Putsch in Chile

Soldaten vor dem beschossenen Präsidentenpalast am Tag des Putsches am 11. September 1973 Chile: Bericht der Frankfurter Allgemeinen zum 50. Jahrestag. © Frankfurter Allgemeine

Die NZZ spielt die Rolle der USA beim Sturz Allendes herunter

Red. /  Es waren vor allem die Chilenen, die Allendes Projekt scheitern liessen, schreibt die NZZ und blendet viele Informationen aus.

Unter der Überschrift «Vor fünfzig Jahren endete in Chile der Traum vom demokratischen Weg zum Sozialismus» behauptete NZZ-Auslandredaktor und Lateinamerika-Spezialist Werner J. Marti, die USA hätten beim Putsch gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende «keine entscheidende Rolle» gespielt. Viele unterdessen veröffentlichte Dokumente der US-Politik beweisen das Gegenteil.

Marti schrieb in der NZZ vom 9. September 2023 wörtlich:

«Der Militärputsch in Chile wird vielfach mit der amerikanischen Machtpolitik im Kalten Krieg erklärt. Doch die Ursachen sind vielschichtiger und waren im Wesentlichen hausgemacht. Die Rolle der USA beim Staatsstreich war bedeutsam, aber nicht entscheidend […]
Washington stand im Kontakt mit der chilenischen Armee und dürfte dieser signalisiert haben, dass die Putschisten mit Unterstützung rechnen konnten. Im Gegensatz aber zu dem von den USA orchestrierten Coup gegen Präsident Arbenz in Guatemala 1954 wurde der Staatsstreich in Chile von den einheimischen Streitkräften selber organisiert.
Viele Linke machten später die Feindseligkeit der USA und der chilenischen Mittel- und Oberschicht verantwortlich für das Debakel von Allendes Wirtschaftspolitik. Aber es war nicht die Opposition, sondern die Regierung, welche die fatalen wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen hatte, wie die Historiker Simon Collier und William Sater darlegen. Eine amerikanische Kreditblockade erschwerte zwar vorübergehend Allendes Wirtschaftspolitik, doch die fehlenden Mittel wurden darauf durch Kredite von China, der Sowjetunion und aus Lateinamerika ausgeglichen.
Letztlich waren es in erster Linie die Chilenen selbst, die Allendes Projekt zum Scheitern brachten. Für den vom Präsidenten beabsichtigten radikalen Umbau der Gesellschaft fehlte eine klare Mehrheit in der Bevölkerung. Und mit seiner verfehlten Wirtschaftspolitik untergrub Allende zudem eigenhändig die materielle Grundlage für eine Besserstellung der armen Mehrheit.»

NZZ vom 9. September 2023

Dokumente, die im National Security Archive einsehbar sind, ergeben eine anderes Bild. Sie zeigen, dass Präsident Salvador Allende ohne Einmischung und Hilfe der USA nicht hätte gestürzt werden können. Das National Security Archiv ist eine nicht-profitorientierte NGO, die an der George Washington University Archivierung und Forschung betreibt. Die wichtigsten Dokumente hat Peter Kornbluh am 1. Juli 2023 im Buch «Pinochet desclasificado: Los archivos secretos de Estados Unidos sobre Chile» veröffentlicht. Noch bleiben etliche Dokumente selbst fünfzig Jahre nach dem Putsch unter Verschluss. Es gibt offensichtlich noch einiges zu vertuschen.

Henry Kissinger: Ziel ist der Zusammenbruch der Regierung

Als nationaler Sicherheitsberater und Aussenminister von Januar 1969 bis Januar 1977 war Kissinger der Hauptverantwortliche für die Bemühungen der USA, die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende zu destabilisieren. Das geht aus freigegebenen historischen Aufzeichnungen zweifelsfrei hervor. In den Wochen vor Allendes Amtsantritt überwachte Kissinger verdeckte Operationen unter dem Decknamen FUBELT, die den Militärputsch anzettelten und direkt zur Ermordung des chilenischen Oberbefehlshabers der Armee, General René Schneider, führte. Darüber hat Infosperber bereits am 30. Mai informiert.

Kissingers Memorandum an den Präsidenten Allendes Wahl
Kissingers Memorandum an den Präsidenten nach Allendes Wahl

Nachdem die ersten Putschversuche gescheitert waren, überzeugte Kissinger persönlich Präsident Nixon, die Position des Aussenministeriums zu unterstützen: Washington solle keinen Modus Vivendi mit Allende anstreben, sondern eine geheime Intervention genehmigen mit dem Ziel, «Allendes Probleme zu verschärfen, so dass er zumindest scheitert oder […] maximale Bedingungen geschaffen werden, unter denen ein Zusammenbruch oder ein Umsturz möglich wäre». Das geht aus Kissingers Gesprächsleitfäden in den drei Tagen nach Allendes Amtsantritt hervor.

Nur wenige Tage nach dem Sturz Allendes vor fünfzig Jahren am 11. September 1973 teilte Kissinger Nixon mit, die USA «haben die Bedingungen so gut wie möglich hergestellt. In der Eisenhower-Zeit wären wir Helden».


Links zu Dokumenten

Im Folgenden verlinkt Infosperber einige der teilweise erst kürzlich veröffentlichten Regierungspapiere und deren Auswertung durch das Archiv:

CIA organisiert Cover-Up, um die Beteiligung am Coup zu vertuschen:
Agency Tries to Hide Knowledge of 9/11/73 Coup Plotting

Der Countdown bis zum Staatsstreich:
Countdown Toward a Coup

Beamte des Aussenministeriums drängten auf Pinochets Sturz:
State Department Officials Pushed for Pinochet’s Ouster

Was Präsident Nixon wusste und wann er informiert wurde:
What Did Nixon Know and When Did He Know it?

Die Strategie Präsident Nixon zur Destabilisierung der Chiles:
How Nixon-Kissinger Set Strategy of Destabilization—And Why

Nixons Direktive für einen «Regime Change» in Chile:
Nixon’s Infamous Regime Change Directive

Die Ermordung des Armee-Oberbefehlshabers General René Schneider:
The Assassination of Chilean Commander-in-Chief, General René Schneider

Chile nutzte die Chiffrierung der Schweizer Firma Crypto AG, ohne zu wissen, dass die Firma von der CIA kontrolliert wurde:
Operation Condor Countries Used Crypto AG Devices Without Realizing the CIA Owned the Company


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 19.09.2023 um 10:54 Uhr
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    Auch in anderen Medien liest man Rechtfertigungen oder gar Schuldübertragen auf Allende: das Motto ist immer, dass Allende durch seine Wirtschaft- und Sozialpolitik die Chilenen in die Arme Pinochets getrieben und damit auch für die Opfer der Pinochet-Diktatur verantwortlich sei. Er hätte den Nährboden für diese Diktatur geschaffen.
    Wer ein bißchen logisch denken kann, fällt auf so etwas nicht herein. Allende war ein ehrenwerter, wenn auch schwieriger Mann. Allseits gebildet, charismatisch, charmant und eloquent. Er wollte Blutvergießen auf jeden Fall vermeiden; wäre er machtbewusster und skrupelloser gewesen, hätte Pinochets Putsch scheitern können, vielleicht um den Preis tausender Toter. Allende hat in seinen schlimmsten Stunden seltene Größe gezeigt und den höchsten Preis für seine Überzeugungen bezahlt – Pinochet dagegen spielte der Welt den dementen Opa vor und versteckte sich hinter Maggie Thatcher. Allein mit diesen himmelweiten charakterlichen Unterschieden ist alles gesagt.

  • am 19.09.2023 um 15:03 Uhr
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    Die unkritische Nähe der NZZ zu den USA ist hinlänglich bekannt. Dass nun aber entgegen allen historisch belegten Fakten auch noch der jahrzehntelang als «Verteidigung der amerikanischen Interessen» praktizierte US-Staatsterrorismus in der beschriebenen Art am konkreten Fall Chiles weggeschrieben wird, ist nur noch erbärmlich.
    Soll damit das Feld für eine weitere neoliberale Attacke – auf die Schweiz? – ideologisch-journalistisch vorbereitet werden? Denn der bisher einzige Schauplatz, der von den Chicago-Boys unter dem Schutz des CIA aufoktroyierten neoliberalen Exzesse ist und bleibt (ausser der Schweiz) das Chile unter Pinochet. Da könnte es schon unschicklich sein, wenn 50 Jahre nach dem CIA-Putsch in Chile die schweizerische FdP daran erinnert würde, wo «Mehr Freiheit weniger Staat» bis zum bitteren Ende durchgezogen wurde. Und das nur gerade ein Monat vor den Wahlen in der Schweiz …

  • am 21.09.2023 um 10:05 Uhr
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    EMPÖRENDE LÜGE!
    Der 50.Jahrestag des Putsches gegen die Regierung Allende wurde in Deutschlands offiziellen TV-Kanälen fast völlig ignoriert, auch in den Mediatheken fast nichts. 2 Ausnahmen habe ich gefunden, eine Doku des MDR «Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile ’73» sehr positiv, und am 10.09.2023 in ARD Tagesschau 24 «Verrat in Santiago- Wer hat Salvador Allende getötet- Film von Wilfried Huismann». Empörend ist die Ankünigung «… «Er war ein Romantiker, der zum Tode verurteilt war», so der sowjetische General Leonow…» weiter unten «…Die Sowjetunion ließ Salvador Allende fallen, … «Ich habe den Dolch im Rücken», sagte Allende…» .
    Die Verantwortung der USA-Regierung und des Geheimdienstes wird im Text (im Video von 2003 aber gezeigt!) vertuscht und der Sowjetunion – heute Russland die Schuld zugeschoben.
    Siehe www.http://allende-50.de/texte/00.jpg
    und Fakten http://allende-50.de/texte/01.jpg

    mehr Infos im Buch http://allende-50.de

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