Kommentar

kontertext: Vereint im Untergang

Ariane Tanner © A.T.

Ariane Tanner /  Zwei Auslaufmodelle des 20. Jahrhunderts – Verbrennungsmotoren und Printmedien – werden gemeinsam überflüssig.

Für die «NZZ am Sonntag» spielte der Offroader, der während der Nationalen Klima-Demo vom 28. September in Bern in einer Seitengasse abgestellt war und mit vielen Klebern versehen wurde, eine grosse Rolle: Einer von fünf Sätzen zum Grossereignis war dem Schicksal dieses Wagens gewidmet. Das ist symptomatisch für einen aussichtslosen Überlebenskampf von gedruckten Zeitungen wie «NZZ am Sonntag», «NZZ» oder «Tages-Anzeiger», die sich werbetechnisch zunehmend an die Autoindustrie ketten, während sie es nicht schaffen, die internationale Klimabewegung journalistisch angemessen zu würdigen. Eine Branche und ein Metier, so soll das Folgende zeigen, steuern gemeinsam in den Abgrund.

Nach der Demonstration «Klima des Wandels» vom 28. September 2019 in Bern mit 60’000 bis 100’000 BesucherInnen fehlten Bilder von den Menschenmengen auf den Frontseiten der meisten Schweizer Printmedien. (Vergleiche @hansi_voigt, 2. Oktober; der Journalist vertwitterte verdankenswerterweise verschiedene Slides zu den betreffenden Printmedien.) Nur gerade der «SonntagsBlick» druckte ein grosses Foto der Tausenden von Demonstrierenden auf dem Bundesplatz und widmete der «grössten Klima-Demo aller Zeiten» eine Doppelseite. Die «NZZ am Sonntag» zeigte ein ähnliches Bild im kleineren Format auf Seite 15, bot aber keinen Artikel, sondern bloss eine ausgedehnte Bildunterschrift zur «Rekordteilnahme an Klima-Demo» und zum erwähnten Offroader. Hingegen gross aufgemacht war der Artikel in derselben Ausgabe der «NZZ am Sonntag» mit dem Teaser auf der Frontseite «Woher kommt all dieser Hass auf Greta Thunberg?». Blättert man zur entsprechenden Doppelseite, wird man von in riesigen schwarzen und roten Lettern gedruckten Auszügen aus Verunglimpfungen und Beleidigungen über die Klima-Aktivistin und dem Titel «Greta stört» empfangen und kann das verbale Eindreschen von einer ganzen Reihe von Männern in wörtlichen Zitaten nachlesen («NZZ am Sonntag», 29.9.2019).
Diese Art der Berichterstattung war für viele – und vor allem für Teilnehmende in Bern – eine grosse Enttäuschung; ganz zu schweigen davon, dass ein solches Framing letztlich droht, hässliche Diskurse zu legitimieren. Durch zahlreiche Reaktionen sah sich die Redaktion der «NZZ am Sonntag» veranlasst, ihre Wahl von Artikeln am Wochenende der nationalen Klimademonstration zu verteidigen, und erklärte, dass sie als Wochenzeitung ihre Themen anders plane.

Fahrradrowdys, Wirtschaftsfeinde, Radikalisierte

Die empörend ärmliche Nicht-Abbildung des Grossereignisses in Printmedien ist aber nur die eine Hälfte der Geschichte. Nicht nur entschieden Redaktionen, dass sie darüber, was viele Menschen in der Schweiz buchstäblich bewegte und bewegt, nicht berichten, sondern sie wählten auch aus, womit sie ihre Zeitungsseiten sonst füllten. Oberhalb des erwähnten Bilds von der Klimademo in der «NZZ am Sonntag» ist der ausführliche Artikel mit dem Titel «SVP nimmt Velorowdys ins Visier» platziert. Ein SVP-Nationalrat sehe sich als Autofahrer und Fussgänger im Grossraum Zürich auf den Strassen dem «Gesetz des Dschungels» ausgesetzt. Währenddessen berücksichtigte die «Sonntagszeitung» des Demonstrationswochenendes die Grosskundgebung nur mit einer Meldung der Schweizerischen Depeschenagentur, referierte aber auf der gleichen Seite die Argumente des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse «gegen die wirtschaftsfeindlichen Forderungen der Klima-Aktivisten» (vgl. Twitter @hansi_voigt, 2. Oktober). Im gleichen Stil ging es am Montag, dem 30. September, weiter: Der «Tages-Anzeiger» schrieb nicht etwa detailliert über den Schweizer Anlass des Wochenendes, sondern hob die kleine Untergruppe Extinction Rebellion hervor und druckte ein Bild dazu ab («Die radikalen Klimaschützer», «Tages-Anzeiger», 30.9.2019, hinter Paywall).
Wenn also über diese nationale Klima-Demonstration in grossen Printmedien (ausser dem «SonntagsBlick») überhaupt berichtet wurde, dann flankiert von der Rhetorik über Fahrradrowdys, Wirtschaftsfeinde und Radikalisierte.

Gezielt vorbei

Damit werden bewusst Abwehrreflexe herbei- und wird am Thema vorbeigeschrieben. Während Zehntausende für dasselbe Anliegen auf die Strasse gehen, wird versucht, die spaltenden Elemente auszumachen. So wird zum Beispiel die Klimabewegung als aktueller Generationenkonflikt dargestellt, wonach sich die Älteren sozusagen gegen die Jungen wappnen müssten (siehe den «NZZ»-Leitartikel am 28.9.2019 und dazu Felix Schneider im kontertext vom 30.9.2019). Oder dann wird die Bewegung ideologisch hochstilisiert, wie das Lucien Scherrer in der «NZZ» vom 5. Oktober machte: In einem zweiseitigen Artikel zur Klimabewegung ruft er das ganze diskursive Arsenal der 1970er und 80er Jahre auf und bringt die Klimademonstration in Zusammenhang mit «grüner Ersatzreligion», «Ökosozialismus» und «neomarxistischem Eifer». Zwar ist seine Erwähnung wichtig, dass die «Frage, ob sich Umweltprobleme in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung überhaupt lösen lassen», wieder aktuell sei. Um diese Frage aber zu beantworten, greift der Autor tief in die grüne Mottenkiste des 20. Jahrhunderts und zitiert den Grünen-Präsidenten Laurent Rebeaud, der sich bereits 1987 in einem Buch über die «Extremistenprosa» und allerlei «pubertäre Widersprüche» innerhalb der Grünen geärgert habe. Übrigens ist dieser Artikel prominent illustriert mit einer randlosen Menschenmenge in der Tiefenschärfe aufgenommen; man sieht zahlreiche junge Leute und viele selbstgemalte Transparente, die sich scheinbar stapeln. Endlich, so denkt man, ein angemessenes Foto der «grössten Klima-Demo aller Zeiten». Aber die Bildunterschrift informiert: «Bern, März 2019». Als hätte es inzwischen keinen Grund gegeben, eine/n Fotografen/in loszuschicken.

Da war doch was

Hat sich denn jetzt in der Zwischenzeit jemand die Mühe gemacht, die genaue TeilnehmerInnen-Zahl zwischen 60’000 und 100’000 zu eruieren, während wir den verklebten Offroader schon zig-fach auf Bildern im Netz sahen? War in Printmedien zumindest eine Auswahl der Namen von 80 Organisationen aufgeführt, die zum Anlass aufgerufen hatten? War irgendwo zu lesen, was der Inhalt der Rede der Unia-Präsidentin Vania Alleva war? Die Tatsache, dass sie an dieser Kundgebung sprach, könnte ja gerade als Zeichen dafür genommen werden, dass Wirtschaft, Soziales und Ökologisches sehr wohl miteinander zu tun haben und die Rhetorik der Spaltung schlicht fehlgeleitet ist.
Von möglichen inhaltlichen Verbindungen zwischen der Klimabewegung und der Realpolitik fand sich in den grossen Printmedien rund um die grossen Demonstrationen nichts. Es ist quasi an der Blattgestaltung von gewissen Zeitungen ablesbar, wie es Redaktionen in ihren eingespielten Ressorts noch nicht gelingt, diese internationale Bewegung zu fassen, während sie launige Kommentatoren vorschicken, die die Diskussion entsachlichen und sich in ideologischen Scheingefechten oder personalisierten Hass-Diskursen verheddern.

Ab und an darf eine Autorin einen klugen Kommentar beisteuern wie Carolin Emcke im «Tages-Anzeiger» («Die Klimabewegung entlarvt den Liberalismus»). Aber eine profunde Analyse eines Sozialwissenschaftlers oder einer Geisteswissenschaftlerin über die breite zivilgesellschaftliche Verankerung der Klimabewegung in der Schweiz ist reines Wunschdenken. Naturwissenschaftliches Wissen ist zwar sehr präsent, findet aber meist im Spezialbund statt. Der «Tages-Anzeiger» leistet sich seit Jahren eine informative, wissenschaftlich basierte (letzte) Seite über die schmelzenden Gletscher, die grosse Trockenheit und den Biodiversitätsschwund in der Schweiz. Gleichzeitig aber füllt er – wenn nicht gerade Autoren von Porsche oder BMW eingeladen sind, um für die «Auto»-Seite zu schreiben (3.10. und 8.10.2019) – den neu lancierten «Sponsored Content» durch eine Auto-Firma («Tages-Anzeiger vom 30.8., 3.9. und 7.9.2019): Einmal folgen wir einem Reiseblogger-Paar, das einen Mazda fährt, einmal der unternehmenslustigen Familie Putzer, die einen Mazda fährt, oder dann dem Hipster, der auch mal auf der Gotthardpassstrasse Rollbrett fährt, wenn er aus seinem Mazda ausgestiegen ist. Übertroffen werden diese ganzseitig gestreckten, massiv uninteressanten Texte nur noch vom gesponserten, seitenfüllenden Artikel einer Privatbank, die nach dem Angriff auf eine saudische Raffinerie den Kauf von Aktien auf den Ölmärkten empfiehlt («Tages-Anzeiger», 22.9.2019).

Wie brennstoffbetriebener Konsumismus unbehelligt vom wissenschaftlichen Wissen bleiben kann, ist auch in der «NZZ» nachvollziehbar. Der grosse Bund «Wochenende» wurde mit «Abschied vom stabilen Klima» überschrieben, weil der Mensch «den Planeten radikal» verändere («NZZ», 27.9. 2019). Das dreiviertelseiten grosse Bild zeigt einen chinesischen Verkehrspolizisten mit Mundschutz und den behandschuhten, erhobenen Händen, die Strasse hinter ihm ist kaum zu erkennen, so sehr versinkt sie im dichten, bodennahen Smog. Im Anschluss werden wir über das Konzept des menschengemachten Zeitalters («Anthropozän») informiert und lesen über die Folgen für «Luft, Land, Wasser» durch den CO2-Ausstoss und den Plastikverbrauch, um im gleichen Bund weiter hinten fast doppelseitig über die neuen, speziellen Gadgets für den «Land Rover Discovery» sowie verschiedene andere Leistungssteigerungen von Offroadern und Motorrädern informiert zu werden – und das nicht einmal sichtbar gesponsert von einer Firma.

Zwei Fossilien finden sich

Zwei Fossilien des 20. Jahrhunderts vereinen sich noch einmal im Untergang: das spritbetriebene Automobil und die gedruckte Zeitung. Dem einen gehen die Selbstverständlichkeit und Legitimierung verloren, der anderen die Werbegelder und Leserschaft flöten (persönlich.com am 8.10.2019 über die neuesten Zahlen der WEMF). In einem letzten Aufbäumen versuchen sie es noch einmal gemeinsam. Aber das Auto als bröckelndes Statussymbol der Wohlstands- und Konsumgesellschaft wird nur noch ein letztes Rascheln im Blätterwald bewirken, das höchstens als fernes Echo einer untergegangenen Öffentlichkeit wahrnehmbar ist.
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    Ariane Tanner ist Historikerin und Texterin aus Zürich. Aktuell wandert sie zwischen Forschung, Unterricht und Kunst. Interessensbindungen: Keine.

      Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Robert Ruoff, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

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    2 Meinungen

    • am 22.10.2019 um 15:54 Uhr
      Permalink

      Ein hervorragender Appell an die Print- und andere Medien — falls sie diesen zu Herzen nehmen würden!

    • am 23.10.2019 um 19:12 Uhr
      Permalink

      Was kann von NZZ und TA noch erwartet werden? Nichts, bei NZZ verlassen Mitarbeiter fluchtartig das Unternehmen, viele bleiben weil sie Angst haben keinen Job mehr zu finden und ihr Arbeitsleben als Lehrer, Bankbeamte oder KESB-Mitarbeiter beenden müssten! Beim TA gibt es noch ca 128 MitarbeiterInnen die genug haben von «Sponsored Content» und nicht aus den Glanzprospekten der Autoimporteure abschreiben möchten, Sie protestieren in einem Brief an Supino. Wäre doch ein Artikel wert gewesen. War da etwas zu lesen? Nein, all die Wittwer, Rutishauser und andere die immer wieder gescheite Artikel schreiben haben gekuscht und sich verhalten als wären sie in Nordkorea oder China, journalistisches Rückgrat eines Gummibärchen! Dafür werden neuerdings die Kolumnen von Markus Somm, der als BAZ Inventar vom Tagi übernommen wurde in TA. SZ und Magazin publiziert als ob mündige Leser Somm nicht durchschauen würden, auch ihm bereiten Existenzsorgen schlaflose Nächte. In Basel krachend gescheitert, bei der NZZ krachend gescheitert, bei TAmedia quasi Flüchtlingsstatus! Buchtitel könnte lauten: Aus dem Leben eines volatilen Journalisten!

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