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Freikirchliche Organisationen wollen der Schweizer Politik ihren Stempel aufdrücken © pixabay

Schweiz: Freikirchen gründen Lobby-Organisation

Tobias Tscherrig /  Freikirchliche Akteure fühlen sich von der Schweizer Politik schlecht vertreten. Nun gründen sie eine eigene Lobby-Organisation.

Christliche Parteien haben in der Schweiz eine lange Tradition: Sie sind gut aufgestellt und prägen die Politik seit Jahrzehnten entscheidend mit. Trotz der Vielfalt und Stärke, die christliche Positionen in der Schweiz einnehmen, haben sich verschiedene freikirchliche Akteure nun entschlossen, die Lobby-Organisation «Christian Public Affairs» (CPA) zu gründen. Das Ziel ist im Positionspapier von CPA formuliert: «auf der Basis von christlichen Werten die Gesellschaft konstruktiv mitgestalten.»

Zu den Gründungsorganisationen gehören die Freikirche «Stiftung Heilsarmee Schweiz», die «Schweizerische Evangelische Allianz», das Hilfswerk «Hilfe für Mensch und Kirche», der nationale Kirchenverband «Freikirchen Schweiz», das christliche Medienunternehmen «ERF Medien» und «Ethik 22», ein Institut für christliche Sozialethik.

«Der Mensch ist ein Abbild Gottes»
Obwohl die Lobby-Organisation mit ihrer Arbeit noch am Anfang steht und die Themensetzung nicht endgültig sei, gibt das Basispapier einen Einblick in die Positionierung. Demnach stellen die Gründungsmitglieder den Menschen ins Zentrum – «weil jeder Mensch ein Abbild Gottes (…) ist.» Gemäss dem Papier spricht sich CPA für die Menschenrechte und gegen jegliche Diskriminierung aus. Als Christen sei man besonders in Lebensrechtsfragen gefordert: «Alles, was dem Leben dient, ist zu fördern, was es behindert oder gar schädigt, ist zu bekämpfen.»

Ob die Lobby-Organisation aktiv gegen Homosexualität, LGBTI, gegen die Ehe für Alle oder gegen Sterbehilfe und Schwangerschaftsabbruch kämpfen wird, bleibt unausgesprochen. Auf entsprechende Fragen antwortet Paul Mori, CPA-Sprecher und Sonderbotschafter der «Heilsarmee»: «Wir bedauern gewisse Entwicklungen, aber respektieren ohne Wenn und Aber Menschen und ihre Entscheidungen.» Man sehe sich nicht in der Rolle der Richter oder Besserwisser, stattdessen wolle man Brücken bauen.

«Die Schöpfung bewahren»
Im Basispapier schreibt CPA, man werde sich für das Gemeinwohl einsetzen. Ausserdem werde das Denken in globalen Zusammenhängen immer wichtiger. «Der Einsatz für die Armen weltweit, die Förderung einer ganzheitlichen Entwicklungszusammenarbeit und das Engagement für den gerechten Handel mit Menschen der südlichen Hemisphäre sind Themen, die für Christen je länger je wichtiger sind.»

CPA spricht sich für Solidarität und Gerechtigkeit aus. Markante Ungleichheiten seien zu hinterfragen und möglichst zu beseitigen. Eine vertiefte wirtschaftsethische Betrachtung sei nötig, um Fragen der gerechten Gesellschaftsordnung zu klären. Ein Hauptaugenmerk sei auf die Informationsgerechtigkeit zu richten. Die Lobby-Organisation will sich aber auch für Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Schweiz einsetzen – und weist darauf hin, dass man sich auch für Christen einsetze, «welche die am meisten verfolgte religiöse Gruppe in der Welt sind.»

Im Übrigen will CPA die «Schöpfung bewahren» und setzt sich deswegen auch für die Umwelt ein. So werde man sich in Debatten um Energie, Mobilität, Raumplanung und Ressourcen einbringen.

«Rekonstruktion der biblischen Werte»
Wie Mori sagt, erhält CPA die Legitimation für ihr Lobby-Engagement «von unserer Basis, die nicht nur Kirche sondern in erster Linie Bürger und Betroffene von politischen Entscheidungen sind.» Unabhängig davon, hätten religiöse Organisationen nicht nur das Recht, sondern «insbesondere christliche Institutionen auf Grund ihrer Werte auch die Pflicht, sich in den politischen Diskurs einzubringen.»

Die zentrale Herausforderung sieht Mori darin, ob es gelinge, die Rekonstruktion der biblischen Werte, zum Beispiel der zehn Gebote, für die heutige und zukünftige Gesellschaft zu gewährleisten. Die christliche Kirche und deren Lebensentwurf und Werte sei schon oft – und auch heute – vor der Frage gestanden: «Sind wir die Letzten von gestern oder die Ersten von Morgen?»

Auf die Frage, ob CPA die christlichen Werte in der Schweiz in Gefahr sieht, sagt Mori: «Ja und Nein. Die Wahrnehmbarkeit der Kirche und ihrer Organisationen muss in der Politik erhöht werden.» So sei manchmal die Solidarität mit den Schwachen in Gefahr, manchmal werde die Religionsfreiheit torpediert. Fakt sei aber, dass «das kollektive Wissen um die christlichen Werte und Traditionen abnehmen.» So sei etwa das Gebet für die Gesellschaft kaum mehr eine Option, um mit Herausforderungen umzugehen.

CVP-Ständerat liefert Zutrittsberechtigung fürs Bundeshaus
Dass es sich bei der CPA um eine Lobbyorganisation handelt, welche die Interessen ihrer Mitglieder durchsetzen und dem politischen Prozess ihren Stempel aufdrücken will, verhehlt Mori nicht. Es gehe um Präsenz und Einfluss im Bundeshaus und auch darum, dass sich «Fachverbände oder Fachorganisationen direkter und frühzeitiger in politische Prozesse einschalten können.» Dafür werde CPA die Zusammenarbeit mit den verschiedensten Parteien suchen. Entsprechende Gespräche hätten bereits stattgefunden und fänden auch weiterhin statt. «Wir verfügen schon über ein gewisses Netzwerk», sagt Mori. «Der Besuch von Parteianlässen und die Mitgliedschaft in der Lobbying-Szene sind uns wichtig.»

Es habe bereits einzelne positive Rückmeldungen von Politikerinnen und Politikern gegeben. So besitzt die Lobby-Organisation einen Badge, der ihr den Zutritt ins Bundeshaus erlaubt. Der Zuger CVP-Ständerat Peter Hegglin hat ihn an Paul Mori übergeben. Mori war es auch, der Teile einer CAS-Ausbildung in Public Affairs und Lobbying an der Fachhochschule Bern und Neuenburg besucht hatte.

Startkapital: 50’000 Franken
CPA will durch Themensetting und Networking aktiv lobbyieren. Auf der anderen Seite sollen sich die Aktivitäten auch aus der aktuellen politischen Agenda ergeben – zum Beispiel bei den Themen Sozialversicherungsreform, Migration, Gewalt, Arbeit und bei den eidgenössischen Wahlen. Auch politische Vorstösse sollen lanciert werden.

All das kostet Geld. «Im Moment finanzieren die Gründungsmitglieder den Verein», sagt Mori. «Das Budget 2019 beträgt rund 50’000 Franken.» Wie sich die Höhe des Kapitals in Zukunft verändern wird, ist noch ungewiss. Fest stehe einzig, dass die Arbeit an die zur Verfügung stehenden Mittel angepasst werden müsse.

Christliche Nächstenliebe ist nicht grenzenlos
Die Mitglieder von CPA haben sich in ihrem Positionspapier hohe Ansprüche gesetzt: Sie wollen Fair sein, verpflichten sich der Wahrheit, zur Integrität, Demut und zur Nächstenliebe. Einerseits ist Mori das geglückt: Abgesehen von einigen wenigen verklausulierten Antworten, hat er alle Fragen von «Infosperber» bereitwillig und detailreich beantwortet – eine Seltenheit bei Lobby-Organisationen.

Andererseits stehen Freikirchen, darunter auch einige Mitgliedsorganisationen von CPA, in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. So zum Beispiel die «Heilsarmee», die eben nicht nur Freikirche, sondern auch ein komplexes Unternehmen ist und entsprechende Entscheidungen traf. Zum Beispiel, als sie alle 14 Mitarbeiter in ihrem Brockenhaus in Thun entliess, weil sie zu wenig Profit erzielten. «Hilfe für Mensch und Kirche» versuchte unter anderem arabische Touristen mithilfe von Verteilaktionen von Bibeln zu bekehren.

Wilf Gasser, Präsident der «Schweizerischen Evangelischen Allianz», lehnte ein Verbot von Konversionstherapien ab. Der Verband «Freikirchen Schweiz» sagte gegenüber SRF: «Wir engagieren uns für die Stärkung der Ehe zwischen Mann und Frau. Eine öffentliche Segnung aller Beziehungsformen würde diesem Grundsatz widersprechen. Darum wird eine Segnung aller von uns nicht praktiziert.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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3 Meinungen

  • am 28.06.2019 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Wer steckt hinter den Freikirchen oder ‹Was oben leider nicht steht›: Zitat aus ‹InfoSekta›
    "
    Evangelikalismus bezeichnet eine theologische Richtung innerhalb des Protestantismus.
    – Freikirchen sind in der Regel evangelikal ausgerichtet.
    – Es gibt aber auch innerhalb der Landeskirche evangelikale Tendenzen.
    "
    Der Evangelikalismus ist ein Import aus den USA. Er hat sich auf die Fahnen geschrieben, die christliche Welt zu erobern + seinen Zielen dienstbar zu machen.

    Alles klar?

  • am 28.06.2019 um 21:06 Uhr
    Permalink

    Wann immer ich Argumente von CPA ähnlichen Organisationen aller Religionen lese, werde ich bestärkt, dass es einen Schöpfer geben muss. Die Evolution wäre nie in der Lage gewesen so ein selbstgerechtes, selbstgefälliges Wesen zu kreieren.

  • am 3.07.2019 um 16:24 Uhr
    Permalink

    Das Thema scheint nicht so viele Bürger zu beschäftigen. Mich schon, ich möchte nicht Zustände wie in den USA wo Aerzte und Krankenschwester Angst um ihr Leben haben müssen weil einige ärztliche Handlungen den Evangelikalen nicht passen.
    Wahre Christliche Vereinigungen, die sich von der Landeskirche gelöst haben, werden kaum bei dieser Lobby-Organisation mitmachen. Politische Einmischung um mehr Macht zu haben gehört nicht zum Christentum.

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