Mutterkuhhaltung

Mutterkühe: Aufwertung gleicht Nachteile bei Direktbeiträgen aus © Herzi Pinki/Wikimedia Commons/cc

Gleichberechtigung im Kuhstall

Eveline Dudda /  Jahrelang waren Mutterkühe subventionstechnisch keine vollwertigen Kühe. Das hat sich geändert – mit Folgen für die Alpwirtschaft.

Ob ein Kalb am Euter saugt oder eine Bäuerin die Melkmaschine ansetzt: Eine Kuh ist eine Kuh. Das ist zwar im Stall so – nicht aber in den Büros des Bundesamts für Landwirtschaft. Dort galt bis Ende 2013 nur eine Milchkuh als vollwertige Raufutterverzehrerin. Eine Mutterkuh hingegen zählte nur zu 80 Prozent als Raufutter verzehrende Kuheinheit – entsprechend geringer fielen die Subventionen aus.
Damit ist jetzt Schluss: Das Parlament hat mit der jüngsten Agrarreform einen tierischen Gleichstellungsartikel verabschiedet. Vor dem Gesetz sind nun alle Kühe gleich, egal, ob Kälber oder Melkmaschinen an ihren Zitzen saugen. Das bringt die Zahlenakrobaten im BLW in arge Verlegenheit. Denn das Amt hat für alle 8000 Schweizer Alpen festgelegt, wie viele Kühe dort im Sommer grasen dürfen. Dieser sogenannte Normalbesatz errechnet sich aus der Anzahl Raufutterverzehrer und den Alptagen. Er soll verhindern, dass Alpweiden übernutzt werden, was die Biodiversität nachhaltig schädigen könnte.
Weil Mutterkühe neuerdings als vollwertige Raufutterverzehrer zählen, besteht – rein rechnerisch – die Gefahr, dass ab diesem Sommer zu viele Kühe auf der Alp weiden, auch wenn in Wirklichkeit genau gleich viele Tiere hinaufgetrieben werden wie in den Jahren zuvor. Darunter leiden nicht die Weiden, sondern die Bauern: Wird der Normalbesatz einer Alp um 10 Prozent überschritten, kürzt der Bund die Beiträge für die Sömmerung. Bei mehr als 15 Prozent Abweichung oder «Überstossung», wie es in Amtsdeutsch heisst, gibt es gar keine Subventionen mehr.

Kaum in Kraft, schon die erste Ausnahmebewilligung
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat das Problem erkannt, aber noch keine Lösung parat. Vorerst gibt man sich mit einer Ausnahmebewilligung zufrieden: Die Alpsubventionen sollen dieses Jahr nicht gekürzt werden, wenn der Normalbesatz nur wegen der geänderten Rechnerei überschritten wird. Die Argarverwaltung in Bern will das Thema angeblich «pragmatisch» angehen. Es soll eine Anhörung der Kantone geben und die Verordnung für Direktzahlungen wird allenfalls geändert. Zur Diskussion stehen auch neue Bewirtschaftungspläne für Alpen mit höheren Bestossungszahlen. Allerdings: Solche Pläne sind mit einem gewaltigen Aufwand verbunden. Sie dürften ein Mehrfaches der Summe kosten, die bei den Bauern durch Subventionskürzungen wegfällt. Zudem werden laut Berechnungen der Forschungsanstalt Agroscope in ein paar Jahren ohnehin viel weniger Tiere auf Schweizer Alpen gesömmert werden. Und damit ergeben sich neue und andere Probleme.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Das Beispiel mit den Milch- und Mutterkühen ist typisch für die Schweizer Agrarpolitik. Beim Verteilen der Subventionen wollte man wohl berücksichtigen, dass Mutterkühe weniger Arbeit machen als Milchkühe. Folglich hätte man beim Berechnen der Standard-Arbeitskraft eine Kategorie für Mutterkühe einführen, oder die Beiträge für Mutterkühe senken müssen. Aber das war den Beamten in Bern wohl zu einfach. Stattdessen schufen sie bei der «Raufutterverzehreinheit» zwei Kategorien: Vollwertige Milchkühe und 80-prozentige Mutterkühe.
Clever ist das nicht. Denn weil die Faktoren am falschen Ort – bei der Vieheinheit, nicht bei der Arbeitskraft – angepasst wurden, kam es in der Praxis zu zahlreichen Verzerrungen. Bauern erhielten deshalb für einen besonders tierfreundlich gebauten Stall 20 Prozent weniger Subventionen, wenn dort Mutterkühe statt Milchkühe untergebracht waren – obwohl die Baukosten, der Platzbedarf und alles andere genau gleich war. Auch für regelmässigen Auslauf der Tiere im Freien bekamen Mutterkuhhalter 20 Prozent weniger Beiträge als Halter von Milchkühen – bei genau gleichem Aufwand fürs Zäunen der Weiden. Und wer eine Milchkuh-Alp in eine Alp für Mutterkühe umwandeln wollte, musste unter Umständen mehr Kühe auftreiben als zuvor – bei gleicher Futterbasis.
Wenn Beamte um die Ecke denken
In der Schweizer Agrarpolitik wird häufig um die Ecke gedacht. Einige Beispiele: Wenn die Biodiversität gefördert werden soll, nimmt man nicht den Artenreichtum als Kriterium, sondern honoriert die Einhaltung von Schnittzeitpunkten und Düngevorschriften. Wenn der Anbau von Futtergetreide gefördert werden soll, wird die Rentabilität beim Brotgetreideanbau gesenkt – und der Ackerbau dadurch gleich doppelt geschwächt. Wenn exzessive Subventionen verhindert werden sollen, schlägt das Amt eine Obergrenze pro Standard-Arbeitskraft vor, obwohl deren Berechnung mit der Realität oft herzlich wenig zu tun hat (siehe Artikel «Schwacher Standard bei der Standard-Arbeitskraft»).
Beim Bund hat man nicht nur mit der Gleichstellung der Kühe Mühe. Sondern auch damit, einfache, klare, zielgerichtete und verständliche Massnahmen zu ergreifen. Das ist das tragische an dieser Geschichte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Eveline Dudda ist Agrarjournalistin und Chefredaktorin von «Freude am Garten», www.dudda.ch

Zum Infosperber-Dossier:

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Landwirtschaft

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Eine Meinung zu

  • am 3.04.2014 um 16:18 Uhr
    Permalink

    Als Agrarjournalistin sollte Frau E. Dudda eigentlich den Unterschied zwischen Subventionen und leistungsbezogene Direktzahlungen (Sömmerungsbeiträge) kennen.

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