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Walliser Staatsrat lauscht andächtig der skurrilen Neujahrs-Rede des Bischofs von Sitten © vs

Bischof auf dem rhetorischen Glatteis

Kurt Marti /  In seiner Neujahrsansprache vergleicht Bischof Norbert Brunner betrunkene Jugendliche mit heimkehrenden Marignano-Kriegern.

Jedes Jahr kommt der Walliser Staatsrat und das Walliser Volk in den Genuss einer famosen Neujahrsrede des Bischofs Norbert Brunner, welcher auch als Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz amtet. Bereits zum 17. Mal liess der Würdenträger nun seine geistigen Feinheiten an die frische Walliser Luft.

Betrunkene Jugendliche schlimmer als heimkehrende Marignano-Krieger

Zuerst holte der Würdenträger mit grossem Schwung gegen die heutige, verderbte Jugend aus: «Junge Menschen, die nächtelang an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen herumhängen, weil sie nicht wissen, wie sie sich selber beschäftigen können; Horden von Schülern, die sich betrinken und die dann auf dem Heimweg schlimmer aussehen als die Walliser beim Rückzug von Marignano». Ein gewagter Vergleich. Bekanntlich fand im oberitalienischen Marignano im Jahr 1515 die letzte grosse Schlacht statt, an welcher eidgenössische Söldner beteiligt waren. 10 000 eidgenössische Krieger verloren dabei ihr Leben. Darunter viele junge Walliser.

Vorgänger von Bischof Brunner zettelte das mörderische Gemetzel an

Angezettelt hatte dieses mörderische Gemetzel ein Vorgänger von Bischof Norbert Brunner, nämlich Bischof und Kardinal Matthäus Schiner, welcher die Schlacht von Marignano durch eine hinterhältige List erst in Gang brachte. Doch die Franzosen waren stärker. Kardinal Schiners Truppe wurde vernichtend geschlagen. Noch heute ziert der Kopf des Kriegstreibers Kardinal Schiner das alljährlich erscheinende, konservative Walliser Jahrbuch. Zum Bischof ernannt wurde Schiner übrigens von Papst Alexander VI., dem wohl korruptesten, obszönsten und skrupellosesten Papst aller Zeiten.

Verharmlosung des sexuellen Missbrauchs durch Priester

Wenn der katholische Klerus sich enerviert, darf die Sexualität nicht fehlen. Auch hier zieht Bischof Brunner einen halsbrecherischen Vergleich: «Einerseits werden Priester, Erzieher oder Jugendtrainer wegen sexueller Handlungen an Jugendlichen verurteilt. Anderseits ist unsere Gesellschaft bis hinein in den Sexualkundeunterricht an Schulen in einer unwürdigen Art und Weise ‚versexualisiert‘». Eine Verharmlosung des sexuellen Missbrauchs durch Priester und Erzieher.

Der fünfköpfige Walliser Staatsrat hörte sich diesen deplatzierten Vergleich geduldig und schweigsam an, wie auch die anderen VIPs in der Runde. Man ist einiges gewohnt in Sitten und man liebt den Apéro mit Trockenfleisch, Roggenbrot und Fendant. In den lokalen Medien fehlte anderntags dieser sexualkundliche Exkurs des Bischofs.

Bischöfliches Plädoyer für die Sündenböcke

Während der Bischof gegen die unartigen Jugendlichen herzog, setzte er sich im Gegenzug für all die «Sündenböcke» unter den Mächtigen ein, allen voran Alt-CVP-Staatsrat und Ständerat Jean-René Fournier: «Einerseits wird ein Alt-Staatsrat wegen eines zu frühen Wolfs-Abschusses angeklagt und verurteilt. Anderseits stimmt eine Mehrheit des Volkes zu, dass jährlich tausendfach menschliches Leben innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist getötet wird.»

Undifferenzierte Kraut-und-Kabis-Litanei

Und im gleichen Ton ging die undifferenzierte Kraut-und-Kabis-Litanei weiter: «Einerseits muss sich ein Bundespräsident wegen eines Darlehens, das ihm eine befreundete Familie gewährt hat, rechtfertigen. Anderseits benutzen tausende von Bürgern die Möglichkeit, ihren finanziellen Beitrag an den Staat zu verweigern, weil ihnen der subtile Unterschied zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung dazu die rechtliche Basis bietet. Einerseits wird ein Bankenpräsident wegen einiger tausend Franken Gewinn verfolgt und verurteilt. Anderseits können Banken Milliardenverluste machen, und hunderttausende Mitarbeiter können weiterhin ihre überrissenen Boni einstreichen.»

Reaktionäre Rolle in der Geschichte

Es ist jedes Jahr aufs Neue ein aufschlussreiches Schauspiel, wie sich der Bischof von Sitten den Mund auf diese Weise vollnehmen darf, ohne dass ihm widersprochen wird. Insbesondere wenn man bedenkt, welch reaktionäre Rolle der Bischof von Sitten und der Walliser Klerus vor und nach der Gründung der Eidgenossenschaft im Jahr 1848 spielte. Und welche Folgen das bis heute für den Kanton Wallis hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • am 14.01.2012 um 10:44 Uhr
    Permalink

    Dank dem Link konnte ich das Manuskript der Rede lesen. Diese Rede enthält durchaus tiefer reflektierende Anzätze und auch Selbstkritik. Bischof Brunner ist seine eigene Subjektivität bewusst, was in diesem Satz erkennbar ist: «Meine Wahrnehmungen ergeben sich sicher aus einer nicht ganz objektiven Beurteilung.»
    Dass dem Kritiker seine eigene Subjektivität bewusst wäre, lese ich in seiner tendenziösen Kritik nicht.
    Tendenziös – Beispiel: Der Bischof nimmt (glücklicherweise) nicht die «Sündenböcke unter den Mächtigen» in Schutz, sondern er stellt vergleichende Fragen: «Können diese (die notwendigen Anstrengungen) genügen, solange sie nicht von allen Mitgliedern der Gesellschaft mitgetragen werden?» (Bitte selbst den Originaltext nochmals lesen!)
    Freidenker sind mir nicht generell unsymphatisch, es gibt durchaus berechtigte Kritik aus diesen Kreisen. Diese Kritik hingegen empfinde ich (subjektiv natürlich) als sehr unpräzis und keineswegs auf dem Niveau des infosperbers.

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