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Das Swisscoy-Detachement der Schweizer Armee für den Kosovo © n

Adolf Ogi: Sicherheitspolitik als Friedenspolitik

Adolf Ogi /  Das ist die Fortsetzung der Debatte über Schweizer Sicherheitspolitik ; alt Bundesrat Ogi skizziert das Konzept seiner VBS-Politik.

In der Politik, vor allem in der Politik, gibt es sogenannte Zeitfenster, «windows of opportunities». Diese gehen auf, und sie gehen wieder zu. Wichtig ist, dass man sie nutzt, wenn dadurch die Möglichkeit gegeben ist, ein Projekt oder ein Vorhaben zu realisieren.

Friedensmission hat Tradition

Der neutrale Kleinstaat Schweiz ist auf diese Möglichkeiten ganz besonders angewiesen. Die Neutralität verpflichtet ihn, wie der Nationalheilige Niklaus von Flüe sagte, sich nicht in fremde Händel einzumischen. Als Kleinstaat fehlt ihm auch die Kraft, sich immer und überall an Konflikten zu beteiligen. Als neutraler Kleinstaat hat er daher ein ganz besonderes Interesse, zum Frieden in der Welt einen Beitrag zu leisten. Das ist nicht zuletzt im Interesse der Volkswirtschaft.

Wir hatten 1953 ein Zeitfenster, im Rahmen einer der ersten Friedensmissionen der UNO uns mit 96 Schweizer Armeeangehörigen an der «Neutral Nations Supervisory Commission» zur Überwachung des Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea zu beteiligen. Man hatte den Mut, man fürchtete sich nicht, man ging den weiten Weg.

Sicherheit statt Krieg vorbereiten

Wir hatten ab Mitte der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts «windows of opportunities» für die Schaffung der drei Genfer Zentren:
> das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (1995)
> das Genfer Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung (1998)
> das Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (2000)
Alle diese Zentren dienen der Sicherung des Friedens und der Demokratie.

Weiter: Wir haben uns entschieden für den Beitritt zur Partnerschaft für den Frieden zwischen der NATO und 22 europäischen und asiatischen Ländern, die nicht NATO-Mitglieder sind.

Wir haben 1998 die «Aktion Alba» durchgeführt: Schweizer Super-Pumas haben Flüchtlinge aus dem Kosovo in die Spitäler von Tirana (Albanien) geflogen und sie mit Lebensmitteln versorgt, damit sie dort erträgliche Lebensbedingungen hatten. Die Schweizer Armee hat damit das Schweizer Katastrophenhilfe-Korps und die UNO-Flüchtlingshilfe unterstützt und dafür gesorgt, dass der Flüchtlingsstrom vom Kosovo in die Schweiz nicht noch weiter anschwoll.

Wir haben die «Gelbmützen» kreiert in Bosnien-Herzegowina, um mitzuhelfen, vor unserer Haustür Stabilität zu schaffen (die Region ist eine Flugstunde von der Schweiz entfernt!), und um mitzuhelfen, Solidarität mit der Völkergemeinschaft zu schaffen.

Wir haben uns an der KFOR beteiligt, also an der internationalen Truppe unter Leitung der NATO im Kosovo, die eine sichere Rückkehr der Flüchtlinge gewährleisten soll. Mit der neuen sicherheitspolitischen Strategie «Sicherheit durch Kooperation» haben wir in den 90er Jahren den veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West Rechnung getragen.

Partnerschaft für Frieden

Und wir haben diese Entscheidungen mit Inhalt und Leben gefüllt. Die «Partnerschaft für den Frieden» war eine Priorität. Diese «Partnerschaft für den Frieden» war für die Armee wohl der vorteilhafteste Vertrag, den man abschliessen konnte. Vereinfacht ausgedrückt. «Partnerschaft für den Frieden» ist vergleichbar mit einer Menukarte: Man kann nehmen, wouzu man neigt, was man begehrt, und man kann ablehnen, was man nicht essen will. «Partnerschaft für den Frieden» offeriert uns, was für uns von Nutzen ist, was für uns vorteilhaft ist, und das ohne jegliche politische Verpflichtung, ohne rechtliche Verpflichtung.
Die Schweiz musste sich also praktisch zu nichts verpflichten. Das ist genau das, was wir in der Regel anstreben.

Grundsätzlich: Wir dürfen nicht nur als Trittbrettfahrer Sicherheit konsumieren. Wir müssen auch durch solidarische Beiträge Sicherheit produzieren. Wir müssen einen Nettobeitrag an die allgemeine Sicherheit leisten. Auch wir haben etwas anzubieten, und wir dürfen es nicht nur für uns behalten. Unsere Verteidigung, unser Einsatz für den Frieden fängt nicht erst an der Schweizer Grenze an und hört auch nicht dort auf.

Solidarität im Handeln

Die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft, ja bereits der Gegenwart, bestehen nicht aus Panzern, die unsere Grenzen überrollen. Sie bestehen aus Situationen wie jene zum Beispiel: Korea – das ich am Anfang erwähnt habe -, Afghanistan, Irak, Mali, Libyen, Tunesien, auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, also Konflikte, die geografisch weit weg sind von uns. Es sind Konflikte, bei denen sich zahlreiche Probleme komplex überlagern, Probleme, die nicht nur auf Ex-Jugoslawien beispielsweise beschränkt bleiben, Probleme, deren Folgen wir auch immer in der Schweiz spüren, auch wenn sie gar weit weg sind.

Solidarität zeigt sich nicht in Worten. Solidarität zeigt sich im Engagement. Solidarität zeigt sich auch in der Bereitschaft, Risiken einzugehen.

Menschen machen den Unterschied. Wo Menschen sich durch praktische Zusammenarbeit kennen und gegenseitig vertrauen lernen, da wird die Sicherheit zementiert.

Die sicherheitspolitische Debatte auf Infosperber wird fortgesetzt mit einem Beitrag von Oswald Sigg. Der Sozialdemokrat Sigg war von 1998 – 2004 Mediensprecher von Bundesrat Adolf Ogi und von Samuel Schmid (beide SVP) und von 2005 bis 2009 als Vizekanzler Sprecher des Gesamtbundesrats. Sein Beitrag unter dem Titel «Sicherheit ohne Politik» erscheint in den nächsten Tagen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Adolf Ogi war von 1996 -2000 als Bundesrat Chef des Eidgenössischen Departements für Verteidigung und Sport.

Zum Infosperber-Dossier:

Fliegerabwehrkanone

Die Sicherheitspolitik der Schweiz

Wer und was bedroht die Schweiz? Welche Strategie braucht sie für ihre Sicherheit nach innen und aussen?

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