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Die grüne Nationalrätin Lisa Mazzone fordert Gerechtigkeit, FDP-Ständerat Josef Dittli wehrt ab © Parlament

Militärverweigerer: Höchste Zeit für eine Rehabilitierung

Kurt Marti /  Die Gegner der Rehabilitierung der Militärdienstverweigerer blenden die menschenrechtliche Dimension des Problems aus.

Das Schweizer Volk verletzte jahrzehntelang die Menschenrechte von rund 12‘000 Militärdienstverweigerern. Diese landeten grösstenteils im Gefängnis und litten oft unter beruflichen Nachteilen. 1977 und 1984 weigerten sich die Stimmberechtigten, einen Zivildienst einzuführen und damit der «Europäischen Menschenrechtskonvention» (EMRK) nachzukommen, welche die Schweiz bereits 1974 ratifiziert hatte.

Das Schweizer Volk hielt im Banne der Militärlobby stur am absoluten Wehrpflicht-Artikel in der Bundesverfassung fest («Jeder Schweizer ist wehrpflichtig») und verletzte damit den EMRK-Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit).

Diese menschenrechtswidrige Praxis ist umso skandalöser, als dass die parlamentarische Versammlung des Europarats im Jahr 1967 eine Resolution aufgrund von EMRK-Artikel 9 verabschiedete, welche die Staaten verpflichtete, das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu gewähren. Im selben Jahr überwies der Bundesrat ein Postulat aus dem Nationalrat, welches die Schaffung einer Verfassungsgrundlage für einen Zivildienst forderte, an die Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung. Doch es dauerte 29 Jahre, bis das Gesetz für einen Zivildienst 1996 in Kraft trat.

Josef Dittli: «Es gibt da nichts zu rehabilitieren»

Diese Menschenrechtsverletzungen rufen laut der grünen Nationalrätin Lisa Mazzone aus Genf nach Gerechtigkeit. Deshalb reichte sie Ende September im Nationalrat eine parlamentarische Initiative zur Rehabilitierung jener Personen ein, «die zwischen 1968 und dem 1. Oktober 1996, als die Schweiz endlich ein Recht auf das Leisten von Zivildienst anstelle von Militärdienst einführte, verurteilt wurden». Zu diesem Zweck verlangt sie: «Mit einem Bundesbeschluss werden die Strafurteile aufgehoben, die zwischen 1968 und 1996 gegen Personen ergangen sind, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigert haben.»

Mit Verweis auf diesen Vorstoss wollte die «Zentralschweiz am Sonntag» von diversen bürgerlichen Politikern wissen, was sie von Mazzones Vorschlag halten, und stiess dabei auf Ablehnung. Beispielsweise beim Urner FDP-Ständerat Josef Dittli, der die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats präsidiert und kategorisch erklärte:

«Es gibt da nichts zu rehabilitieren, weil die Urteile nach dem damalig gültigen Gesetz getroffen wurden, jeder damalige Dienstverweigerer um die Sanktionierung wusste und diese auch bewusst in Kauf nahm.»

Oberst Dittli im Fahrwasser der SVP-«Selbstbestimmung»?

Auf den ersten Blick erstaunt diese Antwort nicht, denn Ständerat Dittli ist ein Interessenvertreter des militärisch-industriellen Komplexes. Konkret ist er

  • Oberst im Generalstab
  • Mitglied des«Arbeitskreises Sicherheit und Wehrtechnik» (asuw)
  • Co-Präsident der parlamentarischen Gruppe für ein freiheitliches Waffenrecht

Erstaunlich ist Dittlis resolute Haltung aber auf den zweiten Blick, denn Dittli ist auch Gegner der «Selbstbestimmungs»-Initiative (SBI) der SVP und deshalb Mitglied des überparteilichen Nein-Komitees, das sich gegen eine Kündigung der EMRK ausspricht.

Das Recht auf Militärdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, das sich aus dem EMRK-Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) ableiten lässt. Im Widerspruch dazu blendet Dittli mit seinem oben zitierten Votum die menschenrechtliche Dimension der Militärdienstverweigerung aus und folglich die Zuständigkeit der EMRK. Das läuft implizit auf die SVP-«Selbstbestimmungs»-Parole hinaus: «Schweizer Recht vor Völkerrecht». Deshalb wollte Infosperber von Dittli wissen:

«Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer ablehnenden Haltung zur SBI? Bewegen Sie Sich mit Ihrem oben zitierten Votum nicht im Fahrwasser der «Selbstbestimmungs»-Initiative der SVP?»

Doch Dittli sieht darin keinen Widerspruch:

«Sollte die EMRK gemäss Ihrer Auslegung die Rehabilitierung von damaligen Schweizer Militärdienstverweigerern umfassen, dann wäre ich mit jenem Punkt der EMRK nicht vollumfänglich einverstanden. Deshalb aber die ganze EMRK in Frage zu stellen, steht für mich nicht zur Diskussion. Ich orte keinen Widerspruch meiner ablehnenden Haltung zur SBI.»

Lackmus-Probe für EMRK-Bekenntnisse der heutigen SBI-Gegner

Nicht nur Dittli blendet die menschenrechtliche Dimension der Militärdienstverweigerung aus, sondern auch der Bundesrat. Dieser beantwortete vor 20 Jahren eine Motion des damaligen SP-Nationalrats Peter Vollmer wie folgt:

«Konsequenterweise müssten bei jeder grösseren Revision des Strafrechtes jene Personen oder Personengruppen rehabilitiert werden, welche nach dem älteren, strengeren Recht rechtskräftig verurteilt worden sind und nach dem neuen Recht freigesprochen werden müssten.»

In der bundesrätlichen Antwort auf die Motion kommt das Wort «Menschenrechte» kein einziges Mal vor. Damit reduziert der Bundesrat das Problem auf ganz normale Gesetzesrevisionen und mogelt sich so trickreich um die zentrale, menschenrechtliche Frage herum. Mit anderen Worten: Schweizer Recht kommt vor Völkerrecht.

Die parlamentarische Debatte über Mazzones Vorstoss wird zur Lackmus-Probe, was die aktuellen EMRK-Bekenntnisse der heutigen SBI-Gegner – inklusive Bundesrat – im konkreten Fall der Militärdienstverweigerung Wert sind. Man darf gespannt sein, ob sie ihre Argumentation menschenrechtlich feinjustieren oder weiterhin im Fahrwasser der «Selbstbestimmung»-Parolen der SVP segeln.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti hat Mitte der 80er Jahre den Militärdienst verweigert, nachdem er die Rekrutenschule und zwei Wiederholungskurs absolviert hatte. Er wurde von der Militärjustiz zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Über seine Erfahrungen in den Walliser Gefängnissen hat er im Kapitel «Erinnerungen an die Strafkolonie» seines Buches «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» berichtet.

Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 1.11.2018 um 15:58 Uhr
    Permalink

    Das ist ein gutes Beispiel, wohin es führt, wenn internationales Recht dem nationalen übergeordnet wird. Wobei die Schweiz diesbezüglich einen internationalen Sonderfall darstellen würde, weil das wohlweislich kein anderes Land macht. Internationales Recht berücksichtigt zum Beispiel nicht, dass die Schweizer Armee keine Angriffskriege führt, wie zum Beispiel einige EU-Länder (wo bleibt da der Aufschrei!). Die Schweiz hat die Haager Abkommen über Rechte und Pflichten der Neutralen (Friedenskonferenz in Den Haag) unterzeichnet und sich zur bewaffneten Neutralität verpflichtet. Wer also die bewaffnete Neutralität nicht durch den obligatorischen Militärdienst unterstützt, verletzt internationales Recht. Früher haben sich die grün-roten Parteien um wichtige Themen, wie den Frieden gekümmert, aber das ist seit dem Nato-Überfall auf Serbien leider kaum mehr der Fall. Mit einer solchen einseitigen «Rehabilitierung» (welchen Schaden haben sie eigentlich erlitten?) würde man den Frauen und Männer, die Militärdienst geleistet haben, obschon sie mit dem Gewissen gegen den Krieg waren und sich an internationales Recht gehalten haben, als Gewissenlosigkeit unterstellen und sie diskriminieren. Wäre das nicht auch ein Verstoss gegen die EMRK?

  • am 1.11.2018 um 16:43 Uhr
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    Der Vorstoss von Lisa Mazzone ordne ich im Graubereich zwischen Recht und Schaumschlägerei ein. Vor 20 Jahren hat der Bundesrat eine sehr schlüssige Antwort gegeben. Wem diese Antwort auch nach 20 Jahren noch sauer aufstösst, muss wohl selbst davon betroffen gewesen sein. Wenn ein ihr nahestehender Mann betroffen war, gebe ich ihr die Absolution für ihre Schaumschlägerei. Wer kann die Gegenwart oder Zukunft akzeptieren, der mit komplexen Vorgängen in der Vergangenheit hadert? Ich erinnre mich an meine eigene Zerrissenheit in der Zeit des kalten Krieges. Nach absolvierter Rekrutenschule im Mai 1968 überlegte ich mir: «Wie reagiere ich, falls der allzeit befürchtete Überfall auf Europa eintreten sollte?» Mein vorsorglicher Entschluss war glasklar: -Ich bin kein Kanonenfutter, auch wenn ich den ersten Umschulungsversuch auf die neu eingeführten Panzerhaubitzen M 109 amüsant fand. Ich entschloss mich, nach Südamerika auszuwandern, wenn ein Kriegsausbruch droht. Drei Jahre später wurde ich ausgemustert. Mein STGW 57 habe ich behalten, um nicht auf dem falschen Fuss erwischt zu werden. In den 80 Jahren reifte in mir die Überzeugung, dass ich mich bei einem allfälligen Überfall auf die Schweiz, den zivilen Wiederstand an die Hand nehmen werde. Ich nahm mir vor, beim EMD nachzufragen, ob es eine Struktur «Resistance» gebe. Es gab sie, die P 26. Bin ich vom Saulus zum Paulus geworden, oder umgekehrt? Wer die Vergangenheit nicht akzeptiert, verpasst die Zukunft.

  • am 4.11.2018 um 08:56 Uhr
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    Könnte es sein, dass Dittli mit der Fragestellung einfach intellektuell überfordert ist? Um Ständerat zu werden reicht es der gegenwärtigen Mehrheitsmeinung nachzulaufen.

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