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Autobahn A1/A9 bei Lausanne: Zwischen Asphalt und Kulturland bleiben einige kümmerliche Reste Natur © Rama/Wikimedia Commons/CC BY-SA 2.0

Milliarden für Strassen, ein Batzen für die Natur

Beatrix Mühlethaler /  In den Verkehr investieren wir Milliarden. Für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen aber fehlt das Geld.

In die Verkehrsinfrastruktur wird in der Schweiz weiterhin rasant investiert: Gemäss dem jüngsten Entscheid des Bundesrats sollen bis 2030 rund 13,5 Milliarden Franken Bundesgelder allein in den Ausbau von Nationalstrassen fliessen, weitere 1,1 Milliarden in die Verkehrsinfrastruktur von Agglomerationen. Die Basis, aus der man sich zur Erfüllung der Mobilitätswünsche bedient, sind gefüllte Fonds. Kantone und Gemeinden wenden zusätzliche Milliarden auf.

Geht es aber um eine andere, ebenso dringend erforderliche Infrastruktur, kann die interessierte Klientel von einem solchen Geldsegen nicht einmal träumen: Gemeint ist ein durchgehendes Netz von Lebensräumen und Verbindungswegen für die mobile Tierwelt. Für diese lebensfreundlichen Adern hat Bruno Oberle, der damalige Chef des Bundesamts für Umwelt, vor vielen Jahren den Begriff «ökologische Infrastruktur» geprägt. Er verglich die Aufgabe, ein Naturnetz für die bedrohte Fauna und Flora zu errichten, explizit mit dem schon weit gediehenen Autobahnnetz.

Warten auf die Lebensadern

Seither sind viele Berichte über die schwindende Biodiversität in der Schweiz erschienen. Nach langer Verzögerung verspricht 2017 endlich auch der Aktionsplan des Bundesrats, Abhilfe zu schaffen. Darin ist unter anderem vorgesehen, «ein gesamtheitliches Zielsystem zur Ökologischen Infrastruktur mit inhaltlichen und räumlichen Grundsätzen sowie mit Zielen zur Sicherung des Raumes» zu erarbeiten.

Zwar existieren schon Teilbereiche, nämlich Schutzgebiete und Restnatur im Kulturland sowie naturnahe Waldflächen und Gewässerstrecken. Aber erst jetzt will man ein umfassendes Konzept zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen schaffen – dies 60 Jahre, nachdem die Planung der Hochleistungs-Adern für den Strassenverkehr begonnen hat. Und was die finanziellen Mittel anbelangt, so beeindrucken vor allem die Finanzierungslücken, die in verschiedenen Bundesdokumenten aufgeführt sind.

Ein Beispiel betrifft den Schutz, Unterhalt und die Aufwertung der Biotope von nationaler Bedeutung. Der jährliche Bedarf beläuft sich auf rund 190 Millionen Franken. Diesem Betrag stehen aber nur Investitionen von 110 Millionen gegenüber (Studie «Kosten der Bioinventare» 2017). Pro Jahr fehlen somit rund 80 Millionen – allein für die bedeutendsten Schutzgebiete der Schweiz. Daneben gibt es kantonale und lokale Schutzgebiete, die ebenfalls der Pflege bedürfen.

Dass Naturschutzgebiete gepflegt werden müssen, ist an sich kein Naturgesetz. Aber überliesse man sie der natürlichen Dynamik, würden alle Trockenwiesen, Moore und Auen in diverse Formen von Wald münden. Und das ist der einzige Lebensraum in der Schweiz, der dank gesetzlichem Flächenschutz nicht rar geworden ist. Alle anderen Lebensräume sind auf Reste geschrumpft und verlieren wegen zahlreicher Störungen – zum Beispiel Düngereintrag und Wasserentzug – weiter an Wert. Deshalb droht vielen Pflanzen- und Tierarten in der Schweiz das Aus.

Naturschutz ist beliebtes Sparobjekt

Die finanziellen Mittel zu beziffern, die für Naturschutzmassnahmen diverser Art tatsächlich vorhanden sind, ist kaum möglich. Als der Bundesrat im Sommer 2017 den Aktionsplan Biodiversität beschloss, sprach er für eine erste Phase 2017 bis 2023 zusätzliche 40 Millionen pro Jahr. Wie viel mehr Geld für künftige Naturschutzaufgaben zur Verfügung steht, bleibt trotzdem offen. Denn ein umfassender Fonds für den Naturschutz, der sich gemäss Verursacherprinzip aus Kompensationszahlungen für Umweltbelastungen äufnet, existiert nicht. Naturschutz speist sich aus verschiedenen Bundes- und Kantonstöpfen.

So hat der Bund beispielsweise einen zusätzlichen Betrag reserviert, der für dringliche Erhaltungsmassnahmen in Naturschutzgebieten vorgesehen ist. Aber damit diese zusätzlichen Gelder auch fliessen, müssen die Kantone ebenfalls mehr investieren. Denn die Pflege der Schutzgebiete liegt in ihrer Kompetenz. Im Rahmen von Programmvereinbarungen werden sie vom Bund nur unterstützt. Da der Naturschutz während den jeweiligen Budgetdebatten der kantonalen Parlamente ein beliebtes Objekt für Sparübungen ist, bleibt offen, wie weit die zusätzlich vorgesehenen Mittel wirklich fliessen.

Geld für und wider die Natur

Die Fachleute sind sich heute einig, dass es viel Geld braucht, um die natürlichen Restflächen zu erhalten und aufzuwerten. Aber Geld allein schafft es nicht. Geld ist vielmehr das treibende Mittel, die Natur in Restflächen zu verwandeln. Beispielsweise haben die vielen Milliarden für den Bau von Autobahnen sehr viel dazu beigetragen, dass Lebensräume für die Flora und Fauna geschmälert und zersplittert wurden. Auch die Milliarden für übrige Strassen, für Bahntransversalen, Wohnhäuser, Industriebauten und Büros, für Investitionen in landwirtschaftliche Gebäude und Maschinen machten der Natur den Garaus.

Was es primär braucht, ist der Wille, der Mitwelt mehr Raum zu überlassen. Wie das gehen soll, wenn weiterhin zusätzliches Land für die menschliche Infrastruktur verbaut wird, ist ein Rätsel. Ein winziges Puzzle-Teilchen einer Lösung besteht heute darin, bei Grossprojekten einen winzigen Anteil Geld für den Ökoausgleich zu verwenden – also beispielsweise Böschungen für Eidechsen bewohnbar zu machen. Auch beim weiteren Ausbau der Nationalstrassen werden ein paar Batzen für Ökoausgleichsflächen rausschauen. Zumindest sieht der Aktionsplan Biodiversität vor, dass Verkehrswege am Rande naturgerechter werden.
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Zitat aus dem Aktionsplan Biodiversität: Arme Schweiz

«Der dringende Handlungsbedarf für die Biodiversität ist gegeben. Der Umsetzung von Massnahmen zugunsten der Biodiversität stehen jedoch die realpolitischen und insbesondere die finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz entgegen. Die angespannten Haushaltslagen resp. die Sparanstrengungen bei Bund und Kantonen schränken die Möglichkeiten stark ein, zusätzliche finanzielle oder personelle Ressourcen für die Verbesserung des Umweltzustands aufzuwenden und diese Ressourcen auch über längere Zeit zu garantieren. Als Folge davon wird die Umsetzung der Massnahmen des Aktionsplans in die Praxis schrittweise und über weite Strecken auf Basis schon bestehender Ressourcen erfolgen müssen.»

Aktionsplan Biodiversität

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Wald

Schutz der Natur und der Landschaft

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8 Meinungen

  • am 21.01.2018 um 12:17 Uhr
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    Milliarden für Strassen, ein Batzen für die Natur und keinen Heller für unsere Sicherheit. Die Polizeicorps sind schweizweit unterdotiert und die Armee legt man auf Sparflamme, nein, man richtet sie scheibchenweise zu Tode. Wohlbekomms!
    Für wen bauen wir denn die Strassen?

  • am 21.01.2018 um 15:38 Uhr
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    Zitat aus obigem Artikel: „Was es primär braucht, ist der Wille, der Mitwelt mehr Raum zu überlassen. Wie das gehen soll, wenn weiterhin zusätzliches Land für die menschliche Infrastruktur verbaut wird, ist ein Rätsel„ . Zitat Ende. Des Rätsels Lösung beginnt mit einer glasklaren Antwort: Das Wachstum der Bevölkerung in der Schweiz ist zu stoppen! Politischen Sonderinteressen in Sachen Zuwanderung, die diesem Ziel widersprechen, ist eine Absage zu erteilen. Über die Plafonierung der Infrastruktur zu debattieren, ohne eine der Hauptursachen zu nennen ist weiter nichts als phrisäisches Getue. Wie wichtig ein Umdenken in diese Richtung ist, zeigt der obige Bericht klar auf. Mit Geld alleine lässt sich die Natur nur bedingt kaufen. Ich bin mir bewusst, dass wir in einem vernetzten System leben und mein Input nur ein Teilaspekt darstellt. Eine stabilisierte oder gar leicht rückläufige Population auf CH Boden würde neue Möglichkeiten eröffnen. Dazu braucht es aber politische Einsicht und Willen. Statt uns mit gigantischen, ˋunterhaltspflichtigenˋ Strassenprojekten zu beschäftigen, gibt es sinnvolleres: Forschung und Lehre, die Digitalisierung, intakte soziale und ökologische Strukturen, aus Kindern glückliche Erwachsene werden lassen, dies und vieles mehr, sind Ziele, für die es sich lohnt zu debattieren. Gigantismus auf allen Ebenen kann nicht in eine humane und ökologisch intakte Zukunft führen.

  • am 21.01.2018 um 17:39 Uhr
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    "realpolitischen» – damit endet die Sache. Ich habe mal im Rahmen einer Vernehmlassung zu einer kommunalen Bauverordnung vorgeschlagen, dass Bauherren, die eine Ausnahmebewilligung – für was auch immer – beanspruchen möchten, einen (beschiedenen) Ausgleich schaffen müssen. (Heute ist das ja quasi der Willkür der Baubewilligungsbehörde überlassen). Bauherren hätten also real oder in Form von Beiträgen für öffentliche Plätze, öko-Nischen oder was auch immer sorgen müssen. Halt einfach irgendetwas, das der Allgemeinheit (welche, vertreten durch die Behörde die Ausnahme bewilligt und dulden muss) zugute kommt.

    Mehr als ein müdes Lächeln über grüne Spinnereien erntet man damit nicht.

  • am 22.01.2018 um 06:36 Uhr
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    Die auf die bestehenden und die zu erwartenden Kapazitätsengpässe gestützten Ausbaubegehren bei den Nationalstrassen sind die Quittung für das ungehinderte Mobilitätswachstum in der Schweiz. Dieses wird verursacht durch die wegen der Personenfreizügigkeit übergrosse Zuwanderung, die zu tiefen Mobilitätskosten und den hohen Wohlstand in der Schweiz.
    Der Stau soll nicht durch einen Kapazitätsausbau der Strassen bekämpft werden. Zum einen müssen die Treibstoffpreise durch eine Lenkungsabgabe erhöht werden, wobei deren Erträge nur teilweise dem Strassenbau zukommen sollen. Zum andern müssen sich die Autofahrer und die Wirtschaft an die knappen Verkehrskapazitäten anpassen durch eine Standort- und/oder Zeitverlagerung ihrer Aktivitäten. Offenbar lassen sich nur mit noch mehr Staustunden die Hintersten und Letzten davon überzeugen, dass es so mit der masslosen Zuwanderung und Mobilität nicht weiter gehen kann.

  • am 22.01.2018 um 06:38 Uhr
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    Der Bericht „Strategie Biodiversität Schweiz“ setzt leider nicht an den Wurzeln der Gefährdung der Biodiversität an. Es ist unsere Wachstumsgesellschaft mit ihrem ständigen Mehrverbrauch an Ressourcen aller Art (Energie, Rohstoffe, Kulturland, etc.), welche die Biodiversität in ihrem Fundament gefährdet. Was nützen Optimierungen in Teilbereichen, wenn bei Interessenabwägungen für grosse, für die Biodiversität relevante Entscheidungen (z. B. Personenfreizügigkeit, Bauzonenerweiterungen, Infrastrukturprojekte, Steuersystem) die Interessen der Biodiversität den wirtschaftlichen Interessen ständig unterliegen? Was nützen die Investitionen in ein stets feineres Monitoring zur Biodiversität, wenn wir von vornherein wissen, dass uns das Wirtschafts- und das Bevölkerungswachstum daran hindern, unsere Biodiversitätsziele zu erreichen? Wenn die Strategie „Biodiversität Schweiz“ nicht fundamental Einfluss nehmen kann auf unseren Ressourcenverbrauch, wird sie eine reine „Pflästerlipolitik“ bleiben wie die Raumplanungspolitik.

  • am 22.01.2018 um 09:18 Uhr
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    Ich hab mir mal sagen lassen dass das präventive Abmetzeln von Bäumen, speziell entlang von Wegen, Seiten- und Hauptstrassen, Autobahnen durch dIe Einnahmen der Strassensteuern bezahlt wird. Es hat dort schlicht viel zu viel zweckgebundenes Geld das man für immer sinnlosere Tätigkeiten verschwendet… nun geht es am Ende zur Hauptsache noch darum die Investitionen in die Holz- und Baumaschinen zu amortisieren. Da unsere Umwelt, die Natur auch mein Lebensraum als Mensch ist leide ich genauso wie Flora und Fauna unter dieser Misswirtschaft und mal ehrlich, die Wälder sehen dank des hochprofitabeln Wirtschaftsraums Wald wie nach einem Bombenanschlag aus. Für das Wohlergehen und meine Gesundheit nicht gut.

  • am 22.01.2018 um 11:01 Uhr
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    Der Beitrag von Frau Mühlethaler spricht mir voll aus dem Herzen. Gibt es keine Möglichkeit, dass er auch in Zeitungen gedruckt wird? Online ist er ja nur einer kleinen Leserschaft zugänglich.

  • am 22.01.2018 um 11:38 Uhr
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    Nicht dass mich das wundert. Es ist dasselbe Prinzip wie auf dem Arbeitsmarkt; Erst sucht man den jungen, gut ausgebildeten Schweizer, dann dasselbe als Einwanderer aus der EU oder sonst woher, dann, zähneknirschend und jammernd wegen fehlender Fachkräfte vielleicht noch den jungen billigen, staatlich subventionierten Asylant, dann den Arbeitslosen 50+ unter dem Existenzminium als «Praktikant» und wenn’s denn gar nicht mehr anders geht; den ausgesteuerten 50+ ganz sicher nur als Praktikant ab Sozialamt bzw. ab «2. Arbeitsmarkt». Umweltpolitik a la Arbeitsmarkt. Oder anders Realpolitik lässt grüssen.

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