Sperberauge

Brexit sei Dank

Markus Mugglin* ©

Markus Mugglin /  Der Brexit schwächt die EU. Gleichzeitig hat er Entscheide möglich gemacht, die bisher nicht möglich schienen.

War es Zufall oder etwa doch nicht? Der Dezember brachte nicht nur den Brexit-Deal zwischen der EU und Grossbritannien. Die EU hat quasi gleichzeitig Entscheide gefällt, die ihr mit Grossbritannien als noch EU-Mitglied viel schwerer gefallen wären – oder die sie vermutlich nicht hätte fällen können.

Damit verbunden hat der EU-Korrespondent Daniel Boffey des britischen «Guardian» in Brüssel eine Stimmung der «unverschämten Erleichterung» ausgemacht. Denn was wäre im vergangenen Jahr alles geschehen bzw. nicht geschehen, hätte Grossbritannien weiterhin mitbestimmen können, was in der EU geht und was nicht.

Zwar habe auch die EU zu Beginn der Covid-19-Krise sträflich versagt. Doch wäre es nicht noch schlimmer gewesen, wenn Boris Johnson mehr Einfluss auf das Vorgehen genommen hätte?

Oder beim Wiederaufbaufonds und dem neuen mehrjährigen Haushaltsplan: «Die sparsamen Vier» Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark konnten in ihrer Opposition nicht mehr auf die Unterstützung des ungleich einflussreicheren Grossbritannien zählen. Auch Ungarn und Polen konnten bei ihrem Nein zum Vorbehalt der Rechtsstaatlichkeit für Zahlungen aus dem EU-Haushalt nicht mehr auf den Rückhalt Grossbritanniens bauen, das sich schon immer gegen die Einmischung Brüssels in angeblich rein nationale Angelegenheiten gewandt hatte. Auf sich alleine gestellt haben Orban und Kaczynksi schliesslich eingewilligt.

Das Abseitsstehen Grossbritanniens in EU-internen Diskussionen scheint also schon vor dem Deal eine neue Dynamik ausgelöst zu haben. Geradezu als «Show-Piece» kam dazu kurz vor Jahresabschluss nach siebenjährigen Verhandlungen das Wirtschaftsabkommen mit China. Damit positionierte sich die EU ausgerechnet im Moment des Brexit-Countdowns als «global player» und schlüpfte so in die Rolle, die der Brexiteer Boris Johnson seinem Stimmvolk versprochen hatte. Oder wie es der «Guardian»-Korrespondent mit einer Prise Häme formulierte: «Während Boris Johnson von einem globalen Grossbritannien spricht, setzt Ursula von der Leyen ihr Versprechen in die Tat um, eine geopolitische europäische Kommission zu leiten.»


Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Brexit_Flickr_Muffinn_

Der lange Weg des Brexit

Austrittsverhandlungen bis zum Austritt aus der EU erschüttern sowohl das Königreich als auch die EU.

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Eine Meinung zu

  • am 11.01.2021 um 11:32 Uhr
    Permalink

    Ihr Artikel päppelt mein gekränktes Europäer-Herz wieder etwas auf. Jetzt, wo die Scheidung von den Briten erledigt ist, kommen neue Optionen ins Spiel: weniger innerer Reibungsverlust bei wichtigen Entscheidungen Richtung Vereinigte Staaten von Europa. Und wenn die Schotten noch zu uns stoßen würden ……. wow.

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