Kommentar
Bundesrat Maurer in Peking: Ein Akt der Selbstüberschätzung
Eine von La Fontaine 1668 veröffentlichte – und von Aesop inspirierte – Fabel handelt von einem Frosch, der einem Ochsen begegnet und, um dieselbe Grösse wie der Ochs zu erreichen, sich aufbläht bis er platzt. «Das Fröschlein», schreibt La Fontaine wörtlich, «hat sich furchtbar aufgeblasen, es platzte und verschied im grünen Rasen.» Die Welt sei voller Menschen, die sich aus Eitelkeit und Überschätzung wie das Fröschlein verhalten, meinte La Fontaine am Schluss.
Als 1916 der Schweizer Gesandte in Paris dem Generalsekretär des französischen Aussenministeriums, Jules Cambon, einen von Bundesrat Hoffmann ausgetüftelten Friedensplan vortrug, antwortete dieser mit einem Hinweis auf die Fabel von La Fontaine. Für Frankreich war dieser Vorstoss der Schweiz, der vor allem dem Deutschen Reich genützt hätte, eine Zumutung. Der schweizerische Plan war umso mehr suspekt, als er von einem Land kam, wo ein Grossteil der Eliten und insbesondere die Armeeführung einen Sieg der Zentralmächte (Deutschland und Österreich) wünschte. Dass Jules Cambon diese seltsame Aussenpolitik der Schweiz mit dem aufgeblasenen Frosch in Verbindung brachte, hat Bern sehr verärgert. Auf dem diese Angelegenheit kommentierenden Dokument des politischen Departements ist am Rande vermerkt: «Impertinence» (dodis.ch/43512).
Wirtschaftliche Interessen
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Bei der Berichterstattung über Bundesrat Maurers Reise nach Peking, und insbesondere angesichts der seltsam gefälligen Äusserungen des Bundespräsidenten, kam mir unweigerlich die diplomatische Anekdote von 1916 in den Sinn. Gewiss ist es wünschenswert, mit Grossmächten wie China gute Beziehungen zu unterhalten, doch sollte man dabei die realen Grundlagen nicht hinter schöngefärbten Interpretationsschleiern verstecken.
Bei allen bisher erfolgten Annäherungen der Schweiz an China ging es in erster Linie um wirtschaftliche Interessen. Diese standen schon bei der Gründung der Republik China im Jahre 1912 im Vordergrund. So schrieb beispielsweise der Schweizer Gesandte in Tokio im Februar 1912 dem politischen Departement in Bern, dass eine diplomatische Vertretung in China opportun sei, da es allen Anschein habe, «dass China binnen wenigen Jahren für uns wirtschaftlich von bedeutend grösserem Interesse sein wird als Japan» (dodis.ch/43160). Wenig später äussert sich auch der schweizerische Botschafter in Washington zu dieser Frage. Er unterstrich ebenfalls die wirtschaftliche Bedeutung einer diplomatischen Vertretung in China und fügte noch bei: «Durch den kleinen, billigen diplomatischen Schachzug der sofortigen Anerkennung der neuen Republik seitens der Eidgenossenschaft könnte meines Erachtens sich die Schweiz bei China augenblicklich bekannt und beliebt machen» (dodis.ch/43167). In einem andern Schreiben aus Tokio heisst es gar, die Schweiz könnte wie eine wohltätige Grossmacht auftreten und auf ihre Art China kolonisieren (dodis.ch/43163).
Die Anerkennung des kommunistischen Chinas
Wirtschaftliche Argumente standen dann auch 1950, bei der Anerkennung des kommunistischen Chinas an erster Stelle. Schon im Dezember 1944 machte Bundesrat Stampfli seinen Kollegen Pilet-Golaz auf die sich in China öffnenden Perspektiven aufmerksam. «Das ausgedehnte und reich bevölkerte Land», schrieb Stampfli, «wird nach den langen Kriegsjahren zweifellos einen gewaltigen Warenbedarf aufweisen. Hier eröffnet sich ein ganz bedeutendes und interessantes Absatzgebiet. Es muss daher alles versucht werden, dass auch die Schweiz daran teilhaben kann.» Hinter diesem Schreiben stand der Schweizerische Handels- und Industrieverein Vorort (heute Economiesuisse) und grössere einheimische Industrieunternehmen (dodis.ch/47928).
Der Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten verhinderte vorerst entsprechende Initiativen. Zudem hatte das US-State Department die Schweiz im Juni 1949 vor einer Annäherung an das kommunistische China von Mao Tse-Toung gewarnt. Doch als dieser am 21. September 1949 die Volksrepublik China ausrief, entschied der Bundesrat, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass man vorerst abwarte, bis zwanzig oder dreissig Länder des Westens diesen Schritt vollzogen hätten. So sandte Bundesrat Petitpierre erst am 17. Januar 1950, als schon über ein Dutzend Staaten, zuvorderst Grossbritannien, die Volksrepublik China anerkannt hatten, ein Telegramm an Mao Tse-Toung, in dem er die Regierung der Volksrepublik China offiziell anerkannte (dodis.ch/8016). Gleichzeitig musste die Vertretung der nationalen Kuomintang-Regierung ihre Büros in Bern schliessen.
Bis heute wird immer wieder bemerkt, die Schweiz habe als eines der ersten Länder das kommunistische China anerkannt – eine leicht übertriebene Interpretation. Die Anerkennung geschah übrigens nicht aus Sympathie für die neue, kommunistische Regierung. Es ging vielmehr um die schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder vorgebrachten Handels- und Wirtschaftsinteressen. 1949 kam insbesondere die Sorge um die Existenz von Schweizer Niederlassungen in China hinzu. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern entwickelte sich allerdings in den folgenden zwei Jahrzehnten wenig harmonisch. Das kommunistische China wurde in Bern nicht gerade freundlich aufgenommen. Schon die Suche nach einem Botschaftsgebäude erwies sich als schwierig. Die Gemeinde Muri verweigerte eine von den Chinesen eingereichte Baubewilligung für ihre Gesandtschaft – vemutlich spielte dabei der herrschende Antikommunismus eine entscheidende Rolle.
Die Hoffnung, sich in Chinas grossem Wirtschaftsraum einzubringen, erfüllte sich ebenfalls nicht. Ende der 1960er Jahre war zwar der asiatische Raum mit rund zehn Prozent am Aussenhandel der Schweiz beteiligt, doch China trug dazu nur einen Zehntel, d.h. ein Prozent des gesamten Schweizer Aussenhandels, bei. Auch sonst waren die Beziehungen alles andere als erfreulich. Anlässlich der Einweihung des Tibet-Instituts in Rikon erlaubte sich Peking scharfe Vorstösse in Bern. Erst in den 1970er Jahren, während der durch die Ölkrise verursachten Wirtschaftskrise, konnte die Schweiz erneut ihre handelspolitischen Initiativen aufnehmen. Im Dezember 1974 unterschrieb sie ein neues Handelsabkommen mit China.
Bundesrat Maurers Reise nach Peking
Diese handelspolitische Perspektive steht auch bei Bundesrat Maurers Besuch in China im Vordergrund. Inzwischen hat sich jedoch China enorm entwickelt und bildet eine ungleich grössere Wirtschaftsmacht als zuvor. Und im politischen Bereich hat sich China in keiner Weise den demokratischen Prinzipien der Schweiz angenähert. Doch der Bundesrat tut so, als würde man noch mit dem China von 1950 verhandeln. Mit der Unterzeichnung des Memorandums zum Belt-and-Road-Projekt (Seidenstrasse), schliesst sich die Schweiz als eines der ersten westlichen Länder der grossen chinesischen Handelsoffensive an. Dabei sind Menschenrechte in den Augen von Bundesrat Maurer abgehakt. Kritisieren, meinte er kürzlich, könne nicht die Lösung sein. Man müsse mitmachen und Einfluss nehmen.
Bei diesen anscheinend klaren Worten kommt mir jedoch erneut die Frosch-Ochsen-Geschichte von 1916 in Erinnerung. Es ist doch offensichtlich, dass Bundesrat Maurer die Rolle der Schweiz, die er mit manchmal leichtfertigem rhetorischem Eifer zelebriert, überschätzt. Ich habe sogar den Eindruck gewonnen, dass er sich vom Glanz eines autoritären Regimes und dessen wirtschaftlichen Leistungen blenden lässt. Und im Verhältnis zu China scheint Bundesrat Maurer die Rolle der Schweiz übertrieben hoch einzuschätzen.
Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass der helvetische Frosch wegen Selbstüberschätzung platzt. Erinnern wir uns an Bundesrat Merz’ Spruch aus dem Jahre 2008, die Angreifer des Bankgeheimnisses würden sich an diesem die Zähne ausbeissen. Ein Jahr später musste derselbe Bundesrat das Ende des Bankgeheimnisses für ausländische Kunden bekanntgeben. Das Fröschlein platzte, wie am Schluss der Fabel, und verschied im grünen Rasen.
Lieratur:
Michele Coduri, La Suisse face à la Chine : Une continuité impossible, Louvain-la-Neuve, 2004.
Georges Martin, «La Chine et la Suisse, de la reconnaissance à la connaissance», Politorbis 25, 4/2000.
Hans Jakob Roth, «Die Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz mit China», in Paul Hugger (Hg.) China in der Schweiz. Zwei Kulturen in Kontakt, Zürich 2005.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der emeritierte Geschichtsprofessor Hans Ulrich Jost studierte in Zürich und Bern Geschichte und Soziologie. Von 1981 bis 2005 lehrte er an der Universität Lausanne Neuere Allgemeine Geschichte und Schweizer Geschichte.
BR Maurer, China und die Schweiz seien Wertegemeinschaften. Erinnert doch stark an «die beste Armee der Welt». Aussagen ohne Inhalt, ohne Reflektion! Meines Wissens haben wir in der Schweiz keine Lager wo Minderheiten inhaftiert sind, noch haben wir nicht die totale Überwachung wie in China und nur in verwirrten Köpfen Hegemoniegelüste. Auch haben wir eine relativ funktionierende Justiz. In China wäre bestimmt nicht darüber berichtet worden, dass ein Familienmitglied des «Staatsmannes» Maurer vor den Richter musste, das wäre doch ein «Wert» gewesen, den Maurer geschätzt hätte!
Uli Sigg war Botschafter in China, er war überhaupt kein Frosch. Z.B. 1980 entstand nach zähen Verhandlungen die CSE China Schindler Elevators Co. Es war das erste Joint Venture eines westlichen Industriekonzerns mit einem chinesischen Staatsbetrieb überhaupt. Zwei Aufzugsfabriken in Peking und Shanghai mit ein paar Tausend Beschäftigten etstanden. Aber das steht nicht in Ihrem antiquierten Geschichtsbuch, Herr Professor…
"Kritisieren, meinte er kürzlich, könne nicht die Lösung sein. Man müsse mitmachen und Einfluss nehmen.» Und, Herr Maurer, wann tritt nun die Schweiz der EU bei? Ach, Sie meinten nicht die EU?
Das unterwürfige und naive Auftreten von Bundesrat Maurer ist geradezu peinlich.
Es fehlt uns an repräsentativen Bundesräten und deren Kompetenzrucksack – wenn weiterhin nach Parteibuch die Bundesräte gewählt werden wird die Schweiz in Zukunft kaum mit dem Tempo der Welt mithalten können!
Ach würde sich doch Herr Maurer – zusammen mit seiner Partei – sich mit gleichem Enthusiasmus der EU annähern. Da gelten die Menschenrechte (noch), die wirtschaftliche Bedeutung der EU ist für die CH um einen wesentlichen Faktor bedeutsamer und Brüssel hört eher auf uns als Peking.
Es ist gut, sich immer mal wieder an die Geschichte zu erinnern und wenn möglich daraus zu lernen. Bei diesem Anbiedern an China hat man tatsächlich nicht das Gefühl dieser Bundesrat würde sich etwas besinnen, bevor er zu solchen «Grosstaten» ansetzt. Wenn China dann demnächst «mit dem Zucken eines kleinen Fingers» der Schweiz mal zeigt wo es langgeht, dann platzt die Blase und hinterlässt einen massiven Schaden, an der Glaubwürdigkeit, an der Demokratie, den Menschenrechten und an der Umwelt. Bis dann ist Maurer als Bundesrat abgetreten und hat sich vermutlich als Verwaltungsrat der Firmen etabliert, die durch diese Froschpolitik ihren kurzfristigen Gewinn haben.
Wie offenbar die meisten glaubte auch ich mich verhört zu haben, als Bundespräsident Ueli Maurer von „mitmachen und Einfluss nehmen“ redete, da Europa dafür ja viel näher läge und man in der EU eher Chancen hätte, etwas zu bewirken als in China. Diese Kritik ist banal, darf es aber nicht bleiben bei den nächsten Wahlen.
Ich finde es eigentlich ganz positiv, wenn die Schweiz sich in dieses Projekt einbringt. Schon nur aus dem Grund, weil es Hinweis darauf sein könnte, dass die Politik der Schweiz sich nicht vollständig den Interessen des derzeit amtierenden Hegemons unterwirft. Die Angst vor China als Grossmacht wird schon lange in unsere Herzen und Köpfe gesät. Und wegen den Hinweisen auf die Einhaltung der Menschenrechte und der Parabel vom Frosch und Ochsen… Wenn ein moralisch und politisch korrekter Frosch geplatzt auf dem grünen Rasen liegt ist das nicht automatisch ein Sieg für die Menschenrechte in China! Drum prüfe für was Du Dich aufbläst…!
Die Froschperspektive täte der Schweiz nicht nur gut, wenn sie mit China im Gespräch ist.
Dem Frosch würde es auch besser anstehen, sich zuerst um seinen eigenen Dreck zu kümmern. Das sind aussenpolitisch an erster Stelle seine menschenverachtenden Rohstoffgeschäfte, mit welchen er die Bevölkerungen armer Länder plündert und ausbeutet. Public Eye hat dieses in der Sache menschenrechtswidrige und kriminelle Verhalten des Froschs immer wieder dokumentiert.
An zweiter Stelle würde es dem Frosch auch besser anstehen, wenn er sich nicht nur zu China, sondern auch zu jenem Schurkenstaat äussern würde, welcher seit dem zweiten Weltkrieg ausserhalb seiner Grenzen mit unerreichtem Abstand die meisten Zivilisten ermordet hat: Die USA.
Schon etwas bedenklich, wie einige Kommentare lauten!? Natürlich, es betrifft die SVP, da ist realitätsbezogenes Denken nicht gefragt. Wann hat China uns gedroht, und uns ihre Richtlinien aufzwingen wollen, wie das EU-Kommissäre und Kommissärinnen und ihr Präsident, laufend machen? Kann ein wirtschaftlich aktiver Staat wie die Schweiz, mit gefragten Qualitätsprodukten, die unsere Firmen gern weltweit (auch in China) verkaufen möchten, einem interessierten Abnehmer (hier China) Vorschriften betreffend Menschenrechten machen und drohen, dass, wenn er sie nicht akzeptiere, wir Lieferungen und die Zusammenarbeit verweigern würden? BP Maurer hat den diplomatischen Anstand zu Gunsten unserer Wirtschaft vorerst gewahrt. Solange wir im Gespräch mit solchen Staatsgebilden bleiben, besteht sicher eine bessere Situation und Akzeptanz, wenn wir Empfehlungen abgeben, die mindestens gewürdigt und vielleicht sogar teilweise umgesetzt werden! aBR JSA FDP, hat gute Vorarbeit geleistet. Da wurde nicht gemotzt, wie nun bei BP U. Maurer!
Hans Ulrich Jost geht mit Ueli Maurer nach seinem Besuch in China hart ins Gericht. Als dann Maurer Trump in den USA besuchte hiess es in den Medien er habe sich von Donald instrumentalisieren lassen in der Frage des Irans, was immer das heissen soll. Dabei ging es doch in den USA wie in China um das Geschäft, nur das zählt. Seinerzeit wurden in China sogar Fliegerabwehrkanonen mit Lizenzen von Oerlikon-Bührle produziert.
Die Schweiz war schon immer ein treuer Verbündeter der USA. Trotz dem Vietnam-, Balkan- Afghanistan-, Irak-, Libyen-, Syrienkrieg, den Putschen und Interventionen in Lateinamerika verkaufte die Schweiz diesem Staat Waffen.
Nach der Kriegsmaterialverordnung dürften zwar keine Waffen an kriegführende Staaten geliefert werden. In der Kriegsmaterialverordnung ist festgelegt: «Grundsätzlich ausgeschlossen ist die Bewilligung eines Ausfuhrgesuches für Kriegsmaterial, wenn «das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist.»
Auch die aussergerichtlichen Hinrichtungen mit Drohnen der USA in Afghanistan, Pakistan, Somalia usw., die so viele zivile Opfer fordern, störten uns nicht. Auch die Folterungen in Bagram, Guantánamo, Abu Ghraib usw. wurden von der Schweiz jeweils stillschweigend hingenommen. Das enge Verhältnis mit den kriegführenden USA zeigte sich auch dadurch, dass die bundeseigenen Rüstungsbetriebe Ruag auch in den USA produzieren, in Los Angeles, Decatur, Santa Clara, Titusville, Denver und Tampa.