1024px-Ursula_von_der_Leyen_in_Paris,_France_-_2024

Was steht in den SMS? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2024 in Paris. © cc-by-4 Europäische Union

EU-Gericht: Von der Leyen hat bei der Transparenz geschummelt

Christoph Bock /  Während der Covid-Pandemie verhandelte die EU-Kommissionspräsidentin mit dem Pfizer-Chef. Die SMS wollte sie nicht rausrücken.

psi. Dieser Beitrag wurde von netzpolitik.org produziert. Infosperber publiziert ihn im Rahmen der Creative Commons-Lizenz BY-NC-SA 4.0 von netzpolitik.org. Das Non-Profit-Medium wird hauptsächlich durch Leserspenden finanziert.

Als 2021 die Covid-Pandemie den Alltag bestimmte, herrschte ein globales Wettrennen um Impfstoffe. Für die EU verhandelte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen höchstpersönlich mit Impfstoff-Herstellern wie dem US-Pharmakonzern Pfizer. Dabei soll die Politikerin auch per SMS mit Pfizer-Chef Albert Bourla in Kontakt gewesen sein. Journalist*innen wollten wissen, was in den Kurznachrichten stand, doch die EU-Kommission verweigert die Auskunft seit Jahren.

Nun hat das Gericht der Europäischen Union geurteilt: Die Behauptung der EU-Kommission, nicht im Besitz dieser Nachrichten zu sein und sie deshalb nicht herausrücken zu können, sei nicht «plausibel». Umgekehrt habe die klagende «New York Times» «relevante und übereinstimmende Anhaltspunkte» dafür vorgelegt, dass ein wiederholter Austausch zwischen von der Leyen und Bourla stattgefunden habe.

Hinhaltetaktik der EU-Kommission

Dem Urteil zufolge hätte die EU-Kommission nachvollziehbar belegen müssen, warum diese Dokumente nicht auffindbar gewesen seien. Doch weder habe sie im Detail erklärt, welche Art von Nachforschungen sie betrieben hat, um diese Dokumente zu finden, noch, wo sie nach ihnen gesucht hat.

Ausserdem habe die Kommission bis heute nicht klargestellt, ob die angeforderten Textnachrichten gelöscht wurden oder ob das Mobiltelefon der Kommissionspräsidentin inzwischen ausgetauscht wurde. Genausowenig habe die Kommission plausibel dargelegt, warum die Chatnachrichten keine wichtigen Informationen enthalten hätten.

Eigentlich soll eine Verordnung den Zugang zu Dokumenten der EU sicherstellen. Zwar sind Ablehnungen einschlägiger Anfragen möglich, etwa um Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Doch grundsätzlich sollten alle Dokumente von EU-Organen für die Öffentlichkeit zugänglich sein, betont das Gericht.

In einer Pressemitteilung erklärte die Kommission, das Urteil und ihre nächsten Schritte prüfen zu wollen. Hierfür werde sie «einen neuen Beschluss mit einer ausführlicheren Begründung erlassen», kündigte sie an. Eine Berufung ist binnen zweier Monate möglich.

Transparenzanfrage von netzpolitik.org abgelehnt

Zuerst berichtete die «New York Times» im April 2021, dass von der Leyen per Telefon und SMS mit Pfizer-Chef Bourla verhandelt hatte. Kurz darauf stellte der damalige netzpolitik.org-Journalist Alexander Fanta eine Transparenzanfrage an die EU-Kommission, um den Inhalt der Konversation offenzulegen. Die Kommission verweigerte jedoch die Auskunft über die Existenz und den Inhalt der Kurznachrichten.

Inzwischen hat die EU-Kommission zwar den Kaufvertrag mit Pfizer veröffentlicht, dieser enthält jedoch viele geschwärzte Stellen. Zensiert wurde unter anderem der Stückpreis je Impfdosis. Der «Financial Times» zufolge verlangte Pfizer etwa 20 Euro pro Impfdosis.

Verhandelte von der Leyen per SMS über 21,5 Milliarden Euro, die Pfizer demnach von der EU erhalten sollte? Der Vorwurf eines überteuerten Panikkaufs der 1,8 Milliarden zugesicherten Impfdosen liegt nahe.

Schlupfloch für Geheimniskrämerei

Es ist weiterhin unklar, wie genau der Vertrag zwischen der EU und Pfizer zustande kam. Weil die Kommission die zur Aufklärung wichtigen Textnachrichten nicht veröffentlichte, beschwerte sich Alexander Fanta bei Emily O’Reilly, der damaligen Ombudsfrau der Europäischen Union. In einem Treffen zwischen der Kommission und der Ombudsfrau gab die Kommission im Oktober 2021 zu, dass von der Leyen tatsächlich Textnachrichten mit dem Pfizer-CEO ausgetauscht hatte.

Die Textnachrichten seien jedoch nicht archiviert worden, weil sie «inhaltlich nicht relevant» gewesen seien, so die Kommission. Zudem seien Textnachrichten aufgrund ihrer «Kurzlebigkeit» noch nie archiviert worden. Ganz grundsätzlich mache die Kommission keine verbindlichen Zusagen via Textnachrichten, wie sie O’Reilly mitgeteilt hatte.

Vor allem ist die Argumentation der Kommission schädlich für die Transparenz. Indem sie SMS und Messenger-Nachrichten grundsätzlich die Relevanz abspricht, öffnet die Kommission ein grosses Schlupfloch für Geheimniskrämerei. Wenn Textnachrichten nicht archiviert werden, lassen sich versteckter Lobbyismus und Korruption schwerer aufdecken. Sobald eine Konversation heikel wird und sich Offizielle lieber nicht «on the record» unterhalten möchten, können sie einfach auf SMS, Whats-App oder Signal ausweichen.

Ombudsfrau O’Reilly riet deshalb, Textnachrichten sollten archiviert und auf Anfrage veröffentlicht werden. Ausserdem empfahl sie, die zwischen von der Leyen und Bourla ausgetauschten Textnachrichten zu veröffentlichen. Allerdings haben Beschlüsse der Bürgerbeauftragten keine bindende Wirkung und die Kommission blieb stur, weshalb die «New York Times» im Januar 2023 vor dem Gericht der Europäischen Union klagte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Lobbyist_Hand

Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

Konzerne_Politik

Politik in der Hand von Konzernen

Weltkonzerne sind mächtiger als manche Regierungen. Parlamente haben sie mit Lobbyisten und Geld im Griff.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...