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Weniger Entwicklungshilfe. Gefragt sind alternative Finanzierungmittel. © Helvetas

Moment der Wahrheit für die nachhaltige Entwicklung

Patrik Berlinger /  Nach dem Abbau der Entwicklungshilfe braucht es globale Reformen, damit arme Länder mehr in ihre Entwicklung investieren können.

(Red) Der Autor dieses Gastbeitrags ist verantwortlich für die politische Kommunikation bei Helvetas, einer Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. Infosperber publiziert seinen in der April-Ausgabe des entwicklungspolitischen Newsletters von Helvetas erschienenen Artikel leicht gekürzt.

Noch immer kämpfen viele Entwicklungsländer mit den Schulden aus der Covid-Krise. Und weil viele Regierungen als Reaktion auf die russische Invasion in die Ukraine massiv in die militärische Verteidigungsfähigkeit investieren, bekunden sie zunehmend Mühe, Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung im Inland und weltweit bereitzustellen. Prioritäten verschieben sich: Viele Staaten setzen den Rotstift bei vermeintlich weniger zentralen Staatsaufgaben an; im Asylwesen und bei der humanitären Hilfe oder bei sozialen Anliegen und Aufgaben des Service Public.  

Wirksame und gerechte Reformen nötig 

In diesem Umfeld findet vom 30. Juni bis am 3. Juli in Sevilla die vierte Uno-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung statt. Viele sehen in der Konferenz einen Moment des «make or break» für das Schicksal der nachhaltigen Entwicklungsziele der Uno, welche die Staatengemeinschaft mit der Agenda 2030 festgelegt hat. Um sie noch zu erreichen, müssten deutlich mehr Mittel für die Bekämpfung von Armut und Hunger sowie für Bildung, Gesundheit, für den Schutz von Klima und Biodiversität aufgewendet werden.

Angesichts knapper Staatsbudgets und rückläufiger Entwicklungshilfe ist es umso wichtiger, dass sich die UN-Mitgliedstaaten an der Konferenz auf Reformen beim internationalen Finanz- und Steuersystem verständigen. In folgenden Themengebieten sind wirksame und gerechte Reformen nötig: 

  • Weil die OECD-Mindeststeuer in Bezug auf globale Steuergerechtigkeit versagt, starten in diesem Jahr die Verhandlungen für eine UN-Rahmenkonvention für internationale Steuerkooperation. Wenn die FfD4-Konferenz diese stützt, könnten die Beratungen bereits 2027 ihren Abschluss finden. Damit die UN-Steuerkonvention eine faire und umverteilende Wirkung entfalten kann, muss sie eine progressive Vermögenssteuer für Super-Wohlhabende umfassen. Ebenso braucht es eine globale Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne, und zwar im Sinne einer international abgestimmten Gesamtkonzernsteuer für transnationale Unternehmen (Unitary taxation). Damit kann Steuervermeidung verhindert werden bzw. können Konzerne nicht mehr so einfach Milliarden-Gewinne in ihre Sitzstaaten im Norden verlagern.
  • Gleichzeitig muss die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse intensiviert werden. Geldströme aus Steuerhinterziehung, Korruption und anderen kriminellen Aktivitäten kosten arme Länder jedes Jahr mehrere Milliarden – eine Summe, die öffentliche Entwicklungsgelder weit übersteigt
  • Angestossen werden sollte an der FfD4-Konferenz auch eine Reform der multilateralen Finanzarchitektur. Die Vereinten Nationen sollten die Arbeitsweise der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie anderer internationaler Finanzinstitutionen (IFI) überprüfen, mit dem Ziel, dass diese ihre Arbeit verbindlich an den Menschenrechten, einschliesslich der wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte, ausrichten. Konkreter Handlungsbedarf besteht bei den IWF-Sonderziehungsrechten, die ärmeren Ländern ermöglichen sollten, ihre Liquidität in Krisenzeiten zu erhöhen. Derzeit bevorzugt der Mechanismus wohlhabende Staaten, während ärmere Länder kaum einen Vorteil daraus ziehen. Das muss sich ändern. Das Potenzial für Möglichkeiten neuer Nutzung und innovativer Zuteilung ist gross und sollte im Hinblick auf die nächste Krise ausgeschöpft werden.
  • Der Schuldenstand der ärmeren Länder bleibt auch nach den Corona-Krisenjahren sehr angespannt. Eindringlich warnt die Uno, dass mittlerweile beinahe die Hälfe der Weltbevölkerung in Ländern lebt, die mehr Steuermittel für Zinsen aufwenden müssen, als sie für Bildung oder Gesundheit einsetzen können. Eine ehrgeizige Entschuldung ist unabdingbar, um finanzielle Spielräume zu schaffen. An der FfD4-Konferenz sollte daher ein fairer und verbindlicher multilateraler Entschuldungsmechanismus eingeleitet werden. Im Falle nicht selbst verschuldeter exogener Schocks, etwa durch Klima- und Umweltkatastrophen oder Pandemien braucht es flexible Rückzahlungspläne, damit Schuldner mit den Herausforderungen nicht allein gelassen werden. Ausserdem ist es wichtig, dass alle Staaten, auch die Schweiz, private Gläubiger gesetzlich verpflichten, sich an multilateralen Schulden-Restrukturierungen zu beteiligen.  
  • Die Chancen für ein multilaterales Regelwerk für die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten durch international tätige Unternehmen stehen gut. Auch die Schweiz sollte die Verhandlungen zum UN-Treaty on Business and Human Rights, die seit über zehn Jahren laufen, konstruktiv unterstützen. In der Entwicklungszusammenarbeit gab es jüngst einen Boom der Mischfinanzierungen (Blended Finance), wobei mithilfe öffentlicher Gelder private Investitionen mobilisiert werden sollen. Wichtig ist, dass bei der Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen die bi- und multilateralen Geber die Einhaltung der Menschenrechte und die Umwelt- und Sozialstandards gewährleisten. Die FfD4-Konferenz sollte anstossen, dass die Auswirkungen von Mischfinanzierungen und öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) auf die Menschenrechte, eine nachhaltige Entwicklung und die Budgetsituation in Ländern des globalen Südens untersucht werden. 
  • Schliesslich sollten die wohlhabenden Länder an der FfD4-Konferenz – nebst der Unterstützung der notwendigen und gerechten finanz- und steuerpolitischen Reformen – ihre Zusage bekräftigen, für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung (BNE) bereitzustellen. Dazu haben sich die Regierungen 2015 mit der Verabschiedung der Agenda 2030 sowie am UN-Zukunftsgipfel 2024 mit dem «Pact for the Future» bekannt. 

Strukturelle Schritte nötig 

Das Jahrzehnt seit der Abschlusserklärung der dritten Internationalen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung im Jahr 2015, der Addis Ababa Action Agenda (AAAA), war geprägt von multiplen Krisen: von der Corona-Pandemie, von fortschreitender Erderwärmung und von teuren Klimakatastrophen, einer globalen Staatsschuldenkrise und eskalierenden Konflikten. Die Agenda 2030, die ebenfalls 2015 verabschiedet wurde, liegt wegen ungenügender Fortschritte und einiger Rückschritte «auf der Intensivstation». Es ist daher nicht übertrieben zu sagen, dass an der diesjährigen FfD4-Konferenz über das Schicksal der von der Uno beschlossenen nachhaltigen Entwicklungsziele entschieden wird, die ohne mehr und bessere Entwicklungsfinanzierung nicht umgesetzt werden können. 

Als einer der wichtigsten Finanzplätze weltweit, und dank ihrer multilateralen Soft Power und der beispiellos tiefen Verschuldung im weltweiten Vergleich kann und sollte die Schweiz in Sevilla eine aktive und positive Rolle spielen. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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