hauptstadt Delhi wurden muslimische Strassennamen ersetzt und im Nationalmuseum muslimische Objekte entfernt.

Hoffnung in autoritäres Regime gesetzt

Eine repräsentative Umfrage in Indien hat gezeigt, dass eine Mehrheit eine starke Führung wünscht – auch auf Kosten demokratischer Rechte. Die Demokratie gilt nicht mehr als Garant für Entwicklung, Bildung und materielle Sicherheit. In Indien gibt es in absoluten Zahlen mehr Hungernde als etwa in Nordkorea. Im Global Hunber Index figuriert Indien auf Rang 111 nach Nigeria, Republik Kongo, Sudan oder Pakisten.

Existenzielle Probleme

Schwer vorauszusehen ist, wie stark die hohe Inflation, die grosse Jugend-Arbeitslosigkeit oder die Unzufriedenheit vieler Bauern die Wahlen beeinflussen. Sollte Modi die lautstark geforderten 400 Sitze oder die Zweidrittelsmehrheit im Unterhaus nicht erreichen, käme dies für ihn einer Niederlage gleich.

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Bernard Imhasly und Rekha Oleschak haben diesen Beitrag inhaltlich kontrolliert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 10.05.2024 um 20:03 Uhr
    Permalink

    Ein bisschen einseitig der Artikel. Unter Modis Regierung wurde die Armut drastisch reduziert, Zugang zu Elekrtrizität und Wasser hat sich massiv verbessert.

    Außerdem kämpft er für ein einheitliches Recht. Vor seinem Antritt gab es ein Recht für Muslime und eines für Hindi. Außgerechnet diese Selbstverständlichkeit, wird als Antimuslim ausgelegt.

    Viele Inder haben Angst bald ein muslimischer Staat zu sein.

    Zur Zeit sind es knapp 15 % bei der Staatsgründung waren es unter 10%. Die Geburtenrate der Muslime ist höher und die umgebenden Länder sind wirtschaftlich schwächer und es wandern immer mehr Muslime zu.

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