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Christoph Blocher und Jean Ziegler nach einer Fernsehdebatte © SF

Zu Blochers Immunität: Offener Brief an Jean Z.

Robert Ruoff /  Jean Ziegler plädiert für Blochers Immunität. Robert Ruoff kritisiert im offenen Brief den Übergang vom Rechtsstaat zum Moralstaat.

(Red.) Dem hier wiedergegebenen Offenen Brief – gestern abgeschickt – folgt gleich ein zweiter. Siehe unten im Anschluss an diesen ersten Brief.

Lieber Jean Ziegler

Du hast Dich wieder einmal zu Wort gemeldet. Berichtete der «Tages-Anzeiger» und sein «Newsnetz» am vergangenen Samstag. Mit Bezug auf die «Schweizer Illustrierte». Und das hat Aufmerksamkeit gefunden, weil es wie immer pointiert war und prominent.

Und doppelt überraschend. Ein bisschen überraschend, weil Du Dich einsetzt für die Immunität von Christoph Blocher, der am anderen Ende des politischen Spektrum politisiert. Sehr überraschend, weil Du Dich nicht einsetzt für Reto T., der als kleiner Kadermitarbeiter bei der Bank Sarasin die ganze «Affäre Blocher-Hildebrand» ins Rollen gebracht hat mit seinem Datendiebstahl. Und der jetzt aussieht wie der Hängemann, der zuerst benutzt, dann angeprangert und schliesslich am Haken eines Paragraphen aufgeknüpft wird. – Das müsste Dich doch eigentlich viel mehr beschäftigen?!

Sympathisch und ehrenwert

Doch vorweg ein persönliches Wort: Wir haben einander selten getroffen, immer mit persönlicher und politischer Sympathie. Das eine oder andere Mal beim Fernsehen. Du warst und bist immer ein Garant für die wirksame Inszenierung eines Themas. Deine Argumente fand ich manchmal etwas holzschnittartig, aber das passt zum Medium Fernsehen; sie waren häufig provozierend und immer anregend. Und Deine Aussagen waren immer getragen von einem glaubwürdigen persönlichen Engagement. Das hat Dir Anerkennung, Respekt und sogar Sympathie auch bei weit entfernten politischen Gegnern eingetragen.

So ist auch Dein Einsatz für die Immunität nachvollziehbar. Es geht Dir um eine Grundsatzfrage, um ein Grundrecht eines eidgenössischen Parlamentariers, unabhängig von der politischen Ausrichtung des Betroffenen. Das ist aller Ehren wert. Aber vielleicht – mein Verdacht – sind Deine Motive in diesem Fall ein bisschen zu persönlich und Du verschwendest Deine Solidarität an den falschen Mann.

Gegen totalitäre Einheitsmoral

Bei mir jedenfalls löst Deine Stellungnahme Widerspruch aus. Es gab beim Rücktritt von Philipp Hildebrand diese einschüchternde Einigkeit von ganz rechts bis links, die sich nur unterschied nach dem Grad der Befriedigung oder des Bedauerns aber doch einhellig den Rücktritt akzeptierte. Die Reaktionen waren durchwegs angesiedelt auf der engen Skala zwischen «überfällig», «unvermeidlich» und «bedauerlich aber leider notwendig». Nur ein paar eigenständige Denker wie Peter von Matt, Daniel Binswanger, Ulrich Thielemann oder Thomas Fleiner meldeten Widerspruch an und haben sich der schon fast totalitären Einheitsmoral mit gründlicher Kritik widersetzt.

Nach dem Rücktritt ging alles wieder seinen bürokratisch-politischen Gang, bis zur jüngsten Besetzung von Präsidium und Bankrat der Schweizerischen Nationalbank. Und auf dem Intrigenstadel wurde der politische Massnahmenvollzug begleitet von der Tragikomödie um die juristische Verantwortung für die Verletzung der Privatsphäre, in der der sogenannte «Whistleblower» mittlerweile aus dem letzten Loch pfeift, wenn die Indizien nicht trügen.

Aber ich denke, die ernsthafte Debatte muss weitergeführt werden. Es gibt die vielzitierte moralische Frage, es gibt die Rechtsfrage und es gibt wie immer auch die Geldfrage.

Die Geldfrage

Fangen wir doch mit der Geldfrage an, denn Du erinnerst selber daran, aus persönlicher Betroffenheit, schreibt Frau Blumer im «Tages-Anzeiger» (und ich gehe bei meinem offenen Brief davon aus, dass ihr Bericht in allen wesentlichen Elementen stimmt). Die Aufhebung Deiner Immunität hat Dir Schulden in Millionenhöhe eingebracht hat, bis heute. Und Du findest nach dieser Erfahrung, dass kein anderer so belastet werden sollte.

Ich kann das nachvollziehen. Es ist menschenfreundlich. Im Zusammenhang mit der «Affäre Blocher-Hildebrand» ist man fast versucht zu sagen: Es ist moralisch wertvoll.

Aber ich denke, um Christoph Blocher musst Du Dir da keine Sorgen machen. Er ist mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet. Die Nationalbank und das Ehepaar Hildebrand werden ihn kaum auf Schadenersatz verklagen. Und wie man lesen kann, hat er sich innerlich schon darauf eingestellt, eine allfällige Busse zu bezahlen. Es wäre für ihn nicht mehr als das nachträgliche Investment in ein Geschäft, in dem er den Return schon kassieren konnte: Philipp Hildebrand ist weg. Und er, Christoph Blocher, steht wieder voll im Rampenlicht und im politischen Geschäft.

Die Rechtsfrage um die Immunität

Auch bei der Rechtsfrage um die Immunität. Viele fühlten sich berufen, ihre Meinung zu äussern und Einfluss zu nehmen, und Du, lieber Jean Ziegler, nun also offenbar auch. Aber nur Wenige sind ausgewählt: die Mitglieder der Immunitätskommission des Nationalrats und der Rechtskommission des Ständerates, die sich vom heutigen Tag an zusammenfinden, um die Frage zu beantworten, ob Christoph Blocher zu Recht Immunität beansprucht oder eben nicht. Die Antwort ist wichtig, denn der Zweck der Immunitäts-Privilegien «ist der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Bundesbehörden».

So sagt es das «Faktenblatt» der Parlamentsdienste über «die Immunität der obersten Bundesbehörden.» Es unterscheidet zwischen der absoluten Immunität, der relativen Immunität und der Sessionsteilnahmegarantie, sprich: während der Session darf gegen ein Mitglied des Bundesrates bzw. Bundeskanzlerin/Bundeskanzler und gegen Mitglieder der Bundesversammlung keine Strafuntersuchung geführt werden. Das hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich selbstverständlich respektiert – und weil das zu einer verzögerten Hausdurchsuchung führte, hat sie dafür auch einige (unberechtigte) Kritik eingesteckt.

Absolute Immunität gilt, wie wir mittlerweile wissen, für Äusserungen in den Räten und deren Organen. Sie kann nicht aufgehoben werden. Die absolute Immunität spielt aber in unserem Falle auch keine Rolle, denn Christoph Blocher hat über die «Zeit des Redens und die Zeit des Schweigens» ausserhalb seiner Auftritte im Nationalrat entschieden. Es bleibt die «relative Immunität» für «Handlungen, welche im unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit und Stellung stehen»(Art. 162 Abs. 2 BV, Art. 17 ParlG, Art. 14 VG).

Das wird nun in den Kommissionen zu reden geben. Und gibt den Juristen Futter. Denn wir wissen beide, dass zehn Rechtsgelehrte elf verschiedene Meinungen haben. Aber soviel scheint auch dem juristischen Laien klar: Nicht jede beliebige politische Operation ist von der Immunität gedeckt, und schon gar nicht jede publizistische Operation, wie Du selber schmerzlich erfahren musstest. Schon gar nicht Zuwiderhandlungen gegen Gesetze und Eingriffe in die Privatsphäre, wie sie in der «Affäre Blocher-Hildebrand» unzweifelhaft stattgefunden haben. – Aber das haben nun, wie gesagt, die beiden Kommissionen abschliessend zu entscheiden, und niemand sonst sollte sich diese Kompetenz anmassen.

Die Absicht des Gesetzgebers

Als juristischer Laie darf ich mir aber doch eine begründete Mutmassung erlauben zur Frage, von welchem Zeitpunkt an Christoph Blocher Immunität geniesst, wenn er denn überhaupt in ihren Genuss kommen sollte. Es gab ja diese Neufassung des Parlamentsgesetzes, um eben die Immunität auf ihren wirklichen Zweck einzuschränken: den «Erhalt der Funktionsfähigkeit der Bundesbehörden» – und nicht die beliebige Freiheit von Mitgliedern des Parlaments, der nationalen Regierung (und Bundesgerichts), Recht und Gesetz nach ihren politischen (oder gar privaten) Bedürfnissen zu respektieren – oder auch mal nicht.

Diese neue, enge Fassung wurde vom Gesetzgeber – den Mitgliedern der Bundesversammlung, also National- und Ständerat – in Kraft gesetzt auf den 5. Dezember 2011, sprich: auf den Tag der konstituierenden Sitzung des neu gewählten eidgenössischen Parlaments und seine Vereidigung. Daraus kann der juristische Laie nur messerscharf schliessen, dass bis zu diesem Datum noch das alte Recht für das alte, noch immer amtierende Parlament galt – und dass das neue Recht erst für die (wieder) gewählten National- und Ständeräte galt: ab dem Zeitpunkt ihrer Vereidigung. Die Absicht des Gesetzgebers scheint eindeutig und klar.

Doktor Blochers Selbstschutz

Das war dem Doktor der Jurisprudenz Christoph Blocher wohl bewusst, und wir dürfen annehmen, dass er auch aus diesem Grund für sein Gespräch mit Bundespräsidentin Calmy-Rey bis nach der Vereidigung zugewartet hat. Denn er war ja seit Oktober 2003 nicht mehr Mitglied der Bundesversammlung und seit Dezember 2007 nicht mehr Mitglied des Bundesrates, das heisst: die Frage der Immunität stellt sich erst für die Zeit seiner erneuten Wahl und Vereidigung als Mitglied des Nationalrats. Das ist der 5. Dezember 2011.

Alles, was Dr. Christoph Blocher vor dem 5. Dezember 2011 in Sachen Hildebrand’scher Bankdaten sagte und tat, sei es als Anregung für Reto T., sei es als Beteiligung an der Publikation in der «Weltwoche» fällt aus dieser Sicht nicht unter die Bestimmungen des Parlamentsgesetzes über die Immunität für oberste Bundesbehörden – weil ja Christoph Blocher in dieser Zeit gar nicht ihr Mitglied war.

Immunität für politische Kampagnen?

An diesem Punkt, lieber Jean Ziegler, neigst Du vielleicht aus eigener Erfahrung dazu, für politische Kampagnen «in höherem Interesse» einen Freibrief auszustellen. «Blocher habe seine Aufsichtspflicht wahrgenommen», wirst Du indirekt zitiert. – Hat er das? Und wenn ja: ab wann? Und wäre dadurch auch eine allfällige Mitwirkung bei der Weitergabe der Bankdaten an die «Weltwoche» gedeckt? Mit welcher Berechtigung?

Und: liegt es in der eigenmächtigen Gewalt von Christoph Blocher zu entscheiden, ob da tatsächlich ein «Interesse der Allgemeinheit» vorliegt? Oder liegt es nicht vielleicht im Interesse aller Beteiligten – zu denen wir ja als Staatsbürger auch gehören -, dass eine unabhängige Instanz dieses behauptete Allgemein-Interesse prüft. Auch wenn damals, vor gerade mal vier Monaten, sich (fast) alle so einig waren über die Unvermeidlichkeit dieses Rücktritts.

Rechtssicherheit für Citoyens und Citoyennes

Christoph Blocher ist da übrigens konsequent, wenn er sagt: wer Recht verletzt um ein höheres Recht zu schützen, muss möglicherweise trotzdem eine Strafe auf sich nehmen – oder doch wenigstens die Feststellung akzeptieren, dass er Recht verletzt hat. Dazu müsste allerdings zuerst eine Untersuchung in Gang kommen, allenfalls auch die Immunität aufgehoben werden.

Ich denke, wir haben als Citoyens und Citoyennes ein enormes Interesse an der «Funktionsfähigkeit der Behörden» und an ihrem Schutz durch die Immunität. Aber als Bürgerinnen und Bürger müssen wir auch daran interessiert sein, dass nicht unter dem Schutzmantel dieser Immunität, sei es aus ethischen, aus politischen oder aus wirtschaftlichen Motiven willkürliche Rechtsverletzungen stattfinden, die die Rechtssicherheit und damit den Rechtsstaat angreifen.

Gegen die konzertierte Empörung

Lieber Jean Ziegler, Du wunderst Dich, warum ein Kritiker aller undurchsichtigen und unkontrollierten Machtverhältnisse wie ich nicht einfach einstimmt in das Lied vom «Skandal um die privaten Devisenspekulationen des Nationalbank-Präsidenten», das Du offenbar auch singst, wie ich dem Bericht von Frau Blumer entnehme. Die Antwort ist ganz einfach: Weil ich damals schon und bis heute die konzertierte Empörung über die privaten Bankgeschäfte von Herrn und Frau Hildebrand nicht teilen konnte und kann.

Auch wenn ich diese Geschäfte damals wie heute für ziemlich idiotisch hielt, im Sinne des Wortes. Ich wiederhole hier gerne, was ich am Tag vor Hildebrands Rücktritt geschrieben und am Tag danach auf Infosperber veröffentlicht habe:

«Philipp Hildebrand beziehungsweise seine Frau beziehungsweise beide zusammen haben dem Troll vom Herrliberg allerdings auch eine, mit Verlaub und allem gebotenen Respekt, ziemlich idiotische Vorlage für seine Intrige geboten, wie man am bildungsbürgerlichen Stammtisch sagen würde. Nach der ursprünglichen Bedeutung des alt-griechischen «idiotes», das den Privatmann bezeichnet, der kein öffentliches Amt bekleidet.
Das ist der Punkt, und nicht eine wie auch immer geartete «moralische» Verfehlung (was soll das denn sein?): Philipp Hildebrand, der für seinen Einsatz für das finanz- und wirtschaftspolitische Wohlergehen des Landes allen Wertschätzung verdient, hat sich an dieser Stelle als ganz gewöhnlicher Banker gezeigt, der nur den Gesetzen des kapitalistischen Finanzmarktes und seiner ganz engstirnigen persönlichen Geld-Interessen folgt. Er hat an dieser Stelle das Bewusstsein für seine gesellschaftspolitische Verantwortung vermissen lassen. Wie die Meister des Universums, zu denen er einige Jahre lang gehörte. Aber: Er hat einen starken, ehrenwerten Abgang gehabt».

Ich lasse das so stehen. Auch wenn wir heute wissen, dass Philipp Hildebrand nur dem Druck der Einheitsfront aus Bankrat und Nationalbank-Präsidium nachgegeben hat. Er hatte weder Reglement noch Gesetz noch Verfassung verletzt. Er hatte, zusammen mit seiner Frau nur «business as usual» gemacht, wie sie es gewohnt waren seit ihrer gemeinsamen Zeit beim Hedgefonds Moore Capital Management in London und New York.

Das erste Versagen des Bankrats

Dein Parteifreund vom rechten SP-Flügel, Rudolf Strahm, hatte bei Hildebrands Wahl ja davor gewarnt, einen ehemaligen Hedgefonds-Manager und Vermögensverwalter an die Spitze der Nationalbank zu wählen. Mit einer Frau aus dem gleichen Milieu. Bundesrat und Bankrat haben es trotzdem getan. Und der Bankrat hat nicht die reglementarischen Vorkehren getroffen, um die Grenzen zur privaten Geschäftswelt klar zu ziehen und angemessene Regeln für die private Vermögensverwaltung des Nationalbank-Präsidiums zu definieren. – Aber das damals verabschiedete Reglement war für die Nationalbank und seinen Präsidenten geltendes Recht.

Die «Blocher-Hildebrand-Affäre» ist eine Geschichte der verkehrten Welten.

Die erste Verkehrung ist der idiotische Glaube, man könne ein öffentliches Amt von höchster Verantwortung und höchstem Einfluss auf das Gemeinwohl ausüben ohne Konsequenzen für sein Privatleben. Ohne es an die berechtigten Anforderungen des Dienstes an der Öffentlichkeit so anzupassen, dass auch nur der falsche Schein eines Interessenkonflikts vermieden wir. – Denn an genau dieser Stelle kommen alle die ins Spiel, die sagen: «An seiner Stelle hätte er das doch wissen müssen» – als ob das ein rechtlich relevanter Tatbestand wäre -, und selbstverständlich auch noch die, die es schon immer gewusst haben, lieber Jean Ziegler.

Und so haben die Hildebrands in ihrem privaten Leben weiter gewirtschaftet, wie sie es in ihrer schweizerisch-amerikanischen Partnerschaft von Anfang an gewohnt waren.
Aber waren das «Insider-Geschäfte», wie die «Weltwoche» damals titelte? Da brechen ja die griechischen Götter in ihr grosses Gelächter aus. Insider-Geschäfte in einer Zeit, in der Herren Bigler (Gewerbverband), Bürer (Economiesuisse), Lampart (Gewerkschaftsbund), Levrat, Pelli, Darbellay (SP, FDP, CVP) und Schneider-Amman (Bundesrat) lautstark die Nationalbank zum Handeln gegen den starken Franken aufgefordert haben? So dass jeder Rentner mit etwas Geld im Sparstrumpf sich fragen musste, ob er nicht doch ein paar Dollar oder Euro kaufen sollte.
Waren das «Devisenspekulationen»? Die Hildebrands haben Haus verkauft und Haus gebaut. Sie haben Franken und Dollars auf ihren Konten ins Gleichgewicht gebracht. Mal verloren, mal gewonnen. In dem Rahmen, den sie gewohnt waren. Und haben damit den Anlass für den öffentlichen Aufschrei geliefert.

Die moralische Frage

Damit stehen wir vor der moralischen Frage. Bundepräsidentin Widmer-Schlumpf hat in der «Präsidialarena» des Schweizer Fernsehens vom 6. Januar das fatale Wort vom «moralischen Fehler» des Philipp Hildebrand gebraucht. Ich denke, sie wollte den Nationalbank-Präsidenten schützen. Sie war ja, wie man liest, eine der Wenigen, die sich von dem rechtspopulistischen Shitstorm nicht beeindrucken liess und bis zum schnellen Ende auf dem Rechtsstandpunkt beharrte. Rechtssicherheit ist ein Grundpfeiler des demokratischen Staates. Aber der «moralische Fehler» war der Hebel, mit dem Philipp Hildebrand schliesslich aus dem Amt katapultiert wurde.

Ich versuche bis heute zu verstehen, von welcher «Moral» die Rede war. Es hat nach meiner Kenntnis bislang niemand eine überzeugende Erklärung geliefert.

Aber der Anlass zur Empörung ist klar: der Dollarhandel «mit einem satten Gewinn von 75’000 Franken» («Weltwoche» 1/2012).

75’000 Franken – das ist eine so schön fassbare Summe. Das entspricht in etwa einem Schweizer Durchschnittslohn – viele verdienen weniger. Und die Hildebrands machten das mit ein paar Mausklicks, mit einem einfachen Bankauftrag. Mit diesen 75’000 Franken – und einer skandalösen Kommunikationspolitik von Bundesrat und Bankrat – konnte man eine Explosion der «Kleinmoral» erzeugen, die nun zwingend ihr Opfer forderte. Dieser Empörungsmechanismus funktionierte blendend: nicht nur bei den eingeschworenen Anhängern von Christoph Blocher und seiner Bewegung, sondern auch bei sozial engagierten linken Intellektuellen. Nach dem Motto: Wer so etwas macht wie die Hildebrands, muss weg.

Die Kleinmoral und das System

Damit war das wirkliche Problem wieder einmal vom Tisch – und ich bin fast sicher, dass Du mir an diesem Punkt zustimmst, lieber Jean Ziegler: Das wirkliche Problem ist weniger, dass man so etwas macht – 75’000 Franken ohne Arbeit verdienen, mit ein paar Mausklicks – sondern dass man das machen kann. Und zwar nicht nur mit 75’000 Franken. Sondern mit Millionen. Jeden Tag. Weltweit. Ohne viel zu tun. Und vor allem: Ohne dabei einen realen Wert zu schaffen.

Und dass wir das bezahlen. Sprich: die Lohnarbeiter mit ihrem Reallohnverlust. Und die Billigarbeiter bei uns und in den Schwellenländern und in der Dritten Welt. Und die «Working Poor», die für ihre Arbeit keinen angemessenen Lohn erhalten, der ihnen den Lebensunterhalt sichert – und das wäre ja das Minimum: dass der Lohn die Reproduktionskosten der Arbeitskraft deckt, für die Arbeitenden und ihre Familien.

Das ist der wirkliche Skandal. Denn mit dieser Arbeitsleistung wird in der Realwirtschaft die Gewinnspanne erhöht, aus der sich das Kapital erst speist.

Aber die Leistung der Arbeitsbienen kann den Profitansprüchen des Finanzkapitals gar nicht genügen. Ulrich Thielemann, der Wirtschaftsethiker, den die Hochschule St. Gallen nicht mehr wollte, weil er in Deutschland das Schweizer Steuerhinterziehungs-Geheimnis kritisierte – Du erinnerst Dich sicher, lieber Jean Ziegler -, also dieser Ulrich Thielemann stellt fest, dass seit 1980 die Realwirtschaft um einen Faktor 6 (in Worten: sechs) gewachsen ist. Der weltweite Kapitalbestand hingegen ist in der gleichen Zeit um den Faktor 17 (siebzehn) gestiegen. Aber realer Wert wird nur von der Realwirtschaft erzeugt. Alles, was darüber hinaus geht, ist Blase. Kapitalblase.

Die folgerichtig immer wieder platzt. Nicht nur von Griechenland bis Spanien sondern nun auch in den Niederlanden, in…

Der wirkliche Skandal

«Behoben» wird diese Krise, wie wir wissen, mit radikalen Sparmassnahmen auf Kosten der der Steuerzahler und der Lohnbezüger. Und nicht, was nötig wäre, durch den Abbau der übertriebenen Kapitalbestände. Was beispielsweise heissen würde: durch Steuern, die überrissene Kapitalgewinne ohne reale Arbeit abschöpfen. Und das geht nicht. Denn darauf antwortet die Finanzwirtschaft mit Abwanderungsdrohungen – Herr Grübel lässt grüssen – oder mit der Ansiedlung in Steueroasen.

Das ist nun wirklich, sagt der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann, «moralisch schäbig».

Und der ehemalige Hedgefonds-Manager, der als Nationalbank-Präsident eine höhere Kapitalausstattung der Finanzinstitute forderte und durchsetzte und damit die Abhängigkeit von Staat und Steuerzahlern und Lohnabhängigen von eben diesen Instituten verringerte, dieser Mann ist nun durch die Intrige eines politisierenden Finanzkapitalisten und die Schwäche der Aufsichtsorgane von seinem Posten entfernt.

Das ist der wirkliche Skandal, lieber Jean Ziegler.

TEIL 2: VOM RECHTSSTAAT ZUM MORALSTAAT

Der Schutz des Whistleblowers

Aber Deine Sorge gilt auch dem Schutz der «Whistleblower», wirst Du sagen, zusammen mit Deinem Parteifreund Jositsch und dem FDP-Nationalrat Leutenegger. Verdient nicht der selbstlose Einsatz für moralische Grundsätze Schutz und Sicherheit? – Sicher, wenn es denn «Whistleblower» mit einem selbstlosen Einsatz sind.

Am Anfang war es ja ein ganz einfacher Datendiebstahl: Reto T. hat sich Kontoauszüge von Philipp und Kashya Hildebrand kopiert. Aus eigenem Antrieb oder auf Anregung, von wem auch immer. Ob aus dem Dieb ein Whistleblower wird, entscheidet sich erst danach. Und das ist überprüfbar.

Die Regeln von Transparency International

Transparency International Schweiz hat auf ihrer Website einen «Leitfaden für Whistleblower» veröffentlicht, auch mit Verweis auf Gerichtsurteile: «Nach der Rechtsprechung ist folgende Reihenfolge einzuhalten:
1. Zuerst muss eine interne Meldung erfolgen (internes Whistleblowing)…Der Arbeitsgeber muss die Möglichkeit haben, die Angelegenheit intern zu bereinigen.» Es ist nicht bekannt, dass Reto T. eine vorgesetzte Stelle in der Bank Sarasin angesprochen hätte, um das weitere Vorgehen abzuklären und abzusprechen. Es ist auch nicht bekannt, dass Reto T. den nächsten Schritt unternommen hätte, den die bisherige Rechtsprechung vorsieht, nämlich:
«2. Reagiert der Arbeitgeber nicht in angemessener Frist, darf die zuständige Behörde informiert werden.» Und das wäre nun, nach Recht und Gesetz, der Bankrat. (Wir wussten ja damals noch nicht, dass dich der Bankrat und sein Präsident damals als Verwedelungsinstanz und, als das schief ging, wenig später als Selbstrettungsverein verstand).

Nun ist es nachvollziehbar, dass Reto T. sich nach kompetenter Hilfe umsah. Er war nach allen Berichten nicht sonderlich gut vernetzt und hatte es mit sich und dem Leben nicht leicht. Der Provinzanwalt mit politischen Verbindungen, der ihm schon einmal ein Stück weit geholfen hatte, kam ihm da gerade recht. Aber mit dieser politisch unterfütterten Verbindung – und spätestens mit dem Kontakt zu Christoph Blocher -, wurde Reto T.’s Aktion zur Herstellung von Transparenz (auch) zur politischen Operation.

Blocher als Whistleblower?

Oder Christoph Blocher als «Whistleblower»? – Manche Medien haben ihn, ungenau und schludrig genug, so genannt. Blocher hätte den unbeholfenen Bank-Informatiker Reto T. bei der Hand nehmen und auf den richtigen Wegen begleiten können. Aber die Chance, den missliebigen Nationalbank-Präsidenten abzuschiessen, war zu verlockend. Der Vorstoss an höchster Stelle, bei der Bundespräsidentin, bot sich an nach der Wahl in den Nationalrat und unter dem Schutz der wieder gewonnenen Immunität. Aber war das Whistleblowing?

Es muss für Christoph Blocher ein Weihnachtsgeschenk gewesen sein, als der Bankrat im Verein mit PricewaterhouseCoopers PwC und der Eidgenössischen Finanzkontrolle EFK versuchte, am 23. Dezember mit einer einigermassen rätselhaften Medienmitteilung die Sache zu vertuschen.

Kommunikation als Rohrkrepierer

Es war, wie wir heute wissen, ein Super-GAU der Kommunikation und endete, wie Vertuschungsversuche heute meistens enden: als Rohrkrepierer. Seit den Zeiten des legendären Kommunikationschefs Daniel Eckmann (zuerst beim Fernsehen, dann bei Bundesrat Kaspar Villiger), also seit gut 30 Jahren ist klar, dass ein prominenter Verantwortungsträger eine Fehlleistung nur einigermassen übersteht, wenn er einen Fehler einen Fehler nennt, glaubwürdig Bedauern äussert und Remedur nicht nur ankündigt sondern auch schafft. Und das private Finanzgebaren des Ehepaars Hildebrand war eine solche Fehlleistung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich weiss, lieber Jean Ziegler, dass unsere Einschätzungen an diesem Punkt nicht übereinstimmen.

Der Vertuschungsversuch führte zwangsläufig zur «Stufe 3» des Transparency-Leitfadens: «Die Medien dürfen erst als letztes Druckmittel eingesetzt werden.»

Es traf sich gut, dass Christoph Blocher zufällig wusste, dass «Weltwoche»-Redaktor Urs Paul Engeler zufällig zur gleichen Zeit zufällig am gleichen Thema arbeitete: den privaten Finanzgeschäften des Ehepaars Hildebrand. Und so konnte er die «Weltwoche» – «eine gute Zeitung» – den Informanten guten Gewissens als mögliche Abnehmer empfehlen. Wenn er das denn wirklich getan hat.

«Whistleblowing» als politische Operation

Sicher ist, dass Medien heute Teil politischer Beziehungssysteme sind – meist nicht mehr parteipolitisch gebunden aber doch mit erkennbaren gesellschaftspolitischen Präferenzen. Die «Weltwoche» beispielsweise beschreibt die «SonntagsZeitung» und den «Sonntag» als «die beiden publizistischen Arme des Notenbankchefs»; sie selber gehört unzweifelhaft zum politischen Beziehungsnetz von Christoph Blocher und seiner SVP.

Und damit wird das angebliche «Whistleblowing» eben gleichzeitig zur politisch-publizistischen Aktion. Und um genau dies abzuklären, wäre eine offene Untersuchung der ganzen Vorgänge für alle Beteiligten so wünschenswert. Um festzustellen, wieviel «Interesse der Allgemeinheit» und wieviel partei- und wirtschaftspolitisches Interesse in Christoph Blochers Handeln steckte. Soweit das überhaupt zu unterscheiden ist.

Journalisten sind keine Freunde

Aber es gibt im Transparency-Leitfaden noch einen anderen, sehr wahren Satz, den der Datendieb und Informant und vielleicht Whistleblower Reto T. jetzt zu seinem Leidwesen erfahren muss: «Journalisten sind nicht Deine Freunde.»

Und darum, lieber Jean Ziegler, erstaunt es mich, dass Du Dich mit Christoph Blocher solidarisierst und nicht mit Reto T.. Denn dieser Bank-Informatiker wird jetzt von der «Weltwoche» sorgfältig als Opfer präpariert. Nachdem sie seine Informationen dankbar aufgenommen, zurecht gestutzt und für ihre Zwecke eingesetzt hat.

In ihrem Aufwasch nach der Hausdurchsuchung bei Blocher beschreibt die «Weltwoche»unter dem Stichwort «Stalking» seine Liebschaft mit einer Thurgauer Polizistin, die sich schliesslich mit einer Klage gegen Retos endlose Mail-Botschaften wehrt. Der «Jugendfreund» und Anwalt Hermann Lei paukt ihn aus dieser Geschichte einigermassen erfolgreich heraus, und die Beziehung bleibt danach mit einem starken SVP-Einschlag erhalten. Reto T. erweist sich als hilfreich beim Verfassen von Leis Texten für die Schweizerzeit» von SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer. Und kommt auf den Anwalt zurück, nachdem er die Hildebrand-Daten bei der Bank Sarasin gestohlen hat.

Die Ausbeutung und Demontage des Reto T.

Umstritten ist im Vorfeld des absehbaren Prozesses, ob Reto T. der Weitergabe der Dokumente an die «Weltwoche» zugestimmt hat. Die Verteidigungslinie von Hermann Lei und Christoph Blocher wird dabei glasklar: Die Initiative zum Kontakt mit Blocher «geht klar von Lei und Reto T. aus», während die Aussagen über den Kontakt zur «Weltwoche» widersprüchlich sind: «Es ist ein langes Hin und Her, das durch einen intensiven E-Mail-Verkehr dokumentiert ist und das fatal an die virtuelle Beziehung zwischen Reto T. und (seiner Liebsten) Beatrix K. erinnert.» («Weltwoche 13/2012).

Es ist der durchsichtige Versuch, den «Whistleblower» als instabile, psychisch leicht gestörte und deshalb nur begrenzt glaubwürdige Persönlichkeit darzustellen. Und für den politisch ehrgeizigen SVP-Anwalt Hermann Lei eine Verteidigungslinie hochzuziehen: sollte Reto T. sich doch schriftlich gegen eine Weitergabe der Dokumente an die «Weltwoche» entschieden haben, so wäre doch verständlich, dass Hermann Lei das nicht wahrgenommen hat. Denn er Reto T. hat Hermann Lei «mit Mails zugemüllt» – so darf es der Lei-Verteidiger Valentin Landmann in der «Tagesschau» (oder «10vor10») des Schweizer Fernsehens formulieren. Die Strategie ist offenkundig und die Rolle nicht nur der «Weltwoche» zwiespältig: Der «Whistleblower» wird mit seinen Informationen zuerst benutzt, danach demontiert und am Ende wahrscheinlich am Haken eines Paragraphen aufgehängt.

Nicht nur die SVP-Wochenzeitung, auch andere Medien verdienen einen kritischen Blick: der fahrlässige bis bösartige Umgang mit dem Ruf der schwächsten Person in dieser politischen Intrige ist die eine Seite. Der Aufbau einer neuen Prominenz die andere: der Milieuanwalt Valentin Landmann mausert sich definitiv zu einem Liebling der Zürcher Presse. Im «ZüriTipp» des «Tages-Anzeigers» darf er die neue Serie «Mein Zürich» eröffnen. Und die «Neue Zürcher Zeitung» lädt Landmann ein zum «Career Talk» an der Universität Zürich über «seine ungewöhnliche Karriere».

Auf der Website erscheint das nach meiner Google-Suche als eine Veranstaltung der Theologischen Fakultät. Die Einhaltung der Massstäbe der gutbürgerlichen Moral dürfte damit gesichert sein.

***

Lieber Jean Ziegler,

Der Grund für diesen Brief ist sehr ernsthaft, und deshalb ist er auch lang geworden.

Vom Rechtsstaat zum Moralstaat

Ich fürchte, mit der «Blocher-Hildebrand-Affäre» befinden wir uns auf dem Weg vom Rechtsstaat zum Moralstaat. Und der Moralstaat ist unberechenbar, manipulerbar, politisch steuerbar. Im Gegensatz zur Volksherrschaft im demokratischen Rechtsstaat, in der wir uns frei für bestimmte, Regeln entscheiden und diese nachvollziehbar festgesetzten Regeln einhalten. Die «Moralisten» halten sich selber an keine «Moral» ausser an die, die sie selber definieren. Sie denken in Kategorien von Freund und Feind, und sie beschliessen über Wert und Unwert von Personen.

Das kann, wie im Fall von Reto T., nach Bedarf auch einmal ändern. Es ist abhängig davon, wie er sich einordnet ins Machtgefüge der «Moralisten».
Oder es kann zur Jagd auf einen politischen Gegner werden, wie im Fall Hildebrand. Was er privat gemacht hat, wurde unter dem Blickwinkel der Corporate Governance als «heikel» eingestuft. Aber bis heute ist ihm durch keine zuständige Instanz irgend ein Verstoss gegen Recht, Gesetz und das zu seiner Amtszeit geltende Reglement zur Last gelegt worden.

Die «Weltwoche» hingegen hat mit gestohlenen Daten, zurechtgestutzten Dokument-Kopien und unbewiesenen Behauptungen (bis heute) ungestraft gegen Philipp Hildebrand den Vorwurf der Insider-Geschäfte erhoben – immerhin ein Offizialdelikt – und ihm systematische regelmässige Währungsspekulation unterstellt. Auch die gründlicheren Untersuchungen nach seinem Rücktritt haben das in keiner Weise bestätigt. Eine Kampagne, lieber Jean Ziegler, ist nicht schon deshalb eine gute Kampagne, weil sie sich gegen einen Prominenten in einer Machtposition richtet.

Die Shitstorm-Mentalität

Wir haben in der Moralgesellschaft und im Moralstaat mit ihren Moralmedien ein rasant wachsendes Problem: die zunehmende Shitstorm-Mentalität. Der Glaube, mit der Freiheit der Meinungsäusserung sei die Freiheit verbunden, ohne Rücksicht auf Ruf und Ansehen Menschen mit verbalem Dreck zu bewerfen. Bei der «Weltwoche» ist das mittlerweile zum Verkaufsprinzip geworden.

Und wenn sie Erfolg hat, findet sie am Schluss noch Zustimmung bei einem grossen Teil der Öffentlichkeit.

Dann sind wir definitiv auf dem Weg vom Rechtsstaat zum Moralstaat. Wobei «Moral» bedeutet, sich als Hüter der «Moral» in Szene zu setzen und dem Objekt des Verbalangriffs «moralische Fehler» nachzuweisen oder auch nur zu unterstellen und möglichst viel Öffentlichkeit hinter diesen Angriff zu scharen. Im Internet, in den klassischen Medien, in der populistischen Bewegung.
Dann gehen so grundlegende Prinzipien verloren wie der Schutz der Privatsphäre – wie sie zur breiten Überraschung nun der Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür anmahnt: keineswegs als Delinquentenschutz und Steuerhinterziehungs-Geheimnis sondern schlicht als Schutzzone für die Einzelnen in einer zunehmend global vernetzten Gesellschaft.

Und als Schutz vor populistischen Bewegungen und Medien, die Politik betreiben durch die Mobilisierung des Mobs und so Mobbing zu einer erfolgreichen Form des politischen Kampfes machen.

Der Schutz des Einzelnen und des Rechtsstaats

Gegenüber einer Politik als Organisation eines manipulierbaren Kollektivs geht es um den Schutz des Einzelnen – sei es als verzweifelter Whistleblower, sei es als Zentralbankpräsident mit unterentwickeltem Bewusstsein für die Verquickung von Privatleben und öffentlicher Funktion.

Es geht wieder einmal um den Schutz und die Einhaltung so einfacher und grundlegender Regeln des Rechtsstaats wie «nulla poena sine lege» – keine Strafe ohne Gesetz. Mehr noch: keine Strafe ohne strafbare Handlung. Und vor allem: keine Sanktion für eine Handlung, die keinen greifbaren Schaden angerichtet hat.

Wir überlassen sonst die «Führung» von Staat und Gesellschaft einem Haufen von «Moralisten», der den Rechtsstaat zumindest vorübergehend auf den Müllhaufen der Geschichte wirft, wenn es dem Volksempfinden dient und der politischen Intrige.

Berechenbarkeit und die gleichmässige Anwendung des Rechts für alle und für jede/n ist seit den preussischen Reformen von oben und der französischen Revolution von unten eine existentielle Grundlage des freiheitlich-demokratischen Staates.

Wenn aber jederzeit irgendein neo-feudaler »Häuptling» (Peter von Matt über Christoph Blocher) mit einem Haufen Indianer und lautem Kriegsgeschrei diesen Rechtsstaat ausser Kraft setzen kann, unterminieren wir die Stabilität unserer Institutionen von der Nationalbank bis zum Bundesrat. Und dies in einer Situation, in der uns die Krisenmeldungen aus aller Welt täglich erreichen – so regelmässig, dass wir uns vielleicht schon daran gewöhnt haben. Zu sehr.

Lieber Jean Ziegler, ich bin ziemlich sicher, dass wir uns in vielen Punkten einig sind. Mit ungebrochener Sympathie, Robert Ruoff.


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Eine Meinung zu

  • am 25.04.2012 um 12:16 Uhr
    Permalink

    „Skandal um die privaten Devisenspekulationen des Nationalbank-Präsidenten“

    Herr Sperber, in diesem Fall gleicht ihre Auslassung, die der amerikanischen Regierung im Fall B. Manning
    als Nicht-Schweizer bin ich hier ganz der Auffassung von Hern Ziegler, den ich überaus schätze. Recht und Unrecht sind nun mal in erster Linie das, was mir meine Instanz Gewissen als dieses vermittelt und hat sich keinesfalls nach irgendeinem «Fraktions"-Zwang zu richten . Dazu zu stehen erfordert Mut, weil- wie in diesem Fall -der moralisch richthandelnde schnell als Nestbeschmutzer gilt. In diesem Sinn: weiterso Herr J.Ziegler. In Deutschland haben sie als Moralinstanz eine Riesen-Fangemeinde

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