Anush Apetyan

Die Armenische Frauenunion verurteilt die grausame Ermordung der 36-jährigen Soldatin Anush Apetyan. © Quelle: ANF News

Aserbaidschanische Armee filmt tödliche Folter einer Armenierin

Amalia van Gent /  Aserbaidschan führt gegen Armenien einen Krieg mit allen Mitteln: Etwa mit Bildern von grausigen Gewalttaten.

«Die ganze Welt sollte wissen, dass wir auf der Seite unseres aserbaidschanischen Brudervolks stehen», erklärte Mitte September der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor der Nationalversammlung in Ankara. «Die Unterstützung der Türkei ist absolut und vollständig», doppelte auch Erdogans rechtsnationalistischer Regierungsalliierte Devlet Bahceli via Twitter nach.

Die Streitkräfte des aserbaidschanischen Brudervolks hatten gerade Armenien überfallen, Dörfer und Kleinstädte mit türkischen Killerdrohnen und Artillerie beschossen und strategische Höhen im armenischen Territorium besetzt.

Armenien leidet erneut

Weniger als zwei Jahre nach dem Angriffskrieg Aserbaidschans gegen die Armenier von Berg-Karabach, führt das aserbaidschanische Militär erneut einen Krieg gegen die Republik Armenien. Insgesamt 600 Soldaten sollen bislang ums Leben gekommen und nochmals so viele verwundet worden sein. 7600 Zivilisten mussten evakuiert werden. Zahllose zivile Gebäude wurden zerstört.

Ein verstörendes Video macht seither in den sozialen Medien die Runde: Es zeigt, wie die 36-jährige armenische Soldatin Anush Apetyan in der armenischen Stadt Jermuk gefangen genommen und von aserbaidschanischen Soldaten vergewaltigt, gefoltert, getötet und ihre Leiche schliesslich zerstückelt wird. Ihre Peiniger stecken ihr die abgetrennten Finger in den Mund und stechen ihr die Augen aus. Dabei filmten sie ihren Gewaltakt minutiös und luden das Video ins soziale Mediennetz «Telegram» hoch. Infosperber ist im Besitz des Videos. Die Soldatin Apetyan lässt drei Kinder im Alter von 16, 15 und 4 Jahren zurück.

Infokrieg dient der Einschüchterung

Dieses Video und weitere Gewaltdarstellungen, welche aserbaidschanische Soldaten ins Netz gestellt haben, riefen in Armenien schlagartig das Trauma vom 1915 wach: Damals verordneten die regierenden Jungtürken die Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reichs in die Wüste. Über 1,2 Millionen Menschen gingen auf diesen Deportationsrouten, die in Wirklichkeit nichts anders als Todesrouten waren, elendig zugrunde. Das Schicksal von Anush Apetyan spielte sich damals tausendfach ab.

«Wir rufen ohne Stimmen, und ohne Hoffnung, gehört zu werden», umschrieb einst der armenische Dichter Vahan Teryan das nationale Trauma. Das griff vor kurzem der junge armenische Schriftsteller Grigor Shashikyan auf: «Wir sind ganz allein auf uns gestellt», sagte er. «Nun kann meine Generation an der eigenen Haut spüren, was Vahan Teryan genau meinte.»

Aus Angst vor Übergriffen aus Aserbaidschan oder aus der Türkei hielt Armenien auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an einer strategischen Allianz mit Russland fest. Denn aus armenischer Sicht war nach 1915 «der Türke» der Inbegriff der existenziellen Bedrohung schlechthin. Doch Russland eilte dem treuen Alliierten nicht zu Hilfe – nicht, als Aserbaidschan mit Hilfe der Türkei 2020 den Krieg in Bergkarabach anzettelte, und auch nicht Mitte September, als Aserbaidschan armenisches Territorium angriff.

Aufgrund seiner angeblichen Nähe zu Russland wurde Armenien ironischerweise vom Westen schon immer ignoriert. Dass aserbaidschanische Soldaten ihre Gewalttaten straflos begehen und sich mit diesen in den sozialen Medien gar brüsten dürfen, nährt in der armenischen Bevölkerung die Überzeugung, dass Aserbaidschan den Krieg gegen ihr Land so lange fortsetzen werde, bis es die armenische Republik, wie sie heute existiert, nicht mehr gibt.

Drei Tage nach dem Überfall der aserbaidschanischen Armee wurde Jerewan völlig unerwartet von einem hohen Gast besucht:  Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses der USA, Nancy Pelosi, brandmarkte vor dem armenischen Parlament die «tödlichen Angriffe Aserbaidschans auf armenisches Territorium» als völkerrechtswidrig und verurteilte diesen Angriff auf die Souveränität Armeniens scharf.

Europa will Geschäftspartner nicht verstimmen

Ihre feurige Rede war ein Seitenhieb auf Russland, das seinen strategischen Alliierten in seiner Not schutzlos liess. Der Besuch der alten Dame aus den USA war zugleich aber auch eine unmissverständliche Kritik an die Adresse Europas.

Darum bemüht, das russische Gas durch andere Quellen zu ersetzen, hat Ursula von der Leyen letzten Juli Aserbaidschans Hauptstadt Baku besucht. Dort schloss die alte Dame aus Brüssel, die sich gerne als starke Politikerin der EU inszeniert, ein neues Abkommen für eine doppelte Menge an Erdgas aus Aserbaidschan für die EU und lobte ihren Gastgeber Ilham Alijew mehrfach als «vertrauenswürdigen Partner». Offenbar um den werten Partner nicht zu verstimmen, verlor Frau von der Leyen bislang auch kein Wort, weder über Aserbaidschans völkerrechtswidrigen Krieg, noch über die Kriegsverbrechen seiner Truppen.

Widersprüchliches Verhalten

Wie sinnvoll eine Politik ist, die den einen Herrscher – Putin – als moralisch verwerflichen Diktator anprangert und den zweiten Herrscher – Alijew – als «vertrauenswürdigen Partner» reinwäscht, bleibt das Geheimnis von Frau von der Leyen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Beitrag wurde am 29.9. 2022 auf Infosperber veröffentlicht.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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13 Meinungen

  • am 29.09.2022 um 13:35 Uhr
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    Wo sind eigentlich die Waffenlieferung der NATO / EU an Armenien? Klassische Doppelstandards!

    • am 30.09.2022 um 06:09 Uhr
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      Waffenlieferungen sind nicht die Lösung!
      Friedenslösungen auf allen Ebenen und auf der ganzen Welt wären angesagt!
      Frieden schaffen, das ist harte Arbeit und es lässt sich kaum Geld damit verdienen – im Gegensatz zum Waffenhandel!
      Wo sind die Frauen und Männer, die sich da endlich engagieren?
      Oder müssen wir erst alle Politiker und Politikerinnen abwählen und durch Leute ersetzen, welche sich für Friedenslösungen einsetzen?
      Was muss noch alles zerstört werden, wieviel Leid soll noch geschehen?
      Es ist langsam wirklich zum Verzweifeln!

      • am 2.10.2022 um 21:44 Uhr
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        Nein, immer noch nicht lieber rot als tot.

      • am 3.10.2022 um 09:10 Uhr
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        @Daniel Graf-Prenner:
        Was ist denn sooo schlimm an «rot», dass sie den Tod vorziehen?
        Und heißt Bemühen um Frieden denn zwingend «rot»???

    • am 30.09.2022 um 08:12 Uhr
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      Gute Frage!? Damit zeigt es sich, dass der Weltkrieg nicht nur in der Ukraine wütet! Und auch da sind die USA im Spiel. Danke Herr Mossano.

  • am 29.09.2022 um 20:42 Uhr
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    Also, Fr.Von der Leyen als alte Dame in Brüssel zu bezeichnen, finde ich altersdiskriminierend oder gar sexistisch?….

    • am 30.09.2022 um 08:09 Uhr
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      Ist das ernst gemeint oder zynisch?

      Wenn ersteres, ist das für mich ein Beispiel der heutzutage leider bei vielen so verschrobenen Massstäben. Da spricht der Artikel von absolut grässlicher Folter (Vergewaltigung, Folter, Tötung und Zerstückelung der Leiche… ich lass die im Artikel genannten Details jetzt weg) und als Kommentar kommt, ob die Bezeichnung als alte Dame nicht altersdiskriminierend oder sexistisch sei.

    • am 30.09.2022 um 17:30 Uhr
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      UvdL lässt einen eben auch an Dürrenmatts Besuch der alten Dame denken.

  • am 30.09.2022 um 15:54 Uhr
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    Da hat Barbara Schwager Recht, das könnte man als altersdiskriminierend und eventuell auch sexistisch ansehen. Aber der eigentliche Skandal bleibt doch dass «Frau von der Leyen bislang kein Wort, weder über Aserbaidschans völkerrechtswidrigen Krieg, noch über die Kriegsverbrechen seiner Truppen» verlor und die feministische Außenministerin in Berlin nach meinem Wissen sich ebenfalls bedeckt hält. Wer fordert eigentlich einen Prozess in Den Haag? und der wirkliche sexistische Skandal ist das, was man dieser Frau auf dem Foto angetan hat.

  • am 1.10.2022 um 12:06 Uhr
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    Hier werden zu Recht das unsägliche Schicksal von Frau Apetyan und die aserbaidschanischen Kriegsverbrechen angeklagt und die beschämende «nicht-in-meinem-(Vor-)Gärtchen»-Untätigkeit der Europäer (inkl. Schweiz) blossgestellt.

    Allerdings zeichnet der Artikel ansonsten ein Schwarz-Weiss-Bild. Das umstrittene Gebiet gehört gemäss Resolutionen der UNO zu Aserbaidschan und es wird widerrechtlich von Armenien besetzt. Bei aller Verurteilung militärischer Gewalt, ist es also nicht einfach ein (Zitat) «Angriffskrieg Aserbaidschans gegen die Armenier», schon gar nicht wie derjenige von Putin. Der Vergleich im letzten Absatz hat einen üblen Beigeschmack. Er ist auch gar nicht nötig, um die doppelten Standards aufzuzeigen.

    Der unangebrachten Ton und Angriff auf Frau Leyen als exponierte Einzelperson wurde bereits verurteilt, da schliesse ich mich an.

    • am 2.10.2022 um 11:20 Uhr
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      @M. Kühni: Welches umstrittene Gebiet gehört gemäss welcher Resolutionen der UNO zu Aserbaidschan und wird widerrechtlich von Armenien besetzt?
      Auch Sie scheinen ein nicht zutreffendes schwarz-weiß Bild zu zeichnen.
      Für alle, welche die komplizierte, mit extrem viel Leid und Gewalt verbundene Geschichte im Südkaukasus nicht so gut kennen, empfehle ich die beiden Beiträge von Leo Ensel zum aktuellen Überfall Aserbaidschans auf Armenisches Staatsgebiet: ua. https://www.nachdenkseiten.de/?p=88444 oder globalbridge.ch
      Ansonsten stimme ich Ihnen und va. Frau J. Hauptlin Schneider unbedingt zu, dass militärische Gewalt und noch mehr Waffen und Krieg auch im Kaukasus nicht die Lösung sein können – so sehr auch diese unmenschlich scheinende Brutalität danach zu rufen scheint. Krieg ist immer völlig entfesselte Brutalität und führt nie zu dauerhaften Lösungen oder gar Frieden.
      Auch hier fehlen ernsthafte internationale Friedensbemühungen, das «Land der Steine» scheint niemanden zu interessieren

      • am 3.10.2022 um 10:09 Uhr
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        @Peter Langhammer, ich meine vor allem UNO Resolution 847, aber die ganze Reihe ist aufschlussreich, um zu sehen, dass die Angriffe alles andere als einseitig waren:

        https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_United_Nations_Security_Council_resolutions_on_the_Nagorno-Karabakh_conflict

        https://undocs.org/Home/Mobile?FinalSymbol=S%2FRES%2F874(1993)

        Persönlich bemühe ich mich auch, mich nicht vom «liebe Christen vs. böse Muslime»-Brainwashing vereinnahmen zu lassen.

        Wenn endlich alle die persönliche Religion im Nachttischli versorgen würden, wo sie hingehört, dann würde das auf einen Schlag mindestens die Hälfte der Dauerweltkonflikte lösen, den weltweiten Hass auf einen Bruchteil reduzieren, auch den gegen Frauen, Schwule usw. Aber darauf haben natürlich die Autokraten, Populisten etc. gar keine Lust, denn mit diesem gesteuerten Hass lenken sie das eigene Volk von seiner Unterjochung, Ausbeutung etc. ab.

      • am 3.10.2022 um 22:51 Uhr
        Permalink

        @M. Kühni:
        Herzlichen Dank für die Links!
        Von mir werden Sie sicher nichts Derartiges hören, was dazu dient, Angehörige verschied. Religionen oder Ethnien gegeneinander auszuspielen! Insofern stimme ich Ihnen zu, wobei ich kein Problem in den Religionen per se erkenne, sondern in ihrem häufigen Missbrauch für Machtzwecke.
        Was die UN-Resolution betrifft, meinen Sie nicht die 487 (betr. Kroatien) sondern 478. Die ist 30 Jahre alt, inzwischen gab es ja weitere kriegerische Ereignisse vor Ort. So wie ich es verstehe, betrifft die 478 die Ereignisse im 1. Südkaukasuskrieg, als Armenien tatsächlich Aserbaidschanisches Staatsgebiet besetzt hatte – bis 2020, wie ja bei L. Ensel beschrieben. Aktuell greift Aserbaidschan ja offenbar unmittelbar armenisches Staatsgebiet an – nicht (ehemals) besetzt gehaltene eigene Gebiete.
        Unabhängig davon müssen Konflikte in Verhandlung und ggf. UN-/internat. Vermittlung und nicht durch militärische Bedrohung, Angriffe oder gar Kriegsverbrechen gelöst werden.

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