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Die angebliche Verlust-Milliarde aus der Wasserkraft schmilzt wie Schnee an der Frühlingssonne © ktm

Die Strombranche gaukelte eine Milliarde Verlust vor

Kurt Marti /  Wie wird aus einer Milliarde Verlust der Strombranche ein Gewinn von 163 Millionen? Infosperber zeigt, wie das geht.

«Es fehlen Erträge von durchschnittlich 2 bis 4 Rp./ kWh, was zu gesamtschweizerischen Verlusten in der Grössenordnung von jährlich rund CHF 1 Mrd. führt», behauptete die Stromwirtschaft vor einem Jahr in ihrer Broschüre «Wasserzins», die vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), dem Schweizerischen Wasserwirtschaftsverband (SWV) und von Swisselectric (SE) herausgegeben wurde.

Dabei ging es nicht etwa um die Verluste der Atomkraftwerke, sondern laut Strombranche um die angeblichen Verluste mit dem wertvollen Strom aus der Wasserkraft. Das Ziel war klar und die Strategie allzu durchsichtig: Die Stromkonzerne wollten Millionen-Subventionen und verlangten zudem eine massive Senkung der Wasserzinsen. Die StromkundInnen und die Gebirgskantone sollten für die jahrelange Misswirtschaft der Stromkonzerne blechen.

Doch die Verlust-Milliarde war viel zu hoch gegriffen. Sie löst sich bei näherer Betrachtung in nichts auf. Mehr noch. Bei genauer Rechnung resultiert sogar ein Gewinn, wie die Infosperber-Analyse des Berichts «Rentabilität der Schweizer Wasserkraft» zeigt, den das Bundesamt für Energie (BFE) im Auftrag der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) des Nationalrats erstellt hat, und der Ende Januar 2018 erschienen ist.

Die Nationalratskommission wollte wissen, ob die Wasserkraft wirklich so unrentabel ist, wie die Strombranche immer wieder behauptet. Zu diesem Zweck machte das BFE ein Umfrage bei den Wasserkraftbetreibern.

Nachfolgend die Pulverisierung der behaupteten Verlust-Milliarde in fünf Schritten (siehe Grafik oben):

1. Stromlobby krebst auf 425 Millionen zurück

In der Umfrage des BFE auf der Basis der Selbstdeklaration der Strombranche schmolz die anfänglich behauptete Milliarde auf einen Verlust von 425 Millionen Franken zusammen, also auf weniger als die Hälfte.

2. Das BFE reduziert weiter auf 311 Millionen

Der Verlust von 425 Millionen ist selbst aus Sicht des strombranchenfreundlichen BFE zu hoch gegriffen, weil die Strombranche erstens mit einem zu hohen Zinssatz für die Kapitalkosten (6,2% statt 5%) rechnete und zweitens von zu hohen Gemeinkosten für Verwaltung und Betrieb (0,75 Rp./kWh statt 0,6 Rp./kWh), auch Overhead-Kosten genannt, ausgeht.

Mit diesen Korrekturen kommt das BFE auf einen reduzierten Verlust von 311 Millionen Franken, was der Wasserwirtschaftsverband SWV in einer Medienmitteilung als Bestätigung der eigenen Berechnungen bezeichnet, ohne jedoch die anfänglich behauptete Milliarde zu erwähnen.

3. Plus 110 Millionen Subventionen

Mit der Energiestrategie 2050 fliessen zudem 110 Millionen Wasserkraft-Subventionen pro Jahr in die Schatullen der Strombranche, was den Verlust weiter auf 201 Millionen reduziert, wie im BFE-Bericht steht.

4. Plus 265 Millionen Gewinne

Weitere Abzüge macht das BFE nicht, obwohl der BFE-Bericht ausdrücklich auf die Gewinn-Marge von 1,61 Rp./kWh verweist, den die Strombranche vorsorglich auf die Gestehungskosten geschlagen hat, wie der BFE-Bericht festhält: «Hierbei gilt es aber zu erwähnen, dass in den Gestehungskosten aus der Sicht der Branche bereits Gewinne in der Höhe von 265 Millionen Franken … enthalten sind.»

Wenn man diese vorsorglich bereits einberechneten 265 Millionen Gewinne zum erwähnten Verlust von 201 Millionen addiert, wird aus dem Verlust ein Gewinn von 64 Millionen.

5. Plus 99 Millionen Gemeinkosten

Doch damit ist der Schmelzprozess noch nicht zu Ende. Das BFE hat nämlich im Interesse der Stromwirtschaft beide Augen zugedrückt und liess bei den Gestehungskosten 0,6 Rp./kWh Gemeinkosten beziehungsweise Overheadkosten (siehe Punkt 2) zu, obwohl die Wasserkraftbetreiber im Rahmen der Datenumfrage «trotz Nachfrage durch das BFE keine Begründung für die Höhe oder über die Zusammensetzung der Overheadkosten geliefert» haben, wie das BFE in seinem Bericht bemängelt.

Die 0,6 Rp./kWh, die von der Strombranche laut BFE-Annahmen auf die Gestehungskosten geschlagen werden dürfen, erhöhen die Differenz zum Marktpreis und führen zu einem höheren Verlust. Bei einer Strommenge von rund 16‘550 GWh, die im freien Markt abgesetzt wird, ergibt das Kosten von rund 99 Millionen. Zählt man diese 99 Millionen zum Gewinn von 64 Millionen (siehe Punkt 4) hinzu, resultiert ein Gewinn von 163 Millionen.

ETH-Studie mit tieferen Gestehungskosten

Erstaunlich: In einer fast gleichzeitig publizierten Studie «Kostenstruktur der Schweizer Wasserkraft» des «Center for Energy Economics and Policy» (CEPE) der ETH Zürich sucht man vergeblich nach Gemein- beziehungsweise Overhead-Kosten. Kein Wunder, wie der Studienverantwortliche Thomas Geissmann gegenüber der NZZ online vom 30. Oktober 2017 begründete: «Die Gemeinkosten, zum Beispiel für den Vertrieb, wären auch ohne Wasserkraftproduktion angefallen.»

Das dürfte einer der Gründe sein, wieso die Gestehungskosten, die das ETH-Institut CEPE für die Speicherkraftwerke errechnet hat, wesentlich tiefer ausfallen als jene des BFE: Während der BFE-Bericht Gestehungskosten der Speicherkraft für das Jahr 2016 in der Höhe von 6,89 Rp./kWh annimmt, geht die ETH-Studie von nur 5,6 Rp./kWh aus. Das ergibt eine beträchtliche Differenz von 1,3 Rp./kWh, was zu höheren Verlusten führt und damit die Sicht der Strombranche stützt.

Fazit: Aus einer behaupteten Milliarde Verluste der Wasserkraft ist mit den neuesten Zahlen und korrekter Berechnung ein Gewinn von 163 Millionen geworden. Man darf also gespannt sein, ob mit diesen Fakten die Bettlerei der Stromkonzerne ein Ende hat und wie sich dieser Schmelzvorgang der Verluste auf die Botschaft des Bundesrats zum Wasserzins auswirkt, die zurzeit in Arbeit ist und im Sommer ins Parlament kommen soll.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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5 Meinungen

  • am 27.04.2018 um 12:05 Uhr
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    Danke für diese interessanten Ausführungen über die Strombranche bzgl. Einnahmen und Ausgaben bei der Wasserkraft.

    Es ist schon mehr als erstaunlich, wie meinungsmanipuliert auch in dieser Branche die Informationen sind, die mittels bewusst verzerrter Fakten seitens der Behörden an die Bevölkerung herangetragen werden. Der Bund muss sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung immer mehr den Respekt vor seiner – gegen die Bevölkerung gesteuerter – Politik verliert.

  • am 27.04.2018 um 12:28 Uhr
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    Die Stromlobby mauschelt seit Jahren und erschleicht sich so Subventionen wie die Postauto AG oder SBB oder die Autolobby mit falschen Verbrauchswerten! Die Zeche zahlen wir als Konsument und Steuerzahler mindestens doppelt. Wann hört das auf? Dies muss persönliche Konsequenzen haben für die jeweiligen Verantwortlichen. Liebe Wähler und Mitbewohner unserer schönen Schweiz bzw. schaut bei den nächsten politischen Wahlen auch genauer und strafft ab wo notwendig!

  • am 28.04.2018 um 09:33 Uhr
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    Es ist klar, dass für Aussenstehende im Detail nicht alle Positionen der Erfolgsrechnung eines Wasserkraftwerks nachzuvollziehen sind. Herr Marti macht nun genau das Gegenteil von dem, was der SWV tat: er trifft alle Annahmen so ungünstig wie möglich für die Kraftwerkbetreiber. Der Punkt ist aber, dass Durchschnittswerte nicht weiter helfen. Jede Anlage muss individuell betrachtet werden. Denn in einzelne, unrentable Anlagen wird nicht mehr in den Unterhalt, geschweige denn in Erneuerungen investiert.
    Für die Energiewende wäre es hilfreich, wenn die Ideologien endlich etwas in den Hintergrund treten könnten!

  • am 28.04.2018 um 10:28 Uhr
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    Aber das Jammern auf hohem Niveau um an die Staatsgelder zu gelangen macht doch jede Branche – siehe Landwirtschaft!

  • am 30.04.2018 um 13:27 Uhr
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    @Stefan Roth. Kurt Marti trifft seine Annahmen nicht aus dem hohlen Bauch heraus sondern er stützt sich auf die Zahlen des BFE und der ETH. Und mit Durchschnittswerten haben ja auch die Stromkonzerne gerechnet. Warum soll man beim Nachrechnen jetzt plötzlich jedes einzelne Kraftwerk individuell durchrechnen? Für die Energiewende ist es hilfreich, wenn genau und unabhängig gerchnet wird. Vielen Dank an Kurt Marti.

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