Kommentar

Die Mühe des Chefredaktors mit der Medienqualität

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Robert Ruoff /  Artur K. Vogel, Chefredaktor der Tageszeitung «Der Bund», stellt die Qualitäts-Massstäbe der Medienwissenschaft in Frage.

Artur K. Vogel ist Chefredaktor der Berner Tageszeitung «Der Bund». Der «Bund» war einmal eine bedeutende freisinnig-liberale Zeitung für die Bundesstadt und die Schweiz. Heute gehört er zur Tamedia-Gruppe und übernimmt grosse Teile seines Inhalts vom «Tages-Anzeiger», der geleitet wird von Chefredaktor Andreas Strehle. Beide, Strehle und Vogel, haben kürzlich in Solothurn teilgenommen an der «Brückenschlag-Tagung», die Medienwissenschafter und Medienschaffende miteinander ins Gespräch bringen sollten. Beide, Wissenschaftler und Praktiker, haben ein bisschen Mühe miteinander.

Versuch zum Dialog…

Andreas Strehle setzte sich ernsthaft und somit beispielhaft mit der Kritik des «Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög)» der Universität Zürich an der Qualität der Schweizer Medien und insbesondere der Presse auseinander. Er gestand den Wissenschaftlern ein paar zutreffende Erkenntnisse zu – und attestierte ihnen eine grössere Anzahl «abenteuerliche Aussagen». Das schmeckte nun wieder dem Soziologie-Professor und fög-Leiter Kurt Imhof nicht besonders, und so ergab sich eine recht lebendige Diskussion. Strehle schlug unter anderem einen «Sesselwechsel» vor, bei dem Wissenschaftler und Chefredaktoren jeweils eine Woche die Plätze tauschen sollten, um die unterschiedlichen Tätigkeiten besser kennen zu lernen. Als Voraussetzung für ein fruchtbares Gespräch, und der Vorschlag fand durchaus positive Aufnahme. So weit, so gut; Infosperber hat darüber berichtet.

…oder zur Spaltung

Artur K. Vogel hingegen hat sich beim «Brückenschlag» offenkundig überhaupt nicht amüsiert. Er spricht von «Soziologengeschwafel…Realitätsferne…Elfenbeinturm», unterstellt den Wissenschaftlern den Anspruch auf «päpstliche Unfehlbarkeit» und ärgert sich überhaupt über die «staatlich besoldeten Auguren in ihren bequemen Professorensesseln», während die gestressten Journalisten im «medialen Tohuwabohu» mit unzureichenden finanziellen und personellen Mitteln täglich eine Zeitung machen sollen. Er singt das ewig gleiche Klagelied und bleibt hängen im ewig gleichen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Praxis. So weit, so schlecht, oder auch: so uninteressant. Der Chefredaktor singt den gleichen Text wie die Spitze der Verleger, und bei dieser Feststellung könnte man es belassen.

Aber Artur K. Vogel betreibt nicht nur die – in der Branche zu häufig geübte – Verunglimpfung von Kritikern und Gegenspielern, er macht auch ein paar Aussagen, die wir doch kurz unter die Lupe nehmen müssen. Er hält den Wissenschaftlern vor, dass «sie behaupteten, es gebe objektive Qualitätskriterien, die auf sämtliche Medien gleichermassen anwendbar seien…Das heisst: ‚20 Minuten’ oder ‚Blick’ werden an demselben…Massstäben gemessen wie die NZZ oder das ‚Echo der Zeit’». Und er stellt fest: «Jemandem, der mitten im medialen Tohuwabohu eine Zeitung machen soll, sind solche Ansprüche höchstens ein mildes Kopfschütteln wert.»

Verachtung von Schreibern und Lesern

Das ist bemerkenswerte Schreibe eines Chefredaktors, denn da kommt uns doppelte Verachtung entgegen. Zum einen Verachtung der Leser von «Blick» und «20 Minuten» – immerhin auch ein Tamedia-Produkt -, die offenbar nicht mit der gleichen Informations-Qualität bedient werden wie das Publikum des «Bund» und anderer hochrangiger Medienerzeugnisse. Und es ist zum zweiten Verachtung der Kollegen, die für diese anderen Medien arbeiten: Boulevard- und Gratispresse in diesem Fall – als ob sie nicht an die gleichen professionellen Regeln gebunden wären wie die Journalisten der «seriösen» Presse und der Service Public-Produktionen von Radio und Fernsehen. Maximen von Medienprofessoren nennt das der Chefredaktor Vogel.

Vielleicht fehlt in seinem Regal das Handbuch «Medienqualität durchsetzen» der drei Autoren Peter Studer, Toni Zwyssig und Vinzenz Wyss. Wyss, das muss zugegeben werden, Wyss ist einer dieser «staatlich besoldeten» Professoren auf einem «bequemen Professorensessel», lebt also aus Vogels Perspektive fern der Wirklichkeit. Toni Zwyssig hingegen hat als Korrespondent und Redaktor aktuelle und dokumentarische Beiträge realisiert und war danach Leiter der Ausbildung des Schweizer Fernsehens. Und Peter Studer war nach seiner Zeit als Journalist, Auslandkorrespondent und Chefredaktor beim «Tages-Anzeiger» und beim Schweizer Fernseher Präsident des Schweizer Presserats. Da haben sich also drei theoretisch und praktisch ausgewiesene Autoren zusammengetan, die erklärtermassen gemeinsam die Haltung vertreten: «Ohne Journalismus keine Demokratie».

Journalistische Regeln

Studer, Wyss und Zwyssig meinen selbstverständlich Qualitäts-Journalismus, und sie benennen Qualitätskriterien, die für alle gelten: die «schmuddlige» Boulevardpresse wie die «gehobene» NZZ und die teure Abonnementszeitung wie das Gratisblatt: Sie sprechen von «Wahrheitssuche», sprich: der Recherche nach Fakten, Dokumenten, Belegen und Beweisen. Sie schreiben von der «Trennung von Fakten und Kommentar», von der «Überprüfung von Quellen» und der «Anhörung» von Beschuldigten. Das gilt für journalistische Texte, ob aktuell oder hintergründig, kurz oder lang, «Blick» oder «Bund», «NZZ» oder «20 Minuten».

Es stimmt schon, die Qualität der Medien ist gefährdet vom Mangel an Geld, Personal und Zeit. Und sie ist vor allem gefährdet durch den Mangel an Qualitätsbewusstsein. Der Chefredaktor Artur K. Vogel liefert einen Beleg dafür, wie der kommerzielle und konkurrenzbestimmte Markt den Kern gefährdet: «Die Regeln des Journalismus sind nichts anderes als eine formulierte Fassung der journalistischen Ethik», – so etwa sagte es Peter Studer bei der Solothurner Tagung, die Artur K. Vogel so sauer aufgestossen ist.

Wenn sich Vogel aber lieber an gegenwärtigen Verlegern orientieren will, hätte er ein paar Tage nach Solothurn in Basel Peter Wanner hören können, bei einer Debatte über den «Medienplatz Basel». «Entscheidend ist die Frage», so Wanner: «Ist die Information gefährdet? Oder bemüht sich Journalismus um Objektivität, Vollständigkeit, Ausgewogenheit, Faktentreue, Fairness.» Letzten Endes, so Wanner, «geht es um das Vertrauen der Leserschaft».

Relevanz und Interesse

Die Medienwissenschaft bringt dabei noch etwas anderes ins Spiel: die «Relevanz», sprich: die Themen, die für das Leben der Menschen wichtig sind, im persönlichen Alltag, in Wirtschaft und Politik. Auch das ist ein Qualitätsmassstab, den die Qualitätsforscher anwenden – und der wiederum dem Chefredaktor Vogel nicht gefällt. Weil die Medienforscher feststellen, dass Boulevardmedien oder auch Gratiszeitungen den politisch oder wirtschaftlich «relevanten» Themen weniger Raum geben als gesellschaftlich vielleicht weniger wichtigen Lifestyle- oder «People»-Geschichten aus dem Privatleben der Cervelat-Prominenz.

«Eine Relativierung dieser (Qualitäts)-Standards», schreibt Vogel, «eine Anpassung an das Genre des jeweiligen Mediums, verurteilen sie aufs Schärfste, und noch schärfer verurteilen sie es, wenn sich Journalisten Gedanken darüber machen, was ihre Leserinnen und Leser interessieren könnte.» Und meint, dass andernfalls die Existenz der Presse gefährdet sei. «Denn wir können niemanden zwingen, eine unattraktive, aber ‚gesellschaftlich relevante’ Zeitung zu kaufen.»

Das ist eine seltsame Konstruktion: Zum einen verlangen auch die Medienforscher nicht, Herr Vogel solle eine «unattraktive» Zeitung machen. Zum anderen unterstellt sie, dass Menschen, die gerne mal durch das Schlüsselloch eines Prominenten schauen (wer nicht?), bei Artikeln über den Krieg in Syrien, die Volkswahl des Bundesrats oder die Bauarbeiten in der Berner Altstadt einfach abschalten.

Journalismus nach Regeln der Werbung

Vogels Vorstellung vom «Leserinteresse» richtet sich offenbar nach der Masseinheit der Internetportale: dem Klick. Je mehr Leserinnen und Leser einen Text anklicken, desto häufiger müssen die Schreibenden diese Textsorte produzieren. Ich sage «Schreibende» und nicht «Journalisten», weil diese Art von Textproduktion nach dem Muster der Werbung läuft, die zuallererst nach dem fragt, was gekauft wird und erst sehr viel später, wenn überhaupt, nach Qualität. Schreiber, die Texte nach den Verführungsregeln der Klicks produzieren müssen, werden von ihren Vorgesetzten als kommerzielle Texter missbraucht, die zumindest zeitweise nicht nach den Regeln des journalistischen Handwerks arbeiten. Nach dem Motto: Wer journalistisches Junk Food bezieht, soll noch mehr journalistisches Junk Food bekommen, Hauptsache es klickt.

Dabei sind Leserinnen und Leser sehr wohl interessiert an relevanten Themen – wenn diese Themen denn attraktiv dargestellt werden. Diese doppelte Aufgabe stellt sich Journalisten an jedem Platz: erstens das Wichtige auszuwählen und zweitens das Wesentliche packend und zutreffend darzustellen – und das ist in der Kurzfassung des Boulevards oder der Gratiszeitung vielleicht noch anspruchsvoller als mit der Breitseite der abonnierten Tages- oder gar Wochenzeitung.

Erfolg der Qualität

Aber für alle gilt, Vogel hin oder her: Journalistinnen und Journalisten haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das Wichtige klar, verständlich, sachgerecht und interessant darzustellen, das heisst: zu zeigen, welche Bedeutung Ereignisse und Entwicklungen für die Menschen hier bei uns haben – Ereignisse im Nahen Osten, in der ganzen Schweiz oder in der Markt- und Gerechtigkeitsgasse der schönen Stadt Bern.

Interessant ist übrigens, dass im Jahr 2011-2012 jene Zeitungen die grössten Auflagenverluste eingefahren haben, die sich vom Gebot der Objektivität und Ausgewogenheit am weitesten entfernt und am deutlichsten ihren Geld- und Auftraggebern gedient haben: «Weltwoche» und «Basler Zeitung» mit einem Verlust von jeweils über 10 Prozentpunkten.

Und ebenso interessant ist, dass im gleichen Jahr die abonnierten Qualitätszeitungen der Tamedia oder der NZZ-Gruppe sich in der Deutschschweiz besser gehalten haben als der bezahlte Boulevard, und in der Westschweiz gilt das Gleiche für die anspruchsvolle «Le Temps». Unter den Wochenzeitungen hat die qualitätsorientierte «NZZ am Sonntag» sogar leicht zugelegt. Die zahlungsfähigen Leserinnern und Leser wissen also offenbar Zeitungen zu schätzen, denen «Medienprofessoren in päpstlicher Unfehlbarkeit» Qualität und Relevanz zuschreiben.

Vielleicht ist das für den Chefredaktor ein Hinweis auf das Leserinnen- und Leserinteresse.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 14.06.2013 um 22:21 Uhr
    Permalink

    Ich habe mich dazu entschlossen, die «qualitätsorientierte» NZZ am Sonntag abzubestellen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt für mich nicht mehr. Im Kulturteil wird die Kinoagenda rauf- & runterdekliniert und Popmusik und TV-Serien mit «tiefsinnigen» Artikeln veredelt. Von Anspruch keine Spur. Dann muss ich mich von liberalen Ideologen belehren lassen, dass sie die Freiheit gepachtet haben, obwohl sie damit letztlich die Freiheit des Unternehmers meinen. Dafür genügt mir die Wochenausgabe der NZZ. Als ausgebildeter Musiker und studierter Philosoph finde ich hier weder Qualität noch Relevanz. Ich finde es sogar eine Frechheit, dass man sich heute als gebildeter Mensch von (in Bezug auf das eigene Fachwissen) ungebildeten Journalisten belehren lassen muss, dass die Asozialen Medien, Populärkultur und Lifestyle wichtiger sein sollen als Bücher, Anspruch und Problembewusstsein.

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