Kommentar

Sprachlust: Die seltsame Ehe des Robert Walser

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Das Berner «Robert Walser-Zentrum» hat Verdienste, aber Bindestrich-Logik gehört nicht dazu: Hatte der Dichter Frl. Z. geheiratet?

In Wädenswil gibts die Robert-Walser-Strasse, in Herisau aber die Robert Walser-Strasse mit nur einem Bindestrich, und ebenso gibts in Bern das Robert Walser-Zentrum. Wer nun meint, es brauche doch zwei Bindestriche, um den ganzen Namen zusammenzuketten (durchzukoppeln, sagen Typografen), der hat recht – aber nur in Bezug auf die Strasse, nicht in Bezug aufs Zentrum. Denn dieses trägt einen Eigennamen, und den darf es setzen, wie es will. Darum sieht man ja in Namen von Firmen oder Organisationen nicht selten willkürlich gesetzte Grossbuchstaben oder Satzzeichen.
«Man setzt einen Bindestrich zwischen allen Bestandteilen mehrteiliger Zusammensetzungen, deren erste Bestandteile aus Eigennamen bestehen.» Das steht im amtlichen Regelwerk von 1996/2006, und schon bevor es dieses gab, lautete die Duden-Regel inhaltlich seit 1905 gleich. Als Beispiele werden u. a. die Albrecht-Dürer-Allee und die Albert-Einstein-Gedenkstätte angeführt. Also hiesse auch ein Zentrum, das Robert Walser gewidmet ist, nach den Regeln der deutschen Sprache Robert-Walser-Zentrum. Aber wenn sich ein solches Zentrum einen eigenen Namen gibt, so kann der auch so lauten, wie er es in Bern eben tut: Robert Walser-Zentrum. So hätte auch der Dichter selber geheissen, hätte er ein Fräulein Zentrum geehelicht.
Aha: Zentrum Paul Klee
Ist aber eine Institution, zumal eine kulturelle, gut beraten, bei ihrem Namen von den Sprachregeln abzuweichen? In der Gründungsphase war von einem «Paul Klee-Zentrum» die Rede, aber dieses besann sich eines Besseren und heisst nun sprachlich einwandfrei Zentrum Paul Klee. Das Robert Walser-Zentrum beruft sich auf ehrbare Vorbilder wie die Gottfried Keller-Stiftung oder das Max Frisch-Archiv. Und auf den Wikipedia-Artikel «Leerzeichen in Komposita», der als «Abweichung bei Strassennamen in der Schweiz» die Schreibweise mit freistehendem Vornamen zum «Standard» erklärte.
Allerdings gab es seit 1941 eine Empfehlung des Deutschschweizer Sprachvereins, man möge sich an den Duden halten und solche Strassennamen durchkoppeln, «weil der Geschlechtsname dem Grundwort nicht näher steht als dem Vornamen» – eine bemerkenswerte Dudentreue in jener Zeit, als der Verein mit der Namenspflege einem «Gebot des Heimatschutzes» folgte. 1951 aber beschloss der Zürcher Stadtrat «im bewussten Gegensatz» zu Duden und Merkblatt, den Leerschlag nach dem Vornamen beizubehalten, «weil beispielsweise die Benennung Ulrich-Siegfried-Straße eher eine Ehrung für einen Herrn Ulrich-Siegfried als eine solche für die Persönlichkeit Ulrich Siegfried vermuten ließe».
Zürichs späte Einsicht
Dabei blieb es bis ins Jahr 2000, als der Stadtrat zum Schluss kam, man folge doch besser dem Duden. So gibt es nun in Zürich auch eine Robert-Walser-Gasse. Die neue Regelung wurde bald für den ganzen Kanton verbindlich, und 2005 gab das Bundesamt für Landestopografie entsprechende Empfehlungen heraus, die als ein Beispiel die «Gottfried-Keller-Strasse» enthalten. Aber eben nur Empfehlungen – in der Schweiz werden ja sogar wichtigere Dinge nicht unbedingt vereinheitlicht, und so gibt es etwa in Basel immer noch die General Guisan-Strasse. Man kann sich ja dort nicht einfach nach dem Zürcher General-Guisan-Quai richten – auch wenn der Sinneswandel am Zürichsee sogar in der Wikipedia verzeichnet und der Schweizer «Standard» gestrichen worden ist.
Es ist ja kaum sinnvoll, das Weglassen des ersten Bindestrichs als vermeintliche Schweizer Eigenart zu pflegen. Diese unlogische Schreibweise figuriert auch nicht im Wörterbuch «Schweizerhochdeutsch», das der Verein – er nennt sich seit 1993 Schweizerischer Verein für die deutsche Sprache (SVDS) – dieses Jahr im Dudenverlag herausgegeben hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Daniel Goldstein ist Redaktor der SVDS-Zeitschrift «Sprachspiegel» und betreibt die Website Sprachlust.ch

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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