Eisten

207-Seelen-Dorf Eisten im Saastal: Ein Heimfall-Vermögen von 1,5 Millionen Franken pro Kopf © -

Milliarden-Poker um Walliser Wasserkraft

Kurt Marti /  Beim Heimfall der Wasserkraft geht es um Milliarden. Der Kanton Wallis lässt sich erneut von der Stromlobby über den Tisch ziehen.

Die Walliser Wasserkraftwerke produzieren rund einen Sechstel des Schweizerischen Stromverbrauchs. Doch sie gehören zu 80 Prozent den anderen Kantonen. Der Kanton Wallis kann zur Zeit mit seinen eigenen Kraftwerken nicht einmal den Eigenbedarf an Strom decken. Nach einer Betriebszeit von 80 Jahren fallen die Wasserkraftwerke an die Eigentümer (Gemeinden und Kanton) zurück. Das ist erst um das Jahr 2040 der Fall. Dann können die Eigentümer die nassen Teile (Druckleitungen, Turbinen) gratis und die trockenen Teile (Generatoren, Transformatoren) zu einem günstigen Preis übernehmen. Dieser Prozess wird Heimfall genannt.

Studie warnt vor Verteilkampf

Vom Heimfallwert von 10 bis 20 Milliarden Franken würde hauptsächlich ein Dutzend Gemeinden profitieren. Beispielsweise würde die kleine Gemeinde Eisten aus dem Heimfall der Kraftwerke Mattmark und Ackersand pro Kopf ein Vermögen von 1,5 Millionen Franken erhalten. Bei einer Einwohnerzahl von 207 ergibt das ein geschätztes Heimfallvermögen von 310 Millionen. Die Hälfte der Walliser Gemeinden hingegen ginge ganz leer aus.

Eine Studie «Strategie Wasserkraft Kanton Wallis» im Auftrag des Kantons warnt ausdrücklich vor den Folgen eines Verteilkampfes unter den Gemeinden: «Kann das Wallis die Verteilungsfrage gesellschaftspolitisch nicht zufriedenstellend lösen, dürften weder künftige Forderungen nach einer Erhöhung oder Flexibilisierung von Wasserzinsen auf nationaler Ebene noch die Umsetzung von Kraftwerkausbauten und Leitungsprojekten auf die ungeteilte Unterstützung der Schweizer bzw. der Walliser Bevölkerung zählen».

Die Mittellandkantone profitieren

Laut der Walliser Heimfall-Studie, welche das Beratungsbüros «BHP – Hanser und Partner AG» erarbeitet hat, soll mit einem ausgewogenen Verteilmechanismus sichergestellt werden, «dass die Erträge aus der Wasserkraft verantwortungsbewusst und solidarisch verwendet werden». Deshalb schlägt die Studie vor, die Einnahmen aus der Wasserkraft auf die sozio-ökonomischen Regionen zu verteilen und so die einseitige Verteilung auf ein paar wenige Gemeinden zu entschärfen.

Eine zweite wichtige Zielsetzung der Heimfallstudie ist die möglichst hohe Wertschöpfung der Wasserkraftwerke im Wallis. Laut Berechnungen des Beratungsbüros BHP entging dem Wallis im Jahr 2008 eine Wertschöpfung von 560 Millionen Franken. Dies ist die Gewinnmarge der Stromkonzerne zwischen den Gestehungskosten und dem Marktpreis für den Walliser Wasserkraftstrom. Von dieser Gewinnmarge fliesst nur ein Drittel in Form von Wasserzinsen und Steuern ins Wallis. Von den restlichen zwei Dritteln profitieren die Mittellandkantone und -städte in Form von günstigen Strompreisen und Gewinnausschüttungen an die öffentliche Hand.

3,5-mal höhere Wertschöpfung

Laut BHP-Studie hat der Kanton Graubünden bei der Abschöpfung der Gewinnmarge bereits die Nase vorn: Die Elektrizitätsgesellschaft Repower (Aktienanteil Kanton 46 Prozent) erzielt eine Wertschöpfung im Kanton Graubünden von 200 Millionen Franken. Im Vergleich zu den anderen Bündner Kraftwerken, welche hauptsächlich im Besitz der Unterländer sind, ist das 3,5-mal mehr. Laut BHP-Studie kann auch der Kanton Wallis die Wertschöpfung der Wasserkraft massiv erhöhen, «wenn der gesamte Kraftwerkpark im Wallis von einer integrierten Gesellschaft aus dem Wallis heraus bewirtschaftet würde».

Die Studie schlägt mehrere Heimfall-Modelle vor. Der geforderten Solidarität unter den Gemeinden und der maximalen Wertschöpfung entspricht das Modell «Gemeinsame Kraftwerkgesellschaft» am besten. Dabei erhalten die Heimfallgemeinden 25 Prozent der Heimfallwertes, die Gemeinden der Region 35 Prozent, alle Gemeinden des Kantons und der Kantons selbst je 20 Prozent. Die heutigen Besitzer, also die Stromkonzerne bzw. die Mittellandkantone und -Städte, gehen dabei leer aus. Die Stossrichtung dieses Modells wird von der SP Oberwallis vertreten.

Solidarität mit den Stromkonzernen

Eine Arbeitsgruppe der Heimfallgemeinden jedoch lehnt dieses Modell kategorisch ab. Statt der grosszügigen Solidarität mit den Gemeinden ohne Wasserkraft verlangen sie die Solidarität mit den Stromkonzernen Axpo, Alpiq und BKW: Die heimfallberechtigten Gemeinden könnten 40 Prozent der Wasserkraftwerke an ausserkantonale Partner verkaufen. Von den restlichen 60 Prozent soll die Hälfte den Heimfallgemeinden zufallen und die andere Hälfte zu je 50 Prozent an den Kanton und die anderen Gemeinden.

Zudem soll jede Heimfallgemeinde die Verhandlungen mit den Stromkonzernen auf eigene Faust führen. Die SP Oberwallis schreibt in einer Stellungnahme im «Walliser Boten» von einem «Ausverkauf» der Wasserkraft, wobei die Heimfallgemeinden einzeln von den «ausserkantonalen Profis» über den Tisch gezogen würden.

Skandalöser Ausverkauf der Wasserkraft

Aber nicht nur ausserkantonale Profis werden mitbieten, sondern auch ausländische Stromkonzerne könnten zum Handkuss kommen, wenn sie nur genug zahlen. So geschehen bereits beim Verkauf der Lonza-Kraftwerke vor 11 Jahren an die Energie Baden-Würtemberg (EnBW) und die Electricité de France (EdF) für rund 450 Millionen Franken.

Die Lonza-Kraftwerke heissen seither EnAlpin AG und schicken jährlich 20 Millionen Franken Dividende aus dem Wallis nach Deutschland. Dieser skandalöse Ausverkauf der Wasserkraft betrifft 10 Prozent der Walliser Stromproduktion. Letztes Jahr verkaufte die EdF ihre Aktien an das Land Baden-Würtemberg.

Arbeitsgruppe mit zwei Stromlobbyisten

In der Arbeitsgruppe der Heimfallgemeinden sitzen 15 Gemeindepräsidenten, welche hauptsächlich der CVP Oberwallis angehören. Pikanterweise wird die Arbeitsgruppe von zwei Stromlobbyisten angeführt, nämlich von Alt-CVP-Ständerat Rolf Escher und Enalpin-Vertreter René Dirren.

Escher sass von 1998 bis 2010 im Verwaltungsrat der Alpiq-Tochergesellschaft «Electra Massa AG» und ist VR-Präsident der Energie Brig-Aletsch-Goms (EnBAG), dem Energieversorger von Brig und Umgebung. Dirren war bis vor kurzem Geschäftsleiter der EnAlpin und sitzt inzwischen im EnAlpin-Verwaltungsrat, zusammen mit CSP-Ständerat René Imoberdorf und Alt-CSP-Staatsrat Wilhelm Schnyder, welche beim Ausverkauf im Jahr 2001 gemeinsam Spalier standen. Im Jahr 2011, seinem letzten Jahr als EnAlpin-Chef und gleichzeitig Geschäftsleitungsmitglied der Muttergesellschaft Energiedienst Holding AG, kassierte Dirren eine horrende Gesamtvergütung von 1,2 Millionen Franken.

EnAlpin holt CVP-Präsident Christoph Darbellay

Ständerat Imoberdorf ist neben der EnAlpin auch Verwaltungsrat der Energiedienst Holding, welche eine Tochtergesellschaft der EnBW ist. Für die beiden Mandate kassierte er letztes Jahr rund 80 000 Franken. Ein lukrativer Nebenverdienst für nicht allzu viele Sitzungen. Vor kurzem holte die EnAlpin einen weiteren Wasserträger in den Verwaltungsrat, nämlich CVP-Präsident Christoph Darbellay.

Die SP Oberwallis attackierte im «Walliser Boten» die beiden Interessenvertreter Escher und Dirren hart: «Es ist bedauerlich, dass die Herren Rolf Escher und René Dirren eine Diskussion verhindern wollen, um ausserkantonalen und deutschen Interessen zu dienen». Falls nötig, werde man «mit einer Volksinitiative einen demokratischen Entscheid herbeiführen».

Schon vor zwei Jahren über den Tisch gezogen

Wenn sich der Vorschlag der CVP-Arbeitsgruppe durchsetzt, können sich die Stromkonzerne und ihre Lobbyisten erneut auf die Schulter klopfen. Denn bereits in der Wasserzinsdebatte vor zwei Jahren wurden die Vertreter der Gebirgskantone über den Tisch gezogen. Obwohl ein hochoffizieller Expertenbericht zuhanden des Bundesrates einen Speicherzuschlag von jährlich 35 Millionen Franken für den Kanton Wallis forderte und juristisch und ökonomisch bestens untermauerte, liessen die Gebirgsvertreter den Speicherzuschlag ohne Widerstand fallen, als die Stromwirtschaft in der Energiekommission des Ständerates (UREK) auf den Tisch klopfte.

Kein Wunder, denn zwei Gebirgsvertreter in der UREK standen im Sold der Strombranche: Neben René Imoberdorf (EDH und EnAlpin) auch der damalige Bündner SVP-Ständerat Christoffel Brändli (Rätia Energie AG, heute Repower AG). Auch zwei weitere Ständeräte der einst gefürchteten «Alpen-Opec» gerieten durch das bundesrätliche Gutachten in einen Interessenkonflikt: Der Walliser CVP-Ständerat Jean-René Fournier, welcher Verwaltungsrat der «Forces Motorices de la Gougra SA» und der «Grande Dixence SA» ist, und der Glarner FDP-Ständerat Pankraz Freitag, der damalige VR-Vizepräsident der «Axpo».

Image des Armenhauses weiterpflegen

Weder die Walliser Parlamentarier noch die Walliser Medien spielten damals die Karte des bundesrätlichen Gutachtens, das dem Wallis zusätzliche 35 Millionen auf dem Silbertablett servierte. Die Sache wurde hinter den Kulissen zwischen den Strombaronen und ihren parlamentarischen Wasserträgern geritzt.

Deshalb ist es eine Ironie der Geschichte, dass bloss zwei Jahre später Alfred Rey, der Bundeshauskorrespondent des «Walliser Boten» und ehemaliger Walliser Wasserkraft-Lobbyist, titelt: «Die Wasserzinsen sind viel zu tief» und gleichzeitig die Gebirgskantone auffordert, den Speicherzuschlag erneut aufs Tapet zu bringen.

Der Kanton Wallis erhielt letztes Jahr rund 530 Millionen Franken aus dem Finanzausgleich. Wenn die volle Wertschöpfung der Wasserkraft von 560 Millionen gemäss BHP-Studie im Wallis verbliebe, dann könnte das Wallis auf den Finanzausgleich weitgehend verzichten. Doch das Wallis und seine bürgerlichen Vertreter pflegen lieber das Image des Armenhauses und Almosenempfängers und freuen sich über lukrative VR-Sitze.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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