WalliserStaatsrat

Die Walliser Regierung auf der Terrasse des FC-Präsidenten © vs

Regierung (VS): Von allen guten Geistern verlassen

Kurt Marti /  Die Walliser Regierung lässt sich auf der Terrasse einer Protz-Villa fotografieren und Freysinger palavert aus der Schule.

Ist das wirklich wahr? Hat da nicht jemand Schabernack mit der Walliser Regierung getrieben? Nein, es ist die bittere Realität am Rhonestrand: Der Walliser Staatsrat liess sich auf der Terrasse der Protz-Villa von FC-Sion-Präsident Christian Constantin fotografieren (siehe Foto oben) und wagt es noch, dieses Foto stolz auf der Homepage des Kantons zu veröffentlichen. Mit dieser Huldigung degradiert sich die Walliser Regierung selbst zur Lachnummer.

Blick ins polit-historische Unterbewusste

Gegenüber dem Nouvelliste erklärte sich der Staatsratspräsident Jacques Melly mit grosszügiger Naivität wie folgt: «Die Wahl des Standorts für das Foto hat nichts mit Christian Constantin zu tun. Wir haben die Villa gewählt, welche auf dem Umschlag des Buches ‹Architektur im 20. Jahrhundert im Wallis› abgebildet ist, und nicht das Haus von Constantin. Es ist ein Zufall, dass es Constantin gehört.» Und der Villen-Besitzer sagte mit geschwellter Brust: «Die Regierung hat einen Ort für das Foto gesucht. Die getroffene Wahl ist keine schlechte Idee.»

De facto ist die Fotografie eine grossartige Realsatire und wäre sie so beabsichtigt, müsste man sie als besonders bösartige Karikatur auf die politischen Verhältnisse im Wallis lesen. Denn durch das östliche Terrassenfenster der protzig-modernen Architektur schweift der psychotherapeutische Blick auf das polit-historische Unterbewusste, die mittelalterlichen Ruinen von Valeria und Tourbillon.

Verstecktes Pamphlet für den Katholizismus

Es kann kein Zufall sein, dass dieser Tage – praktisch gleichzeitig mit dem Regierungsfoto – die pädagogisch-philosophische Untermalung dieses rückwärtsgerichteten Blicks veröffentlicht wurde. Und zwar in der Form der «Zehn Thesen über die Schule» aus der Feder des Walliser Bildungsministers und SVP-Exponenten Oskar Freysinger.

Das ziemlich unbeholfene Werk kulminiert in der These 8 mit dem Titel: «Die Schule ist auch eine Schule fürs Leben». Was mit dem Anschein philosophischer Kompetenz daherkommt, ist nichts anderes als ein verstecktes Pamphlet für mehr Katholizismus in der Schule. Freysinger schreibt:

«Die Schule ist kein Spielfeld des absoluten Relativismus, auch wenn sie in erster Linie der Aneignung des kritischen Denkens dient. Erst durch die Entwicklung eines moralischen Bewusstseins und allgemein geltender Wertmassstäbe kann der Mensch wachsen, menschlicher werden, im Einklang mit sich selbst und mit seinen Mitmenschen leben. Eine Bildung ohne Werte dient lediglich der Ausbreitung des Nihilismus. Darüber hinaus verursacht das Leugnen von Werten meist Verzweiflung und kann zu Selbstmord, Drogenkonsum, Gewalt oder Apathie fuhren.»


Wie der Vatikan: Freysinger warnt vor Relativismus und Nihilismus

Schon der erste Satz bereitet dem Leser und der Leserin Kopfschmerzen. Was möchte Freysinger damit sagen? Eine naheliegende Interpretation lautet, dass das kritische Denken in den absoluten Relativismus führt, der die Werte leugnet und zu Selbstmord, Drogenkonsum, Gewalt und Apathie führt.

Als Medizin dagegen predigt Freysinger allgemein geltende Wertmassstäbe, ohne diese klar zu benennen. Freysinger ist vorsichtiger geworden. Doch was er damit meint, ist sonnenklar. Der SVP-Staatsrat und der Bischof von Sitten haben es kürzlich in der Vereinbarung zwischen Staat und Kirche festgehalten: Die «christliche Moral» beziehungsweise was sie darunter verstehen. Aber Moral lässt sich vernünftig und kritisch begründen und bedarf keiner Religion, wie bereits der Aufklärungs-Philosoph Immanuel Kant vor über 200 Jahren gezeigt hat und wie es die evolutionäre Ethik heute zeigt. Auch Atheisten halten sich an moralische Normen.


Walliser Staatsrat pilgerte in corpore nach Rom

Die Freysingersche Predigt erinnert stark an die bekannten Litaneien aus dem Vatikan, wohin letztes Jahr der Walliser Staatsrat in corpore gepilgert ist, um die Vereidigung von acht Walliser Gardisten zu bestaunen.


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11 Meinungen

  • am 6.03.2016 um 08:46 Uhr
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    Beim Passus «Auch Atheisten halten sich an moralische Normen.» vermisse ich den Nachsatz »… auch (streng) Gläubige aller Religionen verletzen oder ignorieren sie …».

  • am 6.03.2016 um 11:53 Uhr
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    "Erst kommt das Fressen, dann die Moral», dies sagte bereits Bertold Brecht.
    Da unterscheiden sich weder die Gläubigen, Abergläubigen und Nichtgläubigen.
    Ja, auch Atheisten haben moralische Normen, nur sollten sie niemanden bekehren.

  • am 6.03.2016 um 18:30 Uhr
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    Mir scheint, der Herr Marti habe es nun tatsächlich mit dem Wallis nicht so, und mit gewissen Wallisern erst recht nicht. Das ist für mich der einzige Erkenntniswert dieses Artikels. Sperber ohne Info?

  • am 7.03.2016 um 11:21 Uhr
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    unbedingt auch noch den artikel in le temps vom montag 7.märz 2016, seite 7, lesen! gruss aus kopenhagen

  • am 7.03.2016 um 14:00 Uhr
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    Keine Verumglimpfungen – Argumente bitte!

    Obschon es weltweit Mode ist, mit Verunglimpfungen statt Argumenten für eine Sache zu kämpfen, würde ich mich freuen, wenn der Infosperber darauf verzichten könnte. Eine medienkritische Zeitung sollte sich in dieser Beziehung von den Mainstream-Medien abheben. Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass dort eine gefährliche Polemik in der Debattenkultur das Land spaltet und kaputt macht. Verunglimpfungen, Spott und Hohn gegenüber dem politischen Gegner haben keinen Informationswert für den Leser. Wenn man Argumente hat, sollte die politische Auseinandersetzung damit geführt werden. Das braucht eine direkte Demokratie, wo der Souverän über die Zukunft des Landes entscheiden muss.

  • am 7.03.2016 um 15:30 Uhr
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    Die Walliser Regierung lebt eben noch im 18. Jahrhundert, darum pilgert sie in corpore nach Rom. Das Wallis stellte ja auch meistens die meisten Reisläufer für die Schweizergarde im Vatikan.

  • am 7.03.2016 um 16:17 Uhr
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    Die Bildli suggerieren mir »…jaja, wir Walliser sind halt katholisch, gläubig und deshalb geht es uns so gut, schaut her, was der Herrgott uns beschert hat…» Wenn eine Regierung den Katholizismus als eines der wenigen volksverbindenden Kulturelemente und Gemeinsamkeiten quer durch die Parteilandschaft kultiviert, ist sie in meinen Augen eine schwache Regierung ohne Vorbildcharakter. Haben die denn nicht zeitgenössischere Kulturelemente oder andere und wichtigere Themen und Sorgen? Ich bin enttäuscht, dachte Walliser seien modernere, aufgeklärte Leute mit viel Kultur und eigenständigen Konzepten. Jetzt stelle ich fest, dass im Wallis die Säkularisierung berührungslos vorbeigezogen ist und wir uns immer noch im 18. Jahrhundert befinden, wo man Angst vor dem Teufel und dem Wolf hatte…

  • am 7.03.2016 um 16:46 Uhr
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    @Peter Müller: Vielleicht haben die Walliser nur Angst vor den Gottlosen?

  • am 8.03.2016 um 14:26 Uhr
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    @Beda Düggelin: Gottlos impliziert, dass Atheisten etwas fehlt. Evolutionäre Humanisten wäre doch eine bessere Bezeichnung.

  • am 14.03.2016 um 02:12 Uhr
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    Zu «Die Schule ist auch eine Schule fürs Leben»

    Ich glaube weder an Gott noch an die SVP aber ich kann Herrn Freysinger hier nur zustimmen. Es ist sehr wichtig den Kindern werte zu vermitteln, und in der Schweiz sind das geschichtlich bedingt die christlichen Werte. Weil eben diese Werte machen die Schweiz zu einem Ort wo man auch mal den fremden vertrauen kann und nicht immer auf der Hut sein muss.
    Früher habe ich auch gedacht, Religion müsse aus der Schule verbannt werden, aber mittlerweile denke ich dass man zwischen der Religion und den durch die Religion vermittelten Werte differenzieren muss. Gemeinsame Werte sind der Grundstein einer Gesellschaft.

  • am 14.03.2016 um 17:20 Uhr
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    Ob wir an Gott glauben oder nicht, wir haben die christliche Kultur und die Werte der direkten Demokratie sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, ob wir das wollen oder ob wir dagegen opponieren, ändert daran nichts. Ohne die Wertevemittlung in Elternhaus und Schule ist ein friedliches Zusammenleben mit verschiedenen Sprachen und Kulturen nicht möglich.

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