Sprachlupe: «Fribourg» auf Deutsch, kein «Biel» auf Französisch

Daniel Goldstein /  Zweisprachigkeit wird in Biel/Bienne grossgeschrieben, Freiburg dagegen will amtlich nur Fribourg sein. Dazu gibt’s jetzt ein Buch.

So nah und doch so fern: Zwischen Freiburg und Biel liegen 38 Kilometer in Luftlinie – und eine Art «Zweisprachigkeitsgraben». Den beleuchtet von vielen Seiten her der Journalist Rainer Schneuwly im Buch «Bilingue. Wie Freiburg und Biel mit der Zweisprachigkeit umgehen», das dieser Tage im Verlag Hier und Jetzt erscheint. Die deutschsprachige Bieler Mehrheit kommt den Romands deutlich stärker entgegen als Letztere den Deutschfreiburgern, zu denen der Buchautor gehört. Mit einem Aperçu stellt er die Verbindung her: «Interessanterweise wird auch in Biel hin und wieder von ‹Fribourgern› gesprochen», wie so oft in Deutschschweizer Medien – indes: «Als Deutschfreiburger ist man Teil der Deutschschweiz und möchte gern in der eigenen Sprache angesprochen werden. In der Romandie spricht niemand von ‹Biel›».

Die Schreibweise «Fribourg» erlaubt eine (allzu) bequeme Unterscheidung von Freiburg im Breisgau. Für Schneuwly aber bedeutet die französische Form, dass man in der Deutschschweiz Freiburg «relativ oft als Teil der Romandie betrachtet». Diese Sichtweise deckt sich mit dem traditionellen Blick der Welschfreiburger auf ihre Stadt und den Kanton (wie im Buch beschrieben, auf dem auch der Rest dieser Kolumne beruht). Biel/Bienne dagegen wird von beiden Seiten her als zweisprachig par excellence angesehen, auch wenn Welsche oft bemängeln, im Alltag spürten sie zu wenig davon.

Geschichtlich geprägt

Der Unterschied zwischen den beiden Städten gründet stärker in der Geschichte als in den Zahlenverhältnissen. Allerdings machen die Freiburger deutscher Muttersprache nur einen Fünftel der Stadtbevölkerung (ohne Drittsprachen) aus, die Welschbieler dagegen zwei Fünftel. In beiden Städten haben seit dem 19. Jahrhundert die Romands stärker zugelegt; in jüngerer Zeit auch deshalb, weil Einwanderer sich eher auf Französisch assimilieren als auf Deutsch. Zuvor hatte Biel zum Aufbau der Uhrenindustrie gezielt Fachkräfte aus dem Jura willkommen geheissen; Sprachpolitik spielte dabei angesichts der Deutschschweizer Mehrheit in Kanton und Bund kaum eine Rolle.

In Freiburg dagegen hatte die frankofone Mehrheit in der Alten Eidgenossenschaft Deutsch als Herrschaftssprache erlebt. «Deshalb wollten die von der französischen Revolution inspirierten Radikalen, als sie 1847 in Freiburg die Macht übernahmen, nichts mehr vom Deutschen wissen.» Im 20. Jahrhundert hielt die «starke französische Prägung» an, begleitet von (zahlenmässig unbegründeter) Angst vor «Germanisierung» durch die «angeblich übermächtige Deutschschweiz». Die Deutschfreiburger erreichten zwar, dass der Kanton offiziell zweisprachig wurde; seine Hauptstadt aber ist es bis heute nicht, und wenn die geplante Fusion mit Nachbargemeinden zustande kommt, schrumpft der Anteil der Minderheit weiter; möglicherweise wird sie dennoch rechtlich aufgewertet.

Von Pedantik zu Pragmatik

Weil die volle Anerkennung der deutschen Sprache fehlt, gab es jahrzehntelange, kleinliche Auseinandersetzungen etwa um Strassen- und Bahnhofstafeln oder das Schulwesen. In den letzten Jahren ist man pragmatischer geworden, aber: «Dass Freiburg faktisch zweisprachig ist, wie der Freiburger Stadtammann Thierry Steiert sagt, ist nicht bis zu allen durchgedrungen.» Als Markenzeichen der Stadt wird die Zweisprachigkeit, anders als in Biel, kaum gepflegt.

Obwohl der Autor keine Vollständigkeit angestrebt hat, bietet er auf 160 lockeren Seiten ein reichhaltiges Panorama. Schneuwly, Redaktor bei der Nachrichtenagentur Keystone-SDA (und einst beim «Bund») hat seinen eigenen Anspruch erfüllt, «für alle gut verständlich» zu schreiben; unerklärter Politikjargon («Listenspitäler») ist rar. Anschaulich, doch etwas klischeehaft resümiert er, wie es «Herr Deutsch und Frau Französisch» halten: «In Freiburg lebt dieses Paar eine offene Zweierbeziehung, in Biel ist es eine recht harmonische Ehe.»
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin: Freiburg – für zwei Namen gross genug


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund» . Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.